History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Wahrmund, Adolf, translator. Stuttgart: Krais and Hoffmann, 1864.

„Da ich nun einmal sehe, ihr Athener, daß ihr auf jede Weise den Kriegszug wollt, so möge er uns denn gelingen, wie wir es wünschen! Was ich nun den Umständen gemäß für nöthig erachte, will ich angeben. Wir sind im Begriff gegen Staaten zu ziehen, [*]( ThukydideS. VI.) [*]( 7 )

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[*]( 415 v. Chr. ) die — wie Ich ans mündlichem Berichte weiß — groß und von einander unabhängig find und sich durchaus nicht nach einer Ver. fassungSänderung sehnen, wie sie Einer wohl annehmen möchte, der aus harter Abhängigkeit gern in einen erleichterten Zustand übertritt, und die höchst wahrscheinlich wohl auch nicht ihre Freiheit mit unserer Herrschaft vertauschen mochten; und dann ist auch die Zahl der ^Hellenischen^ Staaten für diese Eine Insel sehr groß. Denn außer Naxos und Katana, die — wie ich hoffe — gemäß ihrer Verwandtschaft mit den Leontinern auf unsere Seite treten werden, find noch sieben 4') andere da, welche in jeder Art der Kriegsrüstung so versehen sind, daß sie sich mit unserer Macht so ziemlich vergleichen dürften, und gerade die unter ihnen sind es am besten, gegen welche unsere Flotte vorzüglich wirken soll. Selinus nämlich und SyrakuS; denn sie haben dort viele Schwerbewaffnete und Bogenschützen und Speerschützen und viele Dreiruderer und Volks genug, sie zu bemannen. Geldmittel besitzen sie theils in den Privatvermögen, theils haben die Selinuntier solche auch in ihren Tempeln bereit liegen. Auch wird den Syrakusiern von einigen Barbaren eine Steuer von ihren Erzeugnissen entrichtet. Worin sie uns aber am meisten überlegen sind, das ist der Besitz zahlreicher Pferde, und daß sie Getreide im eigenen Land haben und nicht einzuführen brauchen^)."

„Gegenüber einer solchen Macht aber bedarf es nicht nur einer Flotte mit mittelmäßiger Bemannung ^), sondern es muß auch ein zahlreiches Landheer mitschiffen, wenn wir etwas ausrichten wollen, was unserem Vorhaben entspricht, und nicht durch ihre zahlreiche Reiterei uns an der Ausbreitung auf dem Lande wollen hindern lassen, besonders wenn die einzelnen Staaten aus Furcht vor uns sich mit einander vereinigen, und außer den Egestanern nicht noch einige andere sich mit uns befreunden und uns Reiterei stellen sollten, mit welcher wir uns jener erwehren könnten. Denn schimpflich wäre es, wenn wir zum Rückzug gezwungen würden oder hinterdrein Unterstützung müßten nachkommen lassen, weil wir bei der ersten Berathung [*]( 41) Sonntag, Selinus. Gela, All-regnet, Messana, Himera, Kamarina. ) [*]( 42) Während die Athener meist von Einfuhr lebten. Vergl. VII. 28. (Kr.) ) [*]( 43 ) Denn mit den Seesoldaten nahm man es nicht so genau. (Kr.) )

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ohne Bedacht vorgegangen sind. Gleich jetzt von hier weg müssen [*]( 415 v. Chr. ) wir mit entsprechender Rüstung ausziehen und bedenken, daß wir> weit von der Heimath über See gehen wollen, und daß dieß kein solcher Feldzug werden wird, als wenn ihr hier im Lande (als Bundesgenossen eurer Unterthanen) Einen angreisen wolltet, wo das, was man etwa später noch bedarf, aus Freundesland leicht nachgeschafft werden kann; sondern ihr laßt die Heimath weit hinter euch und zieht in ein ganz fremdes Land, von wo zur Winterszeit sogar nicht einmal in vier Monaten ein Bote leicht zu euch gelangen kann."

„Ich halte also dafür, daß wir viele Schwerbewaffnete mitnehmen müssen, sowohl von unsern eigenen Bürgern, als von den Bundesgenossen und Unterthanen, und wo möglich auch Leute aus dem Peloponnes^) durch Ueberredung oder Sold gewinnen sollten. Auch Bogenschützen und Schleuderer brauchen wir in großer Zahl, um sie der-Reiterei jener entgegenzustellen. Die Schiffszahl muß nun gar sehr groß sein, damit wir alles Nöthige leichter hinschaffen können, und von hier müssen wir Getreide auf Lastschiffen mitnehmen, Weizen und geröstete Gerste und dazu Mahl- und Backknechte, die aus den Mühlen nach Verhältniß der Sklavenzahl gegen Entgeld zwangsweise zu nehmen find^), damit unser Heer die nöthigen Lebensmittel habe, wenn wir irgendwo in unserer Fahrt aufgehalten werden sollten. Denn das Heer wird zahlreich, und nicht jede Stadt im Stande sein, es aufzunehmen. Auch im Uebrigen müssen wir so viel möglich Alles selbst herbeischaffen und uns nicht auf Andere verlassen, vor allen Dingen aber möglichst viel Geld von hier mitnehmen. Denn glaubt nur, daß die Summen, welche bei den Egestanern für uns bereit liegen sollen, wohl meist nur aus dem Papier in Bereitschaft tsehen."

„Denn selbst wenn wir von hier mit einer Macht ausziehen, die jenen nicht nur gewachsen ist — ausgenommen ihrer Macht an Schwerbewaffneten (worauf wir überhaupt verzichten müssen) — son­ [*]( 44) z. B. Argiver und Mantineer. ) [*]( 45) d. h. im Verhältniß zu den in der Mühle befindlichen Sklaven, also z.B. Einen von Zehn. Anders Böckh. Staatshaushalt der Athener I, 23. 30S- verhältnismäßig gleich viele aus jeder Mühle, z. B. aus jeder Zwei. (Kr.) ) [*]( 7* )

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[*]( 415 v. Chr. ) dern sie in allen andern Stücken auch noch überbietet, so werden wir kaum so im Stande sein, jene zu unterwerfen und zugleich unsere hiesige Macht zu erhalten. Ihr müßt euch vorstellen, als ob ihr hinginget, um einen ganz neuen Staat mitten unter Fremden und Feinden zu gründen; und wer das thun will, der soll bedenken, daß er gleich am ersten Tage bei der Landung? festen Fuß fassen oder gewärtig sein muß, Alles gegen sich zu haben, wenn dieß mißlingt. Das Alles fürchte ich, und ich weiß zwar, daß ihr manchen guten Beschluß fasset, wie es sich gehört, daß aber noch viel mehr auf das Glück ankommt, wozu menschliche Wesen schwer etwas thun können, und darum will ich bei diesem Seezug mich so wenig als möglich auf den Zufall verlassen und nur mit einer Macht in See gehen, die menschs licher Berechnung nach Sicherheit verbürgt. Ein solches Vorgehen, glaube ich, ist sowohl für den gesammten Staat als für uns, die wir den Feldzug mitmachen wollen, das sicherste und heilsamste. Ist aber Einer anderer Meinung, dem trete ich meine Feldherrnstelle ab."

Nikias seinerseits sagte dieß Alles in der Absicht, die Athener entweder durch den großen Umfang der Kriegserfordernisse abzuschrecken, oder um aus diese Weise wenigstens mit größtmöglicher Sicherheit den Seezug antreten zu können, wenn er schon dazu genöthigt würde. Jenen aber war durch die Mannhaftigkeit der Kriegsrüstungen keineswegs die Lust benommen worden, sondern sie wurden jetzt erst noch viel eifriger, so daß Nikias also gerade das Gegentheil erreicht hatte. Seine Aufforderung wurde gut geheißen, und erst damit schien die Sache vollends die rechte Sicherheit gewonnen zu haben. Und Alle in gleicher Weise ergriff die Begierde, mit auszuziehen. Die Aelteren hofften das Land zu unterwerfen, gegen welches sie zögen, oder doch bei so gewaltiger Kriegsmacht einer Niederlage nicht ausgesetzt zu sein; die jüngeres Alters sehnten sich, entlegene Gegenden zu sehen und kennen zu lernen, und waren voll guter Hoffnung, wohlbehalten zu bleiben; der große Söldnerhaufe aber dachte sowohl für den Augenblick Geld zu gewinnen, als auch die Herrschaft Athens so zu erweitern, daß sie den immerwährenden Kriegssold zu erwarten hätten. Wenn nun Manchem auch das Alles nicht gefiel, so mußte er doch bei der allzugroßen Leidenschaftlichkeit

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der Mehrzahl fürchten,, durch eine gegentheilige Abstimmung als [*]( 415 v. Chr. ) schlechtgesinnter Bürger zu ershceinen, und schwieg deßhalb.

Zuletzt trat Einer der Bürger auf, und sich an den Nikias wendend verlangte er von demselben, er solle ohne Zaudern und Bedenklichkeit hier vor Allen rund heraussagen, welche Kriegsmacht die Athener für ihn bewilligen sollten. Dieser antwortete, wiewohl halb unwillig, er würde sich darüber mit seinen Mitfeldherrn in Muße berathen, so viel er aber schon für den Augenblick sehe, dürfe man mit nicht weniger als hundert Kriegsschiffen in See gehen, dazu sei die Zahl der Athenischen Schiffe zum Uebersühren der Schwerbewaffneten zu bestimmen, und von den Bundesgenossen müsse man noch andere dazu kommen lassen. Die Zahl aller Schwabewaffneten aus den Athenern und den Bundesgenossen dürfe nicht weniger sein als fünftausend, wo möglich aber noch größer, und im Verhältniß dazu müsse die übrige Kriegsmacht an einheimischen und Kretensischen Bogenschützen, sowie an Schleuderern, und was sonst noch von Nutzen erscheine, zur Mitfahrt ausgerüstet werden.

Als die Athener dieß gehört, beschlossen sie allsogleich, die Feldherrn sollten in Betreff der Heereszahl unumschränkte Vollmacht haben und überhaupt freie Verfügung in Allem, was den Seezug angehe, so wie sie dem Voitheil der Athener damit am besten zu dienen dächten. Und nun begannen die Rüstungen, und man schickte zu den Bundesgenossen und verfaßte auch die Dienstrollen für die Einheimischen. Bereits hatte sich der Staat von den Folgen der Pest und des langwierigen Krieges erholt, sowohl an Menge der nachgewahcsenen jungen Mannschaft, als auch an Geldmitteln ^), die wegen des Waffenstillstandes gesammelt worden waren, so daß man um so leichter sich alles Nöthige verschaffen konnte. — Die Athener also waren in diesen Rüstungen begriffen.

Da geschah es, daß in Einer Nacht an den meisten Hermesbildern, die nach Landessitte in der Stadt Athen als viereckige Fignren aus Stein in großer Zahl sowohl an den Thoren der Privathäuser, als auch bei den Tempeln ausgestellt waren, die Gesichter [*]( 46) DemostratoS nach Plutarch, Nikias, Kap. 12. ) [*]( 47) 7000 Talente nach den Rednern, doch siehe Krüger, Studien II, S. 253. )

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[*]( 415 v. Chr. ) verstümmelt wurden. Die Thäter kannte Niemand, es wurde ihnen aber von Staatswegen unter Aussetzung großer Preise^) nachgeforscht, und man beschloß dazu noch, wenn Jemand sonst einen verübten Religionsfrevel wisse, der könne ihn ohne Furcht für seine Person anzeigen, sei er nun Bürger, oder Fremder, oder Sklave. Die Sache wurde für um so wichtiger gehalten, als darin ein Vorzeichen für den Seezug 49) zu liegen schien, und man in ihr zugleich das Werk einer Verschwörung sehen wollte, die auf Umwälzung der Ver- ' fassung und Umsturz der Volksregierung gerichtet sei.

Durch einige Beisassen und Sklaven wurde nun zur Anzeige gebracht, zwar nicht in Betreff der Hermen, aber doch anderer Götterbilder, daß einige derselben bereits früher von jungen Leuten aus Muthwillen und in der Trunkenheit verstümmelt worden seien, und zugleich, daß in gewissen Häusern die Mysterien 2°) durch freche [*]( 48) Hundert Minen (27M Thlr.) nach Andok. l, 40. (Kr.) ) [*]( 49) Wohl eben in dieser Voraussicht war der Unfug von den Feinden des Rlkibiades verübt worden. »Wahrscheinlich war der Unfug ein Manöver der Aristokratie, eben zu diesem Zwecke verübt." (Düker.) »Vielleicht war der Seele des AlkibiadeS der Gedanke der TyranniS nicht fremd, vielleicht sollte ihm ein glücklicher Erfolg in Sicilien zu der letzten Bedingung der TyranniS, die ihm noch fehlte, zu einer militärischen Macht verhelfen. Noch aber war die Zeit nicht gekommen, und seine Gegner sorgten, daß sie nie kam. Verzweifelnd, ihn um seine Macht über die Menge, die er mit unwidertsehlicher Gewalt beherrschte, dringen zu können, vermochten sie nichts Anderes, als die Menge selbst um ihre Macht zu bringen und die Gewalt deS Staates in dem Bereich einer auserlesenen, unter sich einversianbenen, gegen den Demos souveränen Oligarchie zu vereinigen. Man darf behaupten, daß die eisten oligarchischen Bestrebungen von der Opposition gegen Alkibiades her datirten; an den Volksmännern, jenen verbissenen Verschleiern des Pöbels, konnten sie hoffen, kühne Verbündete zu finden, da Alkibiades ihrem marktschreierischen Gewerbe den Markt verdarb; sie konnten daraus rechnen, im Volk selbst, da Alkibiades gegen den Einzelnen nie anders als rücksichtslos, hochsahrend und selbsthernsch war, viele Stimmen gegen ihn aufzubringen und taufend Vorurtheile, Verhältnisse und Privatinteressen durch ihn beleidigt zu finden, die, wenn sein persönliches Ansehn und seine Gewalt über das Volk durch irgend eine Zufälligkeit für den Augenblick wirkungslos oder anbrüchig war, sich gegen ihn anklagend und verdammend erheben würden. Und daß ihnen wurde, was sie wünschten, ist der Todesstoß für die Attische Demokratie geworden. Jene.: erwünschten Anknüpfungspunkt gab den Gegnern des Alkibiades der Hermenfrevel." (Droysen.) ) [*]( 50) Der geheime Dienst der Demeter (CereS) zu EleusiS. Aus Entweihung derselben sowie aus Mittheilung beS Geheimnisses an Uneingeweihte stand der Tod. )

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Nachahmungen verhöhnt wurden. Beider Verbrechen beschuldigten [*]( 415 v. Chr. ) sie auch den Alkibiades Das ergriffen nun dessen Feinde mit beiden Händen, da er der Bevormundung des Volks durch sie selbst im Wege stand. Sie glaubten nämlich, wenn sie ihn ausgetrieben hätten, die Ersten im Staat zu sein, und vergrößerten drum die Sache und machten ein großes Geschrei, als ob die Verhöhnung der My sterien und die Verstümmelung der Hermen auf den Sturz der Volksregierung hinziele, und daß keines dieser Verbrechen ohne seine Mitwirkung begangen worden sei, wobei sie als Beweis anführten, daß er auch sonst in seiner Lebensweise Mißachtung der Gesetze und der bürgerlichen Gleichheit zeige.

Alkibiades nun wußte sich für den Augenblick gegen diese Beschuldigungen zu vertheidigen und erklärte sich bereit, der gerichtlichen Untersuchung, ob er etwas dergleichen wirklich begangen habe, sich vor der Abfahrt zu stellen — denn die Rüstungen waren bereits vollendet — und würde er schuldig befunden, so wolle er seine Strafe leiden, wenn er aber freigesprochen werde, seine Feldherrnstelle weiter führen. Er beschwor auch die Athener, in seiner Abwesenheit den Verläumdungen seiner Person keinen Glauben zu schenken, sondern ihn lieber gleich hinzurichten, wenn er ein Unrecht begangen habe, und daß es ihrerseits klüger gethan sei, vorher die gerichtliche Entscheidung eintreten zu lassen, als ihn mit einer derartigen Anklage belastet zu einem so wichtigen Unternehmen ausziehen zu lassen. Seine Feinde aber befürchteten, er möchte das Heer auf seiner Seite haben, wenn der Prozeß jetzt schon Platz greife, und auch das Volk möchte sich nachgiebig erweisen, indem es ihm deßhalb zu Willen sei, weil die Argiver und ein Theil der Mantineer sich um seinetwillen dem Seezug angeschlossen hatten, und so hintertrieben sie es für jetzt und schoben es auf weiter hinaus, indem sie Andere als Redner anstifteten, welche sagten, er solle jetzt nur in See gehen und der Unternehmung -keinen Aufenthalt bereiten; nach seiner Rückkehr solle innerhalb der Frist einer bestimmten Anzahl Tage seine Sache vor Gericht abgemacht werden. Sie wollten aber nur zuvor noch größere Beschuldigungen gegen ihn anbringen, welche sie in seiner Abwesenheit leichter auszubringen hofften, und ihn dann zurückholen lassen und vor Gericht stellen. Demnach wurde beschlossen, Alkibiades solle absegeln.

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[*]( 415 v. Chr. ) Danach — es war schon Mitte Sommers — erfolgte die Abfahrt nach Sieilien. Der Mehrzahl der Bundesgenossen war angesagt worden, daß sie mit den Getreideschiffen und den leichten Fahrzeugen und was sie sonst an Kriegsrüstung zum Zuge stellten, sich vorher bei Kerkyra zu sammeln hätten, da von dort aus Alle vereinigt über den jonischen Meerbusen nach dem Japygifchen Vorgebirge hinsegeln wollten. Die Athener selbst und die von den Bundesgenossen in der Stadt anwesend waren, zogen am angesagten Tage mit der Morgenröthe zum PiräeuS hinab und bestiegen die Schiffe, um unter Segel zu gehen. Mit ihnen zog so zu sagen das-gesammte Volk hinab, was von Bürgern und Fremden in der Stadt war, indem die Einheimischen, ein Jeder den Seinigen, das Geleit gaben, die Einen ihren Freunden, die Andern ihren Verwandten oder Söhnen. Und sie begleiteten sie, getheilt zwischen Hoffnung und bangen Klagen, — Hoffnung, jenes Land zu erobern, Bangigkeit, ob sie die Ihrigen jemals wieder sehen würden, wenn sie bedachten, wie weit von der Heimath weg sie über das Meer gehen sollten.

In diesem Augenblicke, wo sie im Angesicht der nahen Gefahr von einander Abschied nehmen sollten, leuchtete ihnen die Größe des Wagnisses mehr ein, als damals, als sieden Zug beschlossen. Gleichwohl aber faßten sie wieder Muth beim Anblick der Macht, die sich vor ihnen entfaltete, wenn sie die Fülle Alles Einzelnen betrachteten. Die Fremden aber und der andere Hause waren gekommen, um das, was so großartig und kaum glaublich erschienen war, mit eigenen Augen verwirklicht zu sehen.

Denn zum ersten Male bis auf diese Zeit ging aus einer einzigen Stadt und von Einer hellenischen Macht eine so kostspielige und prachtvoll ausgerüstete Unternehmung aus. Zwar war an Zahl der Schiffe und der Schwerbewaffneten auch diejenige nicht geringer, welche unter PerikleS gegen EpidauroS und danach unter Hagnon gegen Potidäa ging 2'); denn damals waren viertausend Schwerbewaffnete von den Athenern und dreihundert Reiter und hundert Dreiruderer, und von den LeSbiern und Ehiern fünfzig Fahrzeuge und dazu noch viele andere Bundesgenossen mitgezogen; aber sie waren [*]( 51) Vergl. II, 56 und 58. )

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nur zu einem Unternehmen von kurzer Dauer und auch sonst nur mit [*]( 415 v. Chr. ) schwacher Rüstung ausgefahren. Dieser Zug aber war auf längere Dauer berechnet und in beiderlei Hinsicht, mit Schiffen nämlich und Landtruppen zugleich ausgerüstet, damit man sich nöthigen Falls der Einen wie der Andern bedienen könne, und die Flotte war mit großem Geldaufwand von Seiten der Schiffsherrn und des Staates hergestellt worden. Aus dem Staatssäckel nämlich erhielt Jeder von der Bemannung eine Drachme des TageS und der Staat hatte die leeren Schiffe^) gestellt, sechzig Schnellsegler und vierzig Lastschiffe für die Schwerbewaffneten^), und dazu die besten Ruderer; die Schisssherrn aber gaben der Mannschaft aus der obersten Ruderbank und den übrigen Ruderern zu der Staatslöhnung noch eine Zulage aus Eigenem und brachten auch sonst kostbare Schiffsbildei und andere Ausstattungsstücke an, und jeder Einzelne machte die allergrößten Anstrengungen, damit sein Schiff sich durch Schönheit und Schnelligkeit am meisten auszeichne. Bei derAushebung des [*]( 52) Vergl. Anm. II. Buch III. ) [*]( 53) Sonst gewöhnlich nur drei Obolen. (Die Drachme hat K Obolen. l OboloS l Sgr. Is/4 Pf.) Der Komiker Theopomp (kollin IX, K4) sagt: mit zwei Obolen Sold ernährte der Soldat eine Frau, mit 4 Obolen befände er sich vollends glücklich. ) [*]( 54) Der Staat lieferte den Rumpf des Schiffes, Sold und Verpflegung. Der SchiffSherr (Trierarch) hatte das Takelwerk u. dgl. zu beschaffen. ) [*]( 55) Die Dreirudrer (Trieren) sind von zweierlei Art, entweder schnelle, eigentliche Kriegsschiffe, oder Soldatenfchifse. hier Lastschiffe für Schwerbewaffnete genannt. Die letzteren sind mit Landtruppen überfüllt, welche zum Uebersetzen eingenommen werden, und deßhalb undehülslich, daher sie nur im Nothfall und dann schlechter fochten. Auf vierzig solchen Fahrzeugen werden Slvv Schwerbewaffnete übergesetzt, welche mit ihren Dienern über 25V Mann aus ein Schiff, ohne die Rudermannschast, ausmachen. Selten sind die Schwerbewaffneten in einem solchen Fall zugleich die Ruderer. Böckh, Staatshaushalt der Athener I, S. 386 f. ) [*]( 56) Die Bemannung der schnellen Trieren besteht t) aus den Soldaten, welche zur Vertheidigung derselben bestimmt sind (Epibaten) und 2) aus den Matrosen. Diese sind entweder beim Steuer. Segeln, Tauwerk. Pumpen n. dgl. beschäftigt, oder sie sind eigentliche Ruderer. Die aus der obersten der drei Ruderbänke sitzenden, welche also die längsten Ruder und die schwerste Arbeit hatten, hießen Thraniten, die aus der mittleren Zygiten, auf der unteren Thalamiten. ) [*]( 57) Abbildungen von Göttern, Herden, Thieren u. dgl., gleichsam Wappen der Schiffe, nach denen sie benannt wurden. (Kr.) )
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[*]( 415 v. Chr. ) LandheereS aber war man auf das Gewissenhafteste zu Werk gegangen 68), und in Bezug auf Waffen und Bekleidung des Körpers wetteiferte man unter sich mit der größten Anstrengung. Dazu kam noch unter den Einzelnen der Wettstreit in Ausführung der Dinge, über die ein Jeder gesetzt war, und gegenüber den andern Hellenen schien das Ganze mehr eine Schaustellung des Reichthums und der Macht, als eine Kriegsrüstung gegen Feinde. Denn hätte Einer den öffentlichen Staatsaufwand und die besonderen Ausgaben der Mitschiffenden berechnet, wie viel nämlich der Staat bereits aufgewendet hatte und was er jetzt den Feldherren mitgab, und was jeder Einzelne für seine Person und jeder Schiffsherr für sein Schiff bereits ausgegeben hatte und noch auszugeben gewillt war, ganz abgesehen von dem, was natürlicher Weise außer dem öffentlichen Solde Jeder [*]( 58) Dies war nicht immer der Fall. Bei AristophaneS, Ritter 1369 ff., wo in dieser Beziehung Besserung versprochen wird, heißt es: Wie Einer auf der Kriegerlist' einmal Notirt ist, also bleibt'S, trotz aller Gönner; Kein Iota soll daran geändert werden. und Frieden N79 ff.: .... die gottverwünschten Rottenherrn — — Kaum zu HauS dann eingetroffen, thun sie Nicht? als Scheußliche», Schreiben uns in ihre Rotten, löschen uns hinwiederum, Schreiben wieder, löschen wieder. »Morgen wird in's Feld gerückt.- Keine Zehrung kauft der Nachbar, nicht geworden hält er sich; Plötzlich vor PandionS Säule tretend, ließt der arme Schelm Seinen Namen, und läuft entsetzt, mit Essigblicken, hin und her. Also thun sie uns dem Landvolk; minder schlimm dem Städtervolk — Doch sie sollen Rechenschaft noch. will'S ein Gott, ablegen mir! D. h. die Aushebung der Dienstplfichtigen geschah nach Gunst; der bestochene Rotten- Herr (Tariarch) gab diesen frei. schrieb jenen auf. löschte den AuSgehobenm wieder u.f. w. Viele wußten daher nicht genau, ob sie zum Kriegsdienst ausgehoden waren oder nicht. Die Namen derjenigen, die wirklich eintreten sollten, waren auf Säulen geschrieben, deren zwölf in Athen waren. Mancher, der frei zu sein glaubte, oder glücklich durch- -gekommen, fand nun zufällig, als schon die Zeit da war, wo ausgerückt werben sollte, seinen Namen auf einer solchen Säule. Zu diesem Schreck kam nun die Nothwendigseit, sofort sich marschfertig zu machen. Minckwitz zu Ar. ) [*]( Auch die Schiffsherrn betrogen gelegentlich den Staat; sie verstopften einige Ruderlöcher in dem vom Staat gelieferten SchiffSrumpf, sparten also die Auslagen für die Ruder und steckten den StaatSsold für die ausgefallenen Ruderer selbst ein. Aristoph. Frieden V. 1228 ff. )
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an Reisegeld für einen so langdauernden Feldzug, oder was einzelne [*]( 415 v. Chr. ) Soldaten und Kaufleute zum Umsatz mitnahmen, so würde man finden, daß zusammen gar viele Talente aus der Stadt gewandert sind 29). Und dieser Kriegszug wurde nicht weniger berühmt durch die staunenswerthe Kühnheit des Wagnisses und durch Glanz und Pracht deS Schauspiels, als durch Ueberlegenheit an Truppenzahl über die, gegen welche er gerichtet war, und dadurch, daß nie ein Seezug auf so große Weite von der Heimat weg unternommen worden war, und nie mit so großer Hoffnung auf bevorstehende Vergrößerung der vorhandenen Macht.

Als nun die Schiffe bemannt waren und Alles an Bord gebracht, was man mitnehmen wollte, so wurde mit der Trompete das Zeichen zur Stille gegeben, und nicht aus jedem Schiffe einzeln, sondern Alle zugleich verrichteten dann die herkömmlichen Gebete vor der Abfahrt, wozu ein Herold die Worte vorsprach, indem man zugleich längs der ganzen Heeresaufstellung den Wein in den Krügen mischte und Offiziere und Soldaten aus goldenen und silbernen Bechern spendeten. Das übrige Volk betete vom Land aus mit, sowohl die Bürger, als wer sonst anwesend und freundlich gesinnt war. Dann stimmten sie den Kriegsgesang an, und nachdem das Spendopser vollendet war, fuhren sie ab, Anfangs in langem Zuge segelnd und bis Aegina hin in Schnelligkeit wetteifernd. — Diese also beeilten sich nach Kerkyra zu gelangen, wo auch die übrige Macht der Bundesgenossen sich sammelte.

Nach Syrakus aber kam Botschaft von vielen Seiten, daß die Flotte heransegele, aber lange wurde sie nicht geglaubt, sondern sogar in einer abgehaltenen Volksversammlung hörte man noch beiderlei Redner, sowohl solche, welche an den HeereSzug der Athener glaubten, als [*]( 59 PerikleS pflegte regelmäßig sechzig Schiffe acht Monate in See zu halten und zu besolden; schon diese kosteten jährlich 480 Talente, wenn der Mann täglich eine Drachme erhielt. Wie konnte aber Athen die Löhnung und Verpflegung für mehr all 60.000 Mann im sicilischen Kriege ausbringen. da diese 3600 Talente in einem Jahre kosten mußten, d. i. Z.950,000 Thlr. — fast das Doppelte der jährlichen Einkünfte! Kein Wunder also, daß ungeachtet der hohen Tribute und Bedrückung der Bundesgenossen, wenn auch die selbstständigen unter diesen ihre Truppen etwa selbst besoldeten, sehr bald Geldmangel entstand. Böckh, StaatSH. d. A. I, ZS6 f. )

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[*]( 415 v. Chr.' ) auch solche, die das Gegentheil behaupteten. Auch Hermokrates, des Hennon Sohn, trat auf wie Einer, der die Wahrheit gewiß weiß. und redete, um sie anzuspornen, also: s

„Zwar werde ich bei euch, ebenso wie auch Andere, vielleicht keinen Glauben finden, wenn ich behaupte, daß in der That eine Flotte gegen uns ausgefahren ist, und ich weiß auch, daß die, welche unglaublich Scheinendes sagen oder melden, nicht nur keine Ueberzeugung erwecken, sondern sogar für Thoren gehalten werden. Aber wenn die Stadt in Gefahr ist, werde ich nicht aus Scheu vor einem solchen Vorwurf schweigen, weil ich die Wahrheit weiß und deßhalb überzeugt bin, euch Zuverlässigeres sagen zu können, als ein Anderer. Was euch so wunderbar scheint, ist wahr: die Athener ziehen mit großer Land- und Seemacht gegen euch heran, indem sie ihre Bundesgenossenschaft mit den Egestanern und die Wiederherstellung von Leontini zum Vorwand nehmen, in der That aber aus Begierde nach dem Besitze Siciliens, und vorzüglich nach dem eurer Stadt, im Glauben, leicht alles Andere erobern zu können, wenn sie die erst haben. Da sie nun bald hier sein werden, so seht zu, auf welche Weise ihr mit den vorhandenen Mitteln euch am besten ihrer erwehren könnt, damit ihr nicht wegen Verachtung der Gefahr ungerüstet überrascht werdet und in eurer Ungläubigkeit Alles vernachlässigt. Wer aber jetzt glaubt, der darf darum wegen ihrer Kühnheit und Macht nicht Muth und Besinnung verlieren, denn sie werden nicht im Stande sein, uns mehr Schaden zu thun, als wir im Stande find, ihnen zuzufügen. Auch ist es sogar nicht ohne Nutzen für unS, daß sie mit so großer Macht heranziehen, vielmehr bringt uns dieß den übrigen Sikelioten gegenüber Vortheil, denn um so eher werden diese aus gleicher Furcht uns im Kampfe beistehen. Und wenn wir sie entweder überwältigen, oder doch wenigstens unverrichteter Dinge heimschicken — denn ich fürchte durchaus nicht, daß sie ihre Absichten erreichen werden — so wird uns der Rubm der herrlichsten That zu Theil werden, und daß dem so sein wird, dessen bin ich meinestheilS voller Hoffnung. Denn nur wenige von so großen Feldzügen auf weite Entfernung vom eigenen Lande weg sind gelungen, weder von Seiten der Hellenen, noch auch der Barbaren. Denn sie kommen ja auch nicht in größerer Zahl als die Einwohner dieser Stadt und ihre

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Gränznachbarn — denn die Alle werden aus Furcht zu uns stehen — [*]( 415 v. Chr. ) und wenn sie aus Mangel an Lebensmitteln im fremden Lande em Unheil trifft, so werden sie gleichwohl uns, den Angegriffenen, einen ruhmvollen Namen zurücklassen, wenn sie auch an ihrem Unglück zum größten Theil selber Schuld sind. Grade so find ja auch eben diese Athener, damals als die Medifche Macht wider alle Berechnung so vielfaches Unheil traf, an Ruhm-gewahcsen, weil es eben hieß, daß der Zug gegen Athen gerichtet war, und ich habe gute Hoffnung, daß uns jetzt das Gleiche zu Theil werde."

„So laßt uns also Muth fassen und sowohl hier am Platz das Nöthige vorbereiten,.als auch zu den Sikulern schicken, um uns der Einen noch .mehr zu versichern und mit den Andern Freundschaft und Bundesgenossenschast zu schließen versuchen. Und in das übrige Sieilien wollen wir Gesandte schicken, um Alle zu belehren, daß die Gefahr gemeinsam ist, und nach Italien, um entweder ihre Bundesgenossenschast zu gewinnen, oder doch zu bewirken, daß sie die Athener nicht aufnehmen. Es scheint mir auch vortheilhaft zu sein, wenn wir nach Karthago schicken; denn die Sache kommt ihnen dort nicht unerwartet, sondern sie sind ununterbrochen in Angst, die Athener möchten einmal gegen ihre eigene Stadt heranziehen, und sie müssen leicht die Ueberzeugung gewinnen, daß wenn sie unser Schicksal übersehen, auch sie selbst wohl in Gefahr wären. Es ist also zu glauben, daß sie uns entweder heimlich oder offen oder auf irgend eine Weise zu unterstützen geneigt sind. Und die Macht dazu haben sie jetzt von Allen am meisten, wenn sie nur wollten; denn Gold und Silber, woraus, wie alles Andere, so auch der Krieg Nahrung und Gedeihen zieht, besitzen sie in der größten Menge. Aber auch nach Lakedämon und Korinth wollen wir Gesandte schicken und sie bitten, in aller Eile uns hieher zu Hülse zu kommen und dort im Lande den Krieg noch kräftiger zu führen."

„Was ich aber für das Allervortheilhafteste und Angenehmste halte, woraus ihr jedoch, weil ihr an beständige Ruhe gewöhnt seid, gleichwohl nicht sehr eifrig eingehen werdet, soll trotzdem gesagt werden. Denn wenn wir sieilische Griechen insgesammt, oder wenn schon das nicht, doch die Mehrzahl derselben im Anschlüsse an uns, mit allen vorhandenen Schiffen und Lebensmitteln auf zwei Monate

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[*]( 415 v. Chr. )ausliefen und den Athenern nach Tarent und dem Japygischen Vorgebirge entgegen segelten und ihnen so zeigten, daß sie zuerst um die Uebersahrt über den Ionischen Busen zu kämpfen haben, bevor es zum Kampf um Sieilien kommt, so würden wir sie wohl am meisten in Schrecken setzen, denn so würden wir es ihnen einleuchtend machen, daß wir in einem befreundeten Gebiete — Tarent nimmt uns ja auf — als Wächter unserer Heimat einen Anker - und Waffenplatz finden, während sie selbst mit ihrer ganzen Schiffsmenge über ein weitgedehntes Meer fahren müssen, so daß eS ihnen schwer ist, bei der Länge der Fahrt in Ordnung zu bleiben, während das langsame und allmälige Anfahren ihrer Schiffe uns den Angriff sehr leicht macht. Wenn sie aber den schnellsegelnden Theil ihrer Flotte mehr zusammenhalten und nach Erleichterung der Schiffe uns angreifen sollten und sich dabei der Ruder bedienten, so könnten wir über sie herfallen, nachdem sie sich abgemüdet hätten; und sollten wir das nicht für gut finden, so können wir uns auch nach Tarent zurückziehen. Sie aber würden in diesem Fall, da sie nur mit wenig Lebensmitteln versehen, wie zur Seeschlacht übergefahren wären, in den verlassenen Gegenden Mangel leiden und, wenigste daselbst blieben, ^von unsern Schiffen^ eingeschlossen werden; oder wenn sie es versuchen sollten, längs der Küste hin weiter zu fahren, so müssen sie wohl ihre übrige Belastung zurücklassen und den Muth verlieren, da sie hinsichtlich der Städte nicht sicher wären, ob sie von denselben ausgenommen würden. Durch diesen Plan, glaube ich, würden sie sich zurückhalten lassen und wohl nicht einmal von Kerkyra absegeln, sondern sich lang hin und her berathen und Kundschafter ausschicken, um unsere Zahl und Standort zu erfahren, und so über die gute Jahreszeit hinaus bis zum Winter aufgehalten werden; oder sie werden aus Bestürzung über die unerwartete Hemmung die Fahrt ganz aufgeben, zumal auch der erfahrenste ihrer Feldherren, wie ich höre, nur ungern die Anführung übernommen hat und den Vorwand sehr gern ergreifen würde, wenn unserseits sich eine ansehnliche Macht zeigte. Auch weiß ich gewiß, daß die Zahl unserer Schiffe ihnen vergrößert berichtet wurde; die Meinungen der Menschen aber richten sich nach dem, was sie hören, und diejenigen werden immer mehr gefürchtet, welche den Angreifenden zuvorkommen, oder ihnen
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doch wenigstens schon vorher zeigen, daß sie sich zuwehren entschlossen [*]( 415 v. Chr. ) sind, denn so erkennen jene doch, daß die Gefahr gleich getheilt ist. >

„Und das würde jetzt auch bei den Athenern der Fall sein. Denn sie ziehen so gegen uns daher, als ob wir uns gar nicht wehren wollten; und diese Geringschätzung haben wir von ihnen verdient, weil wir den Lakedämoniern nicht geholfen haben, ihre Macht zu stürzen. Wenn sie nun aber sähen, daß wir ganz wider ihr Erwarten uns kühn und wagend zeigen, so würden sie durch diese Ueberraschung in größere Bestürzung gerathen, als wie unsere wirkliche Macht sie verdiente. Folgt mir also und wagt vor Allem dieses! Wenn aber das nicht, so trefft so rasch als möglich alle sonstigen Vorkehrungen zum Krieg, und es glaube Jeder, daß die Verachtung gegen den Angreisenden sich in der Herzhaftigkeit der Vertheidigung zeigt; und in der Ueberzeugung, daß behutsame Gegenrüstung uns die meiste Sicherheit verbürgt, müssen wir es für das Nützlichste halten, sofort zu handeln, wie es bei drohender Gefahr geboten ist. Denn die Athener kommen wirklich, und ich weiß gewiß, daß sie schon auf der Fahrt begriffen sind, ja sie sind fast schon so gut wie da."

So redete Hermokrates; das Äolk der Syrakusier aber gerieth unter sich in großen Streit, denn die Einen meinten, daß die Athener unmöglich kommen könnten, und was Hermokrates gesagt habe, sei nicht wahr; die Andern aber sagten: und wenn sie wirklich kämen, was sie ihnen denn anthun könnten, ohne selber noch Größeres dafür leiden zu müssen. Noch Andere hielten die ganze Sache nicht für des Redens werth und zogen sie in's Lächerliche. Einige Wenige aber glaubten dem Hermokrates und waren besorgt wegen der Zukunft. Da trat aber Athenagoras auf, der bedeutendste Führer der Volkspartei, welcher unter den damaligen Verhältnissen bei den Meisten das größte Vertrauen genoß, und redete also:

„Wer nicht selber wünscht, daß die Athener auf solche Thorheit verfallen, hieher zu kommen, um sich uns in die Hände zu geben, der ist entweder feig, oder meint es nicht gut mit der Stadt. Ueber die Keckheit derjenigen aber, welche euch dergleichen ankündigen, um euch recht Angst zu machen, wundere ich mich keineswegs, wohl aber über ihre Dummheit, wofern sie nämlich glauben, nicht durch- schaut zu werden. Wer nämlich für seine Person etwas zu fürchten

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[*]( 4l5 v. Chr. ) hat, der will sogleich den ganzen Staat in Furcht und Verwirrung setzen, um unter der allgemeinen Furcht die seinige zu verstecken, und ein anderer Kern ist denn auch hinter diesen Botschaften nicht zu suchen: sie sind keineswegs von selbst entstanden, sondern von Leuten erdichtet, welche von jeher in unsere Angelegenheiten Verwirrung bringen wollen. Ihr aber, sofern ihr euch gut zu berathen denkt, werdet nicht nach dem Gerede dieser Männer auf die wahrscheinliche Wahrheit schließen wollen, sondern nach dem, was so tüchtige und vielerfahrene Menschen, wie es die Athener meiner Meinung nach sind, wohl thun würden. Denn es ist nicht wahrscheinlich, daß sie die Peloponnesier im Rücken lassen und, ohne noch den dortigen Krieg aus eine für sie sichere Weise beendigt zu haben, aus freiem Entschluß zu einem andern, nicht unbedeutenderen Krieg ausziehen sollten. Ich bin vielmehr im Gegentheil der Meinung, daß sie recht froh find, wenn wir, ein Bund von so vielen und großen Städten, nicht gegen sie ziehen."

„Und wenn sie dennoch, wie man behauptet, wirklich kämen, so ist meiner Meinung nach Sieilien besser im Stande, als der Peloponnes, sie mit den Waffen gänzlich zu besiegen, da es ja in allen Stücken mit besseren Mitteln dazu versehen ist; ja diese unsere eigene Stadt für sich allein halte ich für weit überlegen, selbst wenn die Heeresmacht, die gegen uns im Anzug sein soll, noch einmal so stark wäre, als man sie angibt. Denn so viel ich verstehe, werden sie weder selbst Pferde mitbringen, noch sich solche von hier verschaffen können, außer einige wenige von den Egestanern; und auch die Schwerbewaffneten, die auf Schiffen mitkommen, können den unsrigen an Zahl nicht gewachsen sein. Denn eS wäre schon ein großes Ding, mit den Schiffen allein ohne die schwere Mannschaft eine so weite Fahrt hieher zu unternehmen, da ja auch die sonstige Rüstung nicht gering ist, die man gegen eine so große Stadt doch mitnehmen muß. Und davon bin ich so fest überzeugt, daß ich sogar glaube, die Athener würden selbst dann kaum völliger Vernichtung entgehen, wenn sie noch eine zweite, ebenso große Stadt wie Syrakus, besäßen und hier im Land ansässig, als unsere Nachbarn, aus nächster Nahe den Krieg gegen unS führten, geschweige denn jetzt, wo sie ganz Sicilien sich feindlich gegenüber haben, — denn es wird zusammenhat

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ten gegen sie — und von ihrem Schiffslager mit Zeltchen und nur [*]( 415 v. Chr. ) notydurftlgem Gerathe sich unserer Reiter wegen nicht einmal weit entfernen könnten. Ja, ich glaube überhaupt nicht einmal, daß sie sich nur am Lande werden behaupten können..Für so überlegen halte ich unsere Macht."

„Aber ich weiß wohl, daß die Athener recht gut.selber einsehen, was ich da sage, und das Ihrige zu erhalten suchen werden, und diese Leute aus unserer Mitte erfinden da Dinge, die weder wirklich sind, noch auch sein können, und ich weiß, daß sie nicht heute zum ersten Mal, sondern von jeher, mit ähnlichen und noch gefährlicheren Lügen, ja auch mit Thaten, die große Menge unter euch in Verwirrung setzen wollen, um die Zügel der Herrschast über unsere Stadt selber zu ergreifen. Ich fürchte nur, daß es ihnen bei.so vielfachen Versuchen endlich auch einmal gelingen werde. Wir aber sind Feiglinge, wenn wir uns nicht sicher vor ihnen stellen, bevor wir^noch in's Unglück gerathen sind, und ihnen nicht sogleich zu Leibe gehen, wenn wir hinter ihre Schliche kommen. Denn das sind ja die Ursachen/ weßhalb unsere Stadt so selten zur Ruhe kommt und. so viel Aufruhr und Kampf durchzumachen hat, nicht gegen die Feinde, sondern mehr in sich selber, und selbst schon Tyrannis und ungerechte Gewaltherrschaft Weniger. Ich meines Theils, sofern ihr mir folgen wollt, werde schon dafür sorgen, daß in unseren Tagen Nichts dergleichen unversehens über euch komme, indem ich euch, die ihr das Volk seid, belehre, und jene, die dergleichen im Schilde führen, züchtige, nicht nur, wenn sie aus offener That ertappt werden, denn es. ist schwer, ihnen beizukommen, sondern auch für das, was sie gern möchten, aber nicht können. Denn seinen Feinden gegenüber muß man sich nicht nur vor ihren Thaten, sondern auch vor ihren Plänen im Voraus schützen. Wer sich nicht zuerst schützt; heißt es, der muß zuerst leiden. Die aber nach Adelsherrschast trachten, denen werde ich ihre Pläne offen aufdecken und ein wachsames Auge auf sie haben, oder sie zum Besseren bekehren; denn so glaube ich sie am besten von Uebelthaten abzuhaltend Und in der That — denn oft habe ich darüber meine Gedanken gehabt — was wollt ihr denn eigentlich, ihr jungen Leute (Adelige)? Etwa schon Aemter und Würden? Das ist ja vom Gesetz nicht erlaubt, und das Gesetz ist mehr deßhalb. [*]( ThukydideS. VI. ) [*]( 8 )

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[*]( 415 v. Chr. ) gegeben worden, weil es euch für unfähig dazu hält, als weites euch trotz wirklicher Befähigung zurücksetzen wollte. Und warum wollt ihr denn nicht dasselbe Recht für euch, wie für das Volk? Wo bliebe denn'die Gerechtigkeit, wenn Bürger desselben Staates nicht dieselben Rechte hätten?" nsz

'„Nun wird der Ein6 oder der Andere sagen, Volksherrschaft habe weder Verstand, noch gewähre sie Gleichheit, und die Reichen seien zum gut Regieren am geschicktesten. Ich aber sage'für's Erste, daß unter dem Volke Alle einbegriffen sind, der Adel aber nur einen Theil bildet,'^— dann,, daß zwar die Reichen die Finanzen am besten leiten können, zum Berathen jedoch die Verständigen die Besten sind, und zum Entscheiden das ganze Volk; nachdem es diese angehört hat. Und so haben alle Klassen im Ganzen wie im Einzelnen bei einer Volksherrschaft gleiche Rechte. Eine Adelsherrschast aber läßt zwar der Masse ihren Antheil an den Gefahren-vom Nutzen aber zieht sie nicht nur den größeren Theil, sondern sie. steckt ihn: gleich ganz und gar ein. Und das ist es auch, wonach ihr Reichen und ihr jüngeren Leute strebt, doch in einer großen Stadt ist das nicht durchzusetzen. Aber wenn ihr dümmsten aller Menschen auch jetzt noch nicht einseht, daß ihr Unheilvolles herbeizuführen strebt, so entbehrt ihr entweder unter allen Hellenen, von denen ich weiß, am meisten jeder Einsicht, oder ihr seid die größten Schurken, sosern ihr nämlich mit Wissen solches wagt." .. i i '