History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

Um dieselbe Zeit, zu Anfang dieses Winters, zog der Thrakerkönig Sitalkes, Teres' Sohn, der Odryse, gegen den König Perdikkas von Makedonien, Alexanders Sohn, und die Chalkidier an der thrakischen Küste zu Felde, teils um die Er­ füllung eines ihm gegebenen Versprechens zu erzwingen, teils um ein seinerseits gegebenes zu erfüllen. Perdikkas hatte ihm nämlich für den Fall, daß er ihn in seiner damaligen gefähr­ lichen Lage mit den Athenern wieder aussöhnen und seinem mit ihm verfeindeten Bruder Philipp nicht zum Thron ver­ helfen würde, gewisse Versprechungen gemacht und ihm diese nicht gehalten. Er selbst aber hatte, als es ihm um das Bünd­ nis mit Athen zu tun war, den Athenern versprochen, dem Chalkidischen Kriege im thrakischen Küstenlande ein Ende zu machen. Aus diesem doppelten Grunde unternahm er jetzt den Feldzug, wobei Amyntas, Philipps Sohn, den er in Make­ donien auf den Thron setzen wollte, und die eben dieser Sache wegen zu ihm gekommenen Gesandten der Athener und der Feldherr Hagnon sich in seinem Gefolge befanden. Die Athener sollten nämlich auch mit einer Flotte und einem möglichst starken Heere in Chalkidike auftreten.

Zu seinem Zuge bot er zunächst die Thraker aus seinem Odrysenlande zwischen Haimos und Rhodope bis zum Schwarzen Meere und dem Hellespont auf; dann auch die Geten und die übrigen Völkerschaften aus den Ländern diesseits der Donau nach dem Schwarzen Meere zu. Die Geten und die anderen dortigen Völker sind Nachbarn der Skythen und wie diese be­

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waffnet, alles reitende Bogenschützen. Auch von den unab­ hängigen thrakischen Bergvölkern, welche Säbel führen und meist am Rhodope wohnen, den Diern, wie sie heißen, zog er viele an sich, die sich dazu teils gegen Sold, teils aus freien Stücken verstanden. Weiter auch die Agrianer und die Laiaier sowie die übrigen päonischen Völkerschaften, die noch unter seiner - mit ihnen aufhörenden - Herrschaft standen bis zu den päonischen Graiaiern und Laiaiern und an den Strymon, der vom Skomiongebirge kommt und durch das Land der Graiaier und Laiaier fließt, wo sein Reich an das von hier an freie Päonien grenzte. Gegen die ebenfalls unabhängigen Triballer bildeten Trerer und Tilataier die Grenze. Diese wohnen nördlich vom Skomiongebirge und reichen nach Westen bis an den Oskios, der auf demselben Gebirge entspringt wie der Nestos und Hebros, einem großen, mit dem Rhodope zu­ sammenhängenden wilden Gebirge.

Das Reich der Odrysen erstreckte sich an der Seeseite von der Stadt Abdera bis an das Schwarze Meer und die Donau. Auf kürzestem Wege kann ein Lastschiff, wenn es immer Wind mit hat, die Fahrt um das Land in vier Tagen und ebensoviel Nächten zurücklegen. Zu Fuß braucht ein rüstiger Mann auf dem kürzesten Wege von Abdera bis an die Donau elf Tage. So an der Seeseite. Im Innern würde ein guter Fußgänger den Weg von Byzanz bis zu den Laiaiern und an den Strymon, wo sich das Reich am weitesten landeinwärts erstreckt, in drei­ zehn Tagen zurücklegen können. Die von der altheimischen Bevölkerung und den griechischen Städten aufgebrachten Steuern betrugen unter Seuthos, dem Nachfolger des Sitalkes, wo sie freilich am höchsten waren, ungefähr vierhundert Talente Silber und wurden entweder in Silber oder in Gold ent­ richtet. Ebensoviel aber brachten die freiwilligen Geschenke an Gold und Silber, ganz abgesehen von alle den bunten und schlichten Geweben und sonstigen Kostbarkeiten, womit man nicht nur den König, sondern auch Fürsten und vornehme Herren der Odrysen zu beschenken pflegte, denn dort zu Lande, wie in Thrakien überhaupt, galt es umgekehrt wie in Persien

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für anständiger zu nehmen als zu geben, und man schämte sich mehr, ein Ansinnen abzulehnen, als eine Fehlbitte zu tun. Je höher jemand stand, um so mehr machte er sich das zunutze, und wer überhaupt was erreichen wollte, mußte erst den Beutel ziehen. So war hier ein mächtiges Reich entstanden. Unter allen Staaten in Europa, zwischen dem Ionischen und dem Schwarzen Meere, war keiner, der sich ihm an Steuerkrats und Wohlstand an die Seite stellen konnte, während es aller­ dings an kriegerischer Kraft und Zahl der Streiter den Skythen gegenüber erst sehr an zweiter Stelle kam. Denn in dieser Be­ ziehung kann sich mit den Skythen nicht nur in Europa kein Volk vergleichen, sondern auch in Asien gibt es keins, das ihnen, wenn sie einig wären, für sich allein gewachsen sein würde. An Bildung freilich und Verständnis für die Bedürfnisse eineS Kulturvolkes stehen sie mit anderen nicht auf gleicher Stufe.