History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Wahrmund, Adolf, translator. Stuttgart: Krais and Hoffmann, 1864.

„So nehmt also entweder bessere Einsicht an, oder geht in euch und laßt ab von euren Plänen und sucht das. Gemeinwohl des Ganzen zu heben. Bedeutet, daß ihr Vornehmeren Ms diese Weise, nicht nur den gleichen, sondern doch den größeren Antheil haben werdet, daß ihr aber Gefahr lauft, Alles zu verlieren; wenn ihr andere Absichten verfolgt. Laßt ab von solchen Meldungen, denn ihr habt Männer vor euch, die eure Pläne merken und.nicht in die Falle gehen. Denn diese Stadt, wenn die Athener auch kommen sollten, wird sich ihrer erwehren, wie es ihrer würdig ist, und wir. haben Feldherren, welche diese Dinge in's Auge fassen werden. Und wenn, wie ich gar. nicht zweifle, Nichts von Alle dem wahr ist, so wird sich die Stadt durch eure Meldungen, nicht so.in Schreck setzen lassen, um euch zu Befehlshabern zu wählen, und sich das Joch der

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Knechtschaft selbst auf den Nacken zu legen; sie wird vielmehr selbst [*]( «15 v. Chr. ) für sich sorgen und wird über diese eure Lügenworte, die so viel wie Thaten wiegen, zu Gericht sitzen. Sie wird sich nicht auf solche Gerüchte hin der Freiheit berauben lassen, deren sie genießt, sondern sie zu behaupten suchen, indem sie sich durch die That schützt und euch nicht nach Belieben gewähren läßt."

So redete Athenagoras. Dann aber trat einer der Feldherren auf, indem er für dießmal jedem Andern das Wort entzog 6"), und sprach in Betreff des Vorliegenden Folgendes:

„Es ist weder klug gethan, wenn die Einen gegen die Andern Verläumdungen vorbringen, noch auch wenn die Zuhörer denselben Glauben beimessen, vielmehr muß man auf die eingelaufenen Meldüngen hin darauf sehen, wie wir Alle, jeder Einzelne wie der ganze Staat, uns rüsten sollen, um die nahenden Angreifer rühmlich abzu? wehren. Und wenn es schließlich doch nicht dazu kommt, so ist es ja kein Schade für das Gemeinwesen, wenn wir uns mit Pferden und Waffen und was sonst im Kriege Zuversicht gibt, auf's Beste versehen, — die Sorge dafür, sowie die Musterung, werden wir (Feldherren) selbst übernehmen, sowie auch für die Gesandtschaften nach den vershciedenen Orten, sowohl des Kundschaftens wegen, als auch wenn sonst etwas ersprießlich scheint. Zum Theil haben wir dafür schon Vorsorge getroffen, und was wir erfahren, das werden wir vor euch bringen."

Nachdem der Feldherr dieß gesprochen hatte, wurde die Volksversammlung der Svrakufaner aufgelöst.

Die Athener aber und ihre Bundesgenossen waren bereits Alle bei Kerkyra vereinigt. Und zuerst nun veranstalteten die Feldherren eine Nachmusterung und Einteilung des Heeres, in welcher Ordnung nämlich dasselbe vor Anker gehen und lagern sollte!, Sie machten drei Theile und verloosten diese unter sich, damit sie — je ein Geschwader einem Feldherrn zugetheilt — nicht bei, vereinter Fahrt wegen des Wassers und der Hafenplätze und der Lebensmittel bei den Landungen in Verlegenheit geriethen und auch sonst in besse­ [*]( 60) Die Feldherren (15 an der Zahl, vergl. Vll, 72) hatten also die Leitung der Volksversammlung. (Kr.).... ) [*]( 8* )

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[*]( 415 v. Chr. ) rer Ordnung und leichter zu dirigiren wären. Dann schickten sie drei Schiffe nach Italien und Sieilien voraus, die in Erfahrung bringen sollten, welche Städte sie aufnehmen würden. Denselben war angesagt, der Flotte wieder entgegen zu steuern, damit diese ihren Berichten gemäß die weitere Fahrt einrichten könne.

Danach gingen die Athener sofort von Kerkyra aus unter Segel und traten die Ueberfahrt nach Sieilien an, und zwar im Ganzen mit einhundert und vierunddreißig Dreirude'rern und zwei Rhodifchen Fahrzeugen zu fünfzig Rudern. Davon gehörten den Athenern hundert, von denen wieder sechzig Schnellsegler, die andern Soldatenschiffe waren; die übrige Schiffszahl vertheilte sich unter die Chier und die andern Bundesgenossen. An Schwerbewaffneten führten sie im Ganzen mit fünftausend einhundert. Darunter waren von den Athenern eintausend fünfhundert aus der Dienstrolle und siebenhundert Schiffssoldaten aus der untersten Büraerklasse ^die übrigen, welche noch mitzogen, waren von den Bundesgenossen, und zwar zum Theil von den Unterthanen — 2150 —, die andern aber von den Argivern — fünfhundert — und von den Mantineern und Miethlingen — zweihundert und fünfzig. Die Zahl aller Bogenschützen war vierhundert und achtzig, darunter sechzig Kretenfer; dazu noch siebenhundert Rhodische Schleuderer und einhundert und zwanzig Verbannte aus Megara, die als Leichtbewaffnete dienten, und ein Pferdeschiff mit dreißig Reitern.

So zahlreich war die erste Heeresmacht, die zum Kriege überschiffte, und ihr folgten die Lastschiffe, welche die nöthigen Bedürfnisse mitführten, und zwar dreißig mit Getreide beladen und mit den. Bäckern und Steinmetzen und Zimmerleuten und den übrigen Handwerkern, die zum Bau der Schanzen von Nutzen sind; dazu kamen noch hundert Fahrzeuge, von Staatswegen zur Begleitung der Lastschiffe gepreßt, und noch viele andere Fahrzeuge und Lastschiffe, die des Handels wegen dem Heereszug freiwillig folgten. Alle diese [*]( 61) Zum Dienst der Schwerbewaffneten waren eigentlich nur die Zeugiten verpflichtet. die hier als die aus der Dienstrolle oder Stammliste bezeichnet werden. Aus der untersten Bürgerklasse (Theten) und aus den Schulzmannschasten wurden nur ausnahmsweise tüchtigere Leute zugezogen, die dann der Staat selbst bewaffne« mußte! )

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Schiffe fuhren damals von Kerkyra aus über den Ionischen Meer- [*]( 4l5 v. Chr. ) busen. Die ganze Flotte hielt auf das Japygische Vorgebirg zu und dann auf Tarent, und wie grade die einzelnen Schiffe es bewerkstelligen konnten; und so fuhren sie an der Italischen Küste hin, in-« dem die dortigen Städte sie weder zum Markt, noch in ihre Mauern zuließen, wohl aber das Ankern und Wasserholen gestatteten,— Tarent und Lokri aber nicht einmal dieß —, bis sie nach Rhegion gelangten, an der Spitze von Italien. Hier vereinigten sich alle wieder, und da die Stadt sie nicht aufnahm, so schlugen sie außerhalb derselben ein Lager beim Heiligthum der Artemis, wo man ihnen auch einen Markt gewährte; die Schiffe zogen sie an's Land und ruhten aus. Mit den Rheginern knüpften sie Unterhandlungen an und ließen ihnen sagen, als Chalkidier sollten sie eigentlich den Chalkidischen Leontinern Hülfe leisten. Diese aber antworteten, sie wollten es mit keinem von beiden Theilen halten, sondern was die übrigen Jtalioten gemeinsam beschließen würden, das wollten auch sie thun. Die Athener aber überlegten jetzt, wie sie sich in Bezug auf die Verhältnisse in Sieilien am besten benehmen würden, und warteten, bis die vorausgeschickten Schiffe von Egesta zurückkämen, denn sie wollten auch wissen, wie sie in Betreff der Geldsummen daran seien, von denen die Gesandten zu Athen geredet hatten.

Den Syrakusanern war unterdessen bereits von. vielen Seiten und auch durch ihre Kundschafter als unzweifelhaft gemeldet worden, daß die Schiffe in Rhegion seien, nnd demgemäß trafen sie denn mit allem Eifer ihre Vorkehrungen und zeigten sich nicht länger ungläubig. Zu den Sikulern schickten sie theils Späher zur Beobachtung, theils Gesandte, und in die Kastelle im Land legten sie Besatzungen und in der Stadt veranstalteten sie eine Musterung der Waffen und Pferde, ob Alles in gehörigem Zustande sei, und auch sonst trafen sie ihre Anstalten, wie zu einem nahe bevorstehenden und fast schon vorhandenen Krieg.

Die vorausgeschickten Schiffe aber kamen von Egesta zu den Athenern bei Rhegion und meldeten, daß nur dreißig Talente wirklich vorhanden seien, alle anderen Summen, welche jene,versprochen hätten, aber nicht. Da befiel nun die Feldherrn sogleich Muthlofigkeit, weil ihnen gleich von vorn herein das Erste wider Erwarten

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[*]( 415 v Chr. ) feindlich ausgefallen war, und auch die Rheginer, bei denen sie ihre UeberredungSkunst zuerst versucht, und von denen, als Verwandten der Leontiner und auch ihrer selbst, und sonst immer freundlich gesinnt, es doch am ersten zu erwarten gewesen wäre, nicht mit ihnen ziehen wollten. Dem Nikias zwar kam die Nachricht von den Egestanern ganz erwartet, die beiden Andern aber waren vor den Kopf gestoßen. Die Egestaner nämlich hatten sich damals, als die ersten Gesandten der Athener zur Beaugenshceinigung des vorhandenen Geldes zu ihnen gekommen waren, die folgende List ausgedacht. Sie führten jene in das Heiligthum der Aphrodite auf dem Eryx und zeigten ihnen die Weihgeschenke, Schalen und Weinkannen und Rauchfässer und sonstiges Geräthe in Menge, welches alles von Silber war und den Schein eines Reichthums gewährte, dem der wirkliche geringe Geldwerth keineswegs entsprach. Auch veranstalteten sie in den Bürgerhäusern Gastereien für die Schiffsmannschaft und hatten zu denselben die goldenen und silbernen Trinkgeschirre aus ganz Egesta gesammelt und aus den benachbarten Phönikischen und Hellenischen Städten sich ausgebeten und stellten sie nun bei diesen Schmausereien zur Schau, als ob es ihr Privateigenthum sei. Und da. sich fast Alle immer nur derselben Geschirre bedienten und dieselben demnach überall in großer Zahl zum Vorschein kamen, so erregten >sie bei den Athenern von den Schiffen großes Staunen, und als sie dann nach Athen zurückkamen, erzählten sie überall, daß sie viele Schätze gesehen hätten. Sie waren also selbst getäuscht worden und hatten Andere getäuscht; als aber jetzt die Nachricht kam, daß zu Egesta kein Geld vorhanden sei, mußten sie von den Soldaten viele Vorwürfe anhören.

Die Feldherren aber beriethen sich, was nun zu thun sei, und Nikias war der Meinung, man solle mit der ganzen Macht gegen Selinus steuern, zu welchem Zwecke sie ja auch hauptsächlich ausgeschickt worden seien, und wenn die Egestaner für das ganze Heer die nöthigen Geldmittel leisteten, so könne man sich dann weiter berathen; wenn aber nicht, so solle man von ihnen verlangen, daß sie die Erhaltungskosten für die sechzig Schiffe, um welche sie ja auch gebeten hätten, tragen sollten. So könne man bleiben und die Selinuntier entweder durch Gewalt, oder vermöge eines Vertrags, zum

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Frieden mit jenen bewegen, und danach bei den andern Städten vor- [*]( 415 v. Chr. ) überfahren,' um ihnen die Macht des Athenischen Staates und dessen l Eifer zur Unterstützung seiner Freunde und Bundesgenossen zu zeigen, und dann wieder nach Haufe fahren, falls sie nicht binnen Kurzem durch irgend ein unerwartetes Ereigniß in den Stand gesetzt-würden, für die Leontiüer etwas zu thun oder einige der andern Städte auf ihre Seite zu ziehen. Der Staat dürfe aber nicht seine Macht/aus's Spiel setzen und dabei auch noch aus cigeNem.Säckel zahlen.

Alkibiades aber erklärte: nachdem man mit so großer Macht ausgefahren fei, dürfe man nicht so schimpflich und ganz unverrickteter Dinge l zurückkehren; man solle vielmehr Herolde an sämmtliche Städte mit Ausnahme von Selinus und Syrakus schicken und auch versuchen, die Sikuler theils zum Abfall von den Syrakusanern zu bewegen, theils auch zu Freunden zu gewinnen, damit man Getreide und Zuzug an Mannschaft erhalte; vor Allem aber müsse man die Messenier zum Beitritt bewegen, denn diese seien-san der Meerenge und am günstigsten Landungspunkt auf Sieilien gelegen und' würden für das Heer einen Hasen und den günstigsten Ausgangspunkt zu Unternehmungen bieten. Habe man auf diese Weise die'Städtö gewonnen, und wisse nun / wen man im Krieg auf seiner Seite habe, dann solle man sofort Syrakus und Selinus angreifen, wemi diese Stadt sich nicht mit den Egestanern gütlich vertrage, und jene ihnen die Neugründung von Leontini nicht gestatte. P

Lamachos aber sagte, man müsse gradezu.auf Syrakus lossegeln und so rasch als'möglich dicht bei der Stadt die Schlacht herbeiführen,-so lange sie dort ungerüstet und noch in der ersten Bestürzung seien, öenn im Anfang sei jedes Heer am sfurchtbarsten; lasse man aber die Zeit vorübergehen und zeige sich nicht allfogleich, so fasse der Feind wieder Muth und verachte Einen, wenn man dann hinterdrein sich zeige. - Wenn sie aber jetzt rasch'und unversehens angriffen, so lange jene noch in furchtsamer Erwartung seien, so würden sie auf diese Weise gewiß jene besiegen und in jeder Beziehung in Schrecken setzen, sowohl durch den Anblick, — denn jetzt würden die Athener noch iN, der größten Zahl erscheinen — als auch durch die Erwartung dessen, was sie von einem solchen Heere zu befahren hätteii) vorzüglich l aber durH-die unmittelbare Gefahr der Schlacht.

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[*]( 415 v. Chr. ) Und gewiß würden auch auf dem, Lande noch Viele abgefangen werden, weil man an ihr Kommen nicht glaube, und.da diese Leute dann eben damit beschäftigt wären, ihre-Habe nach der Stadt zu schaffen, so werde das Heer keinen Mangel an Geld leiden, wenn es siegreich sich bei der Stadt festsetze. Aus diese Weise würden auch die übrigen Sikelioten abgehalten, mit jenen Bundesgenossenschaft zu schließen, und vielmehr zu ihnen übertreten und nicht erst lange zaudern und ausschauen, welcher Theil siegen werde. Und wenn sie sich (von Syrakus) zurückgezogen und ihre Schiffe an's Land gebracht hätten, so müßten sie Megara, einen verlassenen Ort, der weder zur.See, noch auf dem Landweg weit von Syrakus entfernt sei, zur Flottenstation machen.. ' . - s ^

Lamachos also hatte zwar diese Meinung ausgesprochen, stimmte aber dann doch dem Alkibiades bei; und dieser fuhr daraus mit seinem eigenen Schiffe nach Messana hinüber und knüpfte mit ihnen Unterhandlungen wegen der Bundesgenossenschaft an. Er konnte sie jedoch nicht überreden, sondern kehrte mit der Antwort nach Rhegion zurück, daß man sie in die Stadt nicht aufnehmen werde, ihnen aber einen Markt außerhalb derselben gewähren -wolle. Nun bemannten die Feldherren sofort sechzig Schiffe aus allen Flottenabtheilungen, nahmen Lebensmittel ein und fuhren gen Naxos, das übrige Heer unter Einem der Ihrigen zurücklassend. Da die Naxier sie in die Stadt aufgenommen hatten, so schifften sie weiter an der Küste hin nach Katana. Als aber die Katanäer sie nicht aufnahmen, — denn, es gab in ihrer Stadt Männer, welche für die Syrakusaner, gesinnt waren, — so steuerten sie weiter gegen den Fluß Terias zu, und nachdem sie daselbst eine Nacht zugebracht, segelten sie am folgenden Tage weiter gegen Syrakus, mit allen übrigen Schiffen in Einer Linie hinter einander; nur zehn Schiffe schickten sie voraus, welche in den großen Hasen einlaufen und sich überzeugen sollten, ob daselbst bereits eine Flotte auf dem Wasser sei. Es war ihnen auch befohlen, näher gegen die Stadt zu segeln-und durch einen Herold von Bord herab ausrufen zu lassen, sie seien Athener und gekommen, um die Leontiner in ihre Stadt zurückzuführen, gemäß ihrer Bundesgenossenschaft und Verwandtschaft, und wer von den Leontinern in Syrakus sei, der könne ohne Furcht zu den Athenern,

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als zu Freunden und Beschützern, übergehen. Nachdem der Herold [*]( 4l5 v. Chr. ) dieß ausgerufen und sie die Stadt und die Häfen und das Land ringsum, wo sie zum Angriff festen Fuß fassen könnten, in Augen- schein genommen hatten, fuhren sie wieder nach Katana zurück.

Als nun in dieser Stadt eine Volksversammlung gehalten wurde, erklärten die Katanäer, sie würden zwar das Heer nicht aufnehmen, luden aber die Feldherren ein, in ihre Stadt zu kommen, wenn sie ihnen etwas zu sagen hätten. Während nun Alkibiades eine Rede hielt und die Bürger der Stadt der Volksversammlung ihre Aufmerksamkeit zuwandten, erbrachen die Soldaten unbemerkt ein schlecht eingesetztes kleines Thor in der Mauer, drangen in die Stadt ein und erfüllten den Markt. Da überkam diejenigen unter den Katanäern,- welche eS mit den.,Syrakusanern hielten, als sie das Heer in der Stadt sahen, sogleich große Furcht und sie schlichen sich weg, ihrer nicht viel an der Zahl, die Andern aber beschlossen Bundesgenosjenschaft mit den Athenern-und hießen sie das übrige Heer aus Rhegion herüberbringen; und die Andern fuhren dann nach Rhegion zurück, gingen jetzt mit ihrer Gesammtmacht unter Segel nach Katana, und nachdem sie hier angekommen, richteten sie.eln Lager ein...

Nun kam auch von Kamarina Meldung, wenn sie kommen wollten,, würden sie zu ihnen übergehen, und daß die Syrakusaner eine Flotte bemannen. Da segelten sie mit der ganzen Macht an der Küste hin gegen Syrakus, als sie aber daselbst keine Schiffe bemannt fanden, steuerten sie weiter gegen Kamarina, legten am Gestade an und schickten den Herold zu ihnen. Die Kamarinäer aber nahmen sie nicht auf, sondern sagten, der geschlossene Vertrag laute nur, daß sie die Athener aufnehmen wollten, wenn sie mit Einem Schiffe erschienen, außer wenn sie selbst deren mehrere herbeiriefen. Die Athener fuhren demnach unverrichteter Sache wieder zurück, landeten auf dem Gebiet von Syrakus und plünderten. Als aber Syrakusische Reiter erschienen und einige der zerstreuten Leichtbewaffneten zusammenbieben, fuhren sie wieder nach Katana zurück.

Hier trafen sie das Schiff „Salaminia" IV, welches des [*]( 62) Vergl. m, 33. )

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[*]( 415 v. Chr. ) Alkibades wegen von Athen gekommen war, um ihn aufzufordern, zu seiner Vertheidigung'gegen die Staatsanklage zurückzukehren, und mit ihm einige andere Soldaten ans seiner- Umgebung/ gegen die wegen Verhöhnung der Mysterien', zum Theil auch wegen der Hermen' Anzeigen eingelaufen waren. Die Athener nämlich hatten nach Abgang der Flotte nichts destoweniger eine Untersuchung wegen^ der Mysterien und der Frevler an den Hermesbildern-angestellt,- und ohne die gemachten Anzeigen näher zu prüfen, gingen'sie in ihrem Argwohn ganz darauf ein und ergriffen und fesselten, auf das Wort schlechter Menschen hin, ganz untadelige Bürger. Sie hielten es für nützlicher, die Sache genau zu untersuchen und die Wahrheit herauszufinden, als wegen der Schlechtigkeit des Angebers-einen Angeschuldigten, auch wenn er ein braver Mann zu sein schien, ohne Untersuchung durchkommen zu lassen. Denn das Volk wußte vom Hörensagen, wie drückend zuletzt die Zwingherrschaft des PeifistratoS und feiner Söhne geworden, und daß dieselbe auch keineswegs von ihnen selbst und-dem Harmodios, sondern von den Lakedämoniern gestürzt worden sei, und deßhalb war es beständig in Furcht und nahm Alles argwöhnisch aus/ ' - s '''

Das Wagestück des Aristogeiton und Harmodios war nämlich nur wegen einer zufälligen Liebesgeschichte unternommen worden, welche ich des Breiteren erzählen will, um zu zeigen, daß weder die Andern, noch auch die Athener selbst in Betreff ihrer Tyrannen und des damals Geschehenen die Wahrheit erzählen. Als nämlich PeifistratoS hochbejahrt als Zwingherr gestorben war, erhielt nicht Hipparchos, wie die'Meisten'glauben, sondern'Hippias/weil et der Aeltere war, die Herrschaft. Nun'war damals Harmodios durch Blüthe der Jugendschönheit ausgezeihcnet/und Aristogeiton, ein Stadtbürger aus dem Mittelstand, war der bevorzugte Liebhaber. Harmodios wurde aber auch von Hipparchos, dem Sohn des Peisistratos, angegangen, ließ sich aber nicht bereden, sondern klagte es dem Aristogeiton. Dieser nun, nach Art der Liebenden, wurde 'von heftigem Schmerz ergriffen, und da er bei der Macht des Hipparchos fürchtete, daß dieser den Jüngling mit Gewalt zwingen werde, ihm zu Willen zu sein, so richtete er — so weit dieß nach seinem Stande möglich war — allsogleich sein Dichten und Trachten auf den Sturz

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der Zwingherrschaft. Indessen versuchte HipparchoS den Harmodios [*]( 415 v. Chr. ) neuerdings, richtete aber nicht mehr aus, als vorher, und er wollte nun zwar nicht mit Gewalt gegen ihn verfahren, dachte aber darauf, ihm' bei irgend einer nicht auffälligen Gelegenheit, als ob es eben nicht deßhalb wäre, einen Schimpf anzuthun, wie er denn auch sonst in der Regierung nicht gehässig gegen die große Masse verfuhr, sondern sich in derselben vorwurfsfrei zu benehmen wußte. Und überhaupt hat diese Familie in ihrer Zwingherrschast gerecht und einsichtsvoll gewaltet und von den Athenern nur den zwanzigsten Theil des Erträgnisses erhoben, wofür sie auf eine sie ehrende Weise die Stadt verschönerten, die Kriege durchführten und die Tempelopfer verrichteten.' Im Uebrigen regierte sich die Stadt selber nach ihren alten Gesetzen, abgesehen davon, daß jene immer dafür sorgten, Einen'aus ihrer Familie in den Oberämtern zu haben. So verwaltete unter Andern derselben auch PeisistratoS, des Zwingherrn Hippias Sohn, der den Namen seines Großvaters führte, das einjährige Archontenamt in Athen, und dieser ist es auch, der als Archont den Altar der zwölf Götter auf dem Markte und den des Apollo im Tempel dieses Gottes geweiht hat. Bei dem auf dem Marktplatze fügte das Volk später einen größeren Anbau hinzu, wodurh cdie Inschrift vershcwand. Die auf dem Apollo-Altar ist aber jetzt noch sichtbar und besagt in schwer leserlichen Buchstaben das Folgende: ' - " Hippias' Sohn, Peisistratos, hat dieß Denkmal als Archon Hier in des Pythischen Gotts heil'gem Bezirke geweiht,r

Daß aber Hippias, als der Aelteste, wirklich die Regierung hatte, das kann ich versichern, da ich es aus mündlicher Belehrung besser als Andere weiß, und es kann es auch Jeder leicht aus dem Folgenden schließen. Es zeigt sich nämlich, daß er allein von seinen ebenbürtigen Brüdern Kinder hatte, wie es der Altar beweist und so auch die Säule, welche zur Erinnerung an die ungerechte Herrschaft der Tyrannen anf der Akropolis von Athen errichtet wurde, und auf der weder dem Thessalos, noch dem HipparchoS Kinder zugeschrieben werden, dem Hippias aber fünf, die ihm von der Myrrhina, der Tochter des Kallias, des SohneS des Hyperechides, geboren worden waren; denn es war ja auch in der Ordnung, daß der älteste Bruder

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[*]( 415 v. Chr. ) zuerst heirathete. Auch ist er auf dieser Säule unmittelbar, als der Erste nach seinem Vater genannt, und auch das nicht ohne Grund, weil er eben der Aelteste nach seinem Vater war und von ihm die Zwingherrschaft übernahm. Es scheint mir auch gar nicht, daß Hippias ohne Weiteres so leicht die Tyrannis hätte fortführen können, wenn Hipparchos als Zwingherr den Tod gefunden und er selbst sie noch am nämlichen Tag angetreten hätte. Vielmehr waren die Bürger von jeher gewohnt ihn zu fürchten, und bei der vortrefflichen Zucht seiner Söldner und den überreichlich vorhandenen Sicherungsmitteln seiner Herrfchaft konnte er sich in derselben leicht behaupten, und er zeigte in seiner Regierung auch durchaus keine Unsicherheit, wie etwa ein jüngerer Bruder, oder wie in einem Geschäfte, mit dem er nicht schon früher vertraut gewesen wäre. Hipparchos aber ist zufällig durch sein Unglück eine namhafte Persönlichkeit geworden, und so hat es später auch den Schein gewonnen, als ob er der Zwingherr gewesen wäre.

Dem Harmodios also, der ihn als Versucher abgewiesen, that er wirklich einen Schimpf an, wie er sich vorgenommen hatte. Er ließ nämlich dessen Schwester, eine Jungfrau, auffordern zu erscheinen, um bei einem Festaufzug einen Korb zu tragen ^), und sie dann zurückweisen mit den Worten, man habe ja von vorn herein nicht um sie geschickt, da sie dessen nicht würdig sei. Harmodios nun fühlte sich dadurch sehr gekränkt, noch viel heißer aber entbrannte um seinetwillen der Zorn des Aristogeiton. Und bereits hatten sie alles Uebrige im Bund mit denen veranstaltet, welche mit Hand an's Werk legen sollten, und warteten nur noch auf das Fest der großen Panathenäen ^), als den einzigen Tag, an welchem sie keinen Verdacht erregen würden, da hier die Bürger, welche den Festzug geleiteten, bewaffnet und in Masse ershcienen. Es war abgeredet, daß sie selbst den Anfang machen, die Andern aber dann sogleich zu ihrer [*]( 63) An den Festen der Demeter und Athene, wie an den Dionysien zogen Jungfrauen. einen Korb mit heiligen Geräthen aus dem Kopf tragend, in Prozession auf. Hiezu gewählt zu werden galt als große Ehre. Die Künstler stellten oft solche weibliche Gestalten, die mit beiden Händen einen Korb aus dem Kopf halten, dar (Kaneohoren. d. i. Korbträgerinnen). ) [*]( 64) Vergl. v, 47. )

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Unterstützung über die Lanzentrabanten herfallen sollten. Der [*]( 415 v. Chr. ) Sicherheit wegen war die Zahl der Mitverschworenen nicht sehr groß, denn sie hofften, daß auch die, welche Nichts um die Sache wußten, bewaffnet, wie sie wären, allsogleich voll Freudigkeit zur Befreiung der Stadt mithandeln würden, wenn auch eine noch so geringe Zahl das erste Wagniß unternähme.

Als nun das Fest herangekommen war, traf Hippias, von seinen Lanzenträgern umgeben, außerhalb der Stadt im sogenannten Kerameikos die Anordnungen, wie beim Festzug jegliches vor sich gehen solle. Harmodios aber und Aristogeiton, schon den Dolch in der Hand, näherten sich zur That. Da sahen sie aber Einen ihrer Mitverschworenen vertraulich mit Hippias reden, wie denn dieser überhaupt für Alle leicht zugänglich war, und nun geriethen sie in Furcht und glaubten, sie seien verrathen und würden jeden Augenblick festgenommen werden. So dachten sie denn nun, wenn es möglich wäre, vorher noch an ihrem Beleidiger und um dessentwillen sie sich auch in dieses Wagstück eingelassen hätten, Rache zu nehmen, und stehenden Fußes eilten sie zum Thore hinein, trafen den Hipparchos beim sogenannten Leokorion und sielen rasch und unversehens über ihn her, und, der Eine im Zorn der beleidigten Liebe, der Andere vom Stachel der Beschimpfung getrieben, trafen sie ihn mit ihren Dolchen und tödteten ihn. Und der Eine entkam für den Augenblick den Lanzenträgern, Aristogeiton nämlich, im Getümmel des Aufkaufs, wurde aber später gefangen und schlimm zugerichtet, Harmodios aber wurde auf der Stelle niedergehauen.

Als die Meldung davon zum Hippias in den Kerameikos kam, begab er sich nicht auf den Schauplatz der That, sondern zu den schwerbewaffneten Bürgern, welche den Festzug geleiten sollten, bevor diese noch etwas erfahren würden, denn sie waren in ziemlicher Entfernung aufgestellt) und ohne durch seine Mienen von dem Vorfall etwas zu verrathen, befahl er ihnen, sich ohne die Waffen nach einem gewissen Platze zu begeben, den er ihnen zeigte. Diese, in der Meinung, er habe ihnen dort was zu sagen, gingen auch wirklich von ihren Waffen weg dorthin, und sofort befahl nun Hippias seinen Trabanten, die Waffen wegzunehmen, und suchte dann unter den Bürgern diejenigen aus, welche er für schuldig hielt, oder wer etwa

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[*]( 415 v. Chr. ) einen Dolch bei sich trug, denn nur mit Schild und Speer war man gewohnt den Festzug zu geleiten.

Aus diese Art wurde Liebesschmerz die Veranlassung zu der Verschwörung, und die Ausführung jenes unbesonnenen Wagnisses ging aus der plötzlichen Furcht hervor, die den Harmodios und Aristogeiton erfaßte. Für die Athener aber wurde die Zwingherrschaft danach viel drückender, und Hippias, der jetzt schon in größerer Furcht schwebte, tödtete Viele aus den Bürgern und schaute sich zugleich im Ausland um, ob er irgendwo für den Fall einer Umwälzung einen sicheren Zufluchtsort für sich finden könnte. Und so gab er denn auch dem Aiantidas, dem Sohn des HippokleS, des Tyrannen von Lampsakos, seine Tochter Archedike zur Frau, obgleich er ein Athener, jener ein Lampsakener war, denn er hatte erfahren, daß jene beim Perserkönig sehr viel vermochten. Archedike hat auch zu Lampsakos ein Denkmal, das folgende Inschrift trägt: Allhier ruhet der Staub der Archedike, Hippias Tochter, Der in hellenischem Volk mächtig einst ragte empor. Vater, Gemahl zwar und Brüder, wie Söhn' auch, erglänzten als Herrscher, Aber zu frevelndem Sinn' hob sich ihr nie das Gemüth. Hippias behauptete die Zwingherrschaft über die Athener noch drei Jahre, und im vierten wurde er durch die Lakedämonier und die verbannten Alkmäoniden gestürzt und begab sich unter dem Schutze eines Vertrages nach Sigeion und Lampsakos zum Aiantidas und von da an den Hof des Königs Dareios, von wo er auch im zwanzigsten Jahr danach, als er schon ein alter Mann war, mit den Medern den Feldzug nach Marathon mitmachte.