History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

Diese ihre Rede hatten die Lakedämonier in dem Glauben gehalten, die Athener hätten sich schon längst nach Frieden gesehnt; nur weil sie ihrerseits nicht dazu bereit gewesen, sei es bisher nicht dazu gekommen, und wenn man ihnen jetzt Frieden anböte, würden sie gern zugreifen und die Leute heraus­ geben. Die Athener aber glaubten, jetzt, wo sie die Leute auf der Insel in ihrer Gewalt hatten, könnten sie jeden Augenblick Frieden haben, und wollten höher hinaus. Wer sie haupt­ sächlich darin bestärkte, war Kleon, Kleainetos' Sohn, der zu der Zeit Führer der demokratischen Partei und der Mann der Menge war. Der bewog sie, zu antworten, erst müßten die Leute auf der Insel die Waffen strecken und sich ergeben und nach Athen gebracht werden; danach die Lakedämonier Nisaia, Pagai, Troizen und Achaia herausgeben, die sie nicht im Kriege [*]( I )

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gewonnen, sondern die Athener in einer Zwangslage, wo sie unbedingt Frieden bedurft, in dem früheren Vertrage ihnen abgetreten hätten; dann könnten sie die Leute bekommen und Frieden schließen auf so lange Zeit, wie es beiden Teilen beliebe.

Auf diese Antwort erwiderten die Lakedämonier nichts weiter, sondern schlugen den Athenern vor, einen Ausschuß zu wählen, mit dem sie die Sache in aller Ruhe besprechen und sich über die einzelnen Punkte verständigen könnten. Nun aber ging Kleon ins Zeug und sagte, er hätte gleich gemerkt, daß sie nichts Gutes im Schilde führten, und das sei jetzt ganz klar, da sie in der Versammlung nicht mit der Sprache heraus wollten und die Sache lieber mit wenigen abkarten möchten. Brauchten ihre Absichten das Licht nicht zu scheuen, so sollten sie hier nur vor der ganzen Versammlung reden. Da die Lakedämonier einsahen, daß sie das nicht durften, selbst wenn sie notgedrungen einzelne Zugeständnisse machen wollten, um nicht von den Bundesgenossen darüber verhöhnt zu werden, daß sie zwar geredet, aber nichts erreicht hätten, die Athener aber auf ihre Vorschläge unter annehmbaren Bedingungen keinenfalls eingehen würden, reisten sie unverrichteter Sache von Athen wieder ab.

Bei ihrer Rückkehr nach Pylos lief der Waffenstillstand ab, und die Lakedämonier forderten nun dem Vertrage gemäß ihre Schiffe zurück. Die Athener aber, die sich über einen vertragswidrigen Angriff auf die Festung und andere anscheinend unerhebliche Vertragsverletzungen beshcwerten, gaben sie nicht heraus, indem sie sich auf den Wortlaut deS Vertrags beriefen, wonach er schon bei der geringsten Übertretung der darin ge­ troffenen Bestimmungen aufgehoben sein sollte. Die Lake­ dämonier wollten das jedoch nicht gelten lassen, erklärten das Verfahren mit den Schiffen für eine Niederträchtigkeit und gingen ihrer Wege, um die Feindseligkeiten von neuem zu er­ öffnen. Auch wurde der Krieg bei Pylos nun von beiden Seiten nachdrücklich wieder aufgenommen. Die Athener um­ kreisten die Insel bei Tage beständig mit zwei Schiffen, bei

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Nacht aber gingen sie mit der ganzen Flotte rings um die Insel vor Anker, nur bei stürmischem Wetter auf der Seeseite nicht. Auch waren sie zu deren Überwachung durch zwanzig Schiffe aus Athen verstärkt, so daß es nun im ganzen siebzig waren. Die Peloponnesier aber machten aus ihrem Lager auf dem Festlande ab und an einen Angriff auf die Festung und lauerten auf eine Gelegenheit, ihre Leute zu befreien.

Unterdessen waren in Sizilien die Syrakuser und ihre Bundesgenossen mit ihren neu ausgerüsteten Schiffen zur Flotte vor Messene gestoßen, um den Krieg von dort aus zu betreiben. Besonders drängten die Lokrer dazu aus Feindschaft gegen die Rhegier, wie sie ihnen auch selbst schon mit ihrer ganzen Macht ins Land gefallen waren. Sie beschlossen, eine Seeschlacht zu wagen, da sie sahen, wie wenig Schiffe die Athener bis jetzt zur Stelle hatten, während die größere Flotte, mit der sie die Insel bezwingen wollten, dem Vernehmen nach schon unterwegs war. Nach einem Siege zur See hofften sie nämlich mit Rhegion durch einen Angriff von der Land- und Seeseite leicht fertig zu werden und alsdann gewonnenes Spiel zu haben. Denn da Rhegion an der äußersten Spitze Italiens Messene auf Sizilien dicht gegenüber liegt, würden die Athener dann nicht mehr in der Lage sein, mit ihren Schiffen dort vor Anker zu gehen und die Meerenge zu beherrshcen, nämlich den Meeres­ arm zwischen Rhegion und Messene, wo der Abstand zwischen Sizilien und dem Festlande am kleinsten ist. Es ist dies die sogenannte Charybdis, durch die Odysseus mit seinem Schiffe gefahren sein soll, die wegen der Enge und der durch die auS zwei großen Meeren, dem Tyrrhenischen und dem Sizilischen, dort eindringenden Wassermassen verursachte Strömung mit Recht für gefährlich galt.

In diesem Sunde wurden nun die Syrakuser und ihre Bundesgenossen mit etwas über dreißig Schiffen spät abends wegen eines SchiffeS, das hindurchfahren wollte, mit sechzehn athenischen und acht rhegischen Schiffen in eine Schlacht ver­ wickelt. Von den Athenern besiegt, fuhren sie schleunigst ab und suchten jeder auf gut Glück wieder an seinen bisherigen

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Standort bei Messene oder Rhegion zu gelangen, wobei sie ein Schiff verloren; die Nacht machte der Sache ein Ende. Hierauf zogen die Lokrer aus dem Gebiete von Rhegion ab, die Schiffe der Syrakuser und ihrer Bundesgenossen aber sammelten sich beim Vorgebirge Peloris im Messenischen und gingen dort vor Anker, wo auch ihr Landheer in der Nähe stand. Als die Athener und die Rhegier hier an sie herankamen und die Schiffe leer sahen, griffen sie an, verloren dabei aber selbst ein Schiff, das durch eiserne Hände erfaßt wurde, dessen Mannschaft sich jedoch durch Schwimmen rettete. Die Syra­ kuser gingen darauf wieder an Bord und ließen ihre Schiffe am Strande entlang an der Leine nach'Messene ziehen. Nun griffen die Athener sie abermals an, verloren dabei aber, da jene in See ausholten und auf sie einschwenkten, noch ein zweites Schiff. So waren die Syrakuser bei ihrer Strand- fahrt und in dem dabei vorgefallenen Gefechte gut weggekommen und gelangten glücklich in den Hafen von Messene. Die Athener aber fuhren auf die Nachricht, daß Kamarina von Archias und seiner Partei den Syrakusern in die Hände gespielt werden sollte, mit ihrer Flotte dorthin. Unterdessen zogen die Messenier zu Lande mit ihrem ganzen Heere und zugleich mit ihrer Flotte gegen ihre Nachbarstadt, das chalkidische Naxos. Am ersten Tage trieben sie die Naxier in die Stadt hinein und verheerten ihr Land; am folgenden Tage fuhren sie mit ihren Schiffen um die Stadt herum nach dem Flusse Akesines und verheerten auch hier das Land, während sie mit dem Landheere einen Angriff auf die Stadt machten. Unterdessen aber kamen die Sikeler in hellen Haufen über ihre Berge herab und fielen über die Messenier her. Als die Naxier das sahen, faßten sie neuen Mut, und da sie sich darauf trösteten, daß auch die Leontiner und andere griechische Bundesgenossen jeden Augen­ blick zu ihrem Entsatz eintreffen würden, machten sie plötzlich einen Ausfall aus der Stadt, überfielen die Messenier und schlugen sie in die Flucht, wobei sie über tausend niedermachten. Auch den übrigen ging es auf dem Rückzüge schlimm genug; denn die Eingeborenen fielen unterwegs noch über sie her und
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rieben sie fast völlig auf. Auch die bei Messene liegenden Schiffe fuhren darauf alle wieder nach Hause. Da die Messenier so gründlich geschlagen waren, zogen die Leontiner und ihre Bundesgenossen mit den Athenern sogleich vor Messene und machten mit dem Landheer einen Angriff auf die Stadt, während die Athener sich mit der Flotte gegen den Hafen wandten. Die Messenier aber und eine Anzahl Lokrer unter Demoteles, die nach der Niederlage dort als Besatzung ge­ blieben waren, machten einen Ausfall, griffen das leontinische Heer unvermutet an, schlugen es größtenteils in die Flucht und töteten viele. Als die Athener das sahen, kamen sie auch von ihren Schiffen herbei, warfen sich auf die in Unordnung geratenen Messenier und trieben sie wieder in die Stadt. Darauf errichteten sie ein Siegeszeichen und kehrten nach Rhegion zurück. Von nun an setzten die Griechen in Sizilien den Krieg zu Lande ohne die Athener untereinander fort.

Bei Pylos hielten die Athener die Lakedämonier auf der Insel immer noch eingeschlossen, und das peloponnesische Heer auf dem Festlande blieb in seiner alten Stellung. Da es den Athenern an Lebensmitteln und an Wasser gebrach, war der Dienst für sie sehr beschwerlich. Denn Quellen gab es nicht außer einer einzigen auf der Burg von Pylos selbst, und auch die war nur unbedeutend. Die meisten gruben sich am Strande Löcher in den Kies und tranken Wasser, wie es eben danach war. Die Truppen konnten auf dem engen Fleck nur not­ dürftig untergebracht werden, die Schiffe aber hatten keinen geschützten Ankerplatz, mußten auch abwechselnd Lebensmittel vom Festlande holen oder in offener See vor Anker liegen. Am meisten ver.droß sie, daß die Sache sich so unvermutet in die Länge zog, während sie geglaubt hatten, die Leute auf der wüsten Insel, wo sie nur brackiges Wasser zu trinken hatten, würden sich schon nach wenigen Tagen ergeben müssen. Das lag daran, daß die Lakedämonier allen, die freiwillig Mehl, Wein, Käse oder andere den Belagerten dienlichen Nahrungs­ mittel auf die Insel schaffen würden, ein ansehnliches Geld­ geschenk in Aussicht gestellt, jedem Heloten aber, dem es gelänge,

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die Freiheit versprochen hatten. Und manche, namentlich He­ loten, brachten es auch mit Lebensgefahr fertig. Sie fuhren irgendwo auf gut Glück vom Peloponnes ab und suchten bei Nacht von der Seeseite an die Insel zu kommen. Meist warteten sie ab, bis sie Wind mit hatten; denn wenn der Wind von der See wehte, wurden sie so leicht nicht von den Kriegs­ schiffen der Athener bemerkt, weil diese dann nicht außerhalb der Insel liegen konnten, während es ihnen einerlei war, wie sie ans Land kamen. Sie ließen nämlich ihre Schiffe vorher abschätzen und dann auf den Strand laufen, wo die Hopliten an den Landungsplätzen schon aufpaßten. Wenn aber einer das auch bei Windstille wagte, wurde er von den Athenern erwischt. Vom Hafen her schwammen auch Taucher unter Wasser nach der Insel, welche Mohn mit Honig vermischt und gestoßenen Leinsamen in Schläuchen am Seile nach sich zogen. Anfangs merkte das niemand, später aber paßte man ihnen auf. So überbot man sich gegenseitig an Findigkeit, die einen, um die Insel mit Lebensmitteln zu versehen, die andern, um ihnen dabei auf den Dienst zu passen.

Als man in Athen von den Beschwerden des Heeres und der andauernden Versorgung der Insel mit Lebensmitteln hörte, wurde man bedenklich und fürchtete, es könne über die Ein­ schließung Winter werden und damit die Unmöglichkeit ein­ treten, dem Heere um den Peloponnes herum Lebensmittel zuzu­ führen, grade in jener öden Gegend, wo es schon zur Sommer­ zeit damit nicht ausreichend hatte versehen werden können. Bei der Schwierigkeit, an der hafenlosen Küste Truppen zu landen und die Insel genügend zu bewachen, würden sich die Leute dort vielleicht durchschlagen oder eine.stürmische Nacht benutzen können, um sich auf den Fahrzeugen, die ihnen Lebens­ mittel gebracht, davonzumachen. Vor allem aber fürchtete man die Lakedämonier und meinte, sie müßten doch wohl irgend­ einen Trumpf im Spiele haben, da sie keine Friedensvorschläge mehr machten, und bereute jetzt, darauf seinerzeit nicht ein­ gegangen zu sein. Kleon, welcher sah, daß man schlecht auf ihn zu sprechen war, weil er den Frieden verhindert hatte,

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behauptete jedoch, die Leute, die solche Nachrichten verbreiteten, sagten die Unwahrheit. Diese, die von Pylos gekommen waren, bestanden indes darauf, wenn man ihnen nicht glaube, so möge man andere hinschicken, um die Sache zu untersuchen, und dazu wurde er nun selbst mit Theagenes von den Athenern erwählt. Überzeugt, daß ihm jetzt nichts übrigbleibe, als ent­ weder seine Behauptung aufrechtzuerhalten oder, wenn er sie zurücknähme, als Lügner dazustehen, riet er den Athenern, deren Kriegslust inzwischen offenbar gewachsen war, doch nicht erst lange jemand zur Untersuchung der Sache hinzuschicken und damit unnütz Zeit zu verlieren, sondern, wenn sie die Nach­ richt für wahr hielten, den Kerls nur gleich mit einer Flotte zu Leibe gehen. Dabei hatte er es auf Nikias, NikeratoS' Sohn, abgesehen, der damals Feldherr war, den er haßte und dem er eins anhängen wollte, indem er sagte, es wäre doch eine Kleinigkeit, wenn die Feldherren nur Manns danach wären, mit einer ordentlichen Flotte die Leute auf der Insel in den Sack zu stecken, und wenn er den Oberbefehl hätte, würde er das bald fertigbringen.

Nun gingen die Athener gegen Kleon inS Geschirr, warum er denn nicht gleich hinführe, wenn ihm die Sache so einfach schiene, und Nikias, der wohl merkte, daß es auf ihn gemünzt war, erklärte, ihretwegen möge er nur Schiffe nehmen, so viel er wolle, und die Sache versuchen. Kleon, der daS für eine bloße Redensart hielt, zeigte sich erst dazu auch bereit, als er jedoch merkte, daß Nikias ihm wirklich sein Amt abtreten wollte, zog er zurück und sagte, er sei nicht Feldherr, sondern Nikias; denn jetzt wurde ihm bange, während er vorher nicht geglaubt hatte, daß er sich zur Abtretung seines Amtes an ihn ver­ stehen würde. Nikias aber forderte ihn nun von neuem dazu auf und verzichtete, indem er die Athener zu Zeugen anrief, seinerseits für Pylos auf den Oberbefehl. Und je mehr Kleon sich der Sache zu entziehen und an seinen Worten zu drehen und zu wenden suchte, um so heftiger bestanden die Athener, wie es in solchen Versammlungen zu gehen pflegt, darauf, Nikias solle ihm sein Amt abtreten, und schrien ihm zu, er

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möge zu Schiff gehen. So konnte er endlich nicht mehr um sein Wort herumkommen und erklärte sich bereit, trat vor das Volk und sagte, vor den Lakedämoniern fürchte er sich nicht und werde in See gehen und nicht mal Bürger, sondern nie­ mand weiter mitnehmen als die Lemnier und Jmbrier, die Peltasten aus Ainos und vierhundert Bogenschützen aus anderen Orten, die grade bei der Hand wären. Damit und mit der Mannschaft in Pylos werde er ihnen die Lakedämonier binnen zwanzig Tagen lebendig bringen oder sie an Ort und Stelle zusammenhauen. Die Athener mußten freilich über seine Prahlerei lachen, den ernsten Leuten aber war die Sache trotz­ dem nicht unerwünshct, da sie ihrer Meinung nach auf alle Fälle ein Gutes hatte: denn entweder würde man Kleon los, worauf sie eigentlich hofften, oder die Lakedämonier fielen ihnen in die Hände.

Nachdem Kleon in der Versammlung alles abgemacht hatte, von den Athenern zum Oberbefehlshaber erwählt und ihm auf seinen Wunsch einer der Feldherren in Pylos, und zwar Demotshenes, beigeordnet worden war, machte er sich unverzüglich zur Abfahrt bereit. Demosthenes hatte er sich ausgebeten, weil er gehört, daß dieser auch selbst schon den Plan zu einer Landung auf der Insel gemacht habe. Seine Soldaten nämlich, eng eingepfercht wie sie waren und fast schlimmer dran wie die von ihnen belagerten Feinde, verlangten dringend, daß etwas gegen die Insel unternommen würde, und auch ihn hatte ein auf ihr entstandener Brand dazu er­ mutigt, während er sich bis dahin davor gefürchtet hatte. Denn darin, daß sie fast ganz mit Wald bedeckt und, weil von jeher unbewohnt, völlig unwegsam war, erblickte er einen Vorteil für die Feinde, die auch einer auf der Insel gelandeten größeren Truppenzahl durch Angriffe aus dem Hinterhalt ge­ fährlich werden könnten. Während die Athener des Waldes wegen Fehler und Stellungen der Feinde nicht so übersehen könnten, würden diese jeden Mißgriff ihres Heeres sofort be­ merken und es, da sie den Angriff hätten, überall nach Be­ lieben unvermutet überfallen können. Und wiederum, wenn er

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sich gezwungen sähe, sich auf ein Waldgefecht einzulassen, so würde die mit der Hrtlichkeit bekannte Minderheit auch der damit nicht vertrauten größeren Menge überlegen sein und sein Heer trotz seiner Stärke aufgerieben werden, da man nicht sehen könne, wo ein Nachschub nötig sei.

Nach dem unglücklichen Ausgange des ätolischen Feldzugs, welcher gutenteils grade durch die Wälder dort verursacht worden war, lagen ihm solche Betrachtungen besonders nahe. Nun aber waren seine Soldaten, weil sie sonst nicht Platz genug hatten, genötigt gewesen, am Rande der Insel zu landen und dort unter Aufstellung von Vorposten abzukochen. Dabei hatte einer aus Versehen eine kleine Stelle im Holze in Brand gesteckt, und als sich darauf ein Wind aufgemacht, war, ehe man sich dessen versah, fast der ganze Wald abgebrannt. Jetzt also konnte er die Lakedämonier besser beobachten und sich überzeugen, daß sich weit mehr auf der Insel befanden, als seiner Meinung nach vorher dort mit Lebensmitteln versorgt waren, und daß es sich für die Athener schon der Mühe lohnen werde, nachdem die Insel zugänglicher geworden, etwas Ernst­ liches gegen sie zu unternehmen. Er richtete sich deshalb auf einen Angriff ein, zu dem er von den Bundesgenossen in der Nähe Verstärkungen an sich zog und alle sonst nötigen Vor­ bereitungen traf. Kleon, der ihn schon im voraus durch einen Boten benachrichtigt hatte, daß er mit den von ihm verlangten Verstärkungen unterwegs sei, kam nun auch bei Pylos an. Gleich nach ihrer Vereinigung sandten sie zunächst einen Herold ins feindliche Lager am Festlande mit der Aufforderung, die Leute auf der Insel anzuweisen, die Waffen zu strecken und sich ohne neues Blutvergießen zu ergeben, welchenfalls sie bis zu weiterer Übereinkunft in anständiger Haft gehalten werden sollten.

Als man das ablehnte, warteten sie noch einen Tag, am folgenden aber schifften sie bei Nacht ihre sämtlichen Hopliten auf wenigen Fahrzeugen ein und landeten damit kurz vor Tagesanbruch auf beiden Seiten der Insel, sowohl von der See wie vom Hafen her, die nun, im ganzen etwa achthundert

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Mann, im Lauftritt gegen den ersten Posten auf der Insel vorgingen. Die Aufstellung hier war folgende: Diesen ersten Posten bildeten etwa dreißig Hopliten; mitten auf der Insel, wo diese am ebensten und wo auch Wasser war, stand die Haupt­ macht unter Epitadas; endlich war auch die äußerste Spitze der Insel, Pylos gegenüber, welche steil nach der See abfällt und auch von der Landseite am schwersten angreifbar ist, wenn auch nur schwach besetzt. Auch befand sich dort ein alter, aus zusammen­ getragenen Steinen erbauter Turm, von dem man sich im Notfall bei einem Rückzüge immerhin einen gewissen Nutzen versprach. So war die Aufstellung der Lakedämonier.

Die Athener hieben den ersten Posten, auf den sie im Sturmschritt eindrangen, sogleich nieder, da die Leute eben erst aus dem Schlaf fuhren und die Waffen anlegten, auch von der Landung nichts gemerkt, sondern geglaubt hatten, daß die Schiffe nur wie gewöhnlich ihren nächtlichen Wachdienst ver­ sähen. Bei Tagesanbruch wurden dann auch die übrigen Truppen aus etwas über siebzig Schiffen, mit Ausnahme der Ruderknechte der untersten Bank, in ihren verschiedenen Waffen auf der Insel gelandet, und zwar achthundert Bogenschützen, ebensoviel Peltasten, die messenischen Hilfsvölker und alle, welche sonst noch bei Pylos standen, soweit sie nicht zur Be­ satzung der Festung gehörten. Wie Demotshenes angeordnet, bildeten sie Abteilungen von mehr oder weniger zweihundert Mann und besetzten die höchsten Punkte der Jnsel^ damit die Feinde, von allen Seiten umringt, nicht vor- und rückwärts könnten und, zwischen zwei Feuer genommen, nicht wüßten, gegen wen sie sich zu wenden hätten; wenn sie gegen einen Angriff von vorn vorgingen, sollten sie von hinten, wenn gegen einen Flankenangriff, von der anderen Seite beschossen werden. Immer aber, wohin sie sich wendeten, sollten die Leichten sie im Rücken fassen; denn ihnen, die mit Bogen, Wurfspeer und Schleuder den Kampf von weitem führten, war nicht beizukommen, während sie selbst auch fliehend noch gefährliche Feinde und dem weichenden Gegner beständig auf den Fersen blieben. So hatte sich Demosthenes den Plan zu

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einer Landung schon vorher ausgedacht, und so setzte er ihn auch ins Werk.

Als EpitadaS und seine Lakedämonier, welche die Haupt­ macht auf der Insel bildeten, sahen, daß der Feind ihren ersten Posten über den Haufen geworfen hatte, stellten sie sich in Reih und Glied und gingen gegen die Hopliten der Athener zum Angriff vor; denn diese standen ihnen grade gegenüber, die leichten Truppen dagegen zur Seite und im Rücken. An die Hopliten aber konnten sie nicht herankommen, um ihre Meisterschaft ihnen gegenüber zu bewähren, denn die Leichten umschwärmten und beschossen sie von den Seiten, während jene stillstanden und sich nicht vom Fleck rührten. Wo sich die Leichten allzudreist an sie heranmachten, schlugen sie sie aller­ dings zurück, die aber gaben darum den Kampf nicht auf; denn mit ihren leichten Waffen gewannen sie in dem beschwer­ lichen, bisher nie bebauten und deshalb unwegsamen Gelände auf der Flucht leicht einen Vorsprung, wobei die Lakedämonier in ihrer schweren Rüstung sie nicht einholen konnten.

So beschossen sie sich einander eine Zeitlang von weitem. AlS aber die Lakedämonier gegen die Angriffe der Leichten nicht mehr so kräftig vorstoßen konnten und diese sahen, wie die Widerstandskraft der Gegner nachließ und sie selbst ihnen an Zahl so vielfach überlegen waren, wurden sie um so ver­ wegener. Auch hatten sie sich schon mehr an den Anblick der Feinde gewöhnt, so daß sie ihnen nicht mehr so furchtbar vorkamen. Waren sie ihnen gegenüber doch weit besser ge­ fahren, als sie erwartet hatten. Während ihnen noch bei der Landung bei dem Gedanken, gegen Lakedämonier fechten zu müssen, angst und bange geworden war, fühlten sie sich ihnen jetzt überlegen und drangen mit lautem Geschrei haufenweise auf sie ein, um sie, wie es ihnen grade zur Hand war, mit einem Hagel von Steinen, Pfeilen und Wurfspeeren zu über­ schütten. DaS wilde Geschrei, womit der Angriff erfolgte, setzte die eineS solchen Kampfes ungewohnten Gegner in Schrecken, die Asche des eben niedergebrannten Waldes wirbelte in Staubwolken empor, und vor Staub und massenhaft ge­

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schleuderten Steinen und Geschossen sah man die Hand vor Augen nicht. So hatten die Lakedämonier einen schweren Stand. Ihre Filzpanzer schützten sie nicht vor den Pfeilen, und die Wurfspieße, von denen sie getroffen wurden, brachen darin ab. Sie wußten nicht mehr, was sie anfangen sollten, da ihnen jede Fernsicht abgeschnitten war und sie vor lautem Geschrei der Feinde die eigenen Befehle nicht hören konnten. Überall von Gefahren umringt, hatten sie keine Hoffnung mehr, auch bei der größten Tapferkeit mit dem Leben davon­ zukommen.

Endlich, nachdem bei dem beständigen Hin- und Herwogen des Kampfes schon viele verwundet waren, schlossen sie sich eng zusammen und zogen sich nach dem nicht weit entfernten Turme an der äußersten Spitze der Insel und ihrem Posten dort zurück. Jetzt aber, wo sie sich zurückzogen, drangen die Leichtbewaffneten um so übermütiger und mit noch ärgerem Geschrei auf sie ein, und jeder Lakedämonier, der ihnen in die Hände fiel, war ein Kind des Todes. Die meisten aber er­ reichten glücklich den alten Turm', vereinigten sich mit der dortigen Mannschaft und besetzten ringsum die ganze Stellung, um sie da, wo sie angreifbar war, zu verteidigen. Die Athener, die ihnen auf dem Fuße gefolgt waren, sie aber bei der Festig­ keit des Platzes nicht von allen Seiten zugleich fassen konnten, versuchten, sie nun durch einen Angriff von vorn daraus zu vertreiben, und so hielten beide lange Zeit und fast den ganzen Tag bei Durst und Sonnenhitze die Beschwerden des Kampfes aus, die einen bestrebt, die Gegner von dort oben zu ver­ treiben, die anderen, ihre Stellung zu behaupten. Insofern aber waren die Lakedämonier doch jetzt besser dran als vorher, da sie keinen Flankenangriffen ausgesetzt waren.

Als die Sache kein Ende nahm, wandte sich der Feld­ hauptmann der Messenier an Kleon und Demosthenes und sagte ihnen, so sei alles nur verlorene Mühe; wenn man ihm aber eine Anzahl Bogenschützen und Peltasten gäbe, um sich damit selbst einen Weg zu suchen und den Feinden in den Rücken zu fallen, so wolle er den Zugang schon erzwingen.

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Er erhielt auch, was er verlangt hatte, und nun machte er sich an einer Stelle, wo ihn der Feind nicht sehen konnte, auf den Weg und gelangte, die steilen, von den Lakedämoniern im Vertrauen auf die natürliche Festigkeit des Orts nicht be­ wachten Abhänge der Insel geschickt benutzend, wenn auch mit großer Anstrengung unbemerkt hinauf, ebensosehr zur Über­ raschung und zum Schrecken der Verteidiger, denen er so plötz­ lich im Rücken erschien, wie zur Freude und Ermutigung der Angreifer, die sich jetzt am Ziel ihrer Wünsche sahen. Die Lakedämonier aber, von zwei Seiten beschossen, waren jetzt, um Kleines mit Großem zu vergleichen, in derselben verzweifelten Lage, wie jene Tapferen in den Thermopylen, die von den Persern auf einem Bergpfade umgangen und niedergemacht wurden. So mußten auch sie, von zwei Seiten angegriffen, den Widerstand aufgeben und, durch Mangel an Nahrung ent­ kräftet, wie sie waren, der Übermacht weichen, während die Athener die Zugänge besetzten.

Kleon und Demotshenes aber, welche einsahen, daß sie schon beim nächsten Schritt rückwärts unfehlbar alle von ihren Leuten niedergemacht werden würden, geboten den Ihrigen halt und ließen den Kampf einstellen, weil sie sie gern nach Athen bringen wollten, falls sie sich auf ihren Vorschlag bereit- finden lassen würden, die Waffen zu strecken und sich in ihr Schicksal zu ergeben. Sie ließen sie also durch einen Herold fragen, ob sie die Waffen strecken und sich den Athenern auf Gnade und Ungnade ergeben wollten.

Daraufhin senkten die meisten ihre Schilde und erhoben die Hände zum Zeichen, daß sie dazu bereit seien. Während der infolgedessen eingetretenen Waffenruhe traten Kleon und Demosthenes und von jener Seite Stryphon, Pharax' Sohn, zu Unterhandlungen zusammen. Von den bisherigen Befehls­ habern war nämlich der erste, Epitadas, gefallen, Hippagretos, sein Vertreter, lebte zwar noch, aber lag für tot unter den Leichen, und Stryphon war ihnen, wie üblich, für den Fall, daß beiden etwas zustieße, als dritter beigeordnet. Er und die mit ihm ershcienenen Lakedämonier erklärten nun, sie wollten

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durch einen Herold bei den Ihrigen auf dem Festlande an­ fragen lassen, was sie tun sollten. Die Athener aber ge­ statteten keinem von ihnen, die Insel zu verlassen, sondern ließen selbst Herolde vom Festlande kommen, und nach zwei­ bis dreimaligem Hin- und Herfragen brachte der letzte, welcher von den Lakedämoniern vom Festlande herüberkam, den Be­ scheid, sie möchten tun, was sie selbst für gut fänden, nur ihrer Ehre nichts vergeben. Nun überlegten sie die Sache unter sich und beschlossen, die Waffen zu strecken und sich gefangen zu geben. Den Tag und die darauffolgende Nacht bewachten die Athener ihre Gefangenen auf der Insel, am Tage darauf aber errichteten sie ein Siegeszeichen, machten alles zur Ab­ fahrt fertig und gaben die Gefangenen den einzelnen Befehls­ habern ihrer Kriegsschiffe in Gewahrsam. Die Lakedämonier aber schickten einen Herold und ließen ihre Toten abholen. Die Zahl der auf der Insel Gefallenen und lebend Gefangenen anlangend, so waren im ganzen vierhundertundzwanzig Hopliten hinübergebracht; davon wurden zweihundertzweiundneunzig lebend abgeführt, die übrigen waren gefallen. Unter den Lebenden befanden sich über hundertzwanzig Spartiaten. Die Athener hatten nur wenige verloren; denn zu einer eigentlichen Schlacht war es ja nicht gekommen.

Die ganze Zeit, welche die Leute auf der Insel eingeschlossen gewesen waren, von der Seeschlacht bis zu dem Gefechte auf der Insel, betrug zweiundsiebzig Tage. Davon waren ihnen zwanzig Tage, während der Abwesenheit der Gesandten zu Friedensverhandlungen, Lebensmittel geliefert, an den übrigen hatten sie davon gelebt, was ihnen heimlich zugeführt wurde. ES gab noch Mehl auf der Insel, und auch noch andere Eß­ waren wurden dort vorgefunden; denn Epitadas hatte während seines Oberbefehls die Rationen knapper bemessen als nötig gewesen wäre. Die Athener und die Peloponnesier zogen nun beide von Pylos ab und wieder nach Hause, und KleonS Ver­ sprechen, so unsinnig es auch war, ging wirklich in Erfüllung; denn binnen zwanzig Tagen brachte er die Leute ein, wie er sich anheischig gemacht hatte.

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Unter allen Ereignissen des Krieges kam keins den Griechen so wider Erwarten wie dies. Denn sie waren über­ zeugt, die Lakedämonier würden trotz Hunger und Not unter keinen Umständen die Waffen strecken, sondern lieber kämpfend, wie sie gekonnt, auf dem Schilde ihr Leben lassen. Ja man bezweifelte, ob die, welche die Waffen gestreckt, ebenso tapfer gewesen wie die Gefallenen. Als später einmal einer der athenischen Bundesgenossen einen Gefangenen von der Insel boshaft fragte, ob es die Tapferen unter ihnen gewesen, die gefallen wären, gab der ihm zur Antwort, das müßte ein merk­ würdiger Pfeil gewesen sein, der die Tapferen hätte unter­ scheiden können, um ihm zu bedeuten, daß eben jeder gefallen sei, den die Pfeile oder die Steine zufällig getroffen.