History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

Am folgenden Tage arbeiteten die Athener an der süd­ lichen Hälfte ihrer Mauer auf dem steilen AbHange oberhalb des sich auf dieser Seite von Epipolai nach dem großen Hafen erstreckenden Sumpfes, wo sie die Mauer auf kürzestem Wege durch die Ebene und den Sumpf bis an den Hafen ziehen konnten. Unterdessen kamen auch die Syrakuser heraus und bauten von der Stadt her abermals ein Pfahlwerk mitten durch den Sumpf, tieften daneben auch einen Graben aus, um es den Athenern unmöglich zu machen, ihre Mauer bis an die See zu führen. Die aber schickten sich, als sie mit der Arbeit auf dem AbHange fertig waren, gleich wieder zum Angriff auf das Pfahlwerk und den Graben an. Nachdem sie an die Flotte den Befehl gesandt, von Thapsos nach dem großen Hafen der Syrakuser herumzufahren, kamen sie selbst beim ersten Tagesgrauen von Epipolai herab in die Ebene und über den Sumpf, den sie mit Hilfe von Türen und breiten Bohlen überschritten, die sie auf lehmige und festere Stellen legten, und bemächtigten sich noch vor Sonnenaufgang des Pfahlwerks und des Grabens bis auf ein kleines Stück, das ihnen später auch noch in die Hände fiel. Dabei kam es zur Schlacht, in der die Athener siegten. Die Syrakuser vom rechten Flügel flohen nach der Stadt, vom linken am Flusse entlang, und um diesen den Übergang über den Fluß abzu­

141
schneiden, eilten nun die dreihundert auserlesenen Athener in vollem Lauf der Brücke zu. Aus Furcht davor aber drangen die Syrakuser, die auf dieser Seite fast ihre ganze Reiterei bei sich hatten, jetzt auf die dreihundert ein, schlugen nicht nur sie in die Flucht, sondern warfen sich auch auf den rechten Flügel der Athener, dessen erstes Treffen dadurch mit in die Flucht gerissen wurde. Als Lamachos das bemerkte, machte er sich von seinem linken Flügel mit einer Anzahl Bogen­ schützen und den Argeiern, die er mitnahm, zu dessen Unter­ stützung auf. Aber als er dabei über einen Graben setzte und auf der andern Seite außer ein paar Leuten, die mit hinübergelangt waren, augenblicklich niemand bei sich hatte, wurde er selbst mit fünf oder sechs seiner Begleiter dort er­ schlagen. Die Syrakuser brachten sie, ehe was dazwischen kam, jenseits des Flusses geschwind in Sicherheit, zogen sich dann aber, da auch das übrige Heer der Athener bereits herankam, wieder zurück.

Indessen faßten auch die Syrakuser, welche anfangs nach der Stadt geflohen waren, neuen Mut, als sie sahen, was da vorging, und rückten nicht nur von der Stadt her gegen die auf sie eindringenden Athener wieder vor, sondern entsandten auch einen Teil ihrer Mannschaft gegen die Ring­ mauer auf Epipolai in der Hoffnung, sie unbesetzt zu finden nnd nehmen zu können. Auch gelang es ihnen, das davor befindliche Außenwerk von zehn Plethren zu nehmen und zu zerstören, die Ringmauer selbst aber wurde von Nikias be­ hauptet, der zufällig krankheitshalber dort zurückgeblieben war. Er ließ nämlich das draußen an der Mauer gelagerte Holz und Sturmzeug durch seine Leute in Brand stecken, da er einsah, daß sie bei dem Mangel an Mannschaft auf andere Weise nicht zu behaupten sein würde. Und damit erreichte er seinen Zweck. Die Syrakuser wagten sich nämlich des Feuers wegen nicht weiter vor, sondern zogen sich wieder zurück; denn eben jetzt kam auch von unten die von den dort siegreich vordringenden Athenern ihrer Mauer zu Hilfe ge­ sandte Mannschaft oben an, und gleichzeitig tief ihre Flotte

142
von Thapsos dem ihr erteilten Befehle gemäß in den großen Hafen ein. Als die Syrakuser das sahen, zogen sie nicht nur von dort oben schleunigst ab, sondern auch mit ihrem ganzen Heere wieder in die Stadt hinein, da sie mit den vorhan­ denen Kräften den Ausbau der Mauer bis an die See doch nicht mehr abwenden zu können glaubten.

Hierauf errichteten die Athener ein Siegeszeichen, gaben den Syrakusern ihre Toten unter Waffenstillstand heraus und erhielten ihrerseits die Leichen deS Lamachos und seiner mit ihm gefallenen Begleiter zurück. Und nun, wo ihre ganze Macht, Flotte und Landheer, zur Stelle war, schlossen sie Syrakus von Epipolai und dem AbHange her bis an die See mit einer doppelten Mauer ein. Lebensmittel für das Heer wurden ihnen aus Italien von allen Seiten zugeführt. Auch schlossen sich jetzt noch viele Sikeler ihrem Heere an, die bis dahin damit noch gewartet hatten, und aus Tyrsenien kamen ihnen drei Funfzigruderer zu Hilfe. Überhaupt ging ihnen alles nach Wunsche. Die Syrakuser aber glaubten nicht mehr an einen glücklichen Ausgang des Krieges, da ihnen auch vom Peloponnes keine Hilfe gekommen war, auch wurden bei ihnen bereits Stimmen für den Frieden laut und Verhandlungen darüber mit Nikias angeknüpft, der seit LamachoS' Tode den Oberbefehl allein führte. Zum Abschluß kam die Sache freilich nicht, doch wurde sie, wie das in einer so bedrängten und immer härter belagerten Bevölkerung begreiflich ist, sowohl mit ihm und mehr noch in der Stadt ernstlich erwogen. Denn hier traute man jetzt in der Not selbst einander nicht mehr, und die Feldherren, unter denen es dahin gekommen, und deren Ungeschick oder Verrat vermeintlich daran schuld war, wurden abgesetzt und andere, Herakleides, Eukles und Tellias, statt ihrer dazu gewählt.

Unterdessen waren der Lakedämonier Gylippos und die Schiffe von Korinth bereits bei Leukas angekommen in der Absicht, Sizilien schleunig Hilfe zu leisten. Als aber Unglücks­ posten an sie gelangten und immer wieder die falsche Nach­ richt brachten, daß Syrakus schon gänzlich eingeschlossen wäre,

143
gab Gylippos alle Hoffnung für Sizilien auf und beschloß, sein Glück in Italien zu versuchen. Er selbst und der Ko­ rinther Pythen fuhren mit zwei lakonischen und zwei korin­ thischen Schiffen quer durch das Ionische Meer nach Tarent hinüber, während die Korinther zu ihren eigenen noch zwei leukadische und drei amprakische Schiffe bemannen lassen und ihnen damit nachkommen wollten. Von Tarent knüpfte Gy­ lippos zunächst Verhandlungen mit den Thuriern an und führte dabei auch das frühere Bürgerrecht seines Vaters ins Feld. Da es ihm jedoch nicht gelang, sie auf seine Seite zu ziehen, ging er wieder in See und setzte seine Fahrt an der Küste Italiens fort. Im Golf von Tarent wurde er vom Winde, der dort, wenn er nach Norden springt, als heftiger Landwind auftritt, in die offene See verschlagen, und da sich der Sturm hier von neuem erst recht aufmachte, gezwungen, nach Tarent zurückzukehren, wo er seine, durch das schwere Wetter be­ schädigten Schiffe ans Land ziehen und ausbessern ließ. Nikias aber, der von seiner Fahrt hörte und, wie es auch den Thunern gegangen war, ihn mit seinen paar Schiffen verachtete und darin nichts weiter als einen Piratenzug sah, hielt es nicht für nötig, irgendwelche Vorsichtsmaßregeln gegen ihn zu treffen.

Um dieselbe Zeit in diesem Sommer fielen die Lake­ dämonier mit ihren Bundesgenossen ins Argeiische ein und verwüsteten einen großen Teil des Landes. Die Athener aber schickten den Argeiern dreißig Schiffe zu Hilfe und brachen dadurch nun offen mit dem lakedämonischen Bündnis. Aller­ dings hatten sie sich auch bisher schon durch Streifzüge von Pylos und Landungen im Peloponnes, wenn auch nicht in Lakonien, am Kriege der Argeier und Mantineer beteiligt, aber allen Bitten der Argeier gegenüber, auch einmal in La­ konien selbst Truppen zu landen, ihnen dort ein bißchen plündern zu helfen und dann wieder abzuziehen, immer noch ablehnend verhalten. Jetzt aber landeten sie unter Ppthodoros, Laispodios und Demaratos bei Epidauros-Limera, Prasiai und anderen Orten, verwüsteten das Land und gaben damit

144
den Lakedämoniern den triftigsten Grund, zu behaupten, daß sie den Krieg gegen die Athener zu ihrer Verteidigung führten. Nachdem die Athener mit ihren Schiffen und auch die Lake­ dämonier aus Argos abgezogen waren, fielen die Argeier in das Gebiet von Phlius ein, verheerten einen Teil des Landes, töteten auch einige Einwohner und gingen dann wieder nach Hause.