History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

„Es wäre doch weit vernünftiger, uns Bundesgenossen zu Hilfe zu rufen, die uns neue Vorteile brächten, als solche, die uns nur Schaden tun und Gefahren bringen. Sicherlich sind diese inneren Streitigkeiten das größte Unglück sowohl für die einzelnen Städte wie für ganz Sizilien. Da suchen wir uns hier auf unserer Insel einer dem anderen den Rang abzu­ laufen, und die einzelnen Städte stehen sich feindlich gegenüber. Das sollte man einsehen, Bürger mit Bürger, Stadt mit Stadt sich vertragen und mit vereinten Kräften ganz Sizilien zu retten suchen, auch sich nicht einbilden, die Athener be­ kämpften nur unsere dorischen Städte, die chalkidischen dagegen hätten, weil sie auch ionischen Stammes sind, nichts von ihnen zu fürchten. Denn nicht aus Haß gegen einen der beiden Stämme hier auf der Insel führen sie den Krieg, sondern weil sie nach den Schätzen Siziliens trachten, die uns beiden zusammen gehören. Das konnte man ja jetzt deutlich sehen, als sie von den chalkidischen Städten zu Hilfe gerufen wurden. Haben sie doch diesen, die ihnen niemals Hilfe geleistet, wozu sie als Bundesgenossen verpflichtet gewesen, solche ihrerseits weit über das Maß ihrer Bundespflicht hinaus nur zu gern gewährt. Daß die Athener auf diese Weise ihre Herrschaft ausdehnen wollen, verdenke ich ihnen gar nicht, tadele über­ haupt niemand, der herrshcen will, wohl aber den, der allzu- schnell bereit ist, sich zu unterwerfen. Denn so geht es nun mal in der Welt: wer sich nicht wehrt, wird unter die Füße getreten; wer uns aber die Zähne zeigt, den läßt man in Frieden. Das wissen wir ja alle recht gut, und wenn wir uns trotzdem nicht gehörig vorsehen und hier zusammenkommen, ohne zu bedenken, daß es hauptsächlich darauf ankommt, der gemeinsamen Gefahr mit vereinten Kräften zu begegnen, so ist das ein schwerer Fehler. Dem aber wäre schnell abzuhelfen,, wenn wir uns miteinander Verträgen. Denn die Athener

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stützen sich bei ihren Unternehmungen nicht auf ihr eigenes Land, sondern auf das Gebiet der Städte, die sie gerufen haben. Wir würden also ohne weiteres Blutvergießen unseren Zwist sehr leicht friedlich beilegen können und die gefährlichen Freunde, die man ins Land gerufen, ohne daß sie ihren Zweck erreicht, mit Anstand wieder loswerden.

„Den Athenern gegenüber also würde sich solch ein ver­ ständiger Entschluß als höchst ersprießlich erweisen. Warum sollten wir denn nicht auch unter uns selbst Frieden machen, den wir doch alle miteinander für das Beste halten? Und wenn jetzt wirklich einer im Vorteil, ein anderer im Nachteil ist, glaubt ihr etwa, daß es nicht für beide leichter sein würde, solche Nachteile und Vorteile im Frieden auszugleichen oder zu wahren als im Kriege? Daß nicht Ruhm und Ehren und andere Freuden, die ich hier so wenig weiter ausmalen will wie die Leiden des Krieges, im Frieden mit geringerer Gefahr zu haben wären? Schlagt darum meine Worte nicht in den Wind, sondern bedenkt, daß ich nur zu eurer aller Bestem rede. Auch wer bei einer Unternehmung im Vertrauen auf die Ge­ rechtigkeit seiner Sache oder auf seine Macht des Erfolgs sicher zu sein glaubt, hüte sich, daß er nicht unversehens zu Schaden kommt. Ist doch schon mancher, der sich für eine Beleidigung rächen wollte oder auf Eroberungen ausging, nicht nur mit seiner Rache nicht zum Zweck gelangt, sondern darüber selbst zugrunde gegangen oder, statt Eroberungen zu machen, auch noch um das Seinige gekommen. Denn die Rache verhilft dem Beleidigten nicht schon darum zu seinem Recht, weil ihm Unrecht geschehen ist, und die Macht ist ihres Erfolgs nicht schon deshalb sicher, weil sie darauf hoffen darf. Vielmehr kann man nie mit Sicherheit darauf rechnen, was die Zukunft bringen wird. Augenscheinlich aber hat diese völlige Ungewiß­ heit auch ihr Gutes; denn weil keiner weiß, was ihm bevor- steht, sind wir um so vorsichtiger, Krieg miteinander anzu­ fangen.

„Aus Furcht vor dieser dunkeln und unberechenbaren Zu­ kunft und angesichts der schon jetzt bedrohlichen Anwesenheit

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der Athener müssen wir die Hörner einziehen und uns dabei beruhigen, wenn wirklich dieser oder jener unserer besonderen Wünsche unerfüllt oder eine beabsichtigte Unternehmung un­ ausgeführt bleiben sollte. Laßt uns also die gefährlichen Feinde aus dem Lande schicken und unter uns Frieden schließen, am besten für immer oder, wenn das nicht, doch auf möglichst lange Zeit, und unsere häuslichen Zwistigkeiten ein andermal ausmachen. So viel ist gewiß, wenn ihr meinem Rate folgt, so werden ^vir alle Bürger freier Städte und als solche in der Lage sein, unsere Wohltäter und Beleidiger ehrlich mit gleicher Münze zu bezahlen. Glaubt man mir aber nicht, und geben wir fremden Einflüsterungen Gehör, so hat es mit dem Rächen ein Ende, und bestenfalls werden wir uns zu einem Bündnis mit unseren schlimmsten Feinden und zur Feindschaft mit unseren natürlichen Freunden gezwungen sehen.

„Und ich, der ich hier, wie schon vorhin gesagt, die größte Stadt vertrete und an sich den Hieb für die beste Deckung halte, bin angesichts der uns drohenden Gefahren auch meiner­ seits bereit, die Hand zum Frieden zu bieten, weil ich es für verkehrt halte, den Gegner auch dann noch weiter zu be­ kämpfen, wenn es einem selbst zum größten Schaden gereicht. Auch bin ich nicht töricht und verbissen genug, zu glauben, das Glück, dem ich nichts befehlen kann, ebenso wie mich selbst in der Gewalt zu haben, und deshalb, soweit es sich mit unserer Ehre verträgt, zum Nachgeben bereit. Von euch aber erwarte ich, daß ihr es auch so macht und euch untereinander zu Zugeständnissen entschließt, ehe der Feind euch dazu zwingt. So nahe Angehörige wie wir brauchen sich wahrlich nicht zu schämen, ihre Streitigkeiten friedlich beizulegen, der Dorier mit dem Dorier, der Chalkidier mit seinen Anverwandten, alle­ samt Nachbaren und Bewohner des einen, meerumflossenen Eilands, die wir sind und Einen Namen, Sikelioten, führen. Gewiß, auch künftig werden wir uns gelegentlich noch unter­ einander bekriegen, aber dann doch auch bald wieder mit­ einander verständigen und Frieden schließen; den fremden Ein­ dringlingen gegenüber aber werden wir so vernünftig sein,

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immer alle für einen Mann zu stehen, da ja auch der Schaden, den der einzelne nehmen würde, uns allen Gefahr bringt. Aus­ wärtige Mächte aber wollen wir künftig niemals als Bundes­ genossen oder Vermittler ins Land rufen. Auf diese Weise verschaffen wir Sizilien sofort den doppelten Vorteil, daß eS die Athener und den Bruderkrieg loswird, und wir werden in Zukunft hier in freiem Lande unsere eigenen Herren und fremder Begehrlichkeit weniger ausgesetzt sein."

Unter dem Eindruck dieser Rede des Hermokrates kamen die Sikelioten unter sich überein, den Krieg einzustellen; jeder sollte behalten, was er hätte, das Gebiet von Morgantion jedoch gegen eine an Syrakus zu zahlende Summe an Kamarina fallen. Die Bundesgenossen der Athener ließen nun deren Spitzen zu sich kommen und teilten ihnen mit, daß sie unter sich Frieden schließen wollten, und daß der Friede auch für sie gelten solle. Da die damit einverstanden waren, wurde der Friede abgeschlossen, und die Schiffe der Athener fuhren hierauf von Sizilien wieder ab. Die Feldherren aber wurden nach der Rückkehr in Athen zur Strafe gezogen, Pythodoros und Sophokles verbannt und der dritte, Eurymedon, zu einer Summe Geld verurteilt, weil man meinte, sie hätten Sizilien sehr wohl unterwerfen können, sich aber bestechen lassen, von dort abzuziehen. Für so unwiderstehlich hielten sich die Athener damals in ihrem Glück, daß sie glaubten, nicht nur das Mög­ liche, sondern auch das Unmögliche müsse ihnen gelingen, mit kleinen Mitteln so gut wie mit großen Kräften. DaS kam davon, daß ihnen nach den überrashcenden Erfolgen, die sie fast überall gehabt, der Kamm gewaltig geschwollen war.

In Megara, wo man unter den Feindseligkeiten der Athener, die dort alle Jahr zweimal mit ihrer ganzen Macht inS Land fielen, und den Räubereien, welche die eigenen, bei einem Aufstande vom Volke vertriebenen Landsleute von Pegai aus verübten, schwer litt, wurde in diesem Sommer vielfach erwogen, ob es nicht das beste sei, die Vertriebenen wieder aufzunehmen, damit die Stadt nicht länger von zwei Seiten heimgesucht würde. Als die Freunde der Flüchtlinge merkten.

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was im Werke war, legten auch sie sich noch offener als vorher dafür ins Zeug. Die Häupter der Volkspartei aber sahen ein, daß sich nach deren Rückkehr die Demokratie in diesen schwie­ rigen Zeiten nicht würde behaupten können, und knüpften des­ halb mit den athenischen Feldherren, Hippokrates, Ariphrons Sohn, und Demotshenes, Alkisthenes' Sohn, Verhandlungen an in der Absicht, ihnen die Stadt zu übergeben, worin sie für sich eine geringere Gefahr erblickten als in der Rückkehr ihrer vertriebenen Mitbürger. Es wurde verabredet, die Athener sollten sich zunächst der langen Mauern bemächtigen, die sich ungefähr acht Stadien lang von der Stadt bis zum Hafen Nisaia erstreckten, damit die Peloponnesier, welche Nisaia als Schlüssel von Megara allein besetzt hielten, von dort nicht an die Stadt kommen könnten. Darnach wolle man versuchen, ihnen auch die obere Stadt zu übergeben, wozu man sich hier, wenn das gelungen, schon eher verstehen würde.

Nachdem man beiderseits über den Plan und dessen Aus­ führung im reinen war, fuhren die Athener bei Nacht nach der megarischen Insel Minoa und versteckten daraus sechs­ hundert Hopliten unter Hippokrates in einer in der Nähe der Mauer befindlichen Lehmgrube, aus der die Ziegel zum Mauer­ bau gewonnen wurden. Die leichtbewaffneten Platäer aber und eine Anzahl Grenzer (Peripoloi) unter dem zweiten Feld­ herrn Demosthenes legten sich bei dem Enyalostempel, noch näher an der Mauer, in einen Hinterhalt, wovon außer denen, die diese Nacht Bescheid wissen mußten, niemand etwas er­ fuhr. Diese aber führten kurz vor Tagesanbruch ihre Absicht, Megara den Athenern in die Hände zu spielen, in folgender Weise auS. Sie hatten das Offnen des Tores in der Mauer schon von langer Hand vorbereitet. Mit Genehmigung des Befehlshabers der Besatzung hatten sie nämlich wiederholt ein Ruderboot, um damit auf Seeraub auszugehen, auf einem Wagen im Graben an die See gefahren und zu Wasser ge­ bracht und es dann vor Tage auf dem Wagen durch das Tor wieder hinter die Mauer gezogen, angeblich damit die Athener auf Minoa nicht wüßten, worauf sie zu passen hätten, wenn

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im Hafen kein Fahrzeug zu sehen wäre. Als nun auch dies­ mal der Wagen eben wieder vor dem Tore war, das wie gewöhnlich für das Boot geöffnet wurde, und die Athener, mit denen die Sache verabredet war, das sahen, brachen sie schnell aus ihrem Hinterhalt hervor, um hineinzukommen, bevor das Tor wieder zugemacht werden konnte und solange der Wagen noch drin stand, der es verhinderte. Darauf stießen sie und die mit ihnen durchsteckenden Megarer die Wachen am Tore nieder. Zuerst drang Demosthenes mit seinen Platäern und Grenzern bis dahin vor, wo jetzt das Siegeszeichen steht. Da jedoch die Peloponnesier in der Nähe die Sache gleich gemerkt hatten und herbeieilten, kam es innerhalb des Tores schon hier zum Gefecht, in welchem die Platäer die Gegner zurückschlugen und den nachdringenden athenischen Hopliten das Tor offen hielten. ,

Die Athener aber richteten, sowie sie drin waren, ihren Angriff auch gleich auf die Mauer. Ein kleines Häuflein der peloponnesischen Besatzung hielt anfangs tapfer stand, und einige davon blieben auf dem Platze. Die meisten aber er­ griffen die Flucht, erschreckt durch den nächtlichen Überfall der Feinde, zumal sie auch die Verräter auS Megara sich gegenüber sahen und glaubten, ganz Megara hätte sie verraten. Oben­ drein hatte der Herold der Athener zufällig auf eigene Hand ausgerufen, alle Megarer könnten, wenn sie wollten, unter Waffen zu den Athenern übertreten. Als sie dies hörten, hielten sie nicht länger stand, sondern flohen nach Nisaia in der Meinung, es in der Tat mit beiden zu tun zu haben. Früh­ morgens, als die Mauer bereits genommen und in der Stadt Megara Lärm geschlagen war, verlangten die dortigen An­ hänger der Athener und andere ihrer zahlreichen Gesinnungs­ genossen, man solle das Stadttor öffnen und gegen den Feind marschieren. Sie hatten nämlich verabredet, sobald das Tor geöffnet würde, sollten die Athener eindringen, sie selbst aber, um kenntlich zu sein, sich zur Sicherheit mit Hl einshcmieren. Auch konnten sie jetzt um so unbedenklicher das Tor öffnen lassen, da inzwischen der Verabredung gemäß viertausend athenische

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Hopliten und sechshundert Reiter nach einem Nachtmarsch von Eleusis eingetroffen waren. Als sie sich schon eingeschmiert und ans Tor begeben hatten, verriet jedoch einer der Mit­ wissenden den übrigen, was im Werke war. Nun rotteten die sich zusammen und erklärten, habe man schon früher nicht ge­ wagt, gegen den Feind zu marshcieren, wo man dazu weit eher imstande gewesen, so dürfe man das auch jetzt nicht tun und die Stadt nicht offenbarer Gefahr aussetzen. Wem das nicht recht sei, der möge nur gleich hier vom Leder ziehen. Sie aber ließen sich nicht merken, daß sie um die Verabredungen wußten, sondern versicherten, sie hätten nur das Beste gewollt, und blieben selbst mit auf Wache am Tore, so daß die Ver­ räter ihren Zweck nicht erreichten.

Als die Feldherren der Athener sich überzeugt, daß etwas dazwishcengekommen, und daß sie die Stadt mit Sturm nicht würden nehmen können, gingen sie sogleich daran, Nisaia mit einer Mauer einzuschließen, in der Meinung, wenn sie Nisaia nehmen könnten, ehe es Hilfe erhielte, würde Megara sich auch wohl eher ergeben. Was man an Eisen, Steinmetzen und sonst noch dazu nötig hatte, wurde aus Athen schnell beschafft. Sie begannen damit bei den bereits in ihrem Besitz befind­ lichen langen Mauern, zwischen denen sie Megara gegenüber eine Quermauer zogen, die sie dann nach beiden Seiten bis an die See bei Nisaia weiterführten, wobei die Arbeit an Mauer und Graben auf die Mannschaft verteilt wurde. Steine und Ziegel wurden aus der Vorstadt entnommen und etwaige Lücken durch Verhaue aus gefällten Bäumen und Reisig aus­ gefüllt, auch die Häuser der Vorstadt mit Brustwehren versehen und zur Verteidigung eingerichtet. Diesen ganzen Tag wurde ununterbrochen gearbeitet, und am folgenden Tage gegen Abend war die Mauer so gut wie fertig. Nun fürchtete man in Nisaia, die Lebensmittel, die man bisher täglich aus der oberen Stadt bezogen hatte, würden ausgehen, und da man auf Ent­ satz durch die Peloponnesier so bald nicht rechnen konnte, über­ dies die Megarer für Feinde hielt, schloß man mit den Athenern einen Vergleich. Danach sollte die Besatzung die Waffen

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strecken und gegen ein bestimmtes Lösegeld für den Mann freien Abzug haben, jedoch alles, was von Lakedämoniern in der Stadt wäre, insbesondere deren Befehlshaber, den Athenern auf Gnade und Ungnade überantwortet werden. Auf diese Bedingungen zog die Besatzung ab. Die Athener aber schleiften den an Megara stoßenden Teil der langen Mauern, besetzten Nisaia und richteten sich dort weiter ein.

Zu der Zeit stand der Lakedämonier Brasidas, TelliS' Sohn, grade in der Gegend von Sikyon und Korinth und machte sich zu einem Feldzuge nach Thrakien bereit. Als dieser die Nachricht von der Eroberung der langen Mauern erhielt, fürchtete er für die Peloponnesier in Nisaia, aber auch, Megara könnte genommen werden. Er schickte deshalb an die Böotier die Aufforderung, schleunigst bei Tripodiskos, einem Dorfe in Megaris am Fuße der Geraneia, mit ihrem Heere zu ihm zu stoßen, und machte sich mit zweitausendsiebenhundert korinthi­ schen Hopliten, vierhundert Phliasiern, sechshundert Sikyonern und einer Anzahl von ihm selbst bereits geworbener Leute auch seinerseits dahin auf, in der Meinung, Nisaia noch unerobert zu finden. Als er aber hörte, es sei bereits genommen, wählte er sich, bevor von seiner Ankunft was verlautete - er hatte nämlich den Weg nach Tripodiskos bei Nacht zurückgelegt aus seinem Heere dreihundert Mann aus und rückte, ohne daß die Athener an der See etwas davon merkten, mit ihnen vor Megara. Angeblich, und womöglich auch wirklich, war es dabei auf einen Handstreich gegen Nisaia abgesehen; haupt­ sächlich aber lag ihm daran, sich in den Besitz von Megara zu setzen und sich die Stadt zu sichern. Er verlangte deshalb, man solle ihn einlassen, da er Hoffnung habe, Nisaia den Athenern wieder zu entreißen.

Von den Parteien in Megara befürchtete die eine, er würde die Flüchtlinge in die Stadt zurückführen und sie selbst vertreiben, die andere, das Volk könnte grade aus Furcht davor über sie herfallen und, während man sich untereinander be­ kämpfe, die Stadt den in der Nähe lauernden Athenern zur Beute fallen. Sie ließen ihn deshalb nicht ein, sondern be­

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schlossen beide, daS Weitere einstweilen abzuwarten. Denn sie rechneten darauf, es werde zwischen den Athenern und dem Entsatzheere zur Schlacht kommen und darum für beide das geratenste sein, sich ihren Freunden erst nach dem Siege an­ zuschließen. Da man ihn nicht einlassen wollte, zog sich Brasidas wieder auf sein übriges Heer zurück.

Bei Tagesanbruch waren auch die Böotier eingetroffen Angesichts der auch ihnen drohenden Gefahr waren sie, schon ehe Brasidas zu ihnen geschickt, willens gewesen, Megara zu Hilfe zu kommen, und mit ihrem ganzen Heere bereits bis Platää gelangt. Nachdem jedoch sein Bote gekommen, machten sie sich weiter keine Sorgen, schickten ihm zweitausendzwei­ hundert Hopliten und sechshundert Reiter und zogen mit dem größeren Teile ihres Heeres wieder ab. Als die ganze Streit­ macht mit mindestens sechstausend Hopliten nunmehr bei­ sammen war, das schwere Fußvolk der Athener aber bei Nisaia und an der See stand und ihre Leichtbewaffneten sich im Ge­ lände zerstreut hatten, fiel die böotische Reiterei plötzlich über diese her und trieb sie, völlig überrascht, wie sie waren, da Megara bis dahin niemals fremde Hilfe erhalten hatte, vor sich her bis an die See. Nun aber ging auch die athenische Reiterei zum Angriff vor, und es entspann sich weithin ein Reitertreffen, in dem beide Teile sich den Sieg zuschrieben. Denn die Athener hatten den Anführer der böotischen Reiter und eine, wenn auch geringe Anzahl seiner mit ihm bis dicht nach Nisaia vorgedrungenen Leute getötet und ihnen die Waffen abgenommen, hernach aber die in ihren Händen ge­ bliebenen Leichen unter Waffenstillstand herausgegeben und ein Siegeszeichen errichtet. Schließlich war bei der ganzen Sache für beide Teile nichts herausgekommen, und die Böotier zogen sich auf die Ihrigen, die Athener nach Nisaia zurück.

Darauf rückte Brasidas mit seinem Heere näher an die See und die Stadt Megara heran, wo er eine vorteilhafte Stellung einnahm und, eines Angriffs der Athener gewärtig, in Schlachtordnung stehen blieb, da er recht gut wußte, daß die Megarer nur abwarten wollten, wer siegen würde. Er

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versprach sich davon einen doppelten Vorteil, einmal, ohne selbst angreifen und eine Schlacht wagen zu müssen, bei seiner denn doch deutlich genug bewiesenen Absicht, sie anzunehmen, auch ohne das Schwert zu ziehen, als Sieger angesehen zu werden, zugleich aber damit auch Megara gegenüber am besten zu fahren. Denn hätte er sich mit seinem Heere vor der Stadt nicht sehen lassen, so würde er an einen glücklichen Erfolg überhaupt nicht denken können, die Stadt vielmehr, wie wenn er geschlagen wäre, unter allen Umständen für ihn verloren sein. Sollten sich aber die Athener in der Tat auf keine Schlacht einlassen, so würde er den Zweck, der ihn her­ geführt, ohne Schwertstreich erreichen. Und so kam es auch. Die Athener setzten sich allerdings in Marsch und stellten sich an Her langen Mauer in Schlachtordnung, rührten sich aber, da die Gegner nicht angriffen, auch ihrerseits nicht vom Fleck. Nach Ansicht ihrer Führer stand eben für sie mehr auf dem Spiele als für die Gegner; denn wenn sie, denen bisher fast alles geglückt, jetzt die Schlacht gegen eine solche Über­ zahl eröffneten, hätten sie zwar Aussicht, falls sie isegten, in Megara einzuziehen, im Fall einer Niederlage aber zu be­ fürchten, den besten Teil ihres schweren Fußvolks einzubüßen, während die Gegner, die alle nur mit einem Teil ihrer ge­ samten Streitmacht zur Stelle waren, natürlich eher bereit sein würden, eine Schlacht damit zu wagen. Nachdem sich beide Teile eine Zeitlang gegenübergestanden und von keiner Seite ein Angriff erfolgt war, gingen zuerst die Athener auf Nisaia und dann auch die Peloponnesier in ihre frühere Stellung zurück. So hatten denn in Megara die Partei­ genossen der Flüchtlinge nunmehr Oberwasser und öffneten Brasidas und den Befehlshabern der Bundestruppen die Tore, als ob sie gesiegt und die Athener den Kampf vermieden hätten, und knüpften, nachdem sie eingelassen waren, Verhand­ lungen mit ihnen an, da die Anhänger der Athener ihre Sache bereits verloren gegeben hatten.

Darauf entließ Brasidas die Bundesgenossen in die Heimat und begab sich selbst wieder nach Korinth, um sich zu dem ja

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schon vorher beabsichtigten Zuge nach Thrakien zu rüsten. Als dann auch die Athener abgezogen waren, machten sich diejenigen ihrer Anhänger, welche sich hauptsächlich mit ihnen eingelassen hatten und wußten, daß das kein Geheimnis geblieben war, sogleich im stillen aus der Stadt. Die übrigen aber erklärten sich der Partei der Flüchtlinge gegenüber damit einverstanden, daß diesen gestattet würde, aus Pegai in die Stadt zurück­ zukommen. Dabei gelobte man sich gegenseitig mit den feier­ lichsten Eiden, einander altes Unrecht nicht nachzutragen, sondern nur das allgemeine Beste der Stadt im Auge zu haben. Nach­ dem jedoch die Männer der Gegenpartei ins Amt gelangt waren, ließen sie bei einer von ihnen veranstalteten Waffen- schau die Abteilungen auseinandertreten, um sich aus der Zahl ihrer Gegner etwa hundert auszusuchen, die sich ihrer Meinung nach für die Athener besonders eingelegt, und sie dann, indem sie das Volk zwangen, öffentlich abzustimmen, zum Tode ver­ urteilen und hinrichten. In der Stadt aber führten sie eine wesentlich oligarchische Verfassung ein, und bei diesem durch den Sieg einer kleinen Minderheit aus den Parteikämpfen hervorgegangenen Zustande ist es dann in der Tat lange Zeit geblieben.

In demselben Sommer wollten die Mytilener die von ihnen geplante Befestigung von Antandros ins Werk setzen. Damals befanden sich Demodokos und Aristeides als Befehls­ haber der von Athen zur Eintreibung der Steuern ausgesandten Schiffe am Hellespont, während Lamachos, der dritte von ihnen, mit zehn Schiffen ins Schwarze Meer gefahren war. Als sie bemerkten, daß man dabei war, Antandros zu befestigen, fürchteten sie, es könne daraus ein so gefährlicher Platz werden wie Anaia Samos gegenüber, wo die Flüchtlinge aus Samos sich festgesetzt hatten und die Peloponnesier mit Steuerleuten für ihre Flotte versahen, in Samos Unruhen schürten und Flüchtlinge aus der Stadt aufnahmen. Sie boten deshalb Streitkräfte bei den Bundesgenossen auf und segelten damit nach Antandros, besiegten die ihnen von dort entgegengekommenen Mytilener und setzten sich wieder in Besitz des Platzes. Bald

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nachher verlor Lamachos, der inS Schwarze Meer gefahren und im Gebiet von Herakleia in der Mündung des Kalex vor Anker gegangen war, infolge eines im Oberlauf des Flusses eingetretenen Wolkenbruchs durch die plötzlich zu Tal strömenden Wassermassen seine Schiffe. Er selbst mit der Mannschaft gelangte zu Lande durch das Gebiet der bithynischen Thraker, drüben in Asien, nach Chalkedon, der Kolonie von Megara an der Mündung des Schwarzen Meeres.

In demselben Sommer, gleich nach dem Abzüge aus Megaris, kam auch der athenische Feldherr Demotshenes mit vierzig Schiffen in Naupaktos an. Mit ihm und Hippokrates nämlich hatten Angehörige böotischer Städte damals Ver­ handlungen angeknüpft, um dort an Stelle der bestehenden Verfassungen Demokratie nach athenischem Muster einzuführen. Insbesondere war es Pythodoros, ein Flüchtling aus Theben, nach dessen Plan sie die Sache ins Werk setzen wollten. Dar­ nach sollten einige die thespische Hafenstadt Siphai am Krisä­ ischen Meerbusen, andere, aus Orchomenos, das dem früher minyischen, wie es jetzt heißt böotischen OrchomenoS steuer­ pflichtige Chaironeia ihnen in die Hände spielen, wie denn grade die Flüchtlinge aus Orchomenos dabei besonders ge­ schäftig waren, auch bereits eine Anzahl Leute im Peloponnes geworben hatten. Chaironeia ist die äußerste Stadt Böotiens und grenzt ans Phanotifche in Phokis, und auch einige Phokier waren an der Sache beteiligt. Die Athener aber sollten Delion, daS Heiligtum des Apollon im Gebiete von Tanagra, Euboia gegenüber, besetzen, und zwar sollte das alles an einem be­ stimmten Tage geschehen, damit die Böotier nicht mit vereinten Kräften bei Delion auftreten könnten, sondern alle bei sich zu Hause genug zu schaffen hätten. Falls der Anschlag glückte und Delion befestigt wäre, so dürfe man, wenn eS auch nicht gleich zu Verfassungsänderungen in den böotischen Städten käme, doch hoffen, daß die alten Zustände in Böotien auf die Dauer nicht haltbar seien; wenn man jene Plätze nur erst hätte, das Land verheerte und jeder in der Nähe eine Zuflucht fände, die Athener aber den Aufständischen zu Hilfe kämen

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und die Gegner ihnen nicht mit vereinten Kräften begegnen könnten, so werde die Sache mit der Zeit schon nach Wunsche gehen.

Das war der Plan, den man gesponnen hatte. Hippo­ krates selbst wollte, wenn es so weit wäre, mit einem Heere aus Athen nach Böotien aufbrechen; Demotshenes aber schickte er mit den vierzig Schiffen nach Naupaktos voraus, um in jener Gegend ein Heer aus Akarnaniern und anderen Bundes­ genossen zusammenzubringen und dann nach Siphai zu fahren, auf dessen Übergabe durch Verrat gerechnet wurde. Den Tag, an welchem beides gleichzeitig ausgeführt werden sollte, hatten sie miteinander verabredet. Demotshenes, bei dessen Ankunft Oiniadai von den vereinigten Akarnaniern bereits zum Anschluß an den Athenischen Bund genötigt worden war, rief nun seiner­ seits sämtliche Bundesgenossen in jener Gegend zu den Waffen und wandte sich zunächst gegen Salynthos und die Agraier, brachte sie auch auf seine Seite und machte sich dann fertig, zur rechten Zeit vor Siphai einzutreffen.

Um dieselbe Zeit in diesem Sommer war Brasidas mit siebzehnhundert Hopliten nach dem thrakischen Küstenlande aufgebrochen. Als er Herakleia in Trachis erreicht, schickte er einen Boten an seine Freunde nach Pharsalos, um für sich und sein Heer Geleit zu erbitten. Infolgedessen fanden sich Panairos, Doros, Hippolochidas, Torylaos und Strophakos, der Staatsgastfreund der Chalkidier, bei Melitia in Achaia bei ihm ein, worauf er seinen Marsch fortsetzte, bei dem ihm auch noch andere Thessaler, darunter auch Nikonidas aus Larisa, ein Freund des Perdikkas, Geleit gaben. Ohne Geleit war nämlich in Thessalien nicht leicht durchzukommen, und nun gar mit einem Heere, wie es in Griechenland überhaupt nicht ge­ raten war, ohne ausdrückliche Erlaubnis durch fremdes Gebiet zu ziehen. Überdies hatten es die Thessaler im ganzen von jeher stets mit den Athenern gehalten, und wenn es damals dort im Lande nicht mehr Fürstentümer als freie Städte ge­ geben hätte, so wäre er schwerlich durchgekommen; denn selbst so vertraten ihm die Gegner seiner Freunde am Flusse Cni­

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peus den Weg und erklärten, daß er ohne Erlaubnis des Bundesrats seinen Marsch nicht fortsetzen dürfe. Seine Be­ gleiter erwiderten jedoch, gegen dessen Willen würden sie ihm auch kein Geleit geben, und nur, weil er so unversehens ge­ kommen, hätten sie als seine Gastfreunde sich seiner angenommen. Brasidas selbst aber sagte, er komme als ihr Freund und als Freund ihres Landes und führe die Waffen nicht gegen sie, sondern gegen seine Feinde, die Athener; übrigens sei ihm von einer Feindschaft zwischen Thessalern und Lakedämoniern, so daß sie einander nicht ins Land kommen dürsten, nichts bekannt, und auch jetzt denke er nicht daran, gegen ihren Willen weiterzuziehen, würde dies ja auch gar nicht können, hoffe jedoch, daß sie ihm das nicht verwehren würden. Daraufhin zogen sie denn auch wieder ab. Er aber setzte auf Rat seiner Geleitsfreunde, bevor man ihm etwa neue, ernstlichere Hinder­ nisse in den Weg legte, seinen Zug ohne Aufenthalt in Eil­ märschen fort. Noch an demselben Tage, an dem er von Melitia aufgebrochen war, gelangte er nach Pharsalos, wo er am Flusse Apidanos ein Lager bezog, von da nach Phakion und dann weiter nach Perhaibia. Hier kehrten seine thessa­ lischen Begleiter wieder um, die Perhaibier aber, welche unter thessalischer Herrschaft standen, brachten ihn nach Dion, einem am Fuße des Olympos unweit der thessalischen Grenze gelegenen makedonischen Städtchen im Reiche des Perdikkas.

Auf diese Weise war Brasidas, noch ehe jemand Anstalt machen konnte, ihm den Weg zu verlegen, in Eilmärschen durch Thessalien gezogen und bei Perdikkas und in Chalkidike an­ gekommen. Denn Perdikkas und die von Athen abgefallenen vorderthrakischen Städte, denen bei den Erfolgen der Athener bange geworden war, hatten ihn mit seinem Heere glücklich aus dem Peloponnes herausgebracht, und auch ihre noch nicht abgefallenen Nachbarstädte hatten ihnen dabei unter der Hand Vorschub geleistet. Die Chalkidier glaubten nämlich, die Athener würden sich zunächst gegen sie wenden, und wenn Perdikkas auch nicht in offener Feindschaft mit den Athenern lebte, so fürchtete er sie doch der alten Streitigkeiten wegen;

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vor allen Dingen aber wollte er Arrhibaios, den König der Lynkester, unterwerfen. Dabei war ihnen der Umstand, daß die Lakedämonier neuerdings stark ins Hintertreffen geraten waren, insofern zustatten gekommen, als sie nun um so leichter ein Heer aus dem Peloponnes erhalten hatten.

Denn die Lakedämonier hofften, sich die Athener, die dem Peloponnes und besonders ihrem eigenen Lande so schwer auflagen, am ersten vom Halse zu schaffen, wenn sie ihnen selbst zu Leibe gingen und ein Heer ins Land ihrer Bundes­ genossen schickten, zumal diese sich erboten, dessen Verpflegung zu übernehmen, und sie zu Hilfe riefen, um die Herrschaft der Athener abzuschütteln. Zugleich bot sich ihnen damit ein er­ wünschter Vorwand, eine Anzahl Heloten außer Landes zu schicken, damit diese nicht etwa den Augenblick, wo Pylos in Feindeshand war, benutzten, um sich zu empören. Auch hatten sie aus Furcht vor ihrem zahlreichen jungen Nachwuchs bereits zu einer anderen Maßregel gegen sie gegriffen, wie denn bei ihnen von jeher im Grunde alles darauf hinauslief, die He­ loten im Zaume zu halten. Sie machten bekannt, aber nur um sie auf die Probe zu stellen, wer unter ihnen sich besonders tüchtig zum Kriegsdienst fühle, solle sich melden und dann eingestellt und freigelassen werden; denn vermutlich würden grade die, welche am meisten nach Freiheit verlangten, auch zuerst bei der Hand sein, ihnen den Hals abzuschneiden. Es wurden denn auch gegen zweitausend ausgehoben, die darauf als nunmehr freie Leute bekränzt durch die Tempel zogen. Nach kurzer Zeit aber ließen die Lakedämonier sie sämtlich verschwinden, und niemand erfuhr, wo und wie sie ums Leben gekommen waren. So nahmen sie auch jetzt gern die Gelegen­ heit wahr, siebenhundert Heloten als Hopliten mit Brasidas hinauszuschicken. Im übrigen bestand dessen Heer aus Söldnern, die er im Peloponnes geworben hatte.