History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

Gylippos und Pythen fuhren, nachdem sie ihre Schiffe ausgebessert, von Tarent nach Lokroi-Egizephyrioi und erhielten hier die bestimmte Nachricht, daß Syrakus noch nicht gänzlich eingeschlossen sei, sondern daß man über Epipolai immer noch mit einem Heere in die Stadt gelangen könne. Nun überlegten sie, ob sie Sizilien rechts lassen und es darauf wagen sollten, Syrakus zu Schiff zu erreichen, oder besser täten, die Insel zur Linken, erst nach Himera zu fahren, dort und womöglich auch noch von anderen Seiten Verstärkungen an sich zu ziehen und den Landweg zu wählen. Sie entschieden sich für die Fahrt nach Himera, namentlich auch deshalb, weil die vier attischen Schiffe noch nicht bei Rhegion ein­ getroffen waren, welche Nikias auf die Nachricht von ihrer Ankunft in Lokroi dann doch abgeschickt hatte. Auch kamen sie, noch bevor diese dort eintrafen, glücklich durch die Meer­ enge und, nachdem sie unterwegs bei Rhegion und Messene angelegt, nach Himera. Während ihres Aufenthalts dort be­ wogen sie die Einwohner, sich am Kriege zu beteiligen und nicht nur selbst mit ihnen zu ziehen, sondern auch die Leute von ihren Schiffen, welche keine Waffen hatten, damit zu versehen. Ihre Schiffe hatten sie nämlich in Himera ans Land gezogen. Nach Selinus sandten sie die Aufforderung, die gesamte dortige Mannschaft an einem bestimmten Orte zu ihnen stoßen zu lassen. Auch Gela versprach, eine wenn auch geringe Anzahl Truppen zu schicken, und das taten auch verschiedene Sikeler, die jetzt weit mehr Neigung zeigten, sich ihnen anzuschließen, seitdem Archonides, ein dortzulande mächtiger sikelischer König und Athenerfreund, vor kurzem gestorben war und Gylippos' Ankunft aus Lakedämon darauf schließen ließ, daß man dort jetzt mit dem Kriege Ernst machen wollte. Gylippos, der nunmehr außer den eigenen etwa sieben­ hundert, inzwischen mit Waffen versehene Matrosen und See­ soldaten, im ganzen ungefähr tausend Mann schweres und leichtes Fußvolk und hundert Reiter aus Himera, eine Anzahl [*]( II )

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leichter Truppen und Reiter aus Selinus, ein paar Leute aus Gela und alles in allem gegen tausend Sikeler beisammen hatte, trat damit denn auch den Marsch nach Syrakus an.

Auch die Korinther bei Leukas setzten ihre Fahrt von dort, so schnell sie konnten, mit den übrigen Schiffen fort, und Gongylos, einer der korinthischen Befehlshaber, der zuletzt mit nur einem Schiffe unter Segel gegangen war, kam zuerst, kurz vor Gylippos, in Syrakus an. Grade bei seiner Ankunft sollte dort in einer Volksversammlung darüber beraten werden, wie der Krieg beizulegen sei. Er verhinderte daS und sprach den Syrakusern Mut ein, indem er ihnen ankündigte, daß noch mehr Schiffe nachkämen und auch Gylippos, Kleandridas' Sohn, den ihnen die Lakedämonier als Feldherrn geschickt, bald eintreffen würde. Nun faßten sie wieder Vertrauen zu ihrer Sache und rückten sogleich mit dem ganzen Heere aus der Stadt, um Gylippos entgegen zu ziehen. Denn inzwischen hatten sie auch die Nachricht erhalten, daß er schon ganz in der Nähe sei. Gylippos aber hatte, nachdem er unterwegs die sikelische Festung Geta erobert, seine Truppen zum Gefecht geordnet, Epipolai erreicht und; wie früher die Athener, bei Euryelos die Höhe gewonnen und drang nunmehr mit den Syrakusern gegen die Mauer der Athener vor. Er war grade zu der Zeit angekommen, wo diese den Bau ihrer doppelten Mauer nach dem großen Hafen auf einer Strecke von sieben bis acht Stadien vollendet hatten, und nur an der Seeseite ein kurzes Stück fehlte, woran sie noch arbeiteten. Für den nach dem Hafen Trogylos auf der anderen Seite gerichteten Teil ihrer Ringmauer waren die Steine meist schon herbei­ geschafft und teils halb, teils auch schon ganz bearbeitet, dort liegen geblieben. Die Sache stand also für die Syrakuser bereits in hohem Grade bedenklich.

Die Athener waren zwar anfangs vor Schreck in Ver­ wirrung geraten, als Gylippos und die Syrakuser so plötzlich auf sie eindrangen, stellten sich dann aber doch ihnen gegen­ über in Schlachtordnung. In ihrer Nähe ließ Gylippos halt­ machen und ihnen durch einen Herold sagen, wenn sie binnen

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fünf Tagen mit Sack und Pack aus Sizilien abziehen wollten, so sei er bereit, einen Waffenstillstand zu schließen. Sie wiesen jedoch den Herold ab, ohne ihn einer Antwort zu würdigen. Darauf machten sich beide zum Gefecht bereit. Da Gylippos sah, daß die Syrakuser in Unordnung gerieten und die Ord­ nung so leicht nicht wieder herzustellen sein würde, zog er sich mit dem Heere wieder auf den breiten Kamm zurück. Nikias aber ließ die Athener nicht nachrücken, sondern'blieb mit ihnen an ihrer Mauer tsehen. Als Gylippos erkannte, daß man ihn nicht angreifen wollte, führte er sein Heer nach dem Temenites hinauf und blieb dort mit ihm die Nacht unter freiem Himmel. Am folgenden Tage ließ er den größten Teil seiner Mannschaft gegen die Mauer der Athener.vor­ gehen, um sie dort festzuhalten, einen kleineren Teil aber ver­ wandte er gegen die Feste Labdalon, nahm sie auch ein und ließ alles niedermachen, was ihm dort in die Hände fiel. Die Athener konnten nämlich da nicht hinsehen. An demselben Tage wurde auch ein athenisches Kriegsschiff, welches im großen Hafen vor Anker lag, von den Syrakusern genommen.

Hierauf begannen die Syrakuser und ihre Verbündeten von der Stadt her aufwärts durch Epipolai neben der früheren Quermauer eine neue einfache Mauer zu bauen, damit die Athener, falls es ihnen nicht gelänge, das zu verhindern, außer­ stande wären, ihre Mauer zu schließen. Die Athener waren damit, nachdem das Stück unten an der See fertig geworden, schon bis nach oben gekommen. An einer Stelle war sie jedoch nur schwach, und hier versuchte nun Gylippos in der Nacht mit seinem Heere einen Angriff auf sie auszuführen. Aber die Athener, welche diese Nacht im Freien lagerten, merkten daS und rückten gegen ihn vor, worauf er mit seinen Leuten schleunig wieder abzog. Die Athener erhöhten darauf die Mauer an dieser Stelle und übernahmen dort selbst die Bewachung, während sie diese im übrigen ihren Bundesge­ nossen überlassen und ihnen zu dem Ende die einzelnen Ab­ schnitte bereits zugeteilt hatten.

Nikias beschloß nunmehr das Plemmyrion zu befestigen. Es

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ist das eine Landspitze gegenüber der Stadt, welche vor dem großen Hafen vorspringt und dessen Einfahrt verengt. Wenn man sie befestigt, vermeinte er, würde die Zufuhr der nötigen Lebensmittel leichter sein; denn dann könne die Flotte näher bei dem Hafen der Syrakuser vor Anker gehen und, wenn diese etwa mit ihren Schiffen herauskämen, so brauche sie, um ihnen gegenüber am Platze zu sein, nicht wie jetzt erst die ganze Strecke aus dem inneren Hafen zurückzulegen. Überhaupt glaubte er sich bereits mehr auf den Seekrieg ein­ richten zu sollen, da er sah, wie seit Gylippos' Ankunft die Aussichten zu Lande für die Athener immer ungünstiger ge­ worden waren. Auch die Flotte und einen Teil des Heeres ver­ legte er nach dem Plemmyrion und errichtete dort drei Schanzen, worin das Gepäck und die sonstigen Vorräte größtenteils untergebracht wurden. Die großen Lastschiffe und die schnellen Schiffe lagen seitdem ebenfalls dort vor Anker. Damit aber gingen die Leiden der Mannschaft erst recht an. Denn Wasser war wenig zu haben und mußte weit hergeholt werden, und wenn das Schiffsvolk dazu oder zum Holzholen an Land ging, lief es beständig Gefahr, von den syrakusischen Reitern, welche die Umgegend beherrschten, niedergehauen zu werden. Die Syrakuser hatten nämlich den dritten Teil ihrer Reiterei zum Schutz gegen Streifzüge der Besatzung des Plemmyrions bei dem Städtchen am Olympieion aufgestellt. Inzwischen er­ hielt Nikias die Nachricht, daß auch die übrigen Schiffe der Korinther im Ansegeln seien; er schickte deshalb zwanzig Schiffe aus, um sie zu beobachten und sowohl bei Lokroi und Rhegion als auch an der Küste Siziliens Jagd auf sie zu machen.

Unterdessen ließ Gylippos an der Mauer durch Epipolai arbeiten, wobei man die Steine benutzte, welche die Athener für sich herbeigeschafft hatten, gleichzeitig aber auch die Syra­ kuser draußen an der Mauer immer in Schlachtordnung an­ treten. Als er glaubte, daß es an der Zeit sei, ging er seiner­ seits zum Angriff über, und es kam zwischen den Mauern zum Handgemenge, wobei die Syrakuser von ihrer Reiterei

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keinen Gebrauch machen konnten. Sie wurden besiegt, ihre Toten wurden ihnen unter Waffenstillstand herausgegeben, und die Athener errichteten ein Siegeszeichen. Gylippos aber versammelte seine Truppen um sich und erklärte, die Schuld liege nicht an ihnen, sondern an ihm; denn in der allzu engen Stellung zwischen den Mauern, die er gewählt, sei eine nütz­ liche Verwendung der Reiterei nicht möglich gewesen. Jetzt aber werde er sie von neuem gegen den Feind führen; an Kräften würden sie ja dem Gegner sicher gewachsen sein, und was den Mut anlange, so wäre es doch unerhört, wenn sie als Peloponnesier und Dorier sich nicht zutrauen sollten, mit Joniern und solchem Inselvolk und zusammengelaufenem Ge­ sinde! fertigzuwerden und sie aus dem Lande zu jagen. Dar­ auf führte er sie auch bei erster Gelegenheit wieder gegen den Feind.