History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Wahrmund, Adolf, translator. Stuttgart: Krais and Hoffmann, 1864.

Nach diesem gewaltigen'Seekampfe, in welchem beide Theile viele Schiffe^) und Menschen verloren hatten, sammelten die siegreichen.Syrakusaner und ihre Bundesgenossen die Schiffstrümmer ..und die Todten und segelten dann nach der Stadt und errichteten ein Siegeszeichen; die Athener aber dachten wegen der Größe der augenblicklichen Gefahr nicht einmal daran, um die Auslieferung ihrer Todten oder Schiffstrümmer zu bitten, sondern faßten den Beschluß, sogleich in" der folgenden Nacht abzuziehen. Demosthenes seinerseits kam zu Nikias und meinte/ise sollten die noch übrigen Schiffe bemannen und wo möglich mit Tagesanbruch die Durchfahrt erzwingen, denn', sagte er, sie selbst hätten mchr'seetüchtige Schiffe übrig behalten, als die Feinde. Es waren nämlich den Athenern deren gegen sechzig /übrig geblieben, den Gegnern'aber nicht einmal fünfzig. Nikias nun trat seiner Meinung bei; als sie aber die Schiffe bemannen wollten, so weigerten sich die Männschaften, sie zu besteigen; so entnmthi'gt waren sie durch die Niederlage und so sehr verzweifelten sie, je wieder einen Sieg zu gewinnen. Demnach also vereinigte sich Aller Meinung dahin, daß man. zu Lande abziehen wolle. [*]( 38) Attische fünfzig, syrakusische secht und zwanzig; siehe den Schluß diese! Kap. )

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Hermokrates aber, der Syrakusier, vermuthete ihre Ab- [*]( 4l3 v. Chr. ) ficht, und da er es für sehr gefährlich hielt, wenn ein so zahlreiches Heer zu Lande sich zurückziehe und, sich irgendwo auf Sieilien festsetzend, von Neuem den Krieg gegen sie beginne, so ging er zu den Behörden und hielt ihnen vor, daß man nicht ruhig zusehen dürfe, wenn jene zur Nachtzeit abzögen; vielmehr, sagte er in Darlegung feiner Ansicht, sollten sämmtliche Syrakusaner und die Bundesgenossen ausziehen und die Wege verbauen und die Engpässe noch vorher rechtzeitig besetzen und bewachen. Jene nun waren auch schon für sich derselben Meinung und hielten dafür, man sollte dieß Alles thun; aber, meinten sie, die Leute, die jetzt nach der großen Seeschlacht froh wären sich ausruhen zu können, würden nicht gern gehorchen wollen, zumal auch ein Festtag sei — es wurde nämlich am selben Tag ein Heraklesopser gefeiert.

In ihrer großen Freude über den Sieg hätten sich die Meisten an dem festlichen Tage zu Trinkgelagen gewendet und würden sich eher zu allem Andern verstehen, als augenblicklich die Waffen zu ergreifen und auszuziehen. Da nun den Behörden die Sache aus diesen Ueberlegungen unthunlich erschien, so redete ihnen Hermokrates nicht weiter zu, sondern setzte ans eigene Faust die folgende List in's Werk. Weil er fürchtete, die Athener möchten während der Nacht in aller Stille einen Vorsprung gewinnen und die schwierigsten Stellen hinter sich bringen, so schickte er einige seiner Genossen, von Reitern begleitet, als es anfing zu dunkeln, zum Lager der Athener. Diese ritten so nahe heran, daß man sie hören konnte, und riesen einige Leute an, als ob sie Freunde der Athener wären — denn Nikias hatte unter den Syrakusanern seine Zuträger — und befahlen ihnen, dem Nikias zu sagen, er solle das Heer nicht zur Nachtzeit abführen, da die Syrakusaner die Wege besetzt hielten, sondern ruhig seine Anstalten treffen und bei Tage abziehen. Jene, nachdem sie dieß ausgerichtet, ritten wieder davon, und die sie gehört hatten, meldeten es den Feldherrn der Athener, die denn auch auf diese Meldung hin die Nacht über stehen blieben, indem sie an einen Betrug nicht glaubten.

Da es aber auch so nicht so rasch zum Abzug kam, so beschlossen sie auch noch den nächsten Tag zu bleiben, damit die Soldaten das Nöthigste so gut wie möglich zusammenpacken und alles

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[*]( ,4l3 v. Chr. ) Andere zurücklassen könnten, indem sie nur mitnähmen, was für die leiblichen Bedürfnisse das Ersprießlichste sei, um dann aufzubrechen. Die Syrakusaner aber und Gylippos kamen ihnen mit dem Landheere zuvor und versperrten die Wege im Lande, welche die Athener nothwendig passtren mußten, besetzten die Furten der Bäche und Flüsse, und stellten sich, wo es ihnen passend schien, auf, um das Heer der Feinde zu empfangen und am Weitermarsch zu hindern. Ihre Schiffe aber fuhren heran und zogen die Fahrzeuge der Athener vom User herab; einige wenige hatten die Athener ihrem Vorhaben gemäß verbrannt, die übrigen nahmen sie in aller Ruhe, ohne daß Jemand sie hinderte, wo grade jedes an's Land getrieben war, in's Schlepptau und brachten sie nach der Stadt.

Danach, als dem Nikias und Demosthenes Alles hinreichend vorbereitet schien, erfolgte endlich der Aufbruch des Heeres am dritten Tag nach der Seeschlacht. Es war aber ein jammervoller Auftritt aus mehr als einer Ursache. Nicht nur zogen sie jetzt ab, nachdem sie alle ihre Schiffe verloren hatten, und anstatt der Erfüllung ihrer großartigen Hoffnungen schwebten jetzt sie selber und ihr ganzer Staat in größter Gefahr, sondern es bot sich auch beim Verlassen des Lagers dem Auge eines Jeden Schmerzliches und den Sinn Verwundendes. Denn die Todten lagen unbegraben, und wenn Einer einen Angehörigen daliegen sah, so ergriffen ihn Schmerz und Furcht zugleich, und die, welche lebend zurückgelassen wurden, verwundet oder krank, waren den Ueberlebenden ein noch schmerzlicherer Anblick, als die Todten, und weitunglükclicher, als die Gefallenen. Denn sie streckten flehend die Hände aus und wehklagten und brachten sie zur Verzweiflung, indem sie baten, man möge sie doch mitnehmen. Und wenn Einer wo einen Freund oder Angehörigen sah, so riefen sie Jeden beim Namen an, und wenn ihre Zeltgenossen sich in Marsch setzten, so klammerten sie sich fest an sie und folgten ihnen, so weit sie konnten, und wenn Einen dann die Kraft verließ und die Glieder ihnen versagten, so blieben sie unter Beshcwörungen und Wehgeheul liegen, so daß das ganze Heer in Thränen unter diesem Widerstreit der Gefühle nur schwer abzog, obgleich sie Feindes Land verließen und sie selber schon Unheil erlitten hatten, das mehr als beweinenswerth war, und von der ungewissen Zukunft solches noch befürchten

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mußten. Dazu herrschte unter ihnen auch Beschämung und Selbst- [*]( 413 v. Chr. ) anklage, denn ihr Zug glich ganz und gar der flüchtigen Bevölkerung einer eroberten Stadt, und zwar einer nicht kleinen, denn nicht weniger als vierzig tausend Mann war die gesammte Masse stark, die sich in Marsch setzte. Und von diesen trugen nicht nur die Andern, was Jeder Brauchbares mitnehmen konnte, sondern sogar auchdie Schwerbewaffneten und die Reiter trugen zu ihren Waffen auch ihre Lebensmittel, theils aus Mangel an Waffenknechten ^), theils auch aus Mißtrauen; denn die Meisten derselben waren schon früher oder eben jetzt zu den Feinden übergelaufen. Gleichwohl hatten sie auch so nicht das Genügende zum Mitnehmen, da kein Brod mehr im Lager war. Das übrige Elend und die gleiche Betheiligung Aller an dem Unglück, die doch sonst bei einer großen Zahl von Mittragenden Erleichterung gewährt, wurde in der gegenwärtigen Lage deßhalb doch um nichts leichter genommen, zumal man von solchem Glanz und so großartigen Versprechungen des Beginnens zu solchem Ende und solcher Erniedrigung herabgekommen war. Denn eS war dieß der größte Glücksumschlag, den je ein Hellenisches Heer erlitten. Gekommen, um Andern Knechtschaft zu bringen, mußten sie nun abziehen in der Furcht, daß ihnen selber dieß Schicksal bevorstehe; anstatt glückverheißender Wünsche und Kriegsgesänge, in deren Geleit sie von , der Heimath abgesegelt waren, brachen sie jetzt unter den entgegengesetzten Zurufungen auf; aus Seeleuten waren sie Landsoldaten geworden, und anstatt Schiffsdienst zu thun, marshcirten sie jetzt als Schwerbewaffnete. Und doch schien ihnen selbst dieß Alles noch erträglich gegen die Gefahr, die noch drohend über ihren Häuptern schwebte.

Als nun Nikias das Heer so muthlos und ganz umgewandelt sah, so durchschritt er die Reihen, um sie zu ermuthlgen und zu trösten, so gut es anging, und wie er von den Einen zu den Andern vorschritt, steigerte er die Gewalt seiner Stimme, theils im Eifer, theils um möglichst weithin gehört zu werden und zu nützen: ^

„Auch in dieser unserer Lage, ihr Athener und Bundesgenossen, dürfen wir die Hoffnung nicht sinken lassen.. Schon Manche find aus noch schlimmeren Lagen, als diese ist, gerettet worden! [*]( 39) Mal. III, 17 und Anm. )

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[*]( 4l3 Chr. ) Macht euch auch nicht allzuviel Vorwürfe wegen der Niederlagen und des jetzigen ganz unverdienten Unglücks. Ich selbst bin ja nicht kräftiger, als Einer von euch — denn ihr seht ja, wie mich die Krankheit zugerichtet hat; und obgleich ich in meinem Privatleben und in anderer Beziehung vom Glück nicht weniger begünstigt schien, als irgend Einer, so schwebe ich nun doch in derselben Gefahr, wie der Allerletzte. Und doch habe ich immer in frommer Verehrung der Götter ihrem Dienst eifrig obgelegen und gegen die Menschen gerecht und ohne Gehässigkeit gehandelt. Aber grad darum ist mein Blick in die Zukunft auch voller Zuverficht, und unser Unglück schreckt mich nicht, wie es sonst wohl könnte. Leicht dürste es jetzt bald fein Ende haben! Denn das Glück der Feinde hat schon sein Maß voll gemacht, und wenn unser Kriegszug vielleicht den Neid einer Gottheit erregt hat, so sind wir schon hinlänglich geschlagen. Es haben ja auch schon Andere solche Kriegszüge gegen Andere unternommen und find für ihr menschliches Thun nur erträglich gezüchtigt worden; und so dürfen auch wir hoffen, daß die Gottheit uns jetzt gnädiger sein werde, denn wir sind jetzt schon mehr ihres Mitleids würdig, als des Neides. Schaut doch nur auf euch selber, wie trefflich gerüstet und wie zahlreich ihr da in geschlossener Ordnung marschirt! So fürchtet euch also nicht zu sehr, und bedenket, daß ihr für euch schon eine Stadt bildet, wo immer ihr euch festsetzen werdet, und daß kein anderer Staat auf Sieilien weder euren Angriff leicht aushalten, noch auch, wenn ihr euch wo festgesetzt hättet, euch verjagen könnte. Daß der Marsch so sicher und geordnet als möglich sei, dafür müßt ihr selber sorgen, und Jeder soll denken, daß der Platz, auf dem er zu fechten gezwungen wird. nur durch seinen Sieg ihm Vaterland und Festung wird. Wir müssen aber eilen und Nacht wie Tag marschiren, denn wir haben nur wenige Lebensmittel, und erst wenn wir einen befreundeten Platz der Sikuler erreicht haben, die aus Furcht vor den Syrakufanern noch treu zu uns halten, dürft ihr glauben in Sicherheit zu fein. Es find schon Leute an sie vorausgeschickt, daß sie uns entgegenkommen und LebenSmittel mitführen sollen. Ueberhaupt aber, ihr Soldaten, müßt ihr bedenken, daß ihr euch als tapfere Männer erzeigen müsset, denn kein Platz ist in der Nähe, in den ihr in muthloser Flucht euch retten könntet; und wenn ihr euch jetzt durch die
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Feinde durchschlagt, so werdet ihr Andern das wiedersehen, wonach [*]( 4l3 v. Chr. ) eines Jeden Herz sich sehnt, und ihr Athener werdet die große Macht 'eurer Vaterstadt, wenn sie auch herabgesunken ist, wieder aufrichten; denn Männer sind der Staat, und nicht Mauern oder Schiffe ohne Männer." '

. Mit diesen ermunternden Worten schritt Nikias längs des Heeres hin, und wenn er irgendwo zerstreute Leute sah, die nicht in der Ordnung marshcirten, so stellte er sie an ihren Platz, und ebenso that Demosthenes, indem er zu den Seinigen eben Solches undAehnlicheS redete. Voran marschirte der Haufe des Nikias im länglichen Viereck; hinterdrein kam die Abtheilung des Demotshenes. Die Gepäckträger und den meisten Troß hatten die Schwerbewaffneten in die Mitte genommen. Als sie nun bei der Furt des Anaposflusses anlangten, so fanden sie daselbst Truppen der Syrakusaner und ihrer Bundesgenossen aufgestellt, jagten diese aber in die Flucht, bemächtigten sich der Furt und marshcirten weiter. Die Syrakusaner aber umshcwärmten sie mit ihren Reitern, und auch ihre Leichtbewaffneten setzten ihnen mit Speerschüssen zu. Nachdem sie an diesem Tage gegen vierzig Stadien vorgerückt waren, brachten die Athener die Nacht bei einem Hügel zu; des folgenden Tags in der Frühe brachen sie wieder auf und marshcirten gegen zwanzig Stadien und kamen dann in eine Ebene und lagerten daselbst, in der Absicht, aus den Gehöften daselbst Lebensmittel zu nehmen — denn die Gegend war bewohnt — und von hier auch Wasser mit sich zunehmen, denn weiterhin in der Gegend, durch die sie ziehen wollten, war es auf viele Stadien weit nicht reichlich genug vorhanden. Die Syrakusaner waren ihnen aber.unterdessen schon zuvorgekommen und hatten weiter vorwärts den Durchgang durch eine Mauer gesperrt. Es war dieß nämlich ein starker Hügel, der zu beiden Seiten abschüssige Schluchten hatte. Man nannte ihn den Akräischen Felsen.

Am folgenden Tag marschirten die Athener weiter; und die Reiter und Speerschützen der Syrakusaner und ihre Bundesgenossen in großer Zahl hinderten ihren Marsch auf beiden Seiten, indem sie sie umshcwärmten und Speere schossen Die Athener kämpften lange, 'dann zogen sie sich wieder in ihr alteS Lager zurück. Jetzt fanden sie

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[*]( 413 v. Chr. ) aber die nöthigen Bedürfnisse nicht mehr so, wie vorher, deim der Reiter wegen war es nicht möglich, von der Stelle zu gehen.

Mit Tagesanbruh csetzten sie sich wieder in Marsch, um den vershcanzten Berg mit Gewalt zu nehmen. Da fanden sie vor sich jenseits der Schanzmauer das Fußvolk in starker Tiefe aufgestellt, da der Raum sehr eng war. Die Athener stürmten an und kämpften um die Vershcanzung, aber vom steilen Abhang des Hügels herab von vielen Geschossen getroffen — denn die von oben trafen besser — konnten sie die Verschanzung nicht bezwingen und zogen sich wieder zurück und ruhten aus. Zufällig traten zu gleicher Zeit auch einige Donnerschläge ein und Regen, wie es eben um diese Jahreszeit — es war schon gegen den Spätherbst — zu geschehen pflegt; die Athener aber wurden darüber noch muthloser und glaubten, das Alles ziele aus ihr Verderben ab. Während sie nun ausruhten, schickten Gylippos und die Syrakusaner einen Theil ihres Heeres ab, um jene auch in ihrem Rücken, da wo sie hergekommen waren, durch eine Verschanzung abzuschneiden. Aber auch die Athener schickten einen Theil ihrer Leute dagegen aus und verhinderten es. Danach zogen sie sich mit ihrem ganzen Heer rückwärts noch mehr in die Ebene hinab und blieben daselbst die Nacht über. Am folgenden Tag marfchirten sie weiter, und die Syrakusaner fielen sie rings von allen Seiten an und verwundeten Viele ; und wenn die Athener angriffen, so wichen sie zurück; wenn jene sich aber zurückzogen, so setzten sie ihnen zu, indem sie besonders die Hintersten angriffen, um durch Niederlagen im Kleinen das ganze Heer in Verwirrung zu bringen. Auf diese Weise leisteten die Athener lange Zeit Widerstand, dann, nachdem sie fünf oder sechs Stadien weiter vorwärts gekommen waren, ruhten sie in der Ebene aus, und auch die Syrakusaner ließen von ihnen ab-und zögen sich in ihr Lager.