History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Wahrmund, Adolf, translator. Stuttgart: Krais and Hoffmann, 1864.

Neunzehntes Kriegsjahr 413—12. Fortsetzung Kap. I—-VI.

Eindruck der siciliauischen Ereignisse zu Athen. Rüstungen beider Theile Kap. 1—4. — Die Atheuischeu Bundesgenossen trachten abzufallen. Tissaphernes bewirbt sich um die Hilfe der Peloponnesier Kap. 5. — Deßgleichen Pharnabazos. Die Lakedämonier beschließen, Chios zu unterstützen Kap. 6.

Zwanzigstes Kriegsjahr 412—11. Kap. VII-

Seerüstungen der Peloponnesier. Einundzwanzig ihrer Schiffe von den Atheuern geschlagen und bei Piräon blokirt Kap. 7—11. — Die Peloponnesier mit Alkibiadeö bewirken den Abfall vonAhios und Klazomenä. Gegenrnstuugen der Athener Kap. 12—15. — Keos und Milet fallen ab Kap, 16. 17. — Erster Vertrag des Tissaphernes mit Sparta Kap. 18. — Wechselndes Kriegsglück. Vorfälle zu Chios, Piräon, Samos, LesboS, Milet Kap. 39—41. — Zweiter Vertrag des Tissaphernes mit Sparta Kap. 37. — Seesieg der Peloponnesier bei Syme Kap. 42. — MißHelligkeiten zwischen Tissaphernes und den Peloponnesier« Kap. 43. — Rhodos fällt von Athen ab Kap. 44. — Jntrigueu des Alkibiadeö bei Tissaphernes zu Gunsten der Athener. Samos Kap. 45—52. — Die Oligarchen zn Athen Kap. 53. 54. — Kriegsverhältnisse zur See Kap. 55. — Dritter Vertrag des Tissaphernes mit Sparta Kap. 56 — 59. — Ereignisse auf Euböa und Chios Kap. 60.

IV
Einundzwanzigstes Kriegsjahr 411. Kap. I^XI—LIX.

Vorfälle im Hellespont Kap. 61. 63. — Von Samos ans kommt die Oligarchie nach Athen Kap. 63—70. — Die Oligarchen unterhandeln mit den Lakedämoniern Kap. 71. 72. — Bei den Athenern ans Samos gewinnt die Demokratie die Oberhand Kap. 73—77. — Unzufriedenheit der Peloponnesier mit Tissaphernes. Byzanz fällt von Athen ab Kap. 78—80. — Die Athener auf Samos erwählen den Alkibiades zum Feldherrn Kap. 80. 81. — Aufruhr im peloponnefischen Lager vor Milet. Feldherrnwechsel Kap. 83 bis 85.— Alkibiades hindert die Athener auf Samos, gegen Athen zu ziehen Kap.-86. — Tissaphernes und die phönikischen Schiffe Kap. 87. 88. — Spannung der Parteien zu Athen. Drohendes Erscheinen einer peloponnefischen Flotte, die den Abfall von Euböa bewirkt. Sturz der Oligarchen, Einsetzung der Fünftausend. Alkibiades und die auf Samos zurückgerufeu Kap. 89—^8. — Die peloponnesische Flotte geht von Milet nach dem Hellespont. Vorfälle auf Lesbos und im Hellespont Kap. 99 — 103. — Seesieg der Atheuer bei Kyuos-Sema Kap. 103—106. — Die Athener nehmen Kyzikos Kap. 107. — Alkibiades zu Halikarnassos, befestigt Kost, kehrt nach Samos zurück. Zerwürfnisse zwischen den Peloponuesiern und Tissaphernes. Dieser sucht sie zu heben Kap. 108. 109. ' '

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Als diese Nachrichten nach Athen gekommen waren, wollte qiz man lange nicht glauben, daß Alles so durchaus verloren sei, nicht ^hr. einmal den angesehensten Kriegsleuten, die aus dem Kampf selber entronnen waren und zuverlässige Meldung thaten. Als sie aber endlich die Wahrheit erkannten, geriethen sie in Zorn gegen die Redner, die zu dem Seezug mitgerathen hatten, als ob sie nicht selber dafür gestimmt hätten, und auch auf die Zeichendeuter und Wahrsager-zürnten sie und auf Alle, welche damals durch Götterzeichen' die Hoffnung in ihnen angeregt hatten, daß sie Sicilien nehmen würden. In. jeder Beziehung und von allen Seiten bedrängte sie Bekümmerniß, und Furcht und höchste Bestürzung überkam sie wegen des Geschehenen. Denn sowohl jeder Einzelne für sich hatte Verlust erfahren, und auch der Staat sah sich so vieler Schwerbewaffneter und Reiter und junger Mannschaft beraubt, für die kein neuer Ersatz-vorhanden war. Dann sahen sie auch auf den Werften keine Schiffe in genügender Zahl, noch Geld im Staatsschatz, oder Rudermann-schaft für die Schiffe, und so verzweifelten sie unter solchen Umständen an ihrer, Rettung und glaubten, die Feinde würden mit der Flotte von Sicilien aus grade auf den Piräeus lossegeln, da sie einen so gewaltigen Sieg erfochten hätten. Und ihre Feinde in Griechenland selbst, die damals in aller Hinsicht doppelt stark gerüstet waren, würden jetzt mit aller Macht zu Land und zu Wasser über sie herfallen, und mit ihnen ihre eigenen Bundesgenossen. Gleichwohl glaubten sie, so weit die vorhandenen Mittel erlaubten, nicht nachgeben zu dürfen, und beschlossen eine Flotte zu rüsten und Holz und [*]( Thukydide». VIll. ) [*]( 17 )

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[*]( 413 v. Chr. ) Geld dazu von wo immer aufzutreiben, und sich ihrer Bundesgenossen zu versichern, vor allen Dingen aber Euböa's. Zn ihrem städtischen Wesen wollten sie der Ersparungen halber sich einschränken und eine Behörde von älteren Männern wählen, welche über die Vorkommnisse nach Zeit und Umständen vorberathen sollten. In allen Dingen waren sie der augenblicklichen Furcht halber bereit, die schönste Ordnung einzuführen, wie es eben das Volk zu thun Pflegt. Und wie sie beschlossen hatten, so thaten sie auch, und damit ging der Sommer zu Ende.

In dem nun folgenden Winter waren durch das große Unglück der Athener in Sicilien alle Hellenen sofort in große Erregung versetzt worden. Diejenigen von ihnen, welche sich bis dahin keiner Partei angeschlossen hatten, glaubten sich nicht länger mehr des Krieges enthalten zu dürfen, auch wenn Niemand sie dazu auffordere, sondern aus eigenem Antrieb müsse man gegen die Athener losgehen. Denn sie glaubten, wenn die Athener nur in Sicilien gesiegt hätten, so würden sie dann auch über jeden von ihnen ohne Ausnahme hergefallen sein, und jetzt, dachten sie, könne der Krieg nur mehr kurze Zeit dauern, und gleichwohl sei es ehrenvoll, sich noch daran zu betheiligen. Die Genossen der Lakedämonier ihrerseits zeigten jetzt noch größeren BundeSeiser als früher, um sich so rasch als.möglich von so großer Bedrängniß zu befreien; vor Allem aber waren die Unterthanen der Athener selber bereit, abzufallen, ohne Berechnung ihrer eigenen Mittel, da sie Alles nur nach ihrer Leidenschaft beurtheilten und nicht einmal so viel Ueberlegung behielten, um daran zu.denken, wie sie auch nur für den folgenden Sommer sich zu halten im Stande wären. Der Staat der Lakedämonier aber gewann auS all diesen Umständen neuen Muth, zumal da auch wohl die Bundesgenossen aus Sicilien, nachdem ihnen die Noth zu einer Flotte verholfen, bei Frühlingsanbruch mit großer Macht zu ihnen stoßen würden. Da sie so von allen Seiten in zuversichtlicher Hoffnung waren, so gedachten sie, sich ganz rücksichtslos dem Krieg zu widmen, indem sie überlegten, daß sie nach dessen glücklicher Beendigung für die Zukunft auS einer so großen Gefahr befreit sein würden, wie Seitens der Athener sie ihnen gedroht hätte, wenn diese die Sikelische Macht zu der ihrigen gewönnen hätten, und daß sie, wenn jene erst

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gestürzt seien, die Obmacht über ganz Hellas ganz sicher in der [*]( 41!3 v. Chr. ) Hand haben wurden.

Sogleich nun mit Winters Anfang zog ihr König Agis mit einer Truppe von Dekeleia aus, sammelte unter den Bundesgenossen Geld für die Flotte, und sich gegen den Melischen Busen hinwendend nahm er, gemäß der alten Feindschaft '), den Oetäern viel Beute 2) ab, die er zu Geld machte, und zwang die Phthiotischen Achäer und die übrigen Thessalischen Unterthanen in dortiger Gegend, trotz Scheltens. und Einspruchs von Seiten der Thessaler, Geißeln und Geld zu geben, und versuchte? sie für die Bundesgenossenschaft der Lakedämonier zu gewinnen. Die Geißeln gab er nach Korinth in Gewahrsam. Die Lakedämonier schrieben bei den Städten den Bau von hundert Schiffen aus, sich selbst und den Böotern schrieben sie je fünfundzwanzig zu, den Phokensern und Lokrern fünfzehn und auch den Korinthern fünfzehn, den Arkadern und Pelleneern und Sikyoniern zehn, den Megarensern und Trözeniern und Epidauriern und Hermioneern zehn. Auch veranstalteten sie alle sonstige Rüstung, um sogleich gegen das Frühjahr hin den Krieg zu beginnen.

Es'betrieben aber auch die Athener in eben diesem Winter ihrem Vorhaben gemäß den Schisssbau, indem sie Holz herbeischafften, und Sunion befestigten sie, damit ihre Kornschiffe dort ungefährdet herumsegeln könnten ^). Die Verschanzung in Lakonien, welche sie bei der Ueberfahrt nach Sicilien erbaut hatten, gaben sie auf, und auch sonst, wo etwas ohne entsprechenden Nutzen Aufwand erheischte, schränkten sie sich der Ersparungen halber ein; vor Allem aber faßten sie die Verhältnisse der Bundesgenossen in's Auge, damit diese nicht abfallen könnten.

Während nun beide Theile diese Dinge betrieben und in der Rüstung zum Krieg noch nicht über den ersten Anfang hinaus- gekommen waren, schickten zuerst in diesem Winter die Euböer Botschaft zum Agis wegen ihres Abfalls von den Athenern. Dieser nun ging auf ihre Vorschläge ein und schickte nach Lakedämon um den [*]( 1) Vergl. IlI, 92. ) [*]( 2) Zm antiken Sinn Vieh und Gefangen», die als Sklaven verkauft werden. ) [*]( 3) Vergl. VII, ) [*]( 17* )

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[*]( 413 .'v. Chr. ) Älkamenes, des SthenelaidaS Sohn/und deinMelantho's^ die das Unternehmen wegen Euböa's anführen sollten. Diese kamen an und brachten von-den Neubürgern gegen dreihundert Mann mit, und Agis dachte'eben ihre Ueberfahrt in'S Werk zu setzen. "Da^ kamen aber auch Leute^von LeSboS, 'die gleichfalls von Athen abfallen'wollten^'Sa nun die Euböer-die Sache der Leöbier unterstützten, so ließ sich Agis'bereden, wegen Euböa'S noch zu warten/ und traf die Anstalten fürsden Abfall der LeSbier.' Als Statthalter "(Harmostes) gab er ihnen den Älkamenes, der nach Euböa hätte segeln >sollen/Und zehn'Schiffe versprachen ihnen die-Böotier und'zehn AgiS.- DaS Alles geschah-ohne'Befragung des Lakedämonischen Gemeinwesens, denn-für die-ganze Zeit, welche Agis mit-seiner Macht Dekeleia besetzt hielt, hatte er'freie Verfügung,- sowohl Truppen irgendwohin zu schicken, wenn'er wollte, als auch solche zu'samme'ln und Geld einzutreiben-,-ja es waren für diese ganze Zeit die'Bundesgenossen, so zu sagen; mehr an seine Person'gewiesen, als an das Staatswesen der Lakedämonier) denn da'er! eine bedeutende'Truppenmacht hatte und überall rasch-zur Hand war, so flößte er Furcht ein. Die Sache der Lesbier also betrieb er selber, die Chier aber und.'Erythräer, die ebenfalls zum! Abfall bereit waren, «wendeten sich nicht.an den Agis, sondern nach/Lakedämon.Und zugleich.mit diesen war daselbst>auch ein Gesandten des Tissaphernes. erschienen, der für den König DareioS/des Artaxerxes. Sohn, Statthalter war über die an'der Seelüfte.' Dennauch.Tissaphernes suchte die Peloponnefier.zu gewinnen und versprach:-ihnenNahrungsmittel zu liefern. Er war nämlich kürzlich gemahnt worden-vom. Könige wegen der Steuern aus seiner Statthalterschaft, mit denen er noch rückständig« wat,."da-er,sie der Athener-wegen von,den hellenischen Städten nicht einziehen konnte. Wenn er-aber die Athener, schwächte, so, dachte er diese Abgaben leichter, eintreiben-zu-können ^und zugleich die. Lakedämonier dem .Könige, als Bundesgenossen zu.gewinnen und auch iden Amorges, einen unächten Sohn des Pissuthnes, der im Karischen,Lande Aufruhr trieb, todt oder lebendig einliefern zu können, wie der König eS befohlen. ^ , [*]( 4) ziemt, V. 34 )

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Die.Chicr also und Tissaphernes betrieben gemeinsam, die. [*]( 413 v, Chr. ) selbe Sache. Kalligeitos aber, der Sohn des Laophon, uns. Megara und Timagoras,.des Athenagoras Sohn, aus KyzikoS, die, beide aus ihrer Heimak'verbannt. bei Pharnabazos, dem Sohne des Pharnakes, wohnten, kai^en',,von Pharnabazos gesendet,, um dieselbe Zeit nach . Lakedämon ,/um hier zu bewirken, daß^Schiffe nach dem Hellespont gesendet würden. Dabei hatte Pharnabazos,dieselben Gedanken wie TissapherneS, nämlich, wenn er könnte, die Städte in seiner Statthalterschaft den Athenern abwendig zu.machen, der Steuern wegen, und durch seine Bemühung dem Könige die Bundesgenossenschaft der Lakedämonier zu verschaffen. Da aber beide Theile, die Gesandten des Pharnabazos nämlich und die des Tissaphernes, ihre Sache gesondert betrieben,-' so entstand in Lakedämon unter ihnen em großer Streit, da die Einen zuerst nach Jonien und Chios, die Ändern nach dem Hellespont Schiffe und. Truppen geschickt haben wollten. ^Die Lakedämonier selbst aber unterstützten vielmehr das Anliegen der Chier und des'Tissapherneö', denn es war für diese auch Alkibiades thätig, der mit dem damaligen Ephoren Indios von den Vorfahren her in engster gastfreundlicher.Beziehung stand, daher ^denn auch die Glieder ihres Hauses eben dieser Gastfreundschaft wegen einen Lakonischen Namen erhielten: Endios nämlich hieß Sohn des AlkibiadeS 5). "/Gleichwohl sandten die Lakedämonier zuerst einen Kundschafter nach,Chios. den Phrynis, einen Mann^aus den Beisitzern,-5 ob sie nämlich.wirklich so viel Schiffe hätten,-wie fie?sagten, und ihr Gemeinwesen.auch, sonst so mächtig wäre, wie der Rufvon ihnen ging. Als nun dieser zurückmeldete,, daß in Wahrheit eS sich so verhalte, wie jene gesagt, so nahmen sie die Chier und Erythräer all-; sogleich als Bundesgenossen auf und beschlossen^ ihnen vierzig Schiffe zu senden, da nach dem, was die Chier sagten, bei ihnen selbst nicht weniger als sechzig vorhanden. wären. Und^für's.Erste wollten sie selbst deren zehn absenden und, dazu den Mela^kridas,- ihren Flottenbesehliger; als aber dann ein Erdbeben eintrat 6), so schickten sie an [*]( 5) Des Endios Vater hieß also AlkibiadeS. Daß eine abwechselnde Folge der Namen Endios und AlkibiadeS in der Familie stehend war (Arnold), »vermag ich nicht^u verz bürgen.'. (Ar.) )

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[*]( 413 v. Chr, ) des Melankridas Statt den Chalkideus ?), und rüsteten anstatt der zehn Schiffe'nür fünf auf Lakonischem Gebiete aus.. ^ ^ ^ -

So ging dieser Winter zu Ende und mit ihm- das neunzehnte Jahr dieses Krieges, den Thukydides beschrieben hat. ''

[*]( 412 v. Chr ) Da aber mit Anfang des folgenden Sommers die Chier allsofort die Absenkung der Schiffe betrieben, weitste auch fürchteten, daß die Athener von ihren Absichten^ etwas merken möchten — denn alle hatten ihre Botschaften vor den Athenern zu verheimlichen gewußt — so schickten die Lakedämonier drei spartiatische Männer nach Korinth, welche dafür sorgen sollten, daß die Schiffe vom jenseitigen Meer so rasch als möglich über die Landenge nach dem Meer'auf der Athenischen Seite gezogen würden und dann sämmtlich nach Chios unter Segel gingen, sowohl die, welche Agis für Lesbosausrüstete, als auch die andern. Es waren aber alle Schiffe der Bundesgenossen, die dort zusammen kamen, an Zahl neununddreißig. '