History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

„Gewiß, wenn man sonst gut zufrieden ist und die Wahl hat, wäre es töricht, Krieg anzufangen. Wenn man aber keine andere Wahl hat, als entweder klein beizugeben und sich fremder Herrschaft zu unterwerfen oder aber der Gefahr die Stirn zu bieten, um sich zu behaupten, so ist es schimpflich, sich aus Furcht vor der Gefahr vor ihr zu drücken. Ich bin noch der­ selbe und stehe auf meinem alten Standpunkt, ihr aber seid umgefallen. Damals im Glück folgtet ihr meinem Rat, jetzt aber im Unglück kriegt ihr es mit der Reue und meint in

134
eurer Kurzsichtigkeit, ich hätte euch falsch beraten. Die augen­ blicklichen Nachteile empfindet ihr schon, die späteren Vorteile aber erkennt ihr noch nicht und denkt nicht hoch genug, um auch nach dem großen Glückswechsel, der euch so plötzlich be­ troffen, an euren Beschlüssen festzuhalten. Freilich, so völlig unerwarteten und unbegreiflichen Schicksalsschlägen erliegt der Mensch, und so ist es euch vor allem bei der Pest ergangen. Und doch solltet ihr als Bürger dieser stolzen Stadt, in deren Anshcauungen ihr aufgewahcsen seid, auch im größten Unglück den Mut nicht verlieren und euern Ehrenschild rein halten; denn mit gleichem Recht verachtet man den Feigling, welcher der ihm gebührenden Ehre was vergibt, wie man den Un­ verschämten verabscheut, der sich eine Ehre anmaßt, die ihm nicht zukommt. Darum verschmerzt auch ihr euer häusliches Leid und laßt das Vaterland nicht zugrunde gehen!

„Und eure Furcht, es könnte uns mit den Lasten des Krieges zu viel werden, und wir würden ihn schließlich nicht durchhalten, - so sollte euch eigentlich genügen, was ich euch schon wiederholt über die Grundlosigkeit solcher Befürchtungen gesagt habe. Ich will jedoch noch einen Punkt hervorheben, den ihr anshceinend niemals in Betracht gezogen habt, und den auch ich früher noch nicht erwähnt habe, ich meine die Größe eurer wirklichen Macht. Und wenn ich euch nicht so entsetzlich niedergeschlagen sähe, würde ich das auch heute nicht tun, da es immer etwas nach Prahlerei aussieht. Ihr glaubt, daß ihr nur über eure Bundesgenossen herrscht; ich aber sage, daß ihr von den beiden Hälften der Erdoberfläche, die dem Menschen für seine Zwecke zu Gebote tsehen, von Land und See nämlich, die eine ganz und gar beherrscht, nicht nur so weit ihr sie schon jetzt mit euren Flotten befahrt, sondern auch darüber hinaus, so weit ihr nur wollt. Es gibt zurzeit niemand, der euch die Herrschaft zur See streitig machen könnte, weder einen König noch irgendein Volk. Was wollen denn dieser eurer Macht gegenüber die paar Häuser und Felder besagen, deren Verlust ihr so schmerzlich empfindet? Darum dürfen wir ihn nicht zu schwer nehmen und im Vergleich mit ihr diese Dinge nicht

135
viel anders ansehen als etwa ein Gärtchen oder einen Luxus­ gegenstand, und bedenken, daß wir uns das, wenn wir glück­ lich durchkommen und uns behaupten, alles leicht wieder an­ schaffen können, während uns die Fremdherrschaft auch die Freude an dem früheren Besitz vergällen würde. Unseren Vätern wurde auch nicht alles ohne weiteres zuteil, sondern sie haben es im Schweiße ihres Angesichts selbst erworben und es dann auch weiterhin zusammengehalten und uns hinter­ lassen, und in beider Hinsicht gilt es zu zeigen, daß wir nicht schlechter sind als sie. Die Macht, die man hat, nicht be­ haupten zu können, ist schimpflicher als ein mißglückte? Versuch, sie zu erwerben. Den Feinden aber müssen wir nicht nur mit Selbstvertrauen, sondern auch mit Verachtung begegnen. Prahlen kann schließlich jeder Lump, der bei aller Dummheit mal Glück gehabt und den Hals nicht gebrochen hat; den Feind verachtet aber nur, wer sich seiner moralishcen Überlegenheit über ihn bewußt ist, und das ist unser Fall. Das Bewußtsein solcher Überlegenheit macht auch bei gleichem Glück den Mut unerschütterlicher; da gibt man sich keinen trügerischen Hofs­ nungen hin, sondern rechnet mit den vorhandenen Mitteln, auf die man sich verlassen kann.

„Für die Ehre, welche unsere Stadt ihrer Machtstellung verdankt, auf die ihr euch so viel zugute tut, müßt ihr natür­ lich alle Kraft einsetzen und keine Beshcwerden scheuen, solange ihr überhaupt noch Wert auf Ehre legt. Glaubt nicht, daß es sich in diesem Kampfe einzig und allein um Knechtschaft oder Freiheit handelt; es handelt sich auch um den Verlust eurer Herrschaft und um die gefährlichen Folgen deS Hasses, den ihr euch durch eure Herrschaft zugezogen habt. Und diese aufzugeben, seid ihr gar nicht mehr in der Lage, sollte auch dieser oder jener dunkle Ehrenmann unter den jetzigen Um­ ständen um des lieben Friedens willen dazu raten. Denn sie ist längst Gewaltherrschaft geworden, die an sich zu reißen unrecht sein mag, aber wieder aufzugeben gefährlich ist. Solche Schwachköpfe mit ihrem guten Rat würden ein Gemeinwesen bald genug zugrunde richten, wenn sie in die Lage kämen, es

136
auf ihre Weise zu regieren. Denn mit Friedensliebe um jeden Preis, der keine Tatkraft zur Seite steht, kommt man nicht durch; jedenfalls schickt sie sich nicht für eine Großmacht, sondern höchstens für einen Vasallenstaat, wo man nichts weiter ver­ langt als ein knechtisches Stilleben.

„Laßt euch also durch solche Spießbürger nicht irremachen und seid mir, mit dem ihr ja selbst für den Krieg gestimmt habt, nicht böse, wenn die Feinde uns jetzt ins Land gekommen sind und es nur gemacht haben, wie eben nicht anders zu er­ warten war, wenn wir nicht zu Kreuze kriechen wollten. Dazu ist dann unerwartet noch die Pest gekommen, allerdings ein schweres Leiden, aber auch das einzige, worauf wir nicht ge­ faßt sein mußten. Ich weiß auch, daß ich ihretwegen noch besonders gehaßt werde, aber sehr mit Unrecht; ihr müßtet es denn auch mir zuschreiben, wenn euch mal ein unerwartetes Glück in den Schoß fiele. Was die Götter schicken, muß man mit Ergebung, was der Krieg bringt, mannhaft ertragen. So hat man die Sache hier in Athen immer angesehen, und so laßt es auch ferner bleiben. Unsere Stadt hat ja eben deshalb in der Welt den großen Namen, weil sie sich dem Unglück nie gebeugt und im Kriege weder Opfer an Menshcenleben noch Beschwerden gescheut hat und dadurch eine Macht geworden ist, wie sie bis dahin denn doch nie dagewesen. Und so wird sie auch für immer im Gedächtnis der Nachwelt fortleben, sollte es auch wirklich jetzt mit uns zurückgehen; denn die Bäume wachsen nun einmal nicht in den Himmel. Haben wir doch als Griechen über die meisten Griechen geherrscht, sowohl der Gesamtheit wie den einzelnen in gewaltigen Kriegen wider­ tsanden und unsere Stadt groß und blühend gemacht wie keine andere. Schlafmützen freilich werden davon nichts hören wollen; wer sich aber fühlt und es selbst zu was bringen will, wird uns nacheifern, und wenn ihm das nicht gelingt, uns wenigstens beneiden. Und wenn man uns jetzt haßt und gern los sein möchte, so ist das noch allen so gegangen, die das Zeug in sich fühlten, über andere zu herrshcen. Wer aber um den Preis von Ruhm und Größe auch Haß und Neid in den Kauf

137
nimmt, macht kein schlechtes Geschäft; denn Haß währt nicht lange, der große Name aber, wenn man ihn mal hat, ist un­ sterblich. Nehmt also im voraus darauf Bedacht, was euch künftig Ehre und gegenwärtig keine Schande machen wird, und strebt danach, daß euch beides zuteil werde. Laßt euch mit den Lakedämoniern auf keine Verhandlungen ein, damit es nicht aussieht, als ob euch die jetzigen Beschwerden zu viel würden. Je weniger man im Unglück den Mut verliert, je steifer man den Nacken hält, um so besser wie für die einzelnen, so für die Staaten."

Durch solche Vorstellungen suchte Perikles den Unwillen der Athener zu beschwichtigen und sie über ihre Lage zu be­ ruhigen. Politisch handelten sie auch nach seinem Rat, indem sie nicht wieder nach Lakedämon schickten und den Krieg mit neuem Eifer betrieben; die einzelnen aber trugen immer noch schwer an ihren Leiden: der kleine Mann, weil ihm auch sein Weniges draufgegangen war; die Reichen, weil sie ihre schönen Besitzungen auf dem Lande, ihre Häuser und kostbaren Ein­ richtungen dort verloren hatten; hauptsächlich aber, weil Krieg und kein Friede war. So murrte man immer noch auf ihn und ruhte nicht, bis man ihn wirklich zu einer Geldstrafe ver­ urteilt hatte. Nicht lange nachher freilich - so ist die Menge - wählte man ihn dann doch wieder zum Feldherrn und stellte ihn an die Spitze der Geschäfte, teils weil die einzelnen sich über ihre Verluste nachgerade schon mehr beruhigt hatten, teils weil man ihn doch für den Mann hielt, mit dem der Stadt am besten gedient wäre. Denn in der Tat, solange er im Frieden an der Spitze der Stadt gestanden, hatte er sie mit Weisheit und Gerechtigkeit regiert und sicheren Blicks vor Schaden behütet, und sie war unter ihm zu höchster Blüte ge­ langt. Als es dann zum Kriege kam, zeigte sich, daß er auch in dieser Beziehung ihre Machtmittel richtig eingeschätzt hatte. Nach AuSbruch deS Krieges lebte er noch drittehalb Jahre, und nach seinem Tode überzeugte man sich vollends davon, wie richtig er den Krieg beurteilt. Er hatte den Athenern gesagt, wenn sie sich auf keine Schlacht im offenen Felde ein­

138
ließen, für die Tüchtigkeit ihrer Flotte sorgten und während des Kriegs auf weitere Unternehmungen zur Ausdehnung ihrer Herrschaft verzichteten, um die Stadt dadurch nicht in neue Ge­ fahren zu verwickeln, so würden sie Sieger bleiben. Sie aber taten grade das Gegenteil und ließen sich zu ihrem und ihrer Bundesgenossen Schaden durch Ehrgeiz und Habgier einzelner zu Unternehmungen verleiten, die mit dem Kriege offenbar nichts zu tun hatten, die, wenn sie gelangen, einzelnen allen­ falls Ehre und Vorteil bringen mochten, aber, da sie fehlschlugen, der Stadt im weitern Verlauf des Krieges zum Verderben wurden. Das kam daher, daß er ein Mann von größtem An­ sehen und höchster Einsicht und über allem Zweifel erhabener Unbestehclichkeit war, der es verstand, die Menge vornehm zu behandeln. Er ließ sich nicht von ihr, sondern sie sich von ihm leiten; denn da er seine Macht nicht durch unerlaubte Mittel gewonnen hatte, brauchte er ihr nicht nach dem Munde zu reden, sondern konnte den Leuten im Zorn bei aller Würde auch mal tüchtig ins Gepäck fallen. Wenn er merkte, daß sie zur Unzeit zu hoch hinaus wollten, wußte er sie durch seine Reden bis zur Zaghaftigkeit zu ducken, und wiederum, wenn sie ohne Not verzagten, ihnen wieder Mut zu machen. Dem Namen nach regierte das Volk, tatsächlich aber war er der erste Mann, der die Stadt regierte. Unter seinen Nachfolgern, von denen im Grunde keiner mehr bedeutete als der andere und doch jeder der erste sein wollte, wurde das anders; sie überließen es dem Volke, auch Politik auf eigene Hand zu treiben, wobei es in einer Stadt von solcher Größe und Machtstellung natürlich nicht ausbleiben konnte, daß Fehler über Fehler gemacht wurden, so namentlich mit dem Zuge nach Sizilien. Bei dem aber lag der Fehler nicht so sehr darin, daß man ihn über­ haupt unternahm, als darin, daß man hinterher für die Leute dort nicht gehörig sorgte und, durch ehrgeizige Intriganten, welche um die Volksgunst buhlten, verführt, das Heer in Sizi­ lien zugrunde gehen ließ, auch seitdem erst infolge innerer Zer­ würfnisse keine einheitliche Politik mehr verfolgte. Aber auch nach der Niederlage in Sizilien, bei der sie ihr Heer mit allem
139
Material und den größten Teil ihrer Flotte verloren hatten, und trotz der in der Stadt herrschenden Parteikämpfe behaup­ teten die Athener sich dann noch drei Jahre nicht nur gegen ihre ursprünglichen Feinde, sondern auch gegen die diesen aus Sizilien gewordenen Verstärkungen und ihre der Mehrzahl nach ' zu ihnen übergegangenen Bundesgenossen, ja auch selbst zuletzt nochmals Kur-us, der Sohn des Perserkönigs, sich den Pelo­ ponnesiern zugewandt hatte und sie mit Geld für ihre Flotte unterstützte. Und erst dann gaben sie klein bei, als sie infolge innerer Zerwürfnisse völlig von Kräften gekommen waren. So überreichlich waren die Mittel, welche Perikles damals zu Gebote standen und ihn zu der Annahme berechtigten, daß Athen aus einem Kriege allein mit den Peloponnesiern mit Leichtigkeit als Sieger hervorgehen würde.

Die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen unternahmen in diesem Sommer mit hundert Schiffen und tausend lake­ dämonischen Hopliten an Bord unter dem Spartaner Knemos einen Zug nach der von eingewanderten peloponnesischen Achäern bewohnten, damals mit Athen verbündeten Insel Zakynthos, Elis gegenüber. Dort landeten sie und verwüsteten sie größten­ teils; da sich die Einwohner jedoch zu nichts verstehen wollten, fuhren sie wieder nach Hause.

Gegen Ende dieses Sommers machten sich Aristeus, der Korinther, Aneristos, Nikolaos und Stratodemos als lake-s dämonische Gesandte, Timegoras aus Tegea und Pollis aus Argos, der sich ihnen auf eigene Hand angeschlossen hatte, auf die Reise nach Asien zum Könige, um zu versuchen, ob sie ihn nicht zur Zahlung von Subsidien und zur Teilnahme am Kriege ; bewegen könnten. Unterwegs sprachen sie zunächst in Thrakien bei Sitalkes vor, um ihn womöglich zu überreden, dem Bündnis mit Athen zu entsagen und Potidäa zu entsetzen, das die Athener noch belagerten. Von ihm hofften sie dann über den Helles­ pont zu Pharnazes, Pharnabazos' Sohn, befördert zu werden, der ihnen weiter das Geleit zum Könige geben sollte. Zufällig befanden sich damals auch athenische Gesandte bei Sitalkes, Learchos, Kallimachos' Sohn, und Amainiades, Philemons Sohn,

140
und die überredeten seinen Sohn Sadokos, der ja athenischer Bürger geworden war, sie ihnen auszuliefern und dadurch zu hindern, zum Schaden von Athen, das ja auch seine zweite Heimat sei, ihre Reise zum Könige fortzusetzen. Der ging auch darauf ein und ließ sie auf der Reise durch Thrakien nach dem Hafen, von wo sie sich einschiffen und über den Helles-, pont setzen wollten, bevor sie an Bord gelangten, durch Leute, die er Learchos und Amaiuiades zu dem Zweck mitgegeben, aufheben und an sie ausliefern, die sie dann nach Athen brachten. Die Athener aber fürchteten, wenn Aristeus, der alte Übeltäter, der ihnen schon bei Potidäa und im thrakischen Küstenlande so viel Unheil eingerührt, jetzt mit dem Leben davonkäme, so würde er ihnen noch weitere Ungelegenheiten bereiten, und ließen sie alle gleich nach ihrer Ankunft, ohne sie vor Gericht zu stellen oder mit ihren Einwendungen zu hören, noch an demselben Tage hinrichten und in die Schlucht werfen. Sie meinten damit nur ein Verfahren zu vergelten, womit die Lake­ dämonier angefangen, indem sie die Kaufleute aus Athen und den Bundesstaaten, die ihnen in den peloponnesischen Gewässern mit ihren Schiffen in die Hände gefallen waren, getötet und in die Schlucht geworfen hatten. Und in der Tat hatten die Lakedämonier im Anfang des Krieges alle, die ihnen auf der See in die Hände gefallen waren, als Feinde behandelt und getötet, mochten sie eS mit den Athenern oder mit keinem von beiden halten.

Um dieselbe Zeit, gegen Ende des Sommers, zogen die Amprakier in Gemeinschaft mit zahlreichen Barbaren, die sie dazu auf die Beine gebracht hatten, gegen Amphilochien, ins­ besondere das amphilochische Argos, zu Felde. Mit der Ent­ stehung ihrer Feindschaft gegen die Argeier hängt es so zu­ sammen: das amphilochische Argos wie Amphilochien überhaupt wurde von Amphilochos, dem Sohne des Amphiaraos, dem nach der Rückkehr auS dem Trojanischen Kriege die Zustände in Argos verleidet waren, am Amprakischen Meerbusen ge­ gründet und von ihm nach seiner alten Heimat benannt. Argos aber war die größte Stadt in Amphilochien und hatte die

141
reichsten Einwohner. Als es später nach Verlaufvieler Menschen- alter infolge von Unglücksfällen mit ihnen zurückgegangen war, luden sie die Amprakier aus der Nachbarschaft ein, zu ihnen in die Stadt zu ziehen, und erst von dieser Mischung mit den Amprakiern kommt es, daß dort jetzt Griechisch gesprochen wird; denn die übrigen Amphilochier sind keine Griechen. Nachmals vertrieben die Amprakier die Argeier und machten sich allein zu Herren der Stadt. Infolgedessen suchten die Amphilochier Schutz bei den Akarnaniern, und beide riefen nun die Athener zu Hilfe, die ihnen auch dreißig Schiffe unter Phormion schickten. Nach Phormions Ankunft nahmen sie Argos mit Sturm und verkauften die Amprakier als Sklaven, und seitdem wohnten Amphilochier und Akarnanier miteinander in der Stadt. Darauf erst kam es zu dem Bündnis zwischen den Athenern und den Akarnaniern. Jener Verkauf ihrer Lands­ leute in die Sklaverei aber war der erste Grund der Feind­ schaft der Amprakier gegen Argos, und später in diesem Kriege unternahmen sie dann in Gemeinschaft mit Chaoniern und einigen anderen barbarischen Nachbarstämmen diesen Feldzug. Sie rückten vor Argos und brachten das platte Land in ihre Gewalt, machten auch einen Angriff auf die Stadt, konnten sie aber nicht nehmen. So zogen sie wieder ab, und die ver­ schiedenen Stämme gingen in ihre Heimat zurück. Das waren die Ereignisse dieses Sommers.

Im folgenden Winter schickten die Athener zwanzig Schiffe unter Phormion in die peloponnesischen Gewässer, der sich nach Naupaktos begab, von wo er den Meerbusen von Korinth und Krisa beherrschte und kein Schiff hinein oder heraus ließ. Sechs andere Schiffe unter Melesandros schickten sie nach Karien und Linien, um in jener Gegend Geld einzutreiben und peloponnesische Freibeuter zu verhindern, von dort auf die Handelsschiffe auf der Fahrt von Phaselis und Phönizien und dem dortigen Festlande Jagd zu machen. Bei einem Einfall nach Lykien aber, den Melesandros mit der athenischen Schiffsmannschaft und den Bundesgenossen machte, wurde sein Heer in einem unglücklichen Gefechte gutenteils aufgerieben, und er selbst kam dabei ums Leben.

142

In diesem Winter konnten sich die Potidäer nicht länger halten, da die Athener trotz der Einfälle der Peloponnesier in Attika die Belagerung nichts aufgegeben hatten und die Lebens­ mittel ihnen ausgingen, so daß sie gezwungen waren, den Hunger auf jede Weise zu stillen, und sogar anfingen, sich untereinander aufzufressen. Sie erklärten sich deshalb den Befehlshabern des athenischen Belagerungsheeres, .Lenophon, Euripides' Sohn, Hestiodoros, Aristikteides' Sohn, und Phano­ machos, Kallimachos' Sohn, gegenüber bereit, über eine Kapi­ tulation zu verhandeln, und diese gingen darauf auch ein, da sie sahen, welchen Beschwerden ihre Leute in dem dortigen Winter ausgesetzt waren und die Athener bereits zweitausend Talente für die Belagerung ausgegeben hatten. So wurde denn ein Abkommen geschlossen, wonach den Einwohnern und ihren Verbündeten freier Abzug mit Weib und Kind gewährt wurde und jeder ein Kleid, die Weiber zwei, und ein be­ stimmtes Reisegeld mitnehmen durfte. Auf Grund dieses Ver­ trags zogen sie ab, um sich in Chalkidike oder sonstwo ein Unterkommen zu suchen. In Athen aber war man unzufrieden mit den Feldherren, da man darauf gerechnet, die Stadt würde sich auf Gnade und Ungnade ergeben müssen. Später schickten die Athener dann selbst Ansiedler nach Potidäa und machten es zur athenischen Kolonie. Das waren die Ereignisse dieses Winters, und damit endete das zweite Jahr des Krieges, den Thukydides beschrieben hat.

Im folgenden Sommer fielen die Peloponnesier nicht wieder nach Attika ein, sondern wandten sich gegen Platää. Den Oberbefehl führte Archidamos, Zeuxidamos' Sohn, König der Lakedämonier. Er bezog mit seinem Heere ein Lager vor der Stadt und schickte sich eben an, das Land zu verwüsten, als die Platäer Abgeordnete zu ihm sandten und ihm folgendes sagen ließen: „Archidamos und Lakedämonier! Es ist unrecht von euch und eurer und eurer Väter unwürdig, uns und unser Land mit Krieg zu überziehen. Als Pausanias, Kleombrotos' Sohn, euer Landsmann, mit Hilfe der Griechen, welche die furchtbare Schlacht hier unter unseren Mauern mit ihm ge­

143
schlagen, Griechenland von den Persern befreit hatte, übergab er bei einem dem Zeus Elentherios auf dem Markte in Platää dargebrachten Opfer im Beisein aller dazu von ihm geladenen Bundesgenossen den Platäern ihr Land und ihre Stadt zu freiem, unabhängigem Besitz, dergestalt, daß sie fortan niemand ohne gerechten Grund, oder um sie zu Unterdrücken, mit Krieg überziehen dürfe, widrigenfalls aber jeder der anwesenden Bundesgenossen verpflichtet sein solle, ihnen nach Kräften bei­ zuftehen. Damit haben uns eure Väter für die in jenem Kriege von uns bewiesene Tapferkeit und Hingebung belohnt. Ihr aber handelt nicht danach, sondern kommt uns jetzt im Bunde mit den Thebanern, unseren ärgsten Feinden, ins Land, um uns unsere Freiheit zu rauben. Wir aber rufen die Götter, bei denen damals unser Bund beschworen wurde, die Götter euerer Väter und unseres Landes, zu Zeugen an und fordern euch auf, unser Land in Frieden zu lassen, die Eide heilig zu halten und unsere Freiheit nicht anzutasten, so wie es Pausanias uns zugesagt."

Auf diese ihre Ansprache erwiderte Archidamos den Pla­ täern : „Was ihr da sagt, Platäer, ist schon recht, wenn ihr auch nur selbst danach handeln wolltet. Seid immer frei, wie es Pausanias euch zugesagt, aber helft uns auch, die anderen zu befreien, die damals zugleich mit euch gefochten und ge­ schworen haben und jetzt unter dem Joch der Athener schmachten. Denn ihretwegen und für die Freiheit Griechenlands haben wir den Degen gezogen und diesen Krieg angefangen, und nur, wenn ihr euch auch daran beteiligt, bleibt ihr jenen Eiden treu. Wollt ihr das aber nicht, so geht wenigstens in aller Ruhe eueren Geschäften nach und bleibt neutral, wie wir euch das schon früher vorgeschlagen haben. Laßt beide Teile friedlich bei euch aus und ein gehen; als kriegführenden Mächten aber öffnet keinem von ihnen eure Tore. Auch damit wollen wir zufrieden sein." So Archidamos. Mit diesem Bescheide kehrten die Gesandten in die Stadt zurück, berichteten den Platäern, was er ihnen gesagt, und brachten ihm darauf

144
deren Antwort, es sei ihnen nicht möglich, seine Vorschläge anzunehmen, ohne auch die Athener darüber zu hören, da ihre Weiber und Kinder noch in deren Händen wären. Auch ihrer Stadt selbst wegen hegten sie die Befürchtung, nach ihrem Abzüge könnten die Athener kommen und die Abmachung ver­ werfen, oder auch die Thebaner, unter dem Vorwande, daß der nach dem Vertrage beiden Teilen zugestandene freie Verkehr auch ihnen nicht verwehrt werden dürfe, von neuem versuchen, sich ihrer Stadt zu bemächtigen. Archidamos aber suchte sie dar­ über zu beruhigen und sagte: „Gebt uns Lakedämoniern doch eure Stadt mit allem, was dazu gehört, in Verwahrung. Ihr beschreibt uns die Grenzen eureS Gebiets, und es wird ein Verzeichnis aufgenommen über alles, was an Bäumen oder an Gegenständen, die ihr uns sonst noch zuzählen wollt, vor­ handen ist. Dann zieht ihr ab, um euch für die Dauer des Krieges nach Belieben anderswo niederzulassen, und wenn der Krieg zu Ende ist, geben wir euch alles zurück, was wir von euch erhalten haben. Bis dahin nehmen wir es in Verwahrung, lassen eure Felder bestellen und euch vom Ertrage so viel ab­ liefern, daß ihr genug zu leben habt."

Mit dieser Antwort kehrten die Gesandten abermals in die Stadt zurück. Es wurde darüber mit der Bürgerschaft beraten und Archidamos darauf erwidert, man wolle seinen Vorschlag zunächst den Athenern mitteilen und, wenn die damit einverstanden seien, ihn annehmen; bis dahin möge er ihnen Waffenstillstand gewähren und ihr Land nicht verheeren. Er gewährte ihnen denn auch Waffenstillstand für so viel Tage, wie sie zur Reise bedurften, und ließ inzwischen das Land nicht verwüsten. Die Gesandten der Platäer aber reisten nach Athen, besprachen die Sache mit den Athenern und kamen von dort mit folgendem Bescheide zurück: Platäer, die Athener sagen, solange sie mit uns verbündet gewesen, hätten sie euch in der Not noch nie im Stich gelassen und würden das auch jetzt nicht tun, sondern euch nach Kräften zu Hilfe kommen. Bei dem Eide unserer Väter beschwören sie euch, dem alten Bunde auch ferner treu zu bleiben.

145

Auf diesen Bescheid ihrer Gesandten beschlossen die Pla­ täer, sich nicht von den Athenern zu trennen und nötigenfalls die Verheerung ihres Landes und alle etwaigen weiteren Wider­ wärtigkeiten zu ertragen, auch von nun an niemand mehr hinauszuschicken, sondern den Lakedämoniern nur von der Stadtmauer aus zu erwidern, daß sie auf ihre Vorschläge nicht eingehen könnten. Nachdem sie ihnen diese Antwort erteilt, trat König Archidamos vor, rief die Götter und Heroen des Landes zu Zeugen an und sprach: „Ihr Götter und Heroen des Platäerlandes seid Zeugen, daß wir nicht, um falschen Streit anzufangen, sondern weil seine Bewohner bundbrüchig geworden, in dieses Land gekommen sind. Hier im Lande haben unsere Väter euch angerufen und über die Perser ge­ siegt und die Griechen damals mit eurem Beistande die Schlacht gewonnen, und auch jetzt werden wir mit dem, was wir hier weiter beginnen, kein Unrecht tun; denn alle unsere billigen Vorschläge hat man abgelehnt. So helft denn, daß sie, die sich zuerst ins Unrecht gesetzt, ihre Strafe erhalten und wir, die wir sie rechtmäßig vollstrecken, Genugtuung finden."

Nachdem er die Götter also angerufen, ließ er sein Heer die Feindseligkeiten eröffnen und die Stadt, damit niemand mehr herauskönnte, zunächst mit einem Pfahlwerk umgeben, wozu die Bäume bereits gefällt worden waren. Darauf schüttete man einen Damm gegen die Stadt auf, und weil so viele dabei Hand anlegten, hoffte man, sie bald einnehmen zu können. Vermittels kreuzweis zusammengefügter Hölzer, die man auf dem Kithäron geschlagen hatte, wurde zu beiden Seiten des Dammes eine Art Spundwand hergestellt, damit der Schutt nicht zu sehr abschurrte; Holz, Steine, Erde und was sonst Dienliches darauf gebracht werden konnte, schleppte man herbei. Siebzig Tage wurde Tag und Nacht unausgesetzt daran ge­ arbeitet, wobei sich die Arbeiter ablösten, so daß während eine Schicht schanzte, die andere Zeit zum Essen und Schlafen hatte. Die den einzelnen Bundestruppen zugeteilten lake­ dämonischen Befehlshaber waren dabei mit zur Stelle und trieben die Leute zur Arbeit an. Als die Platäer den Damm [*]( I )

146
immer höher werden sahen, zimmerten sie ein hölzernes Turm­ werk, das sie da, wo der Damm auf die Stadtmauer stieß, auf der Mauer aufstellten und mit Ziegeln ausmauerten, die sie aus abgebrochenen Häusern dort in der Nähe entnahmen. Das hölzerne Gebälk hielt den Bau zusammen und sollte ihm bis oben Festigkeit geben. Auf der Außenseite wurden Tier­ häute und Leder angebracht, um das Holzwerk und die dort angestellten Leute gegen Feuerpfeile zu schützen. Der Turm erhob sich zu beträchtlicher Höhe, aber mit ihm um die Wette stieg auch der Damm ihm gegenüber empor. Nun verfielen die Platäer auf eine List; sie brachen ein Loch in die Stadt­ mauer, da wo der Damm an sie stieß, durch das sie den Schutt in die Stadt schafften.

Als die Peloponnesier dahinter kamen, füllten sie Lehm in Körbe aus Schilfgesiecht und warfen ihn so in die Sinke, damit er nicht nachschurren und wie das lose Erdreich weg­ geschafft werden könnte. Da den Platäern dieser Weg ver­ legt war, gaben sie die Sache auf, trieben nun aber unter der Erde einen Stollen aus der Stadt hinaus, und nachdem sie sich vergewissert, daß sie damit unter dem Damme waren, räumten sie das Erdreich unten ab und schafften es in die Stadt. Die draußen aber merkten längere Zeit nichts davon, und so kamen sie trotz allen Aufschüttens nicht recht weiter, weil der Damm von unten abgegraben wurde und sich über der leeren Stelle immer wieder senkte. Die Platäer befürch­ teten jedoch, sich bei ihrer geringen Zahl auf die Dauer gegen die große Menge auch so nicht halten zu können, und dachten sich deshalb noch mal was anderes aus: an dem großen Turm dem Damm gegenüber stellten sie die Arbeit ein, bauten aber eine zu dessen beiden Seiten nach innen an die kürzere Stadt­ mauer ansetzende halbmondförmige zweite Mauer innerhalb der Stadt, damit sie, wenn die Hauptmauer genommen würde, noch vorhielte und der Feind genötigt wäre, gegen sie einen neuen Damm aufzuschütten, bei weiterem Vordringen also doppelte Arbeit hätte und dabei außerdem von beiden Seiten besser beschossen werden könnte. Die Peloponnesier aber brachten,

147
während sie den Damm aufschütteten, auch ihre Belagerungs­ mashcinen an die Stadt heran, von denen eine, welche dem großen Turm gegenüber aufgestellt war, diesen so heftig erschütterte, daß die Platäer darüber in großen Schreck gerieten. Gleich­ zeitig waren andere an anderen Stellen der Mauer in Tätigkeit. Die Platäer wußten jedoch mit Hilfe von Schlingen deren Stöße abzufangen und unschädlich zu machen. Auch hängten sie mächtige Balken an beiden Enden mit langen eisernen Ketten an zwei auf die Mauer gelegten, über diese hinausragenden Balken auf und zogen sie schräg in die Höhe, und wenn dann der Stnrmbock einen Stoß führen wollte, ließen sie die eine, nachgiebige Kette los und das hohe Ende des Balkens hinunter- fallen, der dann durch die Gewalt des Falles den Kopf des Sturmbocks vorn abschlug.

Da sie mit ihren Maschinen nichts ausrichteten und dem Damme gegenüber das Schutzwerk entstanden war, verzweifel­ ten die Peloponnesier daran, die Stadt mit den bisherigen Mitteln zu nehmen, und machten deshalb Anstalt, sie durch eine förmliche Umwallung einzuschließen. Vorher aber wollten sie es noch mit Feuer versuchen, ob sie die Stadt, die ja nicht groß war, bei günstigem Winde nicht in Brand stecken könnten. Denn sie waren auf jede Weise darauf bedacht, sie womöglich ohne große Kosten und ohne förmliche Belagerung zu bezwingen. Sie trugen also Reisigbündel herbei und warfen sie von der Höhe des Dammes erst in die Lücke zwischen dem Damme und der Stadtmauer, und nachdem diese bei der Menge der Hände schnell ausgefüllt war, auch in die Stadt selbst hinein, so weit ihnen das von oben gelingen wollte. Dann warfen sie Feuer mit Pech und Schwefel darauf und setzten dadurch das Reisig in Brand. Und nun entstand ein Flammenmeer, wie man es, von Menschenhand angelegt, nie gesehen, wenn man es auch wohl schon erlebt hatte, daß ein GebirgSwald dadurch, daß sich die Bäume im Winde aneinander rieben, von selbst in Brand geraten und in Feuer und Flammen auf­ gegangen war. Es war ein furchtbares Feuer, und die Pla­ täer, die bis dahin glücklich durchgekommen waren, wären

148
ums Haar verloren gewesen. Denn ein großer Teil der Stadt war dadurch völlig unnahbar geworden, und wenn sich der richtige Wind aufgemacht hätte, worauf die Gegner gerechnet hatten, wäre niemand am Leben geblieben. Da aber, heißt es, sei zu ihrem Glück ein Gewitter mit wolkenbruhcartigem Regen eingetreten und dadurch die Flamme gelöscht und die Gefahr beseitigt.

Als ihnen auch das mißlungen war, entließen die Pelo­ ponnesier einen Teil ihres Heeres, und nur ein Rest blieb an Ort und Stelle. Rings um die Stadt aber führten sie eine Mauer auf, wobei sie die einzelnen Abschnitte des Umkreises auf die verschiedenen Städte verteilten. Auf der Außen­ und der Innenseite war ein Graben, aus dem die Ziegel für den Bau gewonnen wurden. Als sie fertig waren, zu der Zeit, wo der Arktur aufgeht, ließen sie auf der einen Hälfte der Mauer, deren andere Hälfte die Böotier besetzten, eine Besatzung zurück und zogen dann mit den übrigen Truppen ab, die sich alle wieder in ihre Heimat begaben. Die Pla­ täer aber, welche Weiber und Kinder wie auch die Alten und alle unnützen Mäuler schon früher nach Athen gebracht hatten, wurden nun belagert, ihrer vierhundert, die in der Stadt ge­ blieben waren, mit ihnen achtzig Athener und hundertzehn Frauen, die für sie kochen mußten. So viel waren es im ganzen bei Beginn der Belagerung, und weiter befand sich kein Mensch in der Stadt, weder Sklav noch Freier. Auf solche Weise wurde Platää eingeschlossen.

In demselben Sommer, gleichzeitig mit der Unternehmuug gegen Platää, zogen die Athener, als das Korn zur Reife stand, mit zweitausend ihrer Hopliten und zweihundert Reitern gegen die Chalkidier in Vorderthrakien und die Bottiaier zu Felde. Xenophon, Euripides' Sohn, selbdritter, befehligte sie. Sie rückten vor Spartolos im Lande der Bottiaier und verwüsteten die Kornfelder. Anscheinend war auch eine Partei in der Stadt geneigt, sie ihnen zu übergeben; die Gegenpartei aber wandte sich um Hilfe nach Olynth, worauf die Stadt von dort mit Hopliten und anderen Truppen besetzt wurde. Bei

149
einem Ausfall der Besatzung aus Spartolos kam es unmittelbar vor der Stadt mit den Athenern zur Schlacht, in der die chalkidischen Hopliten und eine Anzahl ihrer Hilfstruppen von den Athenern geschlagen und zum Rückzüge in die Stadt ge­ nötigt wurden. Die chalkidischen Reiter und Leichtbewaffneten in Verein mit einer Anzahl Peltasten aus dem sogenannten Krusischen Lande aber lieferten ein glückliches Gefecht gegen die Reiter und Leichtbewaffneten der Athener. Gleich nach dem Gefecht trafen aus Olynth noch andere Peltasten bei ihnen ein, und als die Leichten aus Spartolos das sahen, griffen sie, durch den Zuzug und ihren vorher errungenen Sieg ermutigt, mit der chalkidischen Reiterei und den eben einge­ troffenen frischen Kräften die Athener von neuem an, die sich nun auf ihre beim Troß zurückgelassenen beiden Abteilungen zurückzogen. So oft die Athener einen Vorstoß machten, wichen die Gegner aus; wenn sie aber wieder zurückgingen, waren diese gleich hinter ihnen her und beschossen sie mit ihren Speeren. Die chalkidischen Reiter, die sie dabei ständig um­ schwärmten und bei jeder Gelegenheit in sie einsprengten, wurden den Athenern besonders gefährlich, trieben sie dann auch in die Flucht und verfolgten sie eine Strecke weit. Die Athener flüchteten sich nach Potidäa, erwirkten nachher einen Waffenstillstand zur Bestattung ihrer Toten und kehrten darauf mit dem Reste ihres Heeres nach Athen zurück. Athener waren vierhundertdreißig geblieben, darunter sämtliche Feldherren. Die Chalkidier und Bottiaier aber errichteten ein Siegeszeichen und bestatteten ihre Toten. Darauf gingen sie auseinander und alle nach Hause.

In demselben Sommer, nicht lange nach diesen Ereig­ nissen, wollten die Amprakier und Chaoner ganz Akarnanien unterwerfen und es den Athenern abwendig machen. Sie schlugen deshalb den Lakedämoniern vor, von Bundes wegen eine Flotte auszurüsten und tausend Hopliten nach Akarna­ nien zu schicken; denn, so setzten sie ihnen auseinander, wenn sie zugleich zu Lande und zur See dort ershcienen, würden die Akarnanier aus dem Innern ihren Landsleuten nicht zu

150
Hilfe kommen können, sie aber in der Lage sein, mit Leich­ tigkeit Akarnanien und dann auch Zakynthos und Kephallenia zu unterwerfen und damit den Athenern die Möglichkeit ab­ zuschneiden, so wie bisher mit ihren Schiffen den Peloponnes zu umfahren, ja selbst Aussicht haben, auch Naupaktos zu nehmen. Die Lakedämonier gingen daraus auch ein und schickten Knemos, der noch Befehlshaber der Flotte war, mit den Hopliten auf ein paar Schiffen sogleich hinaus, gaben aber auch der Flotte Befehl, sich fertigzumachen und nn­ verzüglich nach Leukas abzugehen. Dabei war niemand eifriger für die Amprakier als die Korinther, deren alte Landsleute sie ja waren. Während die Schiffe in Korinth, Sikyon und anderen Orten dort in der Gegend erst noch ausgerüstet wurden, waren die aus Leukas und Amprakia schon zur Stelle und warteten bei Leukas auf die anderen. Nachdem Knemos mit seinen tausend Hopliten an Phormion, der ihm mit zwanzig attischen Schiffen bei Naupaktos aufpaßte, unbemerkt vorbei- gekommen war, traf er sofort Anstalt zu einem Landfeldzuge. An Griechen hatte er Amprakier, Leukadier, Anaktorier und seine tausend Peloponnesier unter sich, an Barbaren tausend Chaoner. Diese, die keinen König haben, standen unter dem Befehl von Photyos und Nikanor, den beiden Mitgliedern des herrshcenden Geschlechts, welche für das Jahr an der Re­ gierung waren. Den Chaonern hatten sich die Thesproten angeschlossen, die auch keinen König haben. Die Molosser und Atintaner führte Sabylinthos als Vormund des noch unmündigen Königs Tharypos, die Parauaier ihr König Oroidos. Tausend Orester, die den Feldzug mitmachten, standen mit Genehmigung ihres Königs Antiochos mit den Paranaiern unter Oroidos'Befehl. Auch Perdikkas schickte, ohne daß die Athener darum wußten, tausend Makedonier, die jedoch zu spät kamen. Mit diesen Truppen setzte Knemos sich in Marsch, ohne die Ankunft der Flotte von Korinth ab­ zuwarten. Auf dem Zuge durchs Argaiische zerstörten sie Limnaia, einen offenen Flecken, und rückten dann vor Stratos, die größte Stadt Akarnaniens, in der Meinung, wenn sie die
151
erst erst eingenommen hätten, würde ihnen alles übrige von selbst zufallen.