History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

Im folgenden Sommer, zur Zeit, als das Getreide in Ähren schoß, fuhren die Syrakuser mit zehn Schiffen und einer gleichen Anzahl lokrischer Schiffe nach Messene in Sizilien, wohin man sie von dort gerufen hatte, und setzten sich in Besitz der Stadt, die damit von den Athenern abfiel. Die Syrakuser hatten dies hauptsächlich deshalb getan, weil der Ort für eine feindliche Landung auf Sizilien offenbar besonders günstig gelegen war, und sie befürchteten, die Athener könnten ihnen von da gelegentlich mit größerer Macht ins Land kommen, die Lokrer aber aus Feindschaft gegen die Rhegier, die sie da­ durch von beiden Seiten zu fassen dachten. Zu gleicher Zeit waren die Lokrer mit ihrem ganzen Heere in das Gebiet der Rhegier eingefallen, damit sie Messen? nicht zu Hilfe kommen könnten, zugleich aber auch, weil sie von den bei ihnen befind­ lichen Flüchtlingen aus Rhegion dazu aufgefordert waren. Denn in Rhegion standen sich schon länger die Parteien feind­ lich gegenüber, so daß es in dem Augenblick den Lokrern nicht die Spitze bieten konnte, die deshalb der Stadt nur um so mehr zusetzten. Die Lokrer zogen, nachdem sie das Gebiet ver­ heert, mit dem Landheere wieder ab, die Schiffe aber blieben vor Messene liegen, und auch noch andere Schiffe, die bereits ausgerüstet wurden, sollten dort vor Anker gehen, um den Krieg von da aus zu betreiben.

Um dieselbe Zeit im Frühjahr, als das Korn noch nicht in Ahren stand, fielen die Peloponnesier und ihre Bundes­ genossen unter dem lakedämonischen König Agis, ArchidamoS' Sohn, nach Attika ein, bezogen dort ein Lager und verheerten das Land. Die Athener aber schickten die inzwischen ausge­ rüsteten Schiffe unter Eurymedon und Sophokles, den beiden in Athen zurückgebliebenen Feldherren, nach Sizilien ab, wo der dritte, Pythodoros, schon vorher angekommen war. Diese waren angewiesen, bei der Gelegenheit, wenn sie an Kerkyra vorbeikämen, sich der dortigen Stadtbevölkerung anzunehmen, die unter den Streifzügen der Flüchtlinge in den Bergen schwer

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zu leiden hatte. Schon vorher waren sechzig Schiffe der Pelo­ ponnesier zur Unterstützung der Flüchtlinge in den Bergen dahin abgegangen, da man der Stadt bei der dort herrschenden Hungersnot leicht Herr zu werden hoffte. Demotshenes aber, der seit seiner Rückkehr aus Akarnanien als Privatmann lebte, wurden die vierzig Schiffe zur Verfügung gestellt, um davon an der peloponnesischen Küste beliebigen Gebrauch zu machen.

Als sie auf der Fahrt an der lakonischen Küste hörten, die peloponnesischen Schiffe wären schon in Kerkyra, wollten Eurymedon und Sophokles schleunigst nach Kerkyra weiter­ fahren, Demotshenes aber war dafür, zunächst Pylos anzulaufen, um dort das Nötige ins Werk zu setzen, und erst dann nach Kerkyra zu fahren. Die anderen widersprachen zwar, aber da sich zufällig ein Sturm erhob, wurden die Schiffe dann doch nach Pylos verschlagen. Nun riet Demotshenes, den Platz sofort zu befestigen - denn dazu sei er ja grade mitgefahren -, wobei er auf den Überfluß an Holz und Steinen, die natür­ liche Festigkeit des Ortes und dessen Lage in einer weit umher unbewohnten Gegend hinwies. Pylos liegt nämlich ungefähr vierhundert Stadien von Sparta im ehemaligen Messenien und heißt bei den Lakedämoniern Koryphasion. Man wandte ihm ein, wenn er die Stadt durchaus in Unkosten stürzen wolle, so gäbe es ja im Peloponnes noch unbewohnte Landspitzen genug. Er aber hielt grade Pylos zu dem Zweck für besonders geeignet, es habe einen Hafen, läge im alten Messenien, die Messenier sprächen denselben Dialekt wie die Lakedämonier und würden diesen von dort viel Schaden tun können, auch eine zuverlässige Besatzung für den Platz abgeben.

Da er jedoch weder die Feldherren noch die Soldaten für seine, nachher auch den Hauptleuten mitgeteilte Absicht ge­ winnen konnte, so blieb er widrigen Wetters wegen dort liegen und ließ die Sache auf sich beruhen, bis dann die Soldaten aus langer Weile von selbst darauf verfielen, Hand ans Werk zu legen und den Platz zu befestigen. Dabei griffen sie tüchtig zu, und da sie keine eisernen Werkzeuge zum Behauen der Steine hatten, suchten sie sich die Steine danach aus und

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schleppten sie heran, um sie, wie es paßte, zusammenzufügen. Den Lehm aber, wo es ohne den nicht ging, trugen sie in Ermangelung von Trögen auf dem Rücken herbei, indem sie sich, daß er liegen bliebe, vornüberbeugten und beide Hände hinten zusammenfalteten, damit er nicht abrutschte. Überhaupt beeilten sie sich auf alle Weise, an den angreifbarsten Stellen damit fertig zu werden, bevor die Lakedämonier mit ihren Streit- kräften herankämen. Größtenteils war nämlich der Platz schon an sich sturmfrei und bedurfte keiner Mauer.

Als die Lakedämonier, die grade ein Fest feierten, davon hörten, meinten sie, die Sache habe nichts zu bedeuten; wenn sie vor Pylos erschienen, würden die Athener entweder gar nicht standhalten oder leicht von ihnen überwältigt werden können. Vorerst aber waren ihnen auch die Hände einiger­ maßen dadurch gebunden, daß ihr Heer noch in Attika stand. Nachdem die Athener den Platz auf der Landseite und wo es sonst am nötigsten war, in sechs Tagen befestigt hatten, ließen sie Demotshenes mit fünf Schiffen dort als Besatzung zurück und fuhren mit dem größten Teil der Flotte schleunig weiter nach Kerkyra und Sizilien.

Als die Peloponnesier in Attika die Nachricht von der Einnahme von Pylos erhielten, zogen sie eiligst wieder ab. König Agis und die Lakedämonier erblickten nämlich in den Vorgängen bei Pylos eine unmittelbare Gefahr für ihr eigenes Land. Überdies fehlte es, da sie früh im Jahre eingefallen waren und die Ernte noch auf dem Halm stand, an Lebens­ mitteln für das Heer, das unter der für die Jahreszeit un­ gewöhnlich rauhen Witterung zu leiden hatte. So wirkten mancherlei Gründe zusammen, daß sie so schnell wieder ab­ zogen und dieser Einfall der kürzeste wurde. Denn sie waren nur fünfzehn Tage in Attika geblieben.

Um dieselbe Zeit bemächtigte sich der athenische Feldherr SimonideS der mit Athen verfeindeten mendischen Kolonie Eion an der thrakischen Küste durch Verrat. Er hatte dazu außer einigen Athenern aus den Besatzungen auch eine Anzahl Bundes­ genossen an sich gezogen, wurde aber, da die Chaltidier und

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Bottiaier der Stadt sofort zu Hilfe kamen, wieder hinaus- geschlagen und verlor dabei viele Leute.

Nach dem Abzüge der Peloponnesier aus Attika waren die Spartaner selbst mit den Periöken der nächsten Umgegend so­ gleich nach Pylos aufgebrochen, während die übrigen, eben erst aus dem anderen Feldzuge zurückgekehrten Lakedämonier erst allmählich nachkamen. Im ganzen Peloponnes gab man Befehl aus, so schnell wie möglich nach Pylos zu marschieren, und benachrichtigte die sechzig Schiffe bei Kerkyra, die auch, nachdem sie bei Leukas über die Landenge gezogen waren, ohne von der athenischen Flotte bei Zakynthos bemerkt zu werden, bei Pylos eintrafen, wo sich das Landheer inzwischen bereits gesammelt hatte. Schon vorher, als die peloponnesische Flotte noch unterwegs war, hatte Demosthenes heimlich zwei Schiffe an Eurymedon und die Athener auf der Flotte bei Zakynthos abgeschickt, um sie aufzufordern, unverzüglich nach Pylos zu kommen, da der Platz in Gefahr sei. Die Schiffe beschleunigten auch ihre Fahrt, wie DemostheneS ihnen befohlen hatte. Unter­ dessen machten die Lakedämonier Anstalt, die Festung von der Land- und Seeseite anzugreifen, in der Hoffnung, die in der Eile angelegten und nur schwach besetzten Werke leicht nehmen zu können. Da sie auf die Ankunft der athenischen Flotte von Zakynthos gefaßt sein mußten, wollten sie für den Fall, daß sie den Platz bis dahin nicht schon genommen hätten, auch die Einfahrten in den Hafen sperren, damit die Athener mit ihren Schiffen nicht hineinkommen könnten. Die sich nah davor lang hinstreckende Insel Sphakteria nämlich deckt den Hafen und macht die Einfahrten so eng, daß durch die eine auf der Seite von Pylos und der athenischen Festungswerke nur zwei, durch die andere auf der gegenüberliegenden Festlandsseite nur acht bis neun Schiffe gleichzeitig einlaufen können. Die Insel war un­ bewohnt, ganz mit Wald bedeckt und unwegsam und ist un­ gefähr fünfzehn Stadien lang. Die Einfahrten wollten sie in der Weise verschließen, daß sie Schiffe, den Bug nach außen, dicht aneinander legten. Auf die Insel aber setzten sie aus Furcht, die Athener könnten von dort etwas gegen sie unter­

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nehmen, schweres Fußvolk aus und besetzten damit auch den Rand des Festlandes. So hielten sie die Insel und das hier unzugängliche Festland gegen die Athener für gesichert. Denn da die Küste außerhalb der Einfahrt nach der See zu hafenlos war, würden die Athener ihrer Meinung nach dort nirgends landen können, um ihren Landsleuten von da zu Hilfe zu kommen, sie selbst aber gewiß imstande sein, den nur notdürftig verteidigten und nicht mit Lebensmitteln versehenen Platz zu nehmen, ohne sich der Gefahr einer Seeschlacht aussetzen zu müssen. Diesem ihrem Plane gemäß also hatten sie auch die . Insel mit Hopliten besetzt, die dazu auS allen Abteilungen aus­ gelost wurden. Anfangs wurden sie regelmäßig durch andere abgelöst. Die letzten waren die vierhundertzwanzig, die dann mit ihren Heloten auf der Insel abgeschnitten wurden, und Epitadas, MolobreS' Sohn, war ihr Anführer.

Als Demosthenes sah, daß die Lakedämonier ihn zugleich mit der Flotte und von der Landseite angreifen wollten, traf auch er seine Maßregeln. Die drei Trieren, die er von den ihm gelassenen Schiffen noch hatte, ließ er auf den Strand dicht unter die Mauer ziehen und mit Palisaden umgeben. Die Mannschaft nahm er ans Land und bewaffnete sie mit Schilden, die freilich elend genug und meist nur aus Weiden­ geflecht waren. Denn in dem abgelegenen Erdenwinkel waren keine Schilde zu haben, und auch diese hatte er nur durch ein eben angekommenes messenisches Piratenschiff, einen schnellen Dreißigruderer, erhalten. Gegen vierzig messenische Hopliten, die mit an Bord gewesen waren, stellte er in seine Mannschaft ein. Den größten Teil seiner Leute, mit oder ohne Rüstung, verteilte er auf die festesten und haltbarsten Stellen des Platzes auf der Landseite mit dem Befehl, das feindliche Fußvolk ab­ zuschlagen, wenn es angreifen sollte. Er selbst aber wählte sich auS seiner ganzen Mannschaft sechzig Hopliten und eine Anzahl Bogenschützen aus und stellte sich mit ihnen außerhalb der Mauer am Strande auf, wo der Feind seiner Ansicht nach am ersten eine Landung versuchen würde. Zwar siel das Ge­ lände hier steil und felsig nach der See ab, aber die Mauer

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war an dieser Stelle am schwächsten, was den Feind wahr­ scheinlich grade hier zu einem Angriff verlocken konnte. Die Athener hatten es nämlich nicht für nötig gehalten, die Mauer an dieser Stelle stärker zu machen, weil sie es bei ihrer Über­ macht zur See für völlig ausgeschlossen hielten, daß der Feind hier eine Landung erzwingen und der Platz von da genommen i werden könnte. Um eine solche Landung zu verhindern, stellte er sich also hier am Strande mit seinen Hopliten auf und redete sie also an:

„Glaubt nicht, Kameraden, daß es diesen Augenblick was nütze, sich alle Gefahren auszudenken, die einem in solcher Lage zustoßen könnten. Das einzig Richtige ist, daran gar nicht zu denken, sondern auch diesmal auf unser gutes Glück zu ver­ trauen; dann werden wir schon durchkommen. Wenn es so weit gekommen ist, wie jetzt mit uns, muß man nicht lange überlegen, sondern der Gefahr dreist ins Gesicht sehen. Nach meiner Überzeugung liegt die Sache durchaus günstig für uns, wenn wir nur standhalten und unsere Vorteile nicht aus Furcht vor ihrer Menge aus der Hand geben, denn die Schwierig­ keiten des Geländes sind unser Vorteil und kommen uns, wenn wir aushalten, im Kampfe zustatten. Wenn wir aber das Feld räumen, so werden die Feinde trotz dieser Schwierigkeiten hier ungehindert eindringen, und falls wir sie dann auch wieder zurückschlügen, würden sie sich bei der Schwierigkeit des Rück­ zugs nur um so verzweifelter wehren. Solange sie noch auf den Schiffen sind, können wir sie uns leicht vom Leibe halten, sind sie aber erst am Lande, so sind wir gegen sie nicht weiter im Vorteil. Auch vor ihrer Menge brauchen wir uns nicht allzusehr zu fürchten; denn so viele ihrer auch sind, bei der Beschwerlichkeit einer Landung werden wir es zu gleicher Zeit doch immer nur mit wenigen zu tun haben. Es handelt sich ja nicht um einen Kampf zu Lande, wo die Menge unter sonst gleichen Umständen den Ausschlag gibt, sondern um Aus­ schiffung von Truppen, wobei so viel von Wind und Wetter abhängt. Ich glaube also, daß die Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen haben, unsere geringere Zahl voll aufwiegen

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werden, und verlasse mich außerdem darauf, daß ihr Athener seid und aus Erfahrung wißt, wie eine Landung angesichts des Feindes nicht wohl erzwungen werden kann, wenn dieser nur standhält und nicht beim Anblick der brausenden See und unter dem überwältigenden Eindruck der aufkommenden Schiffe vor Schreck davonläuft. Ich erwarte also, daß auch ihr jetzt standhalten und den Kampf schon an der Brandung aufnehmen werdet, um uns selbst und den Platz zu retten."

Durch diese Worte des Demosthenes angefeuert, nahmen die Athener um so mutiger die ihnen unten am Strande an­ gewiesenen Stellungen ein. Die Lakedämonier aber eröffneten nun den Angriff auf die Festung zugleich mit dem Heere auf der Landseite und mit der Flotte, die zurzeit dreiundvierzig Segel stark war und von dem Spartaner Thrasymelidas, Kram­ sikles' Sohn, befehligt wurde. In der Tat griff dieser denn auch da an, wo Demotshenes erwartet hatte. Die Athener aber leisteten tapferen Widerstand, sowohl auf der Land- wie auf der Seeseite. Da man mit einer größeren Flotte hier nicht landen konnte, bildeten die Lakedämonier aus ihren Schiffen kleinere Abteilungen, die sich einander ablösen und Landungsversuche machen mußten. Sie bewiesen dabei die größte Tapferkeit und feuerten einander durch Zuruf an: Nur drauflos, um die Festung zu nehmen! Vor allen tat sich Brasidas dabei hervor, der selbst eine Triere befehligte. Wenn er sah, daß Befehlshaber oder Steuerleute bei der Schwierig­ keit der Landung, wo solche allenfalls noch möglich schien, aus Furcht, ihre Schiffe zu riskieren, nicht vorwärts wollten, fuhr er sie mit Donnerstimme an, sie sollten sich schämen, dem biß­ chen Holz zuliebe den Feind hier im Lande sich seine Festungen bauen zu lassen, und machen, daß sie ans Land kämen, auch wenn ihre Schiffe dabei in Trümmer gingen. Den Bundes­ genossen aber rief er zu, sich nicht lange zu besinnen, den Lake­ dämonier» für ihre großen Verdienste ihre Schiffe zu opfern, sondern sie auf den Strand zu treiben und um jeden Preis anS Land zu kommen zu suchen, um die Feinde und die Festung zu überwältigen.

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Während er die anderen auf solche Weise anfeuerte, zwang er seinen eigenen Steuermann, sein Schiff auf den Strand zu setzen, trat selbst auf die Schiffsleiter und versuchte, hinabzu­ steigen, wurde aber von den Athenern daran verhindert und stürzte, mehrfach verwundet, bewußtlos vorn auf das Schiff, wobei sein Schild über Bord fiel, der dann ans Land getrieben und von den Athenern geborgen, später auch an dem Sieges­ zeichen angebracht wurde, welches sie zu Ehren dieses Strand­ gefechts errichteten. Die übrigen machten dann zwar noch weitere Versuche, ans Land zu kommen, scheiterten damit aber an den örtlichen Schwierigkeiten und der Ausdauer der Athener, die keinen Schritt rückwärts wichen. So wunderbar hatte sich das Blatt gewandt, daß die Athener jetzt zu Lande, und oben­ drein in Lakonien, gegen eine Flotte der Lakedämonier kämpfen mußten, die Lakedämonier aber in ihrem eigenen, in Feindes­ hand geratenen Lande den Athenern gegenüber eine Landung versuchten, während sie beide doch damals grade stolz darauf waren, jene zu Lande und diese zur See die Ersten zu sein.

An diesem und zum Teil auch noch am folgenden Tage setzten die Lakedämonier ihre Landungsversuche fort, gaben sie dann aber auf. Am dritten Tage schickten sie einige Schiffe nach Asine, um von dort Holz zu Maschinen zu holen, mit Hilfe deren sie den Platz von der Hafenseite, wo die Mauer zwar hoch, eine Landung aber leichter war, einnehmen zu können hofften. Unterdessen trafen die athenischen Schiffe von Zakynthos ein, jetzt fünfzig; denn sie waren durch einige Wacht­ schiffe aus Naupaktos und vier chiische Schiffe verstärkt. Als sie das feste Land und die Insel von Hopliten besetzt und die Schiffe ruhig im Hafen liegen sahen, fuhren sie, ungewiß, wo sie landen könnten, zunächst nach Prote, einer nicht weit von dort entfernten unbewohnten Insel, wo sie die Nacht blieben. Am folgenden Tage aber gingen sie, klar zum Gefecht, in See, um den Feinden, wenn sie herauskämen, in offenem Wasser eine Schlacht zu liefern, andernfalls aber sie ihrerseits im Hafen anzugreifen. Die kamen indessen nicht heraus, hatten auch die Hafeneinfahrten nicht gesperrt, wie es ihre Absicht

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war, sondern waren noch ruhig am Lande und eben im Begriff, ihre Schiffe zu bemannen, um, falls man sie an­ greifen würde, in dem geräumigen Hafen eine Schlacht anzu­ nehmen.

Als die Athener das merkten, drangen sie durch beide Einfahrten auf sie ein, griffen die Schiffe an, die größtenteils schon flott gemacht und zum Gefecht bereit waren, und trieben sie in die Flucht, beschädigten auch viele auf der Verfolgung, wie das bei den kurzen Entfernungen nicht ausbleiben konnte, während ihnen fünf, darunter eins mitsamt der Mannschaft, in die Hände fielen. Die übrigen, die sich aufs Land geflüchtet hatten, griffen sie dort an; anderen, die erst bemannt werden sollten, stießen sie die Wände ein, bevor sie auslaufen konnten, und einige, deren Mannschaft die Flucht ergriffen hatte, nahmen sie leer in Tau und zogen damit ab. Die Lakedämonier am Lande, die das mit ansahen, außer sich vor Schmerz über daS Mißgeschick, da ihre Leute auf der Insel ja nun abgeschnitten waren, eilten jetzt auch herbei, gingen in voller Rüstung ins Wasser und legten Hand an die Schiffe, um sie wieder ans Land zu ziehen, wobei jeder meinte, eS ginge nicht, wenn er nicht selbst auch irgendwo mit angriffe. Und nun tobte der Kampf um die Schiffe, und auch hier hatten beide wieder ihre Rollen vertauscht; denn die Lakedämonier lieferten vor Eifer und Verzweiflung sozusagen mit dem Landheere eine See­ schlacht, und die Athener, die den erfochtenen Sieg voll aus­ nutzen wollten, kämpften von der Flotte am Lande. Nachdem eS hart hergegangen und viel Blut geflossen war, endete der Kampf; die Lakedämonier brachten ihre leeren Schiffe, soweit sie ihnen nicht gleich anfangs abgenommen waren, in Sicher­ heit, und beide Teile gingen in ihre alten Stellungen zurück. Die Athener errichteten ein Siegeszeichen, gaben die Toten heraus und bargen die Schiffstrümmer, schickten auch gleich Schiffe um die Insel, deren Besatzung nunmehr abgeschnitten war, um sie zu bewachen. Die Lakedämonier auf dem Festlande aber mit den inzwischen von allen Seiten zu ihnen gestoßenen Verstärkungen blieben in ihrer Stellung vor Pylos.

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Als die Nachricht von den Ereignissen bei Pylos nach Sparta gelangte, gab man sich dort über die Schwere der er­ littenen Niederlage keiner Täuschung hin, sondern beschloß die höchsten Beamten sogleich selbst zum Heere abgehen zu lassen, um sich die Sache mit eigenen Augen anzusehen und darnach ihre weiteren Entschließungen zu fassen. Als diese sich von der Unmöglichkeit überzeugt, die Leute auf der Insel zu befreien, und diese doch nicht der Gefahr aussetzen wollten, zu ver­ hungern oder von der Übermacht erdrückt oder gefangen zu werden, beschlossen sie, mit den athenischen Feldherren, falls diese dazu bereit, für Pylos einen Waffenstillstand zu schließen, dann aber Gesandte zu Friedensverhandlungen nach Athen zu schicken und zu versuchen, ihre Leute so bald wie möglich wieder­ zubekommen.

Da die Feldherren auf ihren Vorschlag eingingen, kam der Waffenstillstand unter folgenden Bedingungen zustande: Die Lakedämonier sollten den Athenern die Schiffe, mit denen sie gefochten, und sämtliche Kriegsschiffe in Lakonien ausliefern und selbst nach Pylos bringen, auch die Festung weder zu Lande noch zu Wasser angreifen; die Athener dagegen den Lakedämoniern gestatten, den Leuten auf der Insel eine be­ stimmte Menge Mundvorrat vom Festlande her zu verabreichen, und zwar zwei attische Choiniken Brot und zwei Kotylen Wein nebst etwas Fleisch für den Mann und für einen Diener die Hälfte, aber nur unter den Augen der Athener und ohne die Insel heimlich anzulaufen. Die Athener sollten die Insel nach wie vor scharf bewachen dürfen, aber nicht auf ihr landen nnd sich zu Lande und zu Wasser aller Feindseligkeiten gegen das peloponnesische Heer enthalten. Bei jeder, auch der ge­ ringsten Übertretung dieser Bestimmungen von der einen oder anderen Seite sollte der Waffenstillstand aufgehoben, sonst aber bis zur Rückkehr der lakedämonischen Gesandtschaft von Athen geschlossen sein, diese auch von den Athenern auf einem ihrer Kriegsschiffe hin und her gebracht werden. Bei ihrer Rückkehr sollte der Waffenstillstand ablaufen und die Athener die Schiffe in dem Zustande, in dem sie sie erhalten, zurück-

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geben. Nachdem der Waffenstillstand unter diesen Bedingungen geschlossen war, reisten die Gesandten ab. In Athen ange­ kommen, hielten sie folgende Rede:

„Die Lakedämonier haben uns hergeschickt, Athener, um mit euch wegen der Leute auf der Insel zu unterhandeln und womöglich ein Abkommen zu treffen, wie es eurem Interesse entspricht und sich zugleich in diesem Augenblick nach der ver­ lorenen Schlacht mit unserer Ehre am besten verträgt. Wenn wir uns dabei nicht ganz kurz fassen, so verstößt das nicht gegen unseren Brauch, uns kurz zu fassen, wo es nicht vieler Worte bedarf; es ist vielmehr bei uns zu Lande üblich, wo der Sache damit gedient ist, auch länger darüber zu reden. Nehmt uns auch unsere Worte nicht übel, als ob wir an eurer Ein­ sicht zweifelten und euch belehren wollten, sondern haltet euch versichert, daß wir sie grade im Vertrauen auf eure Einsicht an euch richten, um euch eine hochherzige Entschließung zu empfehlen. Denn ihr seid in der glücklichen Lage, das, waS ihr besitzt, zu behalten und euch mit einem Zuwachs an Ruhm und Ehre zu begnügen, und nicht in Gefahr, in den Fehler von Leuten zu verfallen, die, wenn sie ein ungewöhnliches Glück gehabt, gleich meinen, es müsse damit immer so weiter gehen, weil es ihnen diesmal so unverhofft in den Schoß gefallen ist. Wer aber an sich selbst erlebt hat, wie wetterwendisch das Glück ist, hat alle Ursache, gegen dessen Beständigkeit miß­ trauisch zu sein. Das sollte man bei euch aus Erfahrung wissen und sich bei uns erst recht von selbst verstehen.

„Grade unser jetziges Mißgeschick ist der beste Beweis dafür. Wir, die wir in Griechenland das beste Ansehen hatten und uns bis dahin einbildeten, es stände lediglich bei uns, euch unserseits Bitten zu gewähren, kommen jetzt als Bittende zu euch. Und das nicht etwa, weil wir an Macht eingebüßt oder unS unserer Macht überhoben hätten, sondern weil wir unS auf unsere Macht zu sehr verließen; und so kann es jedem gehen. Darum dürft auch ihr nicht jetzt im Vertrauen auf die jetzige Macht eurer Stadt und eures Bundes darauf rechnen, daß euch das Glück beständig treu bleiben werde.

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Verständige Männer, die sich nicht zu fest auf das Glück ver­ lassen, verlieren auch im Unglück nicht gleich den Kopf und wissen, daß der Krieg nicht nach ihrem Belieben verläuft, sondern wie es des Schicksals Wille ist. Und wie sie so leicht kein Unglück trifft, weil ein Erfolg sie nicht übermütig macht, so werden sie gewiß auch im Unglück am ersten bereit sein, die Hand zum Frieden zu bieten. Und das würde auch euch, Athener, jetzt uns gegenüber wohl anstehen, um nicht später, wenn ihr uns abgewiesen und dann, wie das immer kommen kann, auf einmal Unglück habt, eure jetzigen Erfolge nur als einen Glücksfall ansehen zu müssen, während ihr es jetzt in der Hand habt, ohne was dabei zu wagen, den Ruhm eurer Macht und Einsicht auf die Nachwelt gelangen zu lassen.

„Die Lakedämonier schlagen euch vor, den Krieg gütlich beiznlegen, und bieten euch Frieden, Bündnis und Herstellung freundschaftlicher Beziehungen an, verlangen dafür aber ihrer­ seits die Herausgabe der Leute von der Insel in der Meinung, daß es für beide Teile besser sei, es nicht darauf ankommen zu lassen, ob sie sich vielleicht noch glücklich durchschlagen oder nach Eroberung der Insel vollends in eure Hände fallen würden. Nach unserer Überzeugung lassen sich große Feind­ schaften auf die Dauer nicht dadurch beilegen, daß man den Gegner nach einem siegreichen Kriege zur Annahme eines un­ billigen Friedens zwingt, sondern weit eher dadurch, daß man ihn womöglich noch durch Edelmut besiegt und ihm günstigere Bedingungen gewährt, als er selbst mal erwartet. Denn dann hat er keine ihm angetane Schmach zu rächen, sondern die Pflicht, sich auch seinerseits edelmütig zu zeigen, und schon anstandshalber wird er sich alsdann um so eher bei dem Frieden beruhigen. Und dazu sind die Menschen um so eher geneigt, wenn es sich bei einem Kriege um große Gegensätze und nicht um bloße Kleinigkeiten gehandelt hat. Kommt man ihnen bereitwillig entgegen, so sind sie natürlich auch ihrerseits zum Nachgeben bereit, mit dem Hochmut aber reizt es sie, selbst gegen bessere Einsicht den Kampf zu wagen.

„Wenn jemals, so ist es jetzt für uns beide an der Zeit,

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uns zu vertragen, bevor noch irgendein unwiederbringliches Er­ eignis dazwischenkommt, das uns notwendig für immer nicht nur zu Feinden eurer Stadt, sondern auch zu euren persön­ lichen Feinden machen, euch aber der Vorteile berauben würde, die wir euch jetzt anbieten. Ehe es dazu kommt, laßt uns unseren Streit begraben, solange es euch zum Ruhm gereicht und euch unsere Freundschaft einträgt, wir aber ohne allzu schwere Opfer einen Schimpf damit abwenden können, um von nun an nicht nur selbst miteinander in Frieden zu leben, sondern auch den Leiden der übrigen Griechen ein Ende zu machen. Die aber würden das grade jetzt als euer Verdienst ansehen: denn sie sind in den Krieg geraten, ohne recht zu wissen, wer von uns beiden ihn eigentlich angefangen hat, und wenn er jetzt, wo das wesentlich von euch abhängt, bei­ gelegt wird, so werden sie es euch Dank wissen. Ihr habt es also in der Hand, wenn ihr so beschließt, euch nicht durch Zwang, sondern durch Wohlwollen die dauernde Freundschaft der Lakedämonier zu sichern, die sie euch selbst antragen. Denkt auch an die Vorteile, die wir unzweifelhaft beide davon haben würden; denn wenn wir beiden einig sind, hat ja das übrige Griechenland nichts weiter zu bedeuten und muß nach unserer Pfeife tanzen."