History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

Als die Akarnanier hörten, daß ihnen ein großes Heer ins Land gefallen und außerdem eine feindliche Flotte gegen sie im Anzüge sei, zogen sie es vor, statt sich mit vereinten Kräften gegen den Feind zu wenden, sich einzeln ihrer Haut zu wehren, schickten aber zu Phormion und baten ihn um Hilfe. Der ließ ihnen jedoch sagen, daß er in diesem Augenblick, wo eben eine Flotte im Begriff sei, von Korinth auszulaufen, Naupaktos unmöglich sich selbst überlassen könne. Inzwischen rückten die Peloponnesier und ihre Verbündeten in drei Heer­ haufen gegen Stratos vor in der Absicht, in der Nähe der Stadt ein Lager zu beziehen und die Stadt, wenn sie sich nicht gutwillig ergäbe, zu erstürmen. In der Mitte marshcierten die Chaoner und die übrigen Barbaren, rechts von ihnen die Leukadier und Anaktorier, und was sich ihnen angeschlossen hatte, links Knemos selbst mit den Peloponnesiern und Am­ prakiern, die einzelnen Heerhaufen in weiten Abständen, mit­ unter so weit, daß sie sich gar nicht sehen konnten. Die Griechen marschierten vorsichtig und in guter Ordnung, bis sie an einen geeigneten Lagerplatz gelangen würden. Die Chaoner dagegen, die sich gewaltig fühlten und dort bei den Bewohnern des Festlandes für die besten Soldaten galten, dachten nicht daran, sich erst lange einen Lagerplatz zu suchen, sondern stürmten mit den übrigen Barbaren ungestüm voran in der Hoffnung, die Stadt gleich im ersten Anlauf zu nehmen und die Ehre des TageS allein zu haben. Die Stratier aber, die sie auf ihrem Marsche beobachteten, dachten, wenn sie die erst einzeln abgetan hätten, würden die Griechen auch schon zahm werden. Sie legten sich also vor der Stadt an vershciedenen Stellen in den Hinterhalt, ließen sie erst nahe herankommen und fielen dann gleichzeitig aus der Stadt aus dem Hinterhalt über sie her. Die Chaoner aber gaben Fersengeld, und viele von ihnen blieben auf dem Platze. Als die übrigen Barbaren sie fliehen sahen, hielten auch sie nicht länger stand, sondern machten sich auf die Flucht. In den beiden griechischen Heerhaufen hatte

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man von diesem Gefechte nichts bemerkt, da die Barbaren weit voraus waren und man glaubte, sie hätten ihren Marsch nur beschleunigt, um sich schneller in den Besitz eines Lager- platzes zu setzen. Als sie dann aber die Barbaren in wilder Flucht auf sie einströmen sahen, zogen sie ihre Heeresteile zu­ sammen und blieben den Tag über dort stehen. Die Stratier gingen auch nicht zum Angriff über, weil die übrigen Akar­ nanier noch nicht eingetroffen waren, begnügten sich vielmehr damit, sie von weitem mit ihren Schleudern zu bewerfen und dadurch zu beunruhigen; denn ohne schwere Rüstung durften sie sich nicht weiter vorwagen. Die Akarnanier gelten nämlich für besonders geschickte Schleuderer.

Als es Nacht geworden war, zog sich Knemos mit dem Heere eilig auf den Fluß Anapos zurück, der von Stratos achtzig Stadien entfernt ist. Am Tage darauf ließ er unter Waffenstillstand die Toten abholen; dann trat er, da inzwischen die befreundeten Oiniaden zu ihm gestoßen waren, in deren Gebiet über, ehe die Stratier weitere Verstärkungen erhielten. Von da gingen alle wieder in die Heimat. Die Stratier aber errichteten wegen des Gefechts mit den Barbaren ein Sieges­ s zeichen.

Die Flotte von Korinth und den übrigen Bundesstädten am Krisäischen Meerbusen, welche sich mit Knemos in Ver­ bindung setzen sollte, um weiteren Zuzug von Akarnaniern aus dem Innern zu verhindern, war ausgeblieben und ge­ nötigt, in den Tagen des Gefechts bei Stratos gegen Phormion und seine zwanzig bei Naupaktos Wache haltenden athenischen Schiffe eine Schlacht zu liefern. Phormion paßte ihr nämlich auf, wo sie auf ihrer Fahrt an der Küste entlang aus dem Meerbusen herauskommen würde, weil er sie lieber in offener See angreifen wollte. Die Korinther und ihre Verbündeten hatten sich eigentlich nicht auf einen Kampf zur See, sondern im Grunde nur auf einen Landfeldzug in Akarnanien ein­ gerichtet, glaubten auch gar nicht, daß die Athener mit ihren zwanzig Schiffen den Kampf gegen ihre siebenundvierzig auf­ nehmen würden. Als sie jedoch, während sie am Lande hin­

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fuhren, der athenischen Flotte an der ätolischen Küste ansichtig wurden und, eben im Begriff, von Paträ in Achaia nach dem akarnanishcen Festlande hinüberzufahren, die Athener von Chalkis und dem Euenosflusse auf sich zukommen sahen, konnten sie über Nacht dort nicht mehr vor Anker gehen, ohne von ihnen bemerkt zu werden, und so waren sie gezwungen, grade auf der Überfahrt zu schlagen. Die von den einzelnen Städten gestellten Schiffe tsanden unter ihren eigenen Befehls­ habern, die Korinther selbst unter Machaon, Isokrates und Agatharchidas. Die Peloponnesier bildeten mit ihren Schiffen einen möglichst großen Kreis, die Schnäbel nach außen, die Hinterteile nach innen, damit der Feind sie nicht anfahren könnte. Die kleineren Fahrzeuge, die sie bei sich hatten, nahmen sie in die Mitte, und ebenso ihre fünf schnellsten Schiffe, um damit immer auf kürzestem Wege dahin gelangen zu können, wo der Feind angreifen würde.

Die Athener umkreisten, ihre Schiffe in Kiellinie, die feindlichen Schiffe beständig und ließen ihnen keine Luft, indem sie so nahe an sie heranruderten, als wäre es jeden Augen­ blick auf einen Stoß abgesehen. Sie hatten jedoch von Phormion Befehl, nicht eher anzugreifen, als bis er selbst das Zeichen dazu gäbe. Er hoffte nämlich, die Feinde würden ihre Stellung nicht wie ein Heer zu Lande behaupten können, sondern ihre Kriegsschiffe würden zusammenstoßen und durch die übrigen Fahrzeuge vollends in Verwirrung geraten, und wenn sich dann wie gewöhnlich bei Tagesanbruch der Golfwind aufmachte, auf den er eben wartete, im nächsten Augenblick auseinander­ getrieben werden. Bei der größeren Schnelligkeit seiner Schiffe aber glaubte er es in der Hand zu haben, wann er sie an­ greifen wollte, und daß sich dazu grade um die Zeit die beste Gelegenheit bieten würde. Als sich nun jener Wind wirklich aufmachte, gerieten die ohnehin schon eng zusammengedrängten Schiffe unter dem Druck des Windes und der übrigen Fahrzeuge in Verwirrung, stießen zusammen und mußten mit Staken von­ einandergeschoben werden. Bei dem unaufhörlichen Rufen: „In acht nehmen!", dem Schreien und Schimpfen hörte man

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weder die Befehle noch den Taktmeister, und da die ungeübte Mannschaft bei dem lebhaften Seegange die Ruder nicht regieren konnte, wollten die Schiffe dem Steuer nicht mehr gehorchen. In diesem Augenblick gab Phormion das Zeichen, und die Athener . griffen an, bohrten zuerst eins der feindlichen Flaggschiffe in den Grund und setzten dann auch alle übrigen, die ihnen vor­ kamen, außer Gefecht, so daß die Gegner in der eingetretenen Verwirrung jeden Widerstand aufgaben und nach Paträ und Dyme in Achaia flüchteten. Die Athener eroberten auf der Verfolgung noch zwölf Schiffe, deren Mannschaft sie größten­ teils an Bord nahmen, und fuhren darauf nach Molykreion. Nachdem sie hier am Vorgebirge Rhion ein Siegeszeichen er­ richtet und dem Poseidon ein Schiff geweiht hatten, kehrten sie nach Naupaktos zurück. Die Peloponnesier aber fuhren gleich nahcher mit dem Reste ihrer Schiffe von Dyme und Paträ an der Küste entlang nach Kyllene, der Hafenstadt in Elis, wo Knemos nach dem Gefechte bei Stratos mit den Schiffen, die sich mit jenen hatten vereinigen sollen, von Leukas ebenfalls eintraf.

Dem aber stellten die Lakedämonier jetzt Timokrates, Brasidas und Lykophron als Beiräte zur Seite und ließen ihm bedeuten, er möge es das nächste Mal besser machen und sich nicht von ein paar Schiffen von der See wegfegen lassen. Denn die Sache schien ihnen unbegreiflich, hauptsächlich weil sie sich hier zum erstenmal in einer Seeschlacht versucht und von der Minderwertigkeit ihrer Flotte keine Ahnung hatten, sondern glaubten, man sei nicht schneidig genug draufgegangen. Daß die Athener die lange Erfahrung hatten, sie selbst aber erst Anfänger waren, brachten sie nicht in Anschlag. In ihrem Unwillen darüber schickten sie ihm nun die drei Männer. Diese sandten auch gleich nach ihrer Ankunft bei Knemos an alle Städte den Befehl, Schiffe zu stellen, ließen auch die noch vorhandenen wieder ausbessern, um von neuem eine Schlacht zu wagen. Aber auch Phormion sandte nach Athen einen Bericht über die gewonnene Schlacht und die neuen Rüstungen der Feinde mit der Bitte, ihm unverzüglich so viel Schiffe wie

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möglich zu schicken, da er täglich auf eine Schlacht gefaßt sein müsse. Die Athener schickten auch zwanzig Schiffe an ihn ab, trugen aber dem Befehlshaber auf, auch Kreta bei der Ge­ legenheit anzulaufen. Der Kreter Nikias aus Gortyua, ihr dortiger Staatsgastfreund, hatte ihnen nämlich zu einem Ab­ stecher nach Kpdonia geraten und versprochen, ihnen zur Herr­ schaft über diese, ihnen damals feindliche Stadt zu verhelfen. In der Tat aber hatte er es nur den Polichnitern, den Nach­ barn der Kydonier, zu Gefallen getan. Der Athener mit seinen zwanzig Schiffen kam auch wirklich nach Kreta und verheerte dort mit den Polichnitern das Gebiet der Kydonier, wurde darauf aber erst durch widrige Winde, dann durch Windstille längere Zeit dort festgehalten.

Während die Athener bei Kreta festgehalten wurden, hatten sich die Peloponnesier in Kyllene auf eine Seeschlacht eingerichtet und fuhren nun längs der Küste nach Panormos in Achaia, wo das peloponnesische Landheer schon eingetroffen war. Auch Phormion fuhr mit den zwanzig Schiffen, mit denen er schon einmal geschlagen hatte, nach dem molykrischen Rhion und ging mit ihnen außerhalb des Vorgebirges vor Anker. Es war dies das Rhion auf der den Athenern be­ freundeten Seite, dem das andere auf der peloponnesischen grade gegenüberliegt. Der Meeresarm zwischen beiden ist ungefähr sieben Stadien breit und bildet die Mündung deS Krisäischen Meerbusens. Die Peloponnesier machten es wie die Athener und gingen bei dem von Panormos, wo ihr Land­ heer stand, nicht weit entfernten achäischen Rhion mit sechs­ undsiebzig Schiffen ebenfalls vor Anker. Hier lagen sich beide sechs bis sieben Tage gegenüber und bereiteten sich auf eine Schlacht vor. Die Peloponnesier wollten nicht über das Vor­ gebirge hinaus, wo es ihnen das vorige Mal so schlecht gegangen war, die Athener nicht in die Meerenge hinein, überzeugt, daß eS für die Gegner vorteilhaft sei, die Schlacht in dem engen Wasser zu liefern. Knemos nnd Brasidas und die übrigen peloponnesischen Befehlshaber wünschten je eher je lieber zu schlagen, bevor noch weitere Verstärkungen von Athen kämen.

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Sie riefen deshalb ihre Mannschaft zusammen, und da sie sahen, daß die meisten sich von dem Schrecken der ersten Niederlage noch nicht erholt und keinen rechten Mut hatten, suchten sie ihren Mut zu beleben und redeten sie also an:

„Die vorige Schlacht, Landsleute, wenn ihr eucks darum vor einer neuen fürchtet, bietet dazu denn doch wirklich keinen vernünftigen Grund. Damals waren wir, das wißt ihr ja, ungenügend gerüstet und hatten es bei unserer Fahrt gar nicht auf eine Seeschlacht, sondern auf einen Feldzug zu Lande ab­ gesehen. Zufällig kamen dann auch noch verschiedene andere unglückliche Umstände dazu. Außerdem war es unsere erste Seeschlacht, und es fehlte uns deshalb wohl noch an der nötigen Erfahrung. Es lag also nicht an Mangel an Mut, wenn wir geschlagen wurden. Wir haben uns in dieser Be­ ziehung wahrlich nichts vorzuwerfen und unsere Niederlage nicht der größeren Tapferkeit unserer Gegner zuzuschreiben. Es wäre deshalb sehr verkehrt, wollten wir mutlos werden, nur weil wir einmal Unglück gehabt haben. Unglück haben kann jeder, aber wer überhaupt Mut hat, wird ihn auch im Unglück nicht verlieren und seine Unerfahrenheit nicht zum Deckmantel der Feigheit machen. Sind sie euch an Erfahrung voraus, so seid ihr ihnen an Mut um so mehr überlegen, und ihre bessere Ausbildung würde sie nur, wenn zugleich mit Tapferkeit gepaart, in den Stand setzen, das, was sie gelernt, auch in der Gefahr nicht zu vergessen. Ohne Tapferkeit hilft im Augenblick der Gefahr alle Geschicklichkeit nichts; denn Furcht nimmt die Besinnung, und ohne kalten Mut ist alle Geschicklichkeit nichts nütze. Bringt also ihrer größeren Er­ fahrung gegenüber eure größere Tapferkeit in Anschlag, gegen­ über der Furcht wegen der früheren Niederlage aber unsere damalige ungenügende Rüstung. Außerdem habt ihr ja noch den Vorteil der größeren Schiffszahl und daß ihr die Schlacht an der heimischen Küste und im Angesicht unseres Landheeres liefern werdet. In der Regel entscheidet doch die größere Zahl und die bessere Rüstung den Sieg. Wir finden also schlechter­ dings keinen Grund zu der Befürchtung, daß wir die Schlacht

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verlieren würden. Und grade die Fehler, die wir früher ge­ macht haben, werden uns jetzt zur Lehre dienen. Also nur Mut, Steuerleute, Mut, Matrosen; jeder tue seine Schuldig­ keit, und keiner weiche von dem Platze, der ihm angewiesen wird. Wir werden euch ins Gefecht führen und unsere Sache besser machen als die vorigen Befehlshaber, aber auch niemand durch die Finger sehen, der einen Vorwand suchen würde, sich zu drücken. Sollte es trotzdem vorkommen, wird der Betreffende dafür gebührend bestraft werden, wer sich aber gut macht, die verdiente Auszeichnung für Tapferkeit erhalten."

Auf solche Weise suchten die peloponnesischen Befehls­ haber den Mut ihrer Mannschaft zu beleben. Aber auch Phormion machte sich Gedanken um den Mut seiner Leute, und als er sie so zusammenstehen und bei der Menge der feind­ lichen Schiffe bedenkliche Gesichter machen sah, hielt er es für zweckmäßig, sie sich kommen zu lassen, um sie zu ermutigen und ihnen begreiflich zu machen, daß sie sich auch diesmal nicht zu fürchten brauchten. Schon früher hatte er ihnen immer die Meinung beizubringen gesucht, daß sie jeder, auch der größten feindlichen Flotte gewachsen sein würden, und so waren auch seine Leute selbst längst davon durchdrungen, daß sie es als Athener mit noch so viel peloponnesischen Schiffen aufnehmen könnten. Da er sie aber jetzt beim Anblick der vielen Schiffe doch bange werden sah, wollte er das alte Selbstvertrauen in ihnen von neuem erwecken, ließ sie zusammenrufen und redete sie also an:

,Ich habe euch zu mir kommen lassen, Leute, weil ich sehe, daß ihr euch vor der Menge unserer Gegner fürchtet, und es für töricht halte, sich zu fürchten, wo nichts zu fürchten ist. Denn erstens haben sie ihre große Flotte ja nur deshalb zusammengebracht, weil sie schon einmal von uns besiegt sind und es nicht ohne eine gewaltige Überzahl von Schiffen mit uns aufnehmen zu können glauben. Sodann aber gründet sich ihre Zuversicht, als hätten sie die Tapferkeit gepachtet, ledig­ lich darauf, daß sie im Landkriege, vermöge ihrer Erfahrung darin, ihre Sache in der Regel gut machen, und so glauben

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sie nun, zur See würden sie das auch können. Sind sie uns aber wirklich dort überlegen, so sind wir es ihnen hier erst recht; denn da sie nicht tapferer sind als^wir, so wird jeder von uns beiden da, wo er am erfahrensten ist, auch am mutig­ sten draufgehen. Die Lakedämonier, welche beim Oberbefehl über ihre Bundesgenossen nur ihren eigenen Ruhm im Auge haben, führen diese jetzt nur widerwillig ins Gefecht; denn nach der gründlichen Niederlage würden sie sich ganz gewiß nicht von selbst auf eine neue Seeschlacht eingelassen haben. Vor ihrer übergroßen Kühnheit braucht ihr euch also nicht zu fürchten. Im Gegenteil, sie fürchten sich vor euch und haben dazu auch alle Ursache, teils weil wir sie schon einmal besiegt haben, teils weil sie sich nicht denken können, wir würden ihnen die Spitze bieten, wenn wir nicht etwas ganz Besonderes im Schilde führten. Denn die meisten verlassen sich, wenn sie wie sie dem Gegner gewahcsen sind und es zur Schlacht geht, mehr auf ihre Macht als auf ihren Mut. Wer aber, auch ohne dazu gezwungen zu sein, selbst mit geringeren Kräften dem Feinde zu Leibe geht, beweist damit einen hohen Grad von Mut und Entschlossenheit. Davon sind auch unsere Gegner überzeugt, und grade weil wir ihnen so wider Erwarten die Spitze bieten, fürchten sie uns mehr, als wenn wir ihnen mit entsprechenden Kräften begegnen würden. Schon manches Heer ist einer Minderzahl erlegen, weil es ihm an Erfahrung fehlte oder an Mut gebrach. Uns aber fehlt es weder an Mut noch an Erfahrung. Soweit es in meiner Macht steht, werde ich nicht innerhalb des Golfes schlagen und nicht in ihn hinein­ gehen. Denn augenscheinlich würde das enge Wasser einer geringeren Anzahl wohlgeübter schneller Schiffe im Kampfe gegen eine große Menge ungeübter Schiffe keinen Vorteil bieten. Denn man würde den Feind nicht genug von weitem sehen, um zum Stoß richtig auf ihn abhalten zu können, auch nicht imstande sein, sich nötigenfalls aus dem Gedränge wieder loszumachen. Geschicktes Anfahren und Lahmlegen der feind­ lichen Schiffe, worin die Aufgabe schneller Schiffe recht eigent­ lich besteht, wäre ausgeschlossen. Der Schiffskampf würde zur
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Landschlacht werden und damit die Menge der Schiffe das Übergewicht gewinnen. Danach also werde ich mich möglichst einzurichten suchen. Ihr aber haltet gute Ordnung an Bord und tut pünktlich, was euch befohlen wird, zumal die Feinde uns hier in der Nähe auf den Dienst passen. Vor allem im Gefecht selbst haltet auf Ordnung und Stille, wie sich das im Kriege überhaupt, namentlich aber in einer Seeschlacht gehört, und dann geht den Kerls wieder so tapfer zu Leibe wie das vorige Mal. Bei eurem Kampf steht Großes auf dem Spiel; entweder macht ihr die Flottenpläne der Peloponnesier zu­ nichte, oder die Athener werden sich darauf gefaßt machen müssen, daß es mit ihrer Seeherrschaft zu Ende geht. Noch­ mals erinnere ich euch daran, daß eure Gegner meist Leute sind, die ihr schon einmal besiegt habt. Nach einer verlorenen Schlacht aber geht man nicht so zuversichtlich ins Gefecht wie das erstemal."

In dieser Weise suchte auch Phormion den Mut seiner Leute zu beleben. Die Peloponnesier aber wollten die Athener, da sie ihnen nicht von selbst in die Enge und den Golf kamen, auch wider ihren Willen hineinbringen. Bei Tagesanbruch lichteten sie die Anker und fuhren vier Schiffe hoch an ihrer Küste in den Meerbusen hinein, den rechten Flügel voran, wie sie auch vor Anker gelegen hatten. Auf diesen Flügel hatten sie zwanzig ihrer schnellsten Schiffe gestellt, damit die Athener, wenn Phormion glaubte, sie führen nach Naupaktos, und sich zu dessen Schutz aufmachte, ihnen nicht entwischen, sondern von ihnen umfaßt werden könnten. Wie sie vermutet, war Phormion wirklich, als er sie aufbrechen sah, um den augen­ blicklich schutzlosen Platz besorgt geworden und fuhr nun mit seiner Flotte gegen seine eigentliche Absicht eiligst an der Küste ' entlang in den Golf hinein, wobei das Heer der Messenier ihnen zu Lande zur Seite zog. Als die Peloponnesier sie so schon innerhalb des Golfs dicht am Lande in Kiellinie heran­ kommen sahen, grade wie sie es gewünscht hatten, ließen sie auf ein gegebenes Zeichen ihre Schiffe plötzlich einschwenken und, was das Zeug halten wollte, grade auf die Athener los­

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rudern, in der Hoffnung, sämtliche Schiffe abzufangen. Die elf vordersten waren jedoch schon vor der Schwenkung des peloponnesischen Flügels an diesem vorbei in freies Wasser gelangt, die übrigen aber überholten sie, trieben sie fliehend vor sich her dem Strande zu, machten sie kampfunfähig und töteten die Mannschaft, soweit sie sich nicht durch Schwimmen retten konnte. Einige Schiffe nahmen sie leer in Schlepptau; eins war ihnen schon vorher samt der Mannschaft in die Hände gefallen. Nun aber erschienen auch die Messenier, sprangen in voller Rüstung ins Wasser, erstiegen die Schiffe und nahmen ihnen nach einem Kampf auf dem Verdeck mehrere davon wieder ab, die sie schon im Schlepptau hatten.

Hier also siegten die Peloponnesier und setzten die attischen Schiffe außer Gefecht. Ihre zwanzig Schiffe vom rechten Flügel aber verfolgten die elf Schiffe der Athener, welche vor jener Schwenkung das Weite gewonnen hatten. Diese ge­ langten jedoch mit Ausnahme eines Schiffes vor ihnen nach Naupaktos. Hier machten sie beim Apollontempel halt und stellten sich, das Vorderteil gegen den Feind, für den Fall, daß er ihnen bis ans Land folgen würde, kampfbereit auf. Bald nachher kamen auch die Peloponnesier heran, indem sie auf der Fahrt Siegeslieder anstimmten, als wäre die Schlacht schon gewonnen, und allen voraus verfolgte ein leukadisches Schiff das eine zurückgebliebene Schiff der Athener. Zufällig lag ein Lastschiff außerhalb des Hafens vor Anker, und als das attische Schiff daran vorbeikam, schwenkte es um dieses herum, rannte den Leukadier mittschiffs an und bohrte ihn in den Grund. DieS völlig unerwartete Ereignis setzte die Peloponnesier in Schrecken, und da sie nach ihrem Siege auf der Verfolgung keine Ordnung mehr gehalten hatten, ließen einzelne Schiffe die Ruder sinken, um stillezuhalten und auf die übrigen zu warten, das Verkehrteste, was sie angesichts eines ihnen aus nächster Nähe drohenden feindlichen Vorstoßes tun konnten, während andere aus Unkenntnis des Fahrwassers auf Untiefen gerieten und tsrandeten.

Als die Athener das sahen, faßten sie neuen Mut, und

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auf ein gegebenes Zeichen gingen sie alle zugleich mit Hurra zum Angriff über. Die Peloponnesier aber hielten nach den begangenen Fehlern und infolge der bei ihnen herrschenden Unordnung nur kurze Zeit stand und machten dann kehrt nach Panormos, von wo sie ausgefahren waren. Die Athener er­ beuteten auf der Verfolgung die sechs nächsten Schiffe, nahmen auch ihre eigenen Schiffe den Feinden wieder ab, die sie anfangs am Strande außer Gefecht gesetzt und in Schlepptau genommen hatten. Die Mannschaft machten sie zum Teil nieder, zum Teil fiel sie lebendig in ihre Hände. An Bord des leukadischen Schiffes, das bei dem Lastschiffe gesunken war, befand sich auch der Lakedämonier Timagoras, der sich, als es unterging, selbst in sein Schwert stürzte; seine Leiche wurde nachher im Hafen von Naupaktos angetrieben. Nach der Rückkehr errichteten die Athener an der Stelle, von wo sie ihren Siegeszug be­ gonnen hatten, ein Siegeszeichen. Sie bargen ihre Toten und die bei ihnen ans Land getriebenen Schiffstrümmer und gaben auch den Gegnern die ihrigen unter Waffenstillstand heraus. Aber auch die Peloponnesier schrieben sich den Sieg zu und errichteten ein Siegeszeichen, weil sie die Schiffe in die Flucht geschlagen, die sie nahcher am Lande kampfunfähig gemacht hatten. Das von ihnen erbeutete Schiff aber stellten sie neben dem Siegszeichen am achäischen Rhion als Weih­ geschenk auf. Bald nahcher gingen sie alle, mit Ausnahme der Leukadier, aus Furcht vor der zweiten athenischen Flotte bei Nacht in den Krisäischen Meerbusen und nach Korinth unter Segel. Sie waren noch nicht lange weg, als dann auch die Athener von Kreta mit den zwanzig Schiffen, mit denen sie schon vor der Schlacht hätten bei Phormion sein sollen, bei Naupaktos ankamen. Damit endete der Sommer.

Bevor jedoch die Mannschaft der nach Korinth und in den Krisäischen Meerbusen abgefahrenen Flotte entlassen wurde, wollten Knemos und Brasidas und die übrigen peloponne­ sischen Feldherren auf Anheimgabe der Megarer einen Hand­ streich gegen den Peiraieus, den Hafen der Athener, unternehmen, der ja, da die Athener die See beherrschten, weder besetzt noch [*]( I )

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verschlossen war. Zu dem Ende sollten ihre Seeleute, jeder mit seinem Ruder, Sitzkissen und Ruderriemen, von Korinth zu Fuß hinüber an die andere See gehen, sich schleunigst nach Megara begeben und die dort auf der Werft in Nisaia be­ findlichen vierzig Schiffe der Megarer flott machen, um damit gradeswegs nach dem Peiraieus zu fahren. Denn Kriegs­ schiffe zum Schutze des Hafens waren dort nicht vorhanden, und sein Mensch dachte an die Möglichkeit eines solchen Über­ falls. Einen offenen Angriff aus dem Stegreif, glaubte man, würde der Feind nicht wagen, ein dahin gehender Anschlag aber nicht unbemerkt bleiben können. Der Plan war kaum ge­ faßt, so waren sie auch schon unterwegs. Sie kamen bei Nacht in Nisaia an und holten die Schiffe inS Wasser, fuhren damit aber, weil sie Gefahr fürchteten, angeblich auch durch den Wind gehindert wurden, nicht, wie beabsichtigt, gleich nach dem Pei­ raieus, sondern nach der Megara gegenüberliegenden Spitze von Salamis. Hier befand sich ein Wartturm, bei dem drei Kriegsschiffe auf Posten standen, um allen Schiffsverkehr von und nach Megara zu verhindern. Sie versuchten den Turm zu stürmen, nahmen die Kriegsschiffe teer in Schlepptau und verheerten die Insel, wo niemand eines Überfalles gewärtig war.

In Athen aber erhielt man durch Feuerzeichen Nachricht von der Ankunft des Feindes, und infolgedessen entstand dort eine Bestürzung wie keine zweite im ganzen Kriege. In der Stadt glaubte man, die feindliche Flotte sei schon im Peiraieus, hier, die Feinde hätten Salamis bereits genommen und würden jeden Augenblick in den Hafen einlaufen. Und wären diese nicht so langsam gewesen, so hätte es auch leicht dazu kommen können, und der Wind würde sie schwerlich daran gehindert haben. Bei Tagesanbruch zogen die Athener allesamt nach dem Peiraieus, brachten die Schiffe zu Wasser, die sie mit großer Hast und viel Geschrei bestiegen und fuhren damit nach Salamis hinüber, während sie den Peiraieus mit Fußvolk be­ setzten. Die Peloponnesier aber, welche inzwischen fast die ganze Insel abgestreift und Menschen und Vieh weggetrieben hatten,

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machten sich damit und mit den drei Schiffen von der Warte Budoron, als sie die Athener kommen sahen, auf und davon nach Nisaia. Sie trauten wohl auch ihren Schiffen nicht recht, da diese nach längerer Zeit zum ersten Male wieder ins Wasser gekommen waren und nicht dicht hielten. In Megara an­ gekommen, zogen sie wieder zu Fuß nach Korinth. Auch die Athener, die sie bei Salamis nicht mehr angetroffen, fuhren wieder ab, sorgten aber von nun an durch Sperrung der Häfen und sonstige Vorsichtsmaßregeln besser als bisher für die Sicher­ heit des Peiraieus.

Um dieselbe Zeit, zu Anfang dieses Winters, zog der Thrakerkönig Sitalkes, Teres' Sohn, der Odryse, gegen den König Perdikkas von Makedonien, Alexanders Sohn, und die Chalkidier an der thrakischen Küste zu Felde, teils um die Er­ füllung eines ihm gegebenen Versprechens zu erzwingen, teils um ein seinerseits gegebenes zu erfüllen. Perdikkas hatte ihm nämlich für den Fall, daß er ihn in seiner damaligen gefähr­ lichen Lage mit den Athenern wieder aussöhnen und seinem mit ihm verfeindeten Bruder Philipp nicht zum Thron ver­ helfen würde, gewisse Versprechungen gemacht und ihm diese nicht gehalten. Er selbst aber hatte, als es ihm um das Bünd­ nis mit Athen zu tun war, den Athenern versprochen, dem Chalkidischen Kriege im thrakischen Küstenlande ein Ende zu machen. Aus diesem doppelten Grunde unternahm er jetzt den Feldzug, wobei Amyntas, Philipps Sohn, den er in Make­ donien auf den Thron setzen wollte, und die eben dieser Sache wegen zu ihm gekommenen Gesandten der Athener und der Feldherr Hagnon sich in seinem Gefolge befanden. Die Athener sollten nämlich auch mit einer Flotte und einem möglichst starken Heere in Chalkidike auftreten.

Zu seinem Zuge bot er zunächst die Thraker aus seinem Odrysenlande zwischen Haimos und Rhodope bis zum Schwarzen Meere und dem Hellespont auf; dann auch die Geten und die übrigen Völkerschaften aus den Ländern diesseits der Donau nach dem Schwarzen Meere zu. Die Geten und die anderen dortigen Völker sind Nachbarn der Skythen und wie diese be­

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waffnet, alles reitende Bogenschützen. Auch von den unab­ hängigen thrakischen Bergvölkern, welche Säbel führen und meist am Rhodope wohnen, den Diern, wie sie heißen, zog er viele an sich, die sich dazu teils gegen Sold, teils aus freien Stücken verstanden. Weiter auch die Agrianer und die Laiaier sowie die übrigen päonischen Völkerschaften, die noch unter seiner - mit ihnen aufhörenden - Herrschaft standen bis zu den päonischen Graiaiern und Laiaiern und an den Strymon, der vom Skomiongebirge kommt und durch das Land der Graiaier und Laiaier fließt, wo sein Reich an das von hier an freie Päonien grenzte. Gegen die ebenfalls unabhängigen Triballer bildeten Trerer und Tilataier die Grenze. Diese wohnen nördlich vom Skomiongebirge und reichen nach Westen bis an den Oskios, der auf demselben Gebirge entspringt wie der Nestos und Hebros, einem großen, mit dem Rhodope zu­ sammenhängenden wilden Gebirge.

Das Reich der Odrysen erstreckte sich an der Seeseite von der Stadt Abdera bis an das Schwarze Meer und die Donau. Auf kürzestem Wege kann ein Lastschiff, wenn es immer Wind mit hat, die Fahrt um das Land in vier Tagen und ebensoviel Nächten zurücklegen. Zu Fuß braucht ein rüstiger Mann auf dem kürzesten Wege von Abdera bis an die Donau elf Tage. So an der Seeseite. Im Innern würde ein guter Fußgänger den Weg von Byzanz bis zu den Laiaiern und an den Strymon, wo sich das Reich am weitesten landeinwärts erstreckt, in drei­ zehn Tagen zurücklegen können. Die von der altheimischen Bevölkerung und den griechischen Städten aufgebrachten Steuern betrugen unter Seuthos, dem Nachfolger des Sitalkes, wo sie freilich am höchsten waren, ungefähr vierhundert Talente Silber und wurden entweder in Silber oder in Gold ent­ richtet. Ebensoviel aber brachten die freiwilligen Geschenke an Gold und Silber, ganz abgesehen von alle den bunten und schlichten Geweben und sonstigen Kostbarkeiten, womit man nicht nur den König, sondern auch Fürsten und vornehme Herren der Odrysen zu beschenken pflegte, denn dort zu Lande, wie in Thrakien überhaupt, galt es umgekehrt wie in Persien

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für anständiger zu nehmen als zu geben, und man schämte sich mehr, ein Ansinnen abzulehnen, als eine Fehlbitte zu tun. Je höher jemand stand, um so mehr machte er sich das zunutze, und wer überhaupt was erreichen wollte, mußte erst den Beutel ziehen. So war hier ein mächtiges Reich entstanden. Unter allen Staaten in Europa, zwischen dem Ionischen und dem Schwarzen Meere, war keiner, der sich ihm an Steuerkrats und Wohlstand an die Seite stellen konnte, während es aller­ dings an kriegerischer Kraft und Zahl der Streiter den Skythen gegenüber erst sehr an zweiter Stelle kam. Denn in dieser Be­ ziehung kann sich mit den Skythen nicht nur in Europa kein Volk vergleichen, sondern auch in Asien gibt es keins, das ihnen, wenn sie einig wären, für sich allein gewachsen sein würde. An Bildung freilich und Verständnis für die Bedürfnisse eineS Kulturvolkes stehen sie mit anderen nicht auf gleicher Stufe.

Aus diesem seinem mächtigen Reiche also bot Sitalkes nun den Heerbann auf, und als alles fertig war, setzte er sich damit nach Makedonien in Marsch, erst durch eigenes Gebiet, dann durch das wilde Kerkinagebirge auf der Grenze zwischen Sintern und Päoniern, und zwar auf demselben Wege, den er dort früher schon auf seinem Feldzuge gegen die Päonier hatte durch den Wald hauen lassen. Auf dem Zuge aus dem Odrysenlande über dieses Gebirge hatte sein Heer die Päonier zur Rechten, die Sinter und Maider zur Linken und gelangte dann auf der andern Seite nach Doberos in Päonien. Ab­ gang an Mannschaft, soweit er nicht etwa durch Krankheit verursacht war, hatte er unterwegs nicht gehabt; im Gegenteil, er hatte noch Zuzug erhalten; denn in der Aussicht auf Beute hatten sich noch viele von den unabhängigen Thrakern frei­ willig angeschlossen, so daß das ganze Heer nunmehr mindestens hundertfunfzigtausend Mann stark gewesen sein soll. Das meiste davon war Fußvolk, nur ungefähr ein Drittel Reiterei. Die Reiterei hatten größtenteils die Odrysen gestellt. Unter dem Fußvolk waren die freien Säbelträger vom Rhodope die streitbarsten. Das übrige war ein buntes Völkergemisch, haupt­ sächlich durch die Menge furchtbar.

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Bei Doberos, wo das Heer sich sammelte, machte man Anstalt, von hier oben in das von Perdikkas beherrschte untere Makedonien einzufallen. Zu den Makedoniern gehörten nämlich auch die Lyukester und Elimioten und andere Stämme des Oberlandes, welche ihnen zugetan und untergeben sind, aber eigene Könige haben. Das heutige Makedonien an der Küste hatten Alexander, der Vater des Perdikkas, und dessen Vor­ fahren, ursprünglich Temeniten aus Argos, zuerst an sich ge­ bracht und ihrer Herrschaft unterworfen, indem sie die Pierer mit Waffengewalt aus Pierieu vertrieben, die sich später jen­ seits des Strymon am Pangaion in Phagres und anderen Orten niederließen, wie denn auch jetzt noch der Landstrich vom Pangaion abwärts bis an die See der Pierische Grund heißt. Aus der noch immer Bottiaia genannten Landschaft aber verdrängten sie die Bottiaier, die jetzt Nachbarn der Chal- kidier sind. In Päonien erwarben sie am Axios einen schmalen Strich Landes, der abwärts bis nach Pella und an die See reicht, und jenseits des Axios bis an den Strymon das Gebiet, welches Mygdonien genannt wird, aus dem sie die Edoner vertrieben. Aus der jetzt Eordia heißenden Landschaft ver­ drängten sie die Eorder, von denen die meisten umkamen und nur wenige sich bei Physka wieder ansiedelten, und die Al­ moper aus Almopia. Aber auch noch andere Stämme unter­ warfen sich diese Makedonier, welche noch jetzt unter ihrer Herrschaft tsehen, so Anthemus, Grestonia, Bisaltia und viele, die selbst auch zu den Makedoniern gehören. Alles das heißt jetzt Makedonien, und darüber war Perdikkas König, als Sital­ kes seinen Zug dahin unternahm.

Da diese Makedonier es mit dem großen Heere, das gegen sie heranzog, nicht aufnehmen konnten, zogen sie sich in die im Lande vorhandenen Schlösser und festen Plätze zurück. Allzuviel gab es deren freilich damals nicht. Später erst hat Archelaos, der Sohn des Perdikkas, nachdem er König ge­ worden, die jetzt vorhandenen Festungen gebaut, gebahnte Wege angelegt und die Einrichtungen für den Krieg überhaupt vervollkommnet und dabei für Ausbildung der Reiterei und

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des Fußvolks mehr getan als alle acht Könige vor ihm. Die Thraker rückten mit ihrem Heere zunächst in die früher von Philipp beherrschten Landesteile ein und nahmen Jdomene mit Sturm, während ihnen Gortynia, Atalense und einige andere Plätze freiwillig die Tore öffneten und aus Liebe zu Amynthas, dem im Heere befindlichen Sohne Philipps, zu ihnen über­ gingen. Europos belagerten sie, konnten es aber nicht nehmen. Darauf drangen sie auch in die übrigen Teile von Makedonien vor, links von Pella und Kyrrhos; darüber hinaus aber nach Dottiaia und Pierien kamen sie nicht; dagegen verheerten sie Mygdonien, Grestonien und Anthemus. Die Makedonier dachten gar nicht daran, es mit ihrem Fußvolk gegen sie aufzunehmen; die Reiter aber, die sie sich von ihren Verbündeten im Ober­ lande hatten kommen lassen, brachen bei Gelegenheit trotz ihrer geringen Zahl in die Masse der Thraker ein, und wo diese tapferen Panzerreiter einsetzten, warfen sie alleS vor sich nieder. Jedoch liefen sie dabei doch immer Gefahr, von der so vielfach überlegenen Masse umfaßt zu werden, und so gaben sie es schließlich auf, weil sie sich der Menge gegenüber zu solchen Wagnissen zu schwach fühlten.