History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

Als die Syrakuser in diesem Sommer erfuhren, daß die Athener die Reiter erhalten hätten und sich nunmehr zum Angriff auf sie anschickten, meinten sie, wenn man die Athener verhinderte, sich der unmittelbar über der Stadt belegenen Höhe Epipolai zu bemächtigen, so würde die Stadt auch im Fall einer Niederlage nicht so leicht durch eine Mauer einzu?

137
sperren sein, und beschlossen deshalb, die Zugänge dahin zu besessen, damit die Feinde nicht unversehens hinauskommen könnten; denn anderswo würde ihnen das nicht möglich sein. DaS Gelände dort fällt nämlich sonst überall steil ab und senkt sich nach der Stadt zu, so daß man von dort die ganze Stadt übersieht, und eben weil es so viel höher liegt als die ganze Umgebung, nennt man es in Syrakus Epipolai. Da HermokrateS und seine Mitfeldherren den Oberbefehl inzwischen bereits übernommen hatten, rückten sie bei Tagesanbruch mit ihrem ganzen Heere auf die Weide am Flusse Anapos, wo sie ihre Mannschaft musterten und zunächst sechshundert erlesene Hopliten auswählten, um unter Befehl des Diomilos, eines Flüchtlings auS Andros, Epipolai zu besetzen und auch, wo es sonst etwa nötig wäre, allesamt schnell am Platze und bei der Hand zu sein.

In der Nacht vor dem Tage, an dem diese Musterung stattfand, trafen die Athener, ohne daß die Syrakuser es merkten, mit der ganzen Flotte von Katana bei dem sechs bis sieben Stadien von Epipolai entfernten Leon ein, schifften ihr Landheer aus und gingen mit der Flotte bei Thapsos vor Anker. Es ist dies eine in die See vorspringende, durch eine schmale Landenge mit der Insel zusammenhängende Halbinsel, die von der Stadt Syrakus weder über See noch auf dem Landwege weit entfernt ist. Während das Schiffsheer der Athener in Thapsos blieb und die Landenge durch ein Pfahl­ werk absperrte, setzte sich ihr Landheer sogleich im Lauftritt gegen Epipolai in Marsch und langte auch beim EuryeloS oben an, bevor die Syrakuser es bemerkten und von der Weide, wo sie musterten, herankommen konnten. Dann aber eilten nicht nur DiomiloS und seine Sechshundert, sondern auch alle übrigen, waS sie lausen konnten, herbei, um die dort drohende Gefahr abzuwenden, hatten jedoch volle fünfundzwanzig Stadien von der Weide zurückzulegen, bis sie an den Feind kamen. So gingen die Syrakuser ohne rechte Ordnung ins Gefecht, wurden bei Epipolai geschlagen und mußten sich in die Stadt zurückziehen. DiomiloS aber und mit ihm gegen dreihundert

138
blieben auf dem Platze. Darauf errichteten die Athener ein Siegeszeichen und gaben den Syrakusern ihre Toten unter Waffenstillstand heraus. Am folgenden Tage rückten sie von oben bis an die Stadt selbst hinunter, da aber niemand heraus­ kam, gingen sie wieder zurück und erbauten in Labdalon über dem nach Megara gerichteten steilen AbHange von Epipolai eine Schanze, um, wenn sie angreifen oder an ihrer Mauer arbeiten wollten, Gerätschaften und Vorräte darin unterbringen zu können.

Nicht lange nachher trafen aus Egesta dreihundert und etwa hundert von Sikelern, Naxiern und anderen Orten ge­ stellte Reiter bei ihnen ein; die Athener selbst hatten zwei­ hundertfunfzig, für die sie Pferde teils von Egesta und Ka­ tana erhalten, teils angekauft, im ganzen also jetzt sechs­ hundert Reiter zur Stelle. Nun rückten sie, während sie in Labdalon eine Besatzung ließen, gegen Syke vor, wo sie sich festsetzten und sogleich damit begannen, eine Mauer rings um die Stadt zu erbauen, und die Syrakuser sahen mit Schrecken, wie schnell der Bau fortschritt. Um das zu ver­ hindern, entschlossen sie sich zu einem Ausfall, um den Athenern eine Schlacht zu liefern. Aber schon bald, nachdem sie an­ einander geraten, sahen die Feldherren der Syrakuser, daß ihre Reihen durchbrochen und nicht leicht wieder zu schließen waren, und führten deshalb ihr Heer bis auf eine Anzahl Reiter wieder in die Stadt zurück. Die blieben draußen und suchten die Athener daran zu hindern, Steine zusammenzu­ tragen und sich dazu einzeln weiter vom Heere zu entfernen. Nun aber warf sich eine einzelne Abteilung des schweren Fußvolks der Athener und ihre ganze Reiterei auf die syra­ kusischen Reiter, schlug sie in die Flucht und machte eine Anzahl nieder. Auch wegen dieses Reitergefechts errichteten die Athener ein Siegeszeichen.

Am folgenden Tage arbeiteten die Athener zum Teil an der nördlichen Hälfte ihrer Mauer, während andere beständig Steine und Hölzer zusammentrugen und beim Trogiloshafen aufschichteten, wo sie mit ihrer Mauer auf kürzestem Wege

139
vom großen Hafen an die gegenüberliegende Seeseite gelangen konnten. Die Syrakuser aber wollten es, namentlich auf Rat ihres Feldherrn Hermokrates, nicht von neuem mit ihrem ganzen Heere auf eine Schlacht gegen die Athener ankommen lassen, sondern hielten es für besser, da, wo diese ihre Mauer aufführen wollten, eine Quermauer zu bauen und ihnen, wenn sie früh genug damit fertig würden, damit einen Riegel vor­ zuschieben. Gleichzeitig dachten sie, zur Abwehr eines etwaigen Angriffs der Athener einen Teil ihres'Heeres gegen sie ausrücken zu lassen und die Zugänge vorher durch Pfahl­ werke zu verrammeln, da die Athener ihre Arbeit dann wohl aufgeben und ihre ganze Mannschaft gegen sie verwenden würden. Sie begannen also draußen von der Stadt her unterhalb des athenischen Mauerzuges eine gegen diesen ge­ richtete Quermauer zu bauen und hölzerne Türme darauf zu stellen, wozu sie die Albäume des Tempelwaldes fällten. Bis dahin waren die Athener mit ihren Schiffen von Thapsos noch nicht nach dem großen Hafen herumgefahren und die Syrakuser auf der Seeseite noch unbehelligt geblieben. Die Lebensmittel aber ließen sich die Athener von Thapsos zu Lande kommen. ,

Als die Syrakuser glaubten, daß ihre Quermauer hin­ länglich stand- und bandfest sei, und die Athener, welche selbst eifrig an ihrer Mauer arbeiteten und auS Furcht, in einer Schlacht mit geteilten Kräften keinen leichten Stand zu haben, ihnen dort keine Hindernisse in den Weg legten, zogen sie wieder in die Stadt und ließen nur eine einzelne Abteilung zum Schutz ihrer Mauer draußen zurück. Die Athener aber zerstörten die Röhren, durch welche Trinkwasser unter der Erde in die Stadt geleitet wurde, und warteten die Zeit ab, wo die Syrakuser um Mittag entweder in ihren Zelten lagen oder in die Stadt gegangen waren und die Wachen an den Palisaden nicht ordentlich aufpaßten. Dann aber ließen sie dreihundert ihrer eigenen besten Leute und eine Anzahl vorher mit schwerer Rüstung versehener leichter Kerntruppen vortreten und plötzlich im Sturmschritt gegen die Quermauer vorgehen.

140
Gleichzeitig setzte sich die übrige Mannschaft in zwei Heer­ haufen in Bewegung, der eine mit Rücksicht auf einen etwaigen Ausfall unter dem einen Feldherrn gegen die Stadt, der an­ dere unter dem zweiten gegen die Palisaden bei der kleinen Pforte. Die dreihundert nahmen die Palisaden mit Sturm, die Wachen liefen davon und flüchteten in die um den Teme­ nites angelegten Festungswerke. Mit ihnen drangen auch die Verfolger dort ein, wurden aber nahcher von den Syrakusern wieder hinausgeschtagen, wobei eine Anzahl Argeier und einige Athener auf dem Platze blieben. Darauf gingen die Athener mit ihrem ganzen Heere wieder zurück, zerstörten die Quer­ mauer, nahmen die herausgerissenen Pfähle mit und errichteten ein Siegeszeichen.