History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

„Wir würden nicht ums Wort gebeten haben, wenn auch sie die Frage kurz beantwortet hätten, statt sich in Anklagen gegen uns zu ergehen und über Dinge, die nicht hierher ge­ hören und ihnen gar nicht vorgeworfen sind, so viel Worte zur Entschuldigung zu machen und sich mit Verdiensten zu brüsten, die ihnen niemand abgesprochen hat. So aber sind wir genötigt, ihnen nicht nur darin zu widersprechen, sondern sie uns auch hierin mal näher anzusehen. Denn weder unsere Sünden noch ihre Heldentaten dürfen ihnen zugute kommen, sondern ihr sollt in beider Hinsicht die Wahrheit hören, bevor ihr entscheidet. Nachdem wir ganz Böotien in Besitz genommen und darauf auch Platää und noch einige andere Orte, aus denen wir allerlei Volk vertrieben, gegründet hatten, gerieten wir mit ihnen zuerst aneinander, als sie sich der uns ursprünglich zugestandenen Hegemonie entziehen und auS dem Böotischen Bunde ausscheiden wollten, dann aber, als Gewalt gegen sie angewandt werden sollte, zu den Athenern [*]( I )

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übergingen. Mit denen haben sie uns oft genug Schaden ge-­ tan, dafür dann freilich auch gelegentlich selbst wieder büßen müssen.

„Nun sagen sie, nach dem Einfall der Perser in Griechen­ land seien sie die einzigen Böotier gewesen, die es nicht mit ihnen gehalten, tun sich, darauf gewaltig viel zugute und wollen uns damit schlecht machen. Gewiß, mit den Persern haben sie es nicht gehalten, aber doch nur eben deshalb nicht, weil es die Athener nicht taten, und so sind sie denn auch, als diese nachmals ebenso mit den Griechen umsprangen, die einzigen Böotier gewesen, die es mit den Athenern hielten. Nun müßt ihr aber doch die Zustände berücksichtigen, unter denen wir beide damals handelten. Bei uns bestand zu der Zeit weder eine Oligarchie mit Rechtsgleichheit sIsonomie) noch eine Demo­ kratie, überhaupt nichts weniger als eine ordentliche Ver­ fassung, sondern eine Art von Tyrannis, ein Willkürregiment weniger Männer, und diese haben damals, weil sie von einem Siege der Perser die Befestigung ihrer Machtstellung hofften, die Bevölkerung gewaltsam niedergehalten und die Perser ins Land gerufen. Es geschah das also zu einer Zeit, wo die Stadt nicht ihr eigener Herr war, und was hier in jener gesetzlosen Zeit gesündigt worden ist, kann ihr nicht zur Last gelegt werden. Man muß vielmehr die spätere Zeit, wo die Perser abgezogen und wieder gesetzliche Zustände eingetreten waren, in Betracht ziehen, als die Athener über Griechenland herfielen und auch unser Land zu unterwerfen versuchten und es infolge der bei uns herrschenden Parteikämpfe wirklich großen­ teils schon unterworfen hatten. Damals haben wir sie bei Koroneia besiegt und Böotien befreit, wie wir auch jetzt wieder unser Bestes tun, um die übrigen befreien zu helfen, und dazu Roß und Reisige stellen wie sonst keiner der Bundesgenossen. So viel zur Rechtfertigung gegen den Vorwurf, daß wir es mit den Persern gehalten.

„Nunmehr wollen wir zu beweisen suchen, daß ihr Platäer euch an den Griechen weit schlimmer vergangen und jede Strafe reichlicher verdient habt als wir. Um Schutz vor uns

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zu haben, sagt ihr, habt ihr das Bündnis mit den Athenern geschlossen und euch athenisches Bürgerrecht erteilen lassen. Da hättet ihr sie ja nur gegen uns zu Hilfe nehmen sollen und nicht mit ihnen über andere herzufallen brauchen, wie ihr das sehr wohl gekonnt hättet, auch wenn euch die Athener dazu hätten zwingen wollen, da ja schon vom Perserkriege her das Bündnis mit den Lakedämoniern hier bestand, das ihr beständig im Munde führt. Denn dieses gewährte euch nicht nur Schutz gegen uns, sondern auch grade darin volle Freiheit der Ent­ schließung. Nein, freiwillig, nicht weil ihr mußtet, seid ihr mit den Athenern gegangen. Nun sagt ihr, es wäre nicht schön gewesen, euren Wohltätern untreu zu werden. Noch weniger schön und weit unrechter war es, allen euren griechi­ schen Eidgenossen die Treue zu brechen, als bloß den Athenern, die Griechenland knechten, während jene es befreien wollen. Auch reimt sich eure Dankbarkeit mit der euch erwiesenen Wohltat nicht und macht euch keine Ehre. Denn ihr habt sie, wie ihr sagt, zu Hilfe gerufen, weil man euch unrecht tat, ihnen aber geholfen, anderen unrecht zu tun. Gewiß, es ge­ hört sich, Wohltaten, die uns redlich erwiesen werden, in gleicher Weise dankbar zu erwidern, aber doch nur, soweit man das kann, ohne fremdes Unrecht zu befördern.

„Und damit habt ihr bewiesen, daß ihr es auch damals nicht den Griechen zuliebe allein nicht mit den Persern gehalten habt, sondern nur, weil die Athener es auch nicht taten. Ihr wolltet es eben nur so machen wie sie und nicht wie die übrigen. Und nun verlangt ihr, für das, was ihr anderen zuliebe getan habt, von uns hier belohnt zu werden. Aber das gilt nicht. Seid ihr zu den Athenern übergegangen, so seht jetzt zu, wie ihr mit ihnen durchkommt, und beruft euch nicht immer auf das alte Bündnis, als müsse euch das jetzt zugute kommen. Denn dem seid ihr längst untreu geworden und habt euch darüber hinweggesetzt, indem ihr die Hgineten und andere alte Bundesgenossen unterjochen halft, statt ihnen beizustehen, und das aus freien Stücken bei Verfassungszuständen, wie sie noch jetzt bei euch bestehen, und nicht etwa aus Zwang, wie

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es bei uns der Fall war. Auch den letzten Vorschlag vor Be­ ginn der Belagerung, wenigstens neutral zu bleiben, habt ihr nicht angenommen. Wen also könnten die Griechen wohl mit besserem Rechte hassen als euch, die ihr eure Tapferkeit immer nur zu ihrem Verderben zur Schau getragen habt? Und wenn ihr euch, wie ihr sagt, früher gut gemacht habt, so hat sich jetzt herausgestellt, daß das eitel Spiegelfechterei war, und es ist an den Tag gekommen, wohin euch der Sinn in Wahrheit immer gestanden hat; denn ihr seid mit den Athenern auf bösen Wegen gewandelt. So viel über unser erzwungenes Bündnis mit den Persern und euer freiwilliges Beknien der Athener.

„Was aber den letzten Vorwurf betrifft, wir hätten eure Stadt mitten im Frieden und noch dazu im Feste widerrecht­ lich überfallen, so glauben wir auch in dieser Hinsicht nicht schuldiger zu sein als ihr. Haben wir von selbst uns eurer Stadt mit Waffengewalt bemächtigt und euer Land als Feinde verheert, ja, dann sind wir im Unrecht. Haben uns aber eure reichsten und vornehmsten Bürger selbst gerufen, um euch von dem auswärtigen Bündnisse zu befreien und den Wieder- anschluß an den alten Böotischen Bund herbeizuführen, was ist da unser Unrecht? Der Anstifter ist schuldiger als der Täter. Nach unserer Ansicht aber trifft sie so wenig eine Schuld wie uns. Sie waren Bürger so gut wie ihr und hatten mehr zu verlieren als andere, als sie uns ihre Stadt öffneten. Als Freunde, nicht als Feinde haben sie uns eingelassen, damit die Schlechten unter euch nicht noch schlechter würden und die Guten zu ihrem Recht kämen. Sie wollten euch nur für die gute Sache gewinnen, die Stadt um keinen Bürger ärmer machen, sondern sie der alten Stammesgemeinschaft wieder einfügen, euch mit niemand verfeinden, sondern mit allen in Frieden leben lassen.

„Daß wir nicht als Feinde kamen, ergibt sich schon daraus, daß wir niemand was zuleide taten, sondern alle guten Böotier, die für den alten Bund wären, öffentlich auffordern ließen, sich uns anzuschließen. Auch kamt ihr uns ja anfangs ganz

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freundlich entgegen, gingt einen Vergleich mit uns ein utld hieltet euch ruhig. Erst nahcher, als ihr merktet, wie wenige wir waren, euch wohl auch daran stießet, daß wir nicht mit Wissen und Willen der Bürgerschaft gekommen waren, habt ihr dann nicht Wort gehalten und uns trotz der Zusage, keine Gewalt zu brauchen, statt uns in Güte zum Abzüge zu be­ wegen, dem Vergleich zuwider angegriffen. Daß ihr dabei eine Anzahl mit den Waffen in der Hand getötet habt, können wir allenfalls verschmerzen; denn das geschah gewissermaßen nach Kriegsrecht; daß ihr aber auch die Gefangenen, die sich in euren Schutz begeben hatten, trotz des Versprechens, niemand weiter zu töten, widerrechtlich ums Leben gebracht habt, das war heillos. Damit habt ihr euch im Umsehen dreimal schwer vergangen, den Vergleich gebrochen, die Gefangenen nachher getötet und uns mit dem Versprechen belogen, ihr würdet sie nicht töten, wenn wir euch draußen in Ruhe ließen. Trotzdem behauptet ihr, wir wären die Schuldigen, und verlangt selbst straflos auszugehen. Nichts da, wenn anders dies gerechte Richter sind. Für alles das werdet ihr eurer Strafe nicht entgehen.

„Auf diese Dinge, Lakedämonier, sind wir sowohl euret­ wegen als unseretwegen so weit eingegangen, um euch zu über­ zeugen, daß ihr sie mit Recht verurteilen könnt, und um uns vollends von der Pflichtmäßigkeit unserer Rache zu durch- dringen. Laßt euch nicht rühren durch alte Tugenden, die sie im Munde führen und immerhin gehabt haben mögen. Darauf mag der unschuldig Leidende sich berufen, den Nichtswürdigen machen sie nur doppelt strafbar; denn er frevelt dann gegen sein besseres Selbst. Auch ihr Ach und Weh darf ihnen nichts nützen, nicht ihr Jammer über die Gräber eurer Väter und ihre Verlassenheit. Können doch auch wir demgegenüber auf das noch traurigere Los unserer Jugend hinweisen, die unter ihren Streichen bluten mußte. Das waren die Söhne der Väter, die, um euch Böotien zu gewinnen, bei Koroneia fielen oder jetzt alt und verlassen im leeren Hause euch mit größerem Recht um Rache bei den Platäern anstehen. Unverschuldetes

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Mißgeschick ist bedauernswert, trifft es aber den Übeltäter, der es nicht besser verdient, wie sie hier, so kann man sich nur darüber freuen. Auch ihre jetzige Verlassenheit haben sie nur sich selbst zuzuschreiben, denn ihre besten Bundesgenossen haben sie verschmäht. Gegen uns, die wir ihnen nichts zuleide getan hatten, haben sie sich schändlich vergangen, sich über das Recht hinweggesetzt und nur von ihrem Haß leiten lassen, dem ihre Strafe jetzt nicht mal entsprechen wird; denn ihnen wird nur ihr Recht werden, da sie nicht, wie sie sagen, als Schutz­ flehende die Waffen gestreckt, sondern sich bei Übergabe der Stadt freiwillig eurem Richterspruch unterworfen haben. Nun also, Lakedämonier, bringt das Recht der Hellenen, das sie mit Füßen getreten haben, wieder zu Ehren und verschafft uns für das uns angetane Unrecht die Genugtuung, welche wir durch unseren Eifer um die gute Sache verdient haben. Laßt euch durch ihr Gerede nicht an uns irremachen und gebt den Griechen ein Beispiel, daß es bei euch nicht auf Worte, sondern auf Taten ankommt. Sind die danach, so bedarf eS nicht vieler Worte; hapert es aber da, so muß man sich hinter Phrasen verstecken und zu Redekünsten seine Zuflucht nehmen. Wenn ihr aber als Vormacht des Bundes immer so kurz und bündig verfahrt wie diesmal, so wird sich so leicht niemand wieder gemüßigt sehen, sein Unrecht durch lange Reden zu beschönigen."

So die Thebaner. Die Lakedämonier aber glaubten als Richter die Frage, was sie im Laufe des Krieges für sie ge­ tan, sachgemäß gestellt zu haben. Denn da sie schon vorher ihre Aufforderung, sich im Sinne des alten, nach dem Perser­ kriege mit Pausanias geschlossenen Bündnisses stillzuhalten, und dann auch den ihnen vor Beginn der Belagerung ge­ machten Vorschlag, neutral zu bleiben, zurückgewiesen hatten, so waren sie ihrer Ansicht nach durch die Ablehnung dieses be­ rechtigten Verlangens bereits bundbrüchig und ihre Feinde ge­ worden. Sie ließen sie also nochmals einzeln vortreten und ihnen die Frage vorlegen, ob sie im Laufe des Krieges etwas für die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen getan hätten,

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und wenn sie die verneinten, abführen und hinrichten, und zwar alle bis auf den letzten Mann. Im ganzen töteten sie mehr als zweihundert Platäer und die fünfundzwanzig Athener, welche die Belagerung mitausgehalten hatten, die Weiber aber verkauften sie in die Sklaverei. Die Stadt überließen die Thebaner ein Jahr lang den bei einem Aufruhr aus ihrer Heimat vertriebenen Megarern und ihren noch übriggebliebenen alten Anhängern aus Platää. Später aber zerstörten sie die Stadt von Grund aus und bauten neben dem Heratempel eine i Herberge von zweihundert Fuß Länge, oben und unten ringsum ^ mit Zimmern darin, zu der sie Dachsparren und Türflügel aus Platää verwandten. Aus dem, was es sonst an Hausgerät, Erz und Eisen in der Stadt gab, machten sie Ruhebetten und weihten sie der Hera, der sie einen steinernen Tempel von hundert Fuß Länge erbauten. Das Land machten sie zu Staats- eigentum und verpachteten es auf zehn Jahre für Rechnung der Thebaner. Wie denn die Lakedämonier überhaupt, wohl, um den Thebanern zu gefallen, so hart gegen die Platäer ge­ wesen waren, weil sie auf deren Freundschaft damals, wo der Krieg im vollen Gange war, großen Wert legten. So endete Platää, im dreiundneunzigsten Jahre, nachdem es dem Athe­ nischen Bunde beigetreten war.

Die den Lesbiern zu Hilfe gesandten vierzig peloponne­ sischen Schiffe, welche auf der Flucht in offener See von den Athenern verfolgt und durch einen Sturm nach Kreta ver­ schlagen waren, gelangten von dort einzeln wieder nach dem Peloponnes, wo sie in Kyllene dreizehn leukadische und am­ prakische Trieren trafen, und wo auch Brasidas, Tellis' Sohn, als Beirat deS Alkidas sich eingefunden hatte. Die Lake­ dämonier beabsichtigten nämlich nach dem verfehlten Unter­ nehmen auf Lesbos, ihre Flotte zu vermehren und damit nach Kerkyra, wo damals zwei Parteien im Kampfe lagen, zu fahren, bevor die Athener, die augenblicklich bei Naupaktos nur zwölf Schiffe hatten, weitere Verstärkungen aus Athen dorthin schicken würden. Und damit waren Brasidas und Alkidas eben jetzt beschäftigt.

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In Kerkyra waren nämlich nach der Rückkehr ihrer in den Seeschlachten wegen Epidamnos in Gefangenschaft ge­ ratenen Landsleute Parteikämpfe ausgebrochen. Die Ge­ fangenen waren von den Korinthern freigelassen, angeblich gegen eine von ihrem dortigen Staatsgatsfreunde übernommene Bürgschaft von achthundert Talenten, in der Tat aber, weil sie sich anheischig gemacht hatten, Kerkyra auf ihre Seite zu ziehen. Die gingen auch bei den Bürgern von Haus zu Haus und suchten die Stadt von den Athenern abwendig zu machen. Inzwischen war sowohl ein athenisches wie ein korinthisches Schiff mit Gesandten an Bord in Kerkyra eingetroffen, und nachdem diese zu Wort gekommen, hatten die Kerkyräer be­ schlossen, an dem Bündnis mit den Athenern zwar festzuhalten, sich aber doch auch wie früher wieder freundlich zu den Pelo­ ponnesiern zu stellen. An der Spitze der demokratischen Partei stand damals ein gewisser Peithias, der zugleich sozusagen freiwilliger Staatsgastfreund der Athener war. Den klagten jene Herren an, er wolle Kerkyra unter athenische Herrschaft bringen. Er wurde jedoch freigesprochen, verklagte nun aber seinerseits die fünf Reichsten unter ihnen, weil sie im heiligen Haine des Zeus und des Alkinoos Weinpfähle gehauen hätten. Darauf aber stand ein Stater Strafe für jeden Pfahl. Sie wurden auch verurteilt, flüchteten sich aber in die Tempel und baten, ihnen bei der Höhe der Strafe wenigstens zu gestatten, sie in selbstgewählten Fristen abzuzahlet. Peithias aber, der damals grade selbst dem Rate angehörte, setzte durch, daß es bei der gesetzlichen Strafe sein Bewenden behielt. Nachdem ihr Gesuch als unzulässig abgeschlagen war und sie überdies erfuhren, daß Peithias beabsichtige, noch vor Ablauf seiner Amtszeit ein Schutz- und Trutzbündnis mit Athen beim Volke durchzusetzen, drangen sie und ihre Anhänger mit Dolchen be­ waffnet plötzlich in den Rat und ermordeten Peithias und gegen sechzig andere Ratsherren und Bürger mit ihm. Nur wenigen seiner Anhänger gelang es, auf das noch im Hafen liegende athenische Kriegsschiff zu entkommen.

Nach vollbrachter Tat riefen sie die Kerkyräer zusammen

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und sagten ihnen, es sei nur zu ihrem Besten geschehen und notwendig gewesen, um nicht unter die Knechtschaft der Athener zu geraten. Von nun an solle man beiden Teilen die Häfen verschließen; kämen sie nur mit einem Schiffe, so könne man sich das gefallen lassen, wenn aber mit mehreren, so seien sie als Feinde zu behandeln. Auch nötigten sie sie gleich, ihren Vorschlag anzunehmen. Nach Athen aber schickten sie sofort Gesandte, um den Vorfall in ihrem Sinne darzustellen, auch ihre dahin geflüchteten Mitbürger zu stempeln, nichts aus der Sache zu machen, damit ihnen die Athener nicht anf die Kappe kämen.

In Athen aber ließ man sowohl die Gesandten wie die Flüchtlinge, die sich mit ihnen eingelassen, als Aufrührer ver­ haften und nach Ägina bringen. Inzwischen schritt die zur Herrschaft gelangte Partei in Kerkyra, nachdem dort ein korinthisches Kriegsschiff mit einer lakedämonischen Gesandt­ schaft angekommen war, zu einem offenen Angriff auf das Volk und trieb es mit Waffengewalt auseinander. Mit Ein­ bruch der Nackt aber zog sich das Volk in die Burg und die oberen Stadtteile zurück, setzte sich hier in Masse fest und bemächtigte sich auch des hylläifchen Hafens. Die Gegner aber behaupteten den Markt, wo die meisten von ihnen ihre Häuser hatten, und den daran stoßenden Hafen dem Festlande gegenüber.

Am folgenden Tage kam es zu ein paar kleinen Schar­ mützeln, und beide Teile schickten ans dem Lande umher und suchten die Sklaven, denen sie die Freiheit versprachen, auf ihre Seite zu ziehen. Die Sklaven schlossen sich fast alle dem Volke an, die Gegenpartei erhielt jedoch vom Festlande einen Zuzug von achthundert Mann.

Erst am zweiten Tage begann der Kampf von neuem, und diesmal siegte das Volk, dem die Hrtlichkeit und seine Überzahl zustatten kam. Auch die Weiber beteiligten sich eifrig daran, warfen Ziegel von den Häusern und hielten im Toben des Kampfes heldenmütig aus. Besiegt, wie sie waren, fürchteten die Gegner bei Einbruch der Nacht, das Volk könne sich im

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ersten Ansturm der Schiffswerft bemächtigen und sie alle nieder­ machen. Um ihm den Weg zu versperren, steckten sie deshalb rings um den Markt herum die Bürgerhäuser und Miet­ wohnungen in Brand, wobei sie weder ihre eigenen noch fremde Häuser vershconten, so daß viel Kaufmannsgut mit draufging und wahrscheinlich die ganze Stadt ein Raub der Flammen geworden wäre, wenn der Wind das Feuer auf sie zugetrieben hätte. Nach Beendigung des Kampfes hielten sich beide Teile ruhig und blieben über Nacht auf ihrer Hut. Das korinthische Schiff machte sich nach dem Siege des Volkes in aller Stille auf und davon, und auch jene Freishcaren zogen größtenteils unbemerkt wieder nach dem Festlande ab.

Tags darauf kam Nikostratos, Diitrephos' Sohn, der athe- nische Feldherr, aus Naupaktos mit zwölf Schiffen und fünf­ hundert messenischen Hopliten in Kerkyra an. In dem Wunsche, die Sache friedlich beizulegen, empfahl er den Kerkyräern, sich zu vertragen, die zehn bereits flüchtigen Hauptschuldigen zu verurteilen, im übrigen aber den Streit zu begraben, um wieder miteinander im Frieden zu leben und ein Schutz- und Trutz­ bündnis mit den Athenern zu schließen. Als er das glücklich fertiggebracht hatte und wieder abfahren wollte, baten ihn die Häupter der Volkspartei, ihnen fünf seiner Schiffe zu lassen, um die Gegner besser in Schach halten zu können, wogegen sie ihm eine gleiche Zahl ihrer eigenen Schiffe bemannen und mitgeben wollten. Er erklärte sich damit auch einverstanden, sie aber nahmen die Mannschaft für die Schiffe nur auS der Gegenpartei. Die Leute fürchteten jedoch, sie sollten nach Athen gebracht werden, und flüchteten in den Tempel der Dioskuren. Nikostratos aber hieß sie von dort aufstehen und suchte sie zu beruhigen. Als ihm das nicht gelang, griff das Volk zu den Waffen, weil es hinter der mißtrauischen Weige­ rung, mitzufahren, böse Absichten witterte, drang in die Häuser der Gegner und würde wahrscheinlich auch einige von ihnen, die ihm in den Wurf kamen, umgebracht haben, wenn Niko­ stratos es nicht verhindert hätte. Als die übrigen das sahen, flüchteten sie sich in den Tempel der Hera, ihrer über vier­

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hundert an der Zahl. Das Volk aber, das neues Blutvergießen fürchtete, bewog sie durch gute Worte, herauszukommen, und brachte sie auf der Insel vor dem Heratempel unter, wo ihnen Lebensmittel verabreicht wurden.

In diesem Stadium des Parteikampfes, am vierten oder fünften Tage, nachdem die Leute auf die Insel gebracht worden waren, traf die peloponnesische Flotte, dreiundfuufzig Segel stark, von Kyllene ein, wo sie seit ihrer Rückkehr aus Jouien vor Anker gelegen hatte. Den Oberbefehl führte nach wie vor Alkidas, als dessen Beirat Brasidas mitfuhr. Sie ging zunächst im Hafen Sybota am Festlande vor Anker und setzte bei Tagesanbruch die Fahrt nach Kerkyra fort.

Hier aber, wo man sich jetzt nicht nur von der Gegen­ partei, sondern auch von einer feindlichen Flotte bedroht sah, geriet man in die größte Bestürzung, brachte auch gleich sechzig Schiffe zu Wasser und schickte sie, sobald die Mannschaft an Bord war, eins nach dem anderen einzeln gegen den Feind, obgleich die Athener dazu rieten, zunächst sie allein vorgehen zu lassen und selbst erst hinterher mit allen Schiffen zusammen nachzukommen. Wie nun die Schiffe so einzeln an den Feind kamen, gingen gleich zwei von ihnen über, auf anderen geriet die Mannschaft unter sich in Streit, und von Ordnung war dabei keine Rede. Als die Peloponnesier die Unordnung ge­ wahr wurden, wandten sie sich mit zwanzig Schiffen gegen die Kerkyräer, mit den übrigen gegen die zwölf athenischen Schiffe, von denen zwei die „Salaminia" und die „Paralos" waren.

Den Kerkyräern selbst mit ihren verfehlten und zer- splitterten Angriffen ging es übel genug. Die Athener aber, welche sich aus Furcht vor einer Umfassung durch die Überzahl der Schiffe nicht getrauten, den Angriff auf die ganze Flotte oder die Mitte der feindlichen Stellung zu richten, warfen sich auf einen Flügel und bohrten den Feinden ein Schiff in den Grund. Als diese hierauf einen Kreis bildeten, ruderten sie um sie herum und suchten sie in Verwirrung zu bringen. Als die peloponnesischen Schiffe den Kerkyräern gegenüber das be­ merkten und fürchteten, eS könne ein zweites Naupaktos geben,

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kamen sie den anderen zu Hilfe, und nun ging die ganze ver­ einigte Flotte gegen die Athener vor. Darauf ruderten die Athener rückwärts, und zwar ganz langsam, um die Feinde festzuhalten und den Kerkyräern auf der Flucht einen möglichst großen Vorsprung zu vershcaffen. Damit endete die Schlacht gegen Sonnenuntergang.

Die Kerkyräer aber hatten aus Furcht, die Feinde könnten nach ihrem Siege mit der Flotte vor die Stadt kommen, die Leute auf der Insel aufnehmen oder sonstwie Partei für sie ergreifen, diese von der Insel wieder in den Heratempel bringen und die Stadt gut bewachen lassen. Indessen fanden die Feinde trotz der siegreichen Schlacht nicht den Mut, an die Stadt zu kommen, sondern zogen mit dreizehn erbeuteten kerkyräischen Schiffen Heder nach dem Festlande ab, von wo sie gekommen waren. Ebensowenig unternahmen sie am folgenden Tage etwas gegen die Stadt, obgleich dort Furcht und Schrecken herrschte und Brasidas, wie es heißt, dazu ge­ raten hatte; aber nicht er, sondern Alkidas hatte das ent­ scheidende Wort. Doch kam es zu einer Landung beim Vor­ gebirge Leukimme, wo sie das Land verheerten.

Unterdessen versuchte das Volk in Kerkyra aus Furcht vor einem Überfall der Flotte sich mit den Flüchtlingen im Tempel und der Gegenpartei über Maßregeln zum Schutz der Stadt zu verständigen, und einige davon ließen sich auch bereitfindet, mit zu Schiff zu gehen. Bei alledem bemannte man nämlich noch dreißig Schiffe. Die Peloponnesier aber, welche bis Mittag das Land verheert hatten und darauf wieder abgefahren waren, erhielten bei Einbruch der Nacht durch Feuerzeichen die Meldung, daß sechzig athenische Schiffe von Leukas her im Ansegeln seien. Das waren die Schiffe, welche die Athener auf die Nachricht von dem Aufruhr in Kerkyra und Alkidas' Absicht, mit der Flotte dahin abzugehen, unter Eurymedon, Thukles' Sohn, ausgeschickt hatten.