History of the Peloponnesian War
Thucydides
Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.
„Gegen eine solche Macht ist eS nicht genug an der Flotte und einer Handvoll Seesoldaten, sondern eS gehört auch ein starkes Landheer dazu, wollen wir dort etwas aus richten und nicht Gefahr laufen, durch die zahlreiche Reiterei an der Landung verhindert zu werden, zumal wenn die Städte auS Furcht vor unS zusammenhalten sollten und wir außer den Egestern dort nicht noch andere Bundesgenossen fänden, die unS mit Reiterei auShelfen könnten. ES wäre schimpflich, wenn wir gezwungen wären, wieder abzuziehen oder, weit wir unS nicht von vornherein gehörig vorgesehen, Verstärkungen nachkommen zu lassen. Wir müssen unS also gleich hier mit allem reichlich versehen und berücksichtigen, daß eS sich um
„Meiner Ansicht nach also müssen wir viel schweres Fuß volk mitnehmen, sowohl aus Athen selbst wie aus den Ländern unserer Bundesgenossen und Untertanen und was wir davon aus dem Peloponnes an Freiwilligen und Söldnern bekommen können, aber auch zahlreiche Bogenschützen und Schleuderer, um die feindliche Reiterei in Schach zu halten. Weiter müssen wir eine sehr überlegene Flotte haben, schon der ungehinderten Zufuhr der Lebensmittel wegen, auch von hier auf Lastschiffen Getreide, Weizen und geröstete Gerste, sowie eine Anzahl aus den Mühten nach Verhältnis zwangsweise ausgehobener be zahlter Bäcker mitnehmen, damit es in Zeiten, wo die Schiff- fahrt ruht, nicht an Lebensmitteln für das Heer fehlt. Denn bei der Menge der Truppen wird nicht jede Stadt imstande sein, sie zu verpflegen. Überhaupt müssen wir uns mit allem Nötigen möglichst versehen und uns nicht auf andere ver lassen, vor allen Dingen aber einen Sack voll Geld mit nehmen. Was davon in Egesta zu haben sein soll, ist ver- mutlich Fabel.
„Denn wenn wir dort auch in allem, abgesehen von ihrer Überlegenheit an schwerem Fußvolk, mit gleichen oder gar größeren Kräften auftreten, so werden wir selbst dann nur mit Mühe imstande sein, die Gegner zu besiegen und unseren Bundesgenossen durchzuhelfen. Man muß nur bedenken, daß wir unsere Truppen gegen eine Stadt inmitten einer uns feindlichen, tsammesfremden Bevölkerung schicken, wo sie gleich am Tage der Landung festen Fuß fassen oder darauf rechnen müssen, wenn es mißlingt, das ganze Land in Waffen gegen sich zu haben. Das sind meine Bedenken, und so viel weiß ich, daß ihr euch die Sache nicht nur sehr überlegen müßt,
Das sagte Nikias, um die Athener mit Rücksicht auf die Weitsichtigkeit des Unternehmens zur Änderung ihres Be schlusses zu bewegen oder, wenn er dennoch hinaus müßte, dabei wenigstens möglichst sicher zu gehen. Die Athener aber ließen sich durch die Größe der erforderlichen Rüstungen von ihrem Vorhaben nicht abbringen, sondern wurden nur um so eifriger drauf erpicht, so daß er grade daS Gegenteil von dem erreichte, was er bezweckte. Sie gaben ihm nämlich recht und glaubten nun vollends, die Sache unbedenklich unter nehmen zu können. Alle ohne Unterschied wurden von dem Verlangen ergriffen, den Zug mitzumachen, die Älteren, weil sie dort auf Eroberungen hofften oder doch an die Möglichkeit des Unterliegens einer so gewaltigen Macht nicht glaubten; die Jüngeren aber sehnten sich, das ferne Land kennen zu lernen und etwas von der Welt zu sehen, indem sie selbst mit dem Leben davonzukommen hofften; den gemeinen Mann endlich lockte die Aussicht, als Soldat sogleich ein Stück Geld zu ver dienen und aufAusdehnung der Macht der Stadt und auf die sich ihm dadurch auch weiterhin bietende Gelegenheit zu Söldner diensten. Durch dies ungestüme Verlangen der Mehrheit ließ mancher sich abhalten, das Wort zu nehmen, auch wenn er nicht einverstanden war, aus Furcht, wenn er dagegen stimmte, für einen schlechten Bürger gehalten zu werden.
Endlich trat ein Athener vor und forderte Nikias auf, er möge nur gleich mit der Sprache herauskommen und hier vor der ganzen Versammlung sagen, was man ihm an Streit kräften bewilligen solle. Der erwiderte, wenn auch ungern, er würde das allerdings lieber erst in Ruhe mit seinen Mit
Hierauf beschlossen die Athener sogleich, den Feldherren unbeschränkte Vollmacht zu erteilen, sich in betreff der Menge der Truppen und des ganzen ZugeS so einzurichten, wie sie eS im Interesse der Athener für geboten hielten. Und nun begannen die Rüstungen; man schickte zu den Bundesgenossen und verzeichnete die dienstfähige Mannschaft im eigenen Lande. Die Stadt hatte sich von der Pest und dem langen Kriege bereits erholt; eS war reichlicher Nachwuchs an junger Mann schaft und infolge der FriedenSjahre wieder Geld genug vor handen, so daß alles leicht beschafft werden konnte. Man rüstete also in Athen zum Kriege.
Zu der Zeit aber wurden in der Stadt den meisten jener viereckigen tseinernen Hermen, wie sie nach LandeSsitte vielfach an den Eingängen der Bürgerhäuser und der Tempel tsehen, in einer Nacht die Gesichter abgeschlagen, und niemand wußte, wer daS getan hatte. Man forschte nach den Tätern, setzte von Staats wegen hohe Belohnungen für die Angeber auS und beschloß zugleich, daß jeder, der um einen anderweit verübten derartigen Frevel wisse und ihn zur Anzeige brächte, straflos bleiben sollte, er sei Bürger, Fremder oder Sklave. Die Sache wurde sehr ernst genommen; denn man glaubte, sie sei von Vorbedeutung für den Feldzug, oder sie hinge mit einer Verschwörung zusammen, die eS auf Verfassungsände rungen und den Sturz der Demokratie abgesehen habe.
Solche Anzeigen gingen denn auch von Schutzverwandten
Er wies diese Beschuldigungen zunächst als unbegründet zurück und erklärte sich bereit, vor der Abfahrt, zu der schon alles eingeleitet war, sich einer gerichtlichen Entscheidung zu unterwerfen; würde er schuldig befunden, wolle er Strafe leiden, würde er freigesprochen, im Amte bleiben. Auch bat er dringend, während seiner Abwesenheit keine Beschuldigungen gegen ihn anzunehmen, sondern, wenn er schuldig sei, ihn lieber gleich zum Tode zu verurteilen; jedenfalls sei es rich tiger, ihn unter solchem Verdacht, bevor darüber gerichtlich entschieden, nicht an der Spitze eines so bedeutenden Heeres hinauszuschicken. Seine Feinde fürchteten jedoch, wenn man ihn jetzt vor Gericht stellte, würde das Heer für ihn ein genommen und das Volk geneigt sein, ihn frei ausgehen zu lassen, zum Dank dafür, daß er die Argeier und eine Anzahl Mantineer bewogen, sich an dem Zuge zu beteiligen. Sie suchten das deshalb abzuwenden und dadurch zu hintertreiben, daß sie andere Redner vorschickten, welche beantragen mußten, ihn jetzt gleich mit abfahren zu lassen und die Untersuchung bis auf eine bestimmte Frist nach seiner Rückkehr zu ver schieben. Sie beabsichtigten nämlich, ihn noch schwererer
Darnach, erst um die Mitte des Sommers, ging die Flotte nach Sizilien unter Segel. Die meisten Bundesgenossen, die Proviantschiffe sowie die kleineren und alle sonstigen, dem Be darf der Flotte dienenden Fahrzeuge hatten Befehl, sich zu nächst bei Kerkyra zu sammeln, um von dort vereint über das Ionische Meer nach dem Iapygischen Vorgebirge zu fahren. Die Athener selbst aber und eine Anzahl Bundesgenossen, welche noch in der Stadt geblieben waren, zogen an dem dazu bestimmten Tage gegen Sonnenaufgang nach dem Peiraieus hinunter, um sich dort einzuschiffen. Alle Welt sozusagen, was immer an Einheimischen und Fremden in der Stadt war, zog mit. Die Einwohner gaben den Ihrigen, Freunden und Söhnen, das Geleit voller Hoffnung und unter Tränen, - würden sie dort Schätze sammeln, würde man sich jemals wiedersehen? - es war ja eine so weite und gefährliche Fahrt in die Ferne, welche sie antraten.
In diesem Augenblick, wo sie angesichts der bevorstehenden Gefahren Abschied nahmen, trat ihnen der furchtbare Ernst der Sache weit lebhafter vor die Seele als damals, wo sie für den Zug stimmten. Aber beim Anblick der sich hier vor ihren Augen entfaltenden gewaltigen Rüstung faßten sie dann doch wieder guten Mut. Die Fremden und die Massen waren mit hinausgezogen, um sich das großartige Schauspiel des Auszugs zu einer so außerordentlichen Unternehmung anzu sehen. Denn eine so kostspielige und prächtige Flotte war bis dahin noch nie von einer einzigen griechischen Stadt ausgerüstet und in See geschickt. Allerdings war die Flotte, mit welcher Perikles nach Epidauros und nachher Hagnon nach Potidäa ging, an Zahl der Schiffe und Hopliten ebenso groß; denn damals hatten viertausend Hopliten, dreihundert Reiter und hundert Trieren aus Athen selbst, fünfzig Trieren aus Lesbos und Chios und außerdem zahlreiche Bundesgenossen
Nachdem die Mannschaft eingeschifft und alles, was mit sollte, verladen war, wurde mit der Trompete „Stillschweigen" geblasen und das vor der Abfahrt übliche Gebet verrichtet, nicht auf jedem Schiffe besonders, sondern so, daß es dem Herold in eins nachgesprochen wurde. Auf der ganzen Flotte wurden Mischkrüge angesetzt und von der Mannschaft und den Be fehlshabern aus goldenen und islbernen Bechern Trankopfer gebracht. Auch die mit hinausgezogenen Bürger und teil nehmenden Freunde am Lande beteten alle mit. Als das Opfer beendet und der Paian angestimmt war, wurden die Anker gelichtet. Anfangs fuhr man in Kiellinie; dann aber, schon bis Ägina, ruderte man um die Wette, um so schnell wie möglich nach Kerkyra zu kommen, wo die übrigen Schiffe der Bundesgenossen sich ja sammeln sollten.
Nach Syrakus aber gelangte von allen Seiten die Nachricht, die Flotte sei unterwegs, längere Zeit aber wollte niemand daran glauben. Auch in einer Volksversammlung, die man hielt, waren die Meinungen geteilt; während die einen die Nachricht für wahr hielten, andere das Gegenteil behaup teten, trat auch Hermokrates, Hagnons Sohn, der genau Bescheid zu wissen glaubte, in der Versammlung auf und sagte:
„Vielleicht werdet ihr mir so wenig wie anderen glauben, wenn ich euch sage, daß es mit dem Kommen der Flotte seine Richtigkeit hat. Ich weiß wohl, daß man Leute, welche unglaubliche Nachrichten bringen oder verbreiten, auslacht oder wohl gar für Narren hält. Das soll mich jedoch nicht abhalten, angesichts einer der Stadt drohenden Gefahr, über die ich in der Tat besser als andere unterrichtet zu sein glaube, das Wort zu nehmen. Die Athener sind nämlich wirklich, so unglaublich es euch scheint, mit einer großen Flotte und zahl
„Also nur Mut! Wir müssen nicht nur hier zum Kriege rütsen, sondern auch zu den Sikelern senden, um die, welche
So redete Hermvkrates. Unter den Syrakusern aber kam es zu heftigem Streit. Die einen behaupteten, die Athener würden auf keinen Fall kommen, und was Hermv krates sage, sei nicht wahr; die anderen, wenn sie auch kämen, was würden sie ihnen denn tun können, was sie nicht zehnmal wiederkriegten? Nur wenige waren es, welche Hermvkrates glaubten und mit Sorge in die Zukunft sahen. Da trat Athenagoras, der Führer der Volkspartei und zurzeit bei der großen Menge der einflußreichste Mann, vor ihnen auf und sagte:
„Wer nicht wünscht, daß die Athener so töricht sind, hierherzukommen, um sich bei uns die Finger zu verbrennen, ist entweder ein Feigling, oder er meint eS nicht ehrlich mit der Stadt. Wenn man aber solche Nachrichten verbreitet und euch damit bange machen will, so wundere ich mich nicht über die Dreistigkeit, sondern über den Unverstand, zu glauben, man merke die Absicht nicht. Weil man selbst ein schlechtes Gewissen hat, will man die ganze Stadt in Angst versetzen, um im Schatten der allgemeinen Furcht gute Ge schäfte zu machen. Weiter hat es jetzt auch mit diesen Ge rüchten nichts zu bedeuten. Sie sind nicht von ungefähr ent standen, sondern von Leuten erfunden, die uns mit ihren Treibereien beständig in Atem halten. Ihr dürft euch aber eure Ansicht über die Glaubwürdigkeit solcher Gerüchte nicht darnach bilden, was sie euch aufbinden, sondern nach dem, was ein so geriebenes und vielerfahrenes Volk, wofür ich die Athener halte, vermutlich tun wird. Und da ist es doch sehr unwahrscheinlich, daß sie die Peloponnesier hinter sich
„Hätte eS aber wirklich mit der Behauptung, daß sie kämen, seine Richtigkeit, so wäre Sizilien meiner Meinung nach eher imstande, einen Krieg durchzuführen als der Pelo ponnes, weil es dafür in jeder Beziehung besser versehen ist; ja, unsere Stadt würde schon allein der angeblich jetzt im Anzüge befindlichen Macht, selbst wenn sie nochmal so stark wäre, weit überlegen sein. Pferde, das weiß ich, haben sie nicht bei sich, und die würden sie sich bis auf ein paar aus Egesta auch hier nicht verschaffen können. Auch bringen sie aus der Flotte nicht genug schweres Fußvolk mit, um uns damit gewachsen zu sein. Eine solche Fahrt hierher ist ja schon für leichte Schiffe keine Kleinigkeit, und nun gar der ungeheure Troß, den sie zum Kriege gegen eine solche Stadt mitschleppen müssen. Ja, ich bin sogar der Ansicht, daß sie selbst dann, wenn sie bei ihrer Ankunft hier in der Nähe eine andere Stadt, so groß wie Syrakus fänden, in der sie sich für den Krieg einrichten könnten, schwerlich der Vernich tung entgehen würden, und nun vollends, wenn sie ganz Sizilien, daS doch zusammenhalten wird, gegen sich haben und sich, nur mit dem Notdürftigsten versehen, von ihrem, von den Schiffen aus geschlagenen Zeltlager aus Furcht vor unserer Reiterei nicht weit vorwagen dürften. Kurz und gut, ich glaube, sie werden hier im Lande nicht einmal festen Fuß fassen können; so sehr sind wir ihnen, meiner Über zeugung nach, an Streitkräften überlegen.
„Sicherlich wissen die Athener das so gut wie ich, und sie werden sich schon in acht nehmen. Es sind Leute von hier, die solche unwahren und niemals eintreffenden Nachrichten erfinden, und das nicht zum erstenmal, sondern ich weiß, daß sie schon immer darauf ausgehen, durch solche und noch weit ruchlosere Lügen und Treibereien unser Volk in Schrecken zu
„Man sagt wohl, die Demokratie sei weder vernünftig noch gerecht, und die Reichen seien vorzugsweise befähigt, den Staat zu regieren. Ich aber sage einmal, unter Demos ver steht man das Ganze, unter Oligarchie aber nur ein einzelnes Glied, und weiter, die Reichen sind die besten Schatzmeister,
„Seht ihr immer noch nicht ein, ihr Unverbesserlichen, was ihr damit für Unheil anrichtet, so seid ihr unter allen mir bekannten Griechen die ärgsten Strohköpfe; wenn ihr es aber einseht und doch darnach trachtet, die größten Verbrecher. Also laßt euch belehren und nehmt Vernunft an, fördert auch ihr das Gemeinwohl unserer Stadt und bedenkt, daß die Gut gesinnten unter euch gleichen, ja noch größeren Vorteil davon haben werden als die große Menge unserer Mitbürger, auch daß ihr Gefahr lauft, alles zu verlieren, wenn ihr nicht gut tun wollt. Gebt es auf, solche Nachrichten zu verbreiten; denn man merkt es ja doch, was ihr damit bezweckt, und wird es nicht zulassen. Wenn die Athener wirklich kommen, wird unsere Stadt sich schon wehren, wie es ihrer würdig ist, und wir haben Feldherren, die dafür sorgen werden. Ist eS aber nicht wahr, - wie denn auch ich nicht daran glaube, - so wird sie sich durch eure Nachrichten nicht irremachen lassen und euch nicht an die Spitze stellen, um sich freiwillig unter euer Joch zu begeben. Vielmehr wird sie selbst daS Heft in Händen behalten, eure Reden für Taten nehmen, euch vor Gericht stellen und eure Pläne zunichte machen. Durch solche Spiegelfehctereien wird sie sich nicht um ihre Freiheit bringen lassen, sondern auf ihrer Hut sein und sie mit dem Schwerte zu verteidigen suchen."