History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Wahrmund, Adolf, translator. Stuttgart: Krais and Hoffmann, 1864.

In der Nacht beschlossen Nikias und Demosthenes, da eS um ihr Heer bei dem Mangel an allen Dingen so schlecht stand und in den zahlreichen Angriffen der Feinde sehr viele Leute schwer ,verwundet worden waren, man solle möglichst viele Lagerfeuer anzünden und das Heer abmarsckiren lassen, aber nicht mehr denselben Weg, den sie Anfangs im Sinne hatten, sondern nach der entgegengesetzten Seite, als da, wo die Syrakusaner ihnen aufpaßten, nämlich

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gegen das Meer hin. Es führte aber dieser Weg das Heer nicht nach [*]( 413v Chr. ) Katana, sondern nach der andern Seite von Sieilien gegen Kamanna und Gela und die dortigen hellenischen und barbarischen Städte. Nachdem sie nun viele Feuer angezündet, marschirten sie ab. Wie eS nun bei allen, besonders aber bei den größten Heeren zu gehen pflegt, daß panische Furcht und Schrecken sie ergreift, zumal beim Marsch in der Nacht und in feindlichem Land, wo die Feinde selbst nicht weit entfernt find, so fiel auch über sie Schreck und Verwirrung. Das Heer des Nikias zwar, wie es an der Spitze marshcirte, blieb zusammen und gewann einen bedeutenden Vorsprung, von dem des Demotshenes aber kam ungefähr die Hälfte oder noch mehr außer Fühlung mit den Andern und zog in Unordnung einher. Gleichwohl erreichten sie mit Tagesanbruch das Meer und schlugen hier die Straße ein, welche die Elorinische heißt, und marschirten so weiter, um am Flusse Kakyparis, wenn sie denselben erreicht hätten, aufwärts gegen das Binnenland zu ziehen, denn sie hofften daselbst auf die Sikuler zu treffen, nach denen sie geschickt hatten. Als sie aber bei diesem Flusse ankamen, so fanden sie auch hier eine Truppe der Syrakusaner, welche im Begriff war, Vershcanzungen aufzuwerfen und die Furt durch Pallisaden zu sperren. Sie warfen dieselbe jedoch, überschritten den Fluß und marshcirten dann gegen einen andern Fluß, den Erineos; denn dazu riethen ihnen die Wegweiser.

Als es nun Tag geworden war und die Syrakusaner und ihre Bundesgenossen sahen, daß die Athener entwischt seien, so beschuldigten die Meisten von ihnen den GylippoS', er habe sie absichtlich entkommen lassen. Doch machten sie sich allsogleich zur Verfolgung auf, und da leicht zu sehen war, wo jene marschirt seien, so trafen sie um die Zeit des Frühmahls auf sie. Als sie nun mit den Leuten des Demosthenes zusammenstießen, welche die Nachhut hatten und langsamer und unordentlicher marschirten, da sie in der Nacht in Verwirrung gerathen waren, so fielen sie dieselben allsogleich mit den Waffen an, und die Reiterei der Syrakusaner schloß sie mit leichter Mühe ein, da sie von den Vorderen getrennt waren, und trieb sie auf einen Platz zusammen. Das Heer des Nikias indeß hatte einen Vorsprung von fünfzig Stadien (1Meile), denn Nikias führte sie in größerer Schnelle, indem er glaubte, ihre Rettung liege jetzt nicht

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[*]( 413 v. Chr. ) darin, freiwillig Stand zu halten und zu fechten, sondern darin, möglichst rasch weiter zu ziehen und sich nur so weit in Gefechte einzulassen, als man durchaus dazu gezwungen werde. Demostyenes aber hatte größere und ununterbrochene Anstrengungen gehabt, da er die Nachhut bildete und die Feinde über ihn zuerst herfielen, und als er jetzt sah, daß die Syrakusaner ihn verfolgten, so stellte er sich, anstatt weiter zu marshciren, in Schlachtordnung, bis er über diese Verzögerung von jenen ganz eingeschlossen wurde und nun mit sammt seinen Athenern in die größte Bestürzung gerieth. Sie sahen sich nämlich abgeschnitten und auf einen Platz zusammengedrängt, den ringsum eine Mauer einschloß, mit Ausgängen aus beiden Seiten, und der mit vielen Oelbäumen bepflanzt war, und von allen Seiten wurden sie beschossen. Solcher Angriffe nämlich bedienten sich die Syrakusaner anstatt des Kampfes Fuß an Fuß, und mit Recht, denn einen Nahkampf mit verzweifelten Menschen zu wagen, mußte eher zum Nutzen der Athener ausfallen, als zum ihrigen; und dann wollten sie auch, weil sie schon ganz entschieden im Glück waren, ihre Leute schonen und nicht noch zu guter Letzt aufreiben lassen, da sie ohnehin auf diese Art die Athener gänzlich aufreiben und in ihre Gewalt bringen würden.

Nachdem sie nun den ganzen Tag über die Athener und ihre Bundesgenossen von allen Seiten beschossen hatten und dieselben durch Wunden und die andern Uebel, bereits gänzlich erschöpft sahen, so ließen ihnen Gylippos und die Syrakusaner sammt Bundesgenossen durch den Herold zuerst kund thun, wer von den Sikeliöten zu ihnen übertreten wolle, der könne es frei und ohne Gefahr, thun. Auf dieß trat die Mannschaft einiger Städte zu ihnen über. Danach kam auch mit der gesammten übrigen Mannschaft des Demosthenes eiu Vergleich zu Stande, wonah csie die Waffen abliefern mußten, aber Keiner von ihnen getödtet werden dürfe, weder durch gewaltsame Hinrichtung, noch im Gefängniß, noch durch Entziehung der nöthigen Nahrung. So ergaben sich denn Alle, ihrer sechstausend an der Zahl. Das Geld, welches sie hatten, mußten sie abgeben, indem sie eS in umgekehrte Schilde warfen, deren vier davon angefüllt wurden. Diese nun brachten sie sogleich nach der Stadt, Nikias aber

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und die Seinigen kamen desselbigen Tages noch zum Erineosfluß, [*]( 413 v. Chr. ) den sie überschritten und dann aus einer Anhöhe sich lagerten.

Die Syrakusaner aber holten ihn TagS darauf ein und ließen ihm sagen, daß die unter Demosthenes sich ergeben hätten; auch er solle dasselbe thun. Da er ihnen aber nicht glauben wollte, so bedung er sich aus, einen Reiter hinzusenden, um sich davon zu überzeugen. Als dieser nun zurückkam und meldete, daß Jene sich ergeben hätten, so ließ er dem Gylippos und den Syrakusanern sagen, er sei bereit im Namen der Athener einen Vergleich zu schließen: was die Syrakusaner an Geld aus den Krieg verwendet hätten, das solle ihnen zurückgezahlt werden unter der Bedingung, daß man ihn und sein Heer frei ziehen lasse; bis das Geld bezahlt sei, wolle er aus den Athenern Geißeln stellen, je einen Mann für ein Talent. Die Syrakusaner aber und Gylippos gingen aus diese Bedingungen nicht ein, sondern griffen ihn an und umstellten ihn von allen Seiten und beschossen auch ihn bis zum Abend. Auch hier litten die Athener durch Mangel an Brod und andern Bedürfnissen; gleichwohl aber dachten sie die Stille der Nacht abzuwarten, um dann weiter zu ziehen. Als sie da aber die Waffen ergriffen, merkten es die Syrakusaner und stimmten den Schlachtgesang an. Nun sahen die Athener, daß sie entdeckt seien und legten die Waffen wieder nieder, außer ungefähr dreihundert Mann; diese öffneten sich mit Gewalt den Weg durch die Posten der Feinde und marschirten in der Nacht weiter, wo sie kein Hinderniß fanden.

Als es Tag geworden war, führte Nikias sein Heer weiter; die Syrakusaner und ihre Bundesgenossen aber setzten ihnen auf dieselbe Weise zu, indem sie von allen Seiten schossen und Wurfspeere schleuderten. Die Athener eilten nach dem Flusse Assinaros, theils durch die von allen Seiten angreifende zahlreiche Reiterei und den übrigen Hausen nach diesem Flusse gedrängt, nach dessen Überschreitung sie überdieß Erleichterung hofften, zum Theil aber auch aus Erschöpfung und Begierde zu trinken. Als sie am Fluß angekommen waren, stürzten sie sich ohne alle Ordnung hinein; Jeder wollte nur zuerst hinnberkommen, und die nachdrängenden Feinde erschwerten bereits den Uebergang. Denn da die Athener in einem Haufen dicht bei einander zu marshciren genöthigt waren, so stürzte Einer über den

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[*]( 4l3 v. Chr. ) Andern, und man trat sich gegenseitig nieder. Viele stürzten in die Lanzen und blieben sogleich todt, Andere verwickelten sich in das Gepäck und wurden vom Strom mit fortgerissen. Die herangekommenen Syrakusaner aber schossen vom andern Ufer des Flusses aus die Athener herab, — denn das Ufer war steil, — während die Meisten derselben mit Gier tranken und in der tieseingeshcnittenen Bettung des Flusses wie in einen Knäuel verwickelt waren; die Peloponnesier aber stiegen ihnen nach in den Fluß hinab und tödteten vorzüglich die noch in demselben Befindlichen, so daß das Wasser schnell verunreinigt war. Trotzdem aber wurde es, mit Schlamm und Blut vermischt, wie es war, getrunken, und die Masse raufte sich noch darum.

Endlich nun, als die Leichname schon in großer Zahl^) und über einander gehäuft im Flusse lagen, und das Heer theils am Flusse selbst, theils auch, was weiterhin entkam, von den Reitern zusammengehauen war, ergab sich Nikias dem Gylippos, weil er diesem eher traute, als den Syrakusanern. Ueber ihn selbst, sagte er, solle Jener und die Lakedämonier verfügen, wie sie wollten, nur sollten sie aufhören, die andern Soldaten niederzumetzeln. Da befahl dennGylippoS, sie lebendig gefangen zu nehmen, und so brachte man die Uebrigen, außer die, welche sie selbst versteckten, deren Zahl sehr groß war, lebendig ein, und auch gegen die dreihundert, welche zur Nachtzeit die Wachen durchbrochen hatten, schickten fie Leute zur Verfolgung und wurden ihrer habhaft. Was auf diese Weise vom Heere als Gefangene für das Gemeinwesen zusammenkam, war nicht viel ^'), dagegen war die Zahl der heimlich auf die Seite Gebrachten groß, und ganz Sicilien war später voll davon, da sie nicht, wie die unter Demotshenes, in Folge eines Vergleichs gefangen worden waren. Eine bedeutende Zahl war aber auch gefallen ^); denn es war da ein großes Schlachten gewesen, und nicht geringer, als bei irgend einer Gelegenheit während dieses Krieges^). Und auch bei den andern Angriffen, die während dieses Zuges zahlreich vorkamen, waren [*]( 40) 18.000 nach Dir-der, Xlll. 19. Wohl viel weniger (Kr.). ) [*]( 41) Denn von den mehr.als 7000 (vrgl. Vll. 87) waren K000 mit Demosthenes gefangen, vu. 82 (Kr.). ) [*]( 42) Nach Vlutarch, Nikias, Kap. 27, wären viel mehr geblieben, alt gefangen (Kr.). ) [*]( 43) Damit kann nur der peloponnesische Krieg überhaupt gemeint sein. )

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Viele geblieben; Viele hingegen entkamen auch, theils bei dieser Ge- [*]( 412 v. Chr. ) legenbeit selbst, theils später, indem sie nach längerer Sklaverei entliefen. Diesen war Katana Zufluchtsort.

Nachdem die Syrakusaner und ihre Bundesgenossen sich gesammelt und von den Kriegsgefangenen so viele als möglich sammt der Waffenbeute mitgenommen hatten, zogen sie nach der Stadt zurück. Die Uebrigen von den Athenern und deren Bundesgenossen, so viele sie in Händen hatten, sperrten sie in die Steinbrüche, welche sie für den sichersten Gewahrsam hielten, den Nikias aber und Demotshenes tödteten sie gegen den Willen des Gylippos. Dieser nämlich glaubte, es werde für ihn selbst die ruhmvollste Leistung sein, wenn er zu den Andern auch seine Gegenseldherrn den Lakedämoniern nach Hause bringen könne. Zufällig traf es sich auch, daß der eine der beiden, Demotshenes nämlich, für ihren ärgsten Feind galt, wegen der Ereignisse auf der Inselund bei Pylos, während der andere bei eben dieser Gelegenheit sich ihnen sehr hilfreich erzeigt hatte. Nikias nämlich hatte mit allem Eifer für die Freilassung der auf der Insel gefangenen Lakedämonier gewirkt, indem er die Athener zu dem Friedensvertrag beredete, wofür ihm hinwiederum die Lakedämonier geneigt waren, was denn auch der Hauptgrund war, weßhalb er sich dem Gylippos voll Vertrauen ergeben hatte. Aber, wie jchon erzählt wurde, gab es unter den Syrakufanern Einige, die sich wegen der mit ihm gepflogenen Verhandlungen zu fürchten hatten, er möchte durch ein Geständniß auf der Folter ihnen das jetzige Glück verderben; Andere aber, und darunter besonders die Korinther, fürchteten, daß er bei seinem Reichthum Einige durch Geld bestechen und ibnen so entwischen könnte, um dann von Neuem gegen sie aufzutreten. Diese also überredeten die Bundesgenossen, und so wurde er getödtet. AuS diesen oder doch ganz ähnlichen Ursachen mußte er das Leben verlieren, obgleich er von allen Hellenen meiner Zeit am wenigsten ein so unglückliches Schicksal verdiente, denn in seiner ganzen LebenSund Handlungsweise hatte er sich dessen beflissen, was für tugendhaft und recht galt.

Die Leute in den Steinbrüchen behandelten die Syraku­ [*]( 44) Sphakteria. Drgl. IV. 24. 55. That-passen VII. ) [*]( 16 )

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[*]( 413 v. Chr. ) saner in den ersten Zeiten sehr hart. In dem tief eingeschnittenen und engen Raum waren sie in Menge zusammengepfercht, und Anfangs quälte sie die Sonne und die erstickende'Hitze, da der Ort nicht überdacht war,'und die darauffolgenden kalten Herbstnächte hinwiederum verursachten durch den starken Unterschied Krankheiten. Da sie des beschränkten Raumes wegen alle Verrichtungen an demselben Orte vornehmen mußten und dazu noch die Leichname derer auf einander gehäuft dalagen, welche an ihren Wunden, oder wegen des Temveraturwechsels, oder aus ähnlichen Krankheitsursachen starben, so waren die Gerüche unerträglich, und zugleich wurden sie durch Hunger und Durst gepeinigt. Jeder-Mann nämlich erhielt acht Monate^) hindurch eine Kotyle Wasser auf den Tag und zwei Kotvlen Mehl^). Auch von allem Andern, was an einem solchen Orte Eingesperrte zu leiden haben, blieb ihnen nichts erspart. Einige siebzig Tage mußten sie auf diese Weise zusammengesperrt aushalten; dann wurden, außer den Athenern und den Sikelioten und Jtalioten, die etwa den Krieg mitgemacht hatten, die Uebrigen als Sklaven verkauft. Die Gesammtzahl der Gefangenen, die indeß nur schwer mit Genauigkeit anzugeben wäre, betrug gleichwohl nicht unter siebentausend.

Auf diese Weise hat sich das allerwichtigste Ereigniß in diesem Kriege, nach meinem Dafürhalten aber auch das Wichtigste von Allem, was wir ans den Geschichten der Hellenen wissen, zugetragen, — für die Sieger das glorreichste, für die Besiegten das unheilvollste. Denn in jeder Beziehung waren sie ganz und gar geschlagen, und in keinem Stück hatten sie etwa nur geringe Verluste erlitten, sondern mit Stumps und Stiel, wie man zu sagen pflegt, war Alles zu Grunde gegangen, und Nichts war übrig von Heer nnd Flotte. Nur Wenige von den Vielen kamen wieder nach Hause zurück.

Das ist es, was sich irr-Sieilien zugetragen hat. [*]( 45) Nach dieser Zelt verkaufte man wahrscheinlich auch die nicht schon nach etwa liebtiijig'Tagni Veikansten (Arnold).' T ^ ' ) [*]( 46) Die Kotyle, ein Map für flüssige und trockene Dinge, isi der vierte Theil des Choinir nnd beträgt "N/z Unzen an Gewicht. Die gewöhnliche tägliche Nahrung, besonders für Sklaven, ist ein Choinir, also das Doppelte des hier Gcreichien. starke?sier verzehrten zwei, drei und niehr Choinilen. Vrgl. B?ckh, Staat?!', d. N. )