History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

Als die Leute eingebracht waren, beschlossen die Athener, sie bis auf weiteres in Gefangenschaft zu behalten, wenn aber die Peloponnesier ihnen inzwischen ins Land fallen würden, sie hinausführen und hinrichten zu lassen. Pylos aber hielten sie besetzt, und die Messenier aus Naupaktos, in deren Vater­ lande es ja lag, da eS zum alten Messenien gehörte, schickten ihre besten Leute hin, die nun von dort ins Lakonische streiften und den Lakedämoniern um so gefährlicher wurden, weil sie dieselbe Mundart sprachen. Die Lakedämonier aber, denen solche Streif- und Raubzüge bis dahin nicht vorgekommen waren und die jetzt ihre Heloten zum Feinde überlaufen sahen und fürchteten, die Bewegung unter der Landbevölkerung könne noch weiter um sich greifen, machten sich darüber ernste Sorgen, und wenn sie sich das auch den Athenern gegenüber nicht merken ließen, so schickten sie doch wiederholt Gesandte nach Athen und versuchten Pylos und die Gefangenen zurückzu­ erhalten. Die Athener aber machten immer größere Ansprüche und ließen sie jedesmal unverrichteter Sache wieder abziehen. Das waren die Ereignisse bei Pylos.

Unmittelbar nachher in demselben Sommer unternahmen die Athener mit zweitausend Hopliten auf achtzig Schiffen und zweihundert Reitern auf Transportschiffen für Pferde einen Zug ins Korinthische, an dem auch Bundesgenossen aus

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Milet, Andros und Karystos teilnahmen. Den Oberbefehl führte Nikias, Nikeratos' Sohn, selbdritter. Sie landeten bei Tagesanbruch an der Küste zwischen Chersonesos und dem Rheitos, da, wo sich etwas weiter landeinwärts der Solygische Hügel erhebt, auf dem vorzeiten die Dorier im Kriege mit den damals äolischen Bewohnern der Stadt Korinth mit ihrem Heere gelagert hatten. Jetzt liegt ein Dorf darauf, das Soly­ geia heißt. Von da, wo die Schiffe an der Küste angelegt hatten, ist das Dorf zwölf Stadien entfernt, die Stadt Korinth sechzig und der Isthmus zwanzig. Die Korinther hatten aus Argos bereits Nachricht von dem ihnen bevorstehenden Einfall der Athener erhalten und deshalb schon seit längerer Zeit ihre sämtlichen Streitkräfte, soweit sie sich nicht jenseits des Isthmus befanden, auf dem Isthmus zusammengezogen. Auch waren damals fünfhundert Mann als Besatzung von Amprakia und Leukas außer Landes. Mit der gesamten übrigen Mannschaft paßten sie auf, wo die Athener landen würden. Als diese dann aber doch unbemerkt bei Nacht mit ihrer Flotte ange­ langt waren und die Feuerzeichen kamen, ließen sie für den Fall, daß die Athener sich etwa gegen Krommyon wenden sollten, die Hälfte ihres Heeres bei Kenchreia stehen und setzten sich mit der anderen eiligst gegen sie in Marsch.

Battos, der eine ihrer beiden Feldherren, die in dem Treffen zugegen waren, besetzte mit einer Abteilung das Dorf Solygeia, das unbefestigt war, während Lykophron mit den übrigen das Gefecht begann. Die Korinther richteten ihren Angriff zunächst gegen den eben erst ausgeschifften rechten Flügel der Athener vorwärts Chersonesos nnd dann auch gegen ihr übriges Heer. Dabei kam es zu heißem Kampf und überall zum Handgemenge. Der rechte Flügel der Athener und der Karystier, die den äußersten rechten Flügel bildeten, nahm die Korinther an und trieb sie, wenn auch mit Mühe, zurück. Diese zogen sich nun rückwärts an eine Mauer und bewarfen, da das Gelände hier allenthalben steil abfällt, die Feinde von oben mit Steinen; dann aber stimmten sie ein Schlachtlied an und gingen von neuem gegen die Athener vor,

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wobei es, da die Athener standhielten, wiederum zum Hand­ gemenge kam. Nun aber brachte eine Abteilung der Korinther ihrem linken Flügel Hilfe, trieb den rechten der Athener zurück und verfolgte ihn bis an die See. Bei den Schiffen aber machten die Athener und Karystier wieder kehrt. Auch auf den übrigen Teilen des Schlachtfeldes wurde ununterbrochen gekämpft, besonders auf dem rechten Flügel der Korinther, wo Lykophron selbst dem linken der Athener gegenüberstand, da man einen Angriff der Athener auf das Dorf Solygeia befürchtete.

Lange Zeit hielten beide stand, und keiner wollte dem anderen weichen. Endlich aber mußten die Korinther daS Feld räumen, wobei den Athenern das Eingreifen der Reiterei, woran es dem Gegner fehlte, sehr zustatten kam. Sie zogen sich auf den Hügel zurück, wo sie wieder Fuß faßten und stehen blieben, ohne wieder herunterzukommen. Bei dieser Niederlage auf ihrem rechten Flügel hatten sie die meisten Verluste, und auch ihr Feldherr Lykophron war gefallen. Auch ihr übriges Heer zog sich nach der verlorenen Schlacht, wobei es indes weder zu einer lebhaften Verfolgung noch zu wilder Flucht gekommen war, auf den Hügel zurück und blieb dort stehen. Da die Korinther den Kampf nicht erneuerten, nahmen die Athener den Gefallenen die Rüstungen ab, sammelten ihre Toten und errichteten ein Siegeszeichen. Die andere Hälfte der Korinther, die bei Kenchraia stehen geblieben war, um eine Landung der Athener bei Krommyon zu verhindern, hatte wegen des Oneiosgebirges von der Schlacht nichts gemerkt. Als man aber die Staubwolken sah und daraus schloß, daß es zur Schlacht gekommen, setzte man sich unverzüglich in Marsch. Ebenso waren, sobald die Sache in Korinth bekannt geworden war, die Alten aus der Stadt gleich ausgerückt. Als die Athener sie alle herankommen sahen, glaubten sie, es träfen Verstärkungen aus den benachbarten peloponnesischen Städten ein, und zogen sich mit den erbeuteten Waffen und ihren Toten bis auf zwei, die sie nicht hatten finden können, auf die Schiffe zurück. Darauf fuhren sie nach den gegenüberliegenden[*]( I )

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Inseln ab und schickten von dort einen Herold, um die zurück­ gelassenen Toten unter Waffenstillstand abzuholen. Korinther waren in der Schlacht zweihundertzwölf, Athener nicht ganz fünfzig gefallen.

Von den Inseln gingen sie noch an demselben Tage unter Segel nach Krommyon im Korinthischen, das von der Haupt­ stadt hundertzwanzig Stadien entfernt ist, wo sie Anker warfen, das platte Land verheerten und über Nacht blieben. Ams folgenden Tage fuhren sie an der Küste entlang erst nach Epidanrien und nach einer Landung dort weiter nach Methone zwischen Epidauros und Troizen, besetzten die Landenge der Halbinsel, auf der Methone liegt, und befestigten sie. Dort ließen sie eine Besatzung zurück und plünderten dann eine Zeitlang das Gebiet von Troizen, Halieis und Epidauros. Als die Befestigung fertig war, ging die Flotte wieder nach Hause.

Um die Zeit dieser Vorgänge waren Eurymedon und Sophokles mit der athenischen Flotte auf der Fahrt von Pylos nach Sizilien in Kerkyra angekommen und hatten sich hier mit den Kerkyräern aus der Stadt gegen die Flüchtlinge auf­ gemacht, die sich nach dem Aufstande auf dem Berge Jstone festgesetzt hatten, von dort Landzwang trieben und viel Schaden anrichteten. Deren Burg wurde auch erstürmt, sie selbst aber, die sich samt und sonders auf eine Bergspitze geflüchtet hatten, gingen einen Vergleich ein, wonach sie ihre Söldner aus­ liefern, selbst aber die Waffen abgeben und in Athen durch das Volk abgeurteilt werden sollten. Bis zu ihrer Abführung nach Athen ließen die Feldherren sie unter freiem Geleit auf die Insel Ptychia in Gewahrsam bringen, unter der Be­ dingung jedoch, daß der Vergleich für alle hinfällig werden sollte, wenn auch nur einer von ihnen auf einem Fluchtversuch ertappt werden würde. Die Häupter der Volkspartei in Kerkyra aber besorgten, in Athen könnte man ihnen, wenn sie erst dort wären, dann doch das Leben lassen, und legten ihnen deshalb eine Falle. Sie schickten heimlich zu ein paar Leuten auf der Insel einige mit ihnen befreundete Personen

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mit dem scheinbar wohlgemeinten Rat, sich so schnell wie möglich aus dem Staube zu machen, weil die athenischen Feld­ herren sie dem Volke in Kerkyra ausliefern wollten, wozu sie selbst ihnen ein Fahrzeug verschaffen würden.

AlS die sie dazu auch wirklich überredet und ein Fahr­ zeug für sie bereitgehalten hatten, wurden sie in dem Augen­ blick, wo sie abfahren wollten, ergriffen; damit aber war der Vergleich hinfällig geworden, und sie wurden alle den Kerky­ räern ausgeliefert. Die Urheber jenes Schelmstücks konnten dabei um so eher auf Glauben rechnen und um so unbedenk­ licher zu Werke gehen, weil die athenischen Feldherren in der Tat die Hand wesentlich mit im Spiel gehabt hatten, denen es offenbar unerwünshct gewesen wäre, wenn andere die Ehre gehabt hätten, die Gefangenen nach Athen zu bringen, während sie selbst nach Sizilien mußten. Die Kerkyräer sperrten die ihnen übergebenen Gefangenen in ein großes Gebäude ein und führten sie von da später, jedesmal zwanzig Mann, an­ einandergebunden durch zwei zu beiden Seiten aufgestellte Reihen Bewaffneter zum Richtplatze hinaus, welche, wenn einer einen Feind unter ihnen erblickte, nach ihnen schlugen und stachen. Unterwegs gingen Leute mit Peitschen nebenher, die sie antrieben, wenn sie nicht schnell genug gingen.

Auf diese Weise hatten sie schon gegen sechzig hinaus­ geführt und hingerichtet, ohne daß die Leute in dem Gebäude davon wußten; denn sie glaubten, sie würden nur abgeführt, um anderSwo untergebracht zu werden. Als man es ihnen dann aber hinterbrachte und sie die Wahrheit erfuhren, riefen sie die Athener an und baten, wenn es denn sein solle, so möchten sie ihnen wenigstens selbst den GarauS machen. Aus dem Gebäude gingen sie nicht und würden auch, so viel an ihnen sei, niemand hereinlassen. Die Kerkyräer gaben sich auch nicht lange damit ab, die Türen zu sprengen, sondern stiegen auf daS Dach, deckten eS ab, warfen ihnen Ziegel auf die Köpfe und beschossen sie von oben mit Pfeilen. Sie suchten sich dagegen so gut wie möglich zu schützen, die meisten aber nahmen sich gleich selbst das Leben, stießen sich die Pfeile,

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die man auf sie herabgeschossen, in die Kehle oder erhängten sich an Gurten aus einigen dort befindlichen Bettstellen oder an Schnüren, die sie aus ihren Kleidern gedreht hatten. Fast die ganze Nacht, die darüber hereingebrochen war, dauerte das Morden. Einer nach dem anderen brachte sich um oder wurde von oben getroffen, bis sie alle tot waren. Als es Tag geworden, warfen die Kerkyräer die Leichen über Kreuz auf Wagen und fuhren sie aus der Stadt. Die Weiber aber, welche ihnen in der Burg in die Hände gefallen waren, ver­ kauften sie in die Sklaverei. Auf diese Weise wurden die Kerkyräer vom Berge durch die Volkspartei abgetan, und die langen Parteikämpfe hatten damit, wenigstens für die Dauer dieses Krieges, ein Ende; denn was von der Gegenpartei noch übrig war, hatte nichts mehr zu bedeuten. Die Athener aber fuhren mit ihren Schiffen weiter nach Sizilien, wohin sie ja von vornherein bestimmt waren, um sich dort an den Kämpfen ihrer Bundesgenossen zu beteiligen.

Die Athener in Naupaktos unternahmen gegen Ende dieses Sommers mit den Akarnaniern einen Zug gegen die korinthische Stadt Anaktorion am Ausgange des Amprakischen Meerbusens und bemächtigten sich ihrer durch Verrat. Die Akarnanier aber besetzten, nachdem sie die Korinther ausgewiesen, den Ort nun selbst mit Ansiedlern aus allen ihren Städten. Damit endete der Sommer.

Im folgenden Winter erwischte Aristeides, einer der Be­ fehlshaber der athenischen Schiffe, welche ausgesandt waren, um Steuern bei den Bundesgenossen zu erheben, in Eion am Strymon den Perser Artaphernes auf der Reise vom Könige nach Lakedämon. Man brachte ihn nach Athen, wo seine Briefschaften aus dem Assyrischen übersetzt und gelesen wurden. Die Hauptsache unter allem, was darin stand, war, der König verstehe nicht, was die Lakedämonier wollten, denn alle ihre Gesandten, die zu ihm gekommen, hätten was anderes gesagt. Wenn sie sich also deutlich erklären wollten, so sollten sie jetzt mit dem Perser Gesandte an ihn schicken. Später schickten die Athener Artaphernes auf einem Kriegsschiffe nach Ephesos

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und zugleich mit ihm auch Gesandte. Als diese aber dort hörten, König Artaxerxes, Xerxes' Sohn, sei kürzlich gestorben, wie das wirklich der Fall war, kehrten sie nach Athen zurück.

In demselben Winter brachen die Chier auf Befehl der Athener ihre neue Stadtmauer ab, die sie in Verdacht hatten, sie wollten mit ihnen brechen; aber erst nachdem sie sich seitens der Athener die bündigste Versicherung verschafft hatten, daß diese von weiteren Schritten gegen sie absehen würden. Damit endete der Winter und daS isebente Jahr des Krieges, den Thukydides beschrieben hat.

Gleich zu Anfang des folgenden Sommers bei Neumond trat eine Sonnenfinsternis und noch im ersten Drittel des-I selben Monats ein Erdbeben ein. Die Flüchtlinge aus Mytilene und anderen lesbischen Orten, welche zumeist vom Festlande aus ihr Wesen trieben und eine Anzahl Söldner teils im Peloponnes, teils in der dortigen Gegend geworben hatten, eroberten Rhoiteion; indes taten sie dort niemand was zu­ leide und gaben es gegen Zahlung von zweitausend phokäischen Stateren wieder heraus. Darauf rückten sie vor Antandros, das ihnen durch Verrat in die Hände fiel. Sie hatten es nämlich darauf abgesehen, alle die früher unter mytilenischer, jetzt unter athenischer Herrschaft stehenden sogenannten aktäischen Städte, namentlich aber Antandros, zu befreien und dieses zu ihrem Waffenplatz zu machen; denn von dort aus, wo sich bei der Nähe des Jda und dem Überfluß an Holz und sonstigem Bedarf vortreffliche Gelegenheit bot, Schiffe zu bauen, glaubten sie, werde es ihnen ein leichtes sein, daS nahe Lesbos zu brandschatzen und sich der äolischen Städte auf dem Festlande zu bemächtigen. Das die Pläne, mit denen sie sich trugen.

In demselben Sommer unternahmen die Athener mit sechzig Schiffen, zweitausend Hopliten und etwas Reiterei einen Zug nach Kythera, an dem auch Bundesgenossen aus Milet und einigen anderen Orten teilnahmen. Den Ober­ befehl führten Nikias, Nikeratos' Sohn, Nikostratos, Dio­ trephes' Sohn, und Autokles, Tolmaios' Sohn. Kythera ist eine Insel an der Küste von Lakonien, Malea gegenüber. Die

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Bewohner sind lakedämonische Periöken, und Jahr für Jahr kam ein Jnselvogt als erster Beamter von Sparta herüber, das dort beständig eine Besatzung unterhielt und auf die Insel besonderen Wert legte; denn die Frachtschiffe auf der Fahrt von Ägypten und Libyen legten dort an, und sie gewährte Lakonien von der Seeseite, wo ihm allein beizukommen ist, immerhin einige Sicherheit gegen Seeräuber, da sie ihrer ganzen Länge nach zwischen dem sizilischen und dem kretischen Meere dem Lande vorliegt.

Nachdem die Athener mit ihrer Flotte dort angekommen waren, ließen sie die dort an der See belegene Stadt Skandeia durch zehn Schiffe und zweitausend Hopliten aus Milet be­ setzen. Mit dem übrigen Heere landeten sie auf der Malea gegenüberliegenden Seite der Insel und rückten vor die nicht weit von der See entfernte Stadt Kythera, wo sie sich als­ bald die Einwohner gegenüber sahen, die hier mit ihrer ganzen Macht im Lager standen. Es kam zu einem Gefecht, in dem die Kytherer kurze Zeit standhielten, dann aber geschlagen wurden und in die obere Stadt flohen. Nachher trafen sie jedoch mit Nikias und seinen Mitfeldherren ein Abkommen, wodurch sie sich der Entscheidung der Athener unterwarfen und sich nur das Leben ausbedangen. Schon vorher aber waren zwischen Nikias und einigen Kytherern gewisse Verabredungen getroffen, infolge deren die Sache in dem Augenblick so glatt abging und sich auch weiterhin so günstig für sie gestaltete; sonst hätten die Athener diese lakedämonischen Bewohner von ihrer Lakonien so unmittelbar gegenüberliegenden Insel doch wohl abgeschoben. Nach jenem Abkommen ließen die Athener, welche die Hafenstadt Skandeia bereits besetzt hatten, auch in Kythera eine Besatzung zurück, um nunmehr mit der Flotte Asine, Helos und den ganzen Küstenstrich heimzusuchen, wo sie mehrfach landeten, gelegentlich auch über Nacht blieben und das Land ungefähr sieben Tage lang verheerten.

Obgleich die Lakedämonier Kythera in den Händen der Athener sahen und beständig auf solche Landungen an ihrer Küste gefaßt sein mußten, dachten sie doch nicht daran, ihnen

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mit ihrer gesamten Macht entgegenzutreten, stellten aber durch das ganze Land an den vorzugsweise bedrohten Punkten eine Anzahl Hopliten auf und waren auch sonst möglichst auf ihrer Hut. Sie fürchteten nämlich, es könne bei ihnen zu gewalt­ samen Verfassungsänderungen kommen, da sie wider alles Er­ warten das schwere Unglück auf der Insel betroffen hatte, Pylos und Kythera in Feindeshand, und sie von allen Seiten plötzlichen, unerwarteten Angriffen ausgesetzt waren. Deshalb errichteten sie, jetzt zum erstenmal, auch eine Reiterei von vierhundert Mann und eine Schützentruppe. Zum Kriegführen aber verging ihnen grade jetzt erst recht die Lust, wo sie sich gegen alle ihre bisherigen Gepflogenheiten in einen Seekrieg verwickelt sahen, und obendrein mit den Athenern, die bei allen ihren Unternehmungen immer noch nicht genug getan zu haben glaubten. Auch waren sie durch die mancherlei Schicksals­ schläge, die sie kürzlich so wider Erwarten betroffen, sehr er­ schüttert, und sie lebten in beständiger Furcht, es könne ihnen nochmals ein solches Unglück zustoßen, wie es ihnen aus der Insel begegnet. Infolgedessen war ihnen die Kampfesfreudig­ keit entschwunden, und bis dahin durch das Glück verwöhnt, wie sie waren, hatten sie das Selbstvertrauen verloren und glaubten, alles, was sie anfaßten, müsse ihnen fehlschlagen.

Wenn die Athener, die damals ihre Küstengegenden ver­ heerten, einem ihrer Posten gegenüber landeten, so ließ sich in der Regel niemand blicken, weil sie sich alle, wie die Dinge damals lagen, ihnen gegenüber an Zahl für zu schwach hielten. Nur einer, der Kotyrta und Aphrodisia verteidigte, überfiel einen zerstreuten Haufen Leichtbewaffneter und schlug ihn in die Flucht, zog sich aber, als die Hopliten in den Kampf ein­ griffen, mit Verlust von ein paar Leuten wieder zurück, deren Rüstungen dem Feinde in die Hände ifelen. Die Athener aber errichteten ein Siegeszeichen und gingen dann wieder nach Kythera unter Segel. Von da fuhren sie herum nach Epidauros-Limera, verheerten einen Teil des dortigen Gebiets und erschienen dann vor Thyrea in der Landschaft Kynesuria auf der Grenze zwischen Argos und Lakonien, welches von

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den Lakedämoniern, denen es damals gehörte, den vertriebenen Hgineten eingeräumt war, weil sie ihnen zur Zeit des Erd­ bebens und des Helotenaufstandes gute Dienste geleistet und auch unter athenischer Herrschaft immer große Anhänglichkeit bewiesen hatten.

Schon während die athenische Flotte noch im Ansegeln war, machten sich die Ägineten, die eben mit dem Bau eineS Festungswerks an der See beschäftigt waren, aus dem Staube und zogen sich in die etwa zehn Stadien landeinwärts gelegene obere Stadt zurück, in der sie wohnten. Die Mannschaft eines lakedämonischen Postens in jener Gegend, die mit an dem Bau gearbeitet hatte, wollte jedoch ungeachtet der Bitten der Ägineten nicht mit in die Stadt, auS Furcht, dort eingeschlossen zu werden, zog sich vielmehr in die Berge zurück, ohne von dort, da sie sich für zu schwach hielt, etwas Weiteres zu unter­ nehmen. Die Athener, die inzwischen gelandet und gleich mit dem ganzen Heere vorgegangen waren, nahmen Thyrea, steckten die Stadt in Brand und zerstörten sie bis auf den Grund. Die Ägineten, soweit sie nicht im Kampfe gefallen waren, brachten sie nach Athen und ebenso den lakedämonischen Befehls­ haber Tantalos, Patroklos' Sohn, der sich in der Stadt befand und lebend in Gefangenschaft geraten war. Auch aus Kythera nahmen sie ein paar Leute mit, die der Sicherheit wegen von der Insel entfernt werden sollten. In Athen beschloß man, diese auf die Inseln in Gewahrsam zu geben, die übrigen Kytherer aber auf ihrer Insel zu lassen und ihnen eine Steuer von vier Talenten aufzuerlegen, die Ägineten dagegen wegen ihrer von jeher bewiesenen Feindschaft sämtlich hinzurichten, Tantalos aber zu den Lakedämoniern von der Insel ins Ge­ fängnis zu legen.

In demselben Sommer kam es in Sizilien zuerst zwischen Kamarina und Gela zu einem Waffenstillstände. Nachher fanden sich auch Gesandte aus den übrigen Griechenstädten der Insel zu Friedensverhandlungen in Gela ein. Nachdem man lange hin und her verhandelt, der eine dies, der andere daS verlangt hatte, je nachdem er zu kurz zu kommen glaubte, redete

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HermokrateS, Hermons Sohn, aus SyrakuS, der einflußreichste Mann unter ihnen, die Versammlung also an:

„Als Vertreter der größten, an kriegerischen Ehren reichen Stadt ergreife ich das Wort, Sikelioten, um euch auseinander­ zusetzen, womit nach meiner Ansicht ganz Sizilien am besten gedient sein würde. Wozu soll ich euch die Leiden des Krieges im einzelnen ausmalen und über altbekannte Dinge lange Reden halten? Bei uns läßt sich niemand aus Unkenntnis zu einem Kriege hinreißen, noch aus Furcht davon abhalten, wenn er sich Vorteile von ihm verspricht. Hin und wieder aber überschätzt man dann doch die Vorteile gegenüber der Gefahr oder läßt es auf einen Krieg ankommen, bloß um augenblick­ lich einer Kleinigkeit wegen nicht nachgeben zu müssen. Beides aber kann zur Unzeit geschehen, und dann tut man wohl, zum Frieden zu raten. Und auch für uns wird es jetzt das beste sein, solchem Rat Gehör zu geben. Haben wir doch alle seinerzeit den Krieg nur unserer Sonderinteressen wegen an­ ge fangen, und nur ihretwegen suchen wir uns jetzt hier mit­ einander zu verständigen, und wenn es dabei nicht dazukommt, daß jeder sein Teil mit nach Hause nimmt, so wird der Krieg wieder angehen.

,,Und doch sollten wir uns bei ruhiger Überlegung nicht verhehlen, daß es sich hier für uns nicht nur um unsere be­ sonderen Interessen handelt, sondern darum, ob wir unS in Sizilien überhaupt der Athener noch erwehren können, die eS nach meiner Überzeugung auf die Unterwerfung der ganzen Insel abgesehen haben. Mehr noch als meine Worte müssen die Athener selbst euch lehren, wie notwendig es ist, daß wir unS untereinander vertragen. Sie, die mächtigsten unter den Griechen, die hier jetzt nur erst mit wenigen Schiffen auf­ treten, passen uns auf den Dienst, um sich unsere Fehler zu­ nutze zu machen, und erreichen ihren Zweck, indem sie ihre im Grunde feindlichen Absichten mit der unschuldigen Behauptung beschönigen, nur ihrer Bundespflicht zu genügen. Wenn wir . uns unter uns bekriegen und sie ins Land rufen, - dies Volk, das anderen auch unberufen von selbst ins Land fällt, - uns

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untereinander aufreiben und damit ihrer Herrschaft vorarbeiten, so werden sie uns, sobald sie sehen, daß wir mit unseren Kräften zu Ende sind, natürlich mit einer größeren Flotte kommen, um sich hier alles zu unterwerfen.