History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Wahrmund, Adolf, translator. Stuttgart: Krais and Hoffmann, 1864.

Sechzehntes Kriegsjahr f416—IS. Fortsetzung Kap. I—VII.

Neue' Unternehmung der Athener gegen Sicilien. — Urbewohner'Sicilicus und hellenische Kolonien, daselbst Kap. 1 bis 5.— Egesta bittet um Hülfe gegen Syrakus. Pläne der Athener Kap. 6. — Vorfälle in Argos, Thrakien, Makedonien Kap.. 7... ' s.

Siebenzehntes Kriegsjahr 415—14. Kap. VIII—XLIII.

Athenische Gesandte nach Sieilien; dieselben rathen zu; das Volk beschließt das Unternehmen Kap. 8. — Nikias räth ab Kap. 9—14. — Alkibiades räth zu Kap. '15—18. — Nochmals Nikias Kap. 19—23. — Nikias, Lamachos nnd Alkibiades zu Feldherrn ernannt. Rüstungen Kap. 24—26. — Verstümmelung der Hermen. Alkibiades angeklagt Kap. 27 bis 29. — Abfahrt der Flotte Kap. 30—32. — Zustände zu Syrakus Kap. 32—41. Rede des Hermokrates daselbst Kap. Es. 34. Gegenrede des Athenagoras Kap. 36—40. Rede des Feldherrn Kap. 41. — Die athenische Flotte kommt an. Zunächst geringe Erfolge Kap. 42—52. — Alkibiades zurückberufen Kap. 53. — Geschichte des Sturzes der Peisistratiden. Harmodios und Aristogeiton (Einschaltung) Kap. 54 bis 59. — Stimmung der Athener wegen der Religionsfrevel Kap. 60. — Alkibiades entkommt Kap. 61. — Sieg der Athener vor Syrakus. Gehen aber nach Katana zurück Kap. 62

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bis 71. — Rüstungen der Syrakusaner. Hermokrates Feldherr Kap. 72—75. — Athener und Syrakusaner bewerben sich um Kriegshülfe der Kamarinäer. Rede des Hermokrates Kap. 76—80. Gegenrede des Atheners Enphemos Kap. 81 bis 87. — Kamarina bleibt neutral. Thätigkeit der Syrakusaner. Gesandte nach Korinth und Lakedämon. Alkibiades zu Lakedämon Kap. 88. — Rede des Alkibades zu Lakedämon Kap. 89—92. — Die Lakedämonier beschließen den Krieg Kas. 93.

Achtzehntes Kriegsjahr^ 414—13. Kap. XVIV—()V.^

Die Athener auf Sieilien siegreich Kas. 94. —^ Die Lakedämonier gegen'Argos. Thespiä Kap. 95. —-^Die Athener setzen sich unter siegreichen Gefechten vor Syrakns fest. Lamachos fällt Kap. 97—102. — Die Athener in bester Lage, die Syrakusaner verzweifelt Kas. 103. — Der Spartaner Gylippos schon in Tarent Kap. 104. — Die Lakedämonier gegen Argos. Athener kommen zu Hülfe Kas. 105. ^

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Im selbigen Winter wollten die Athener zum andern Mal und mit noch stärkerer Kriegsmacht als unter Laches und Eurymedon') aussegeln, um — wenn sie es vermöchten — Sicilien zu unterwerfen. Gleichwohl wußten die Meisten unter ihnen nicht, weder wie groß die Insel sei, noch wie zahlreich ihre Bewohner, an Hellenen sowohl, als an Barbaren, und dachten nicht, daß sie sich damit in einen Krieg einließen, der nicht viel unwichtiger sei, als der gegen die Peloponnesier. Denn zur Umfahrt ulk Sicilien braucht ein Lastschiff nicht viel weniger als acht Tage, und daß es bei diesem Umfang nicht mit dem Festland zusammenhringt, bewirkt nur eine Meerenge von höchstens zwanzig Stadien.

Bewohnt war die Insel schon in alten Zeiten, und dieß ist die Zahl aller ihrer Völker: Im grauen Alterthum, sagt man, haben in einem Theile des Landes die Kyklopen und Lästrygonen gewohnt. Von wem diese abstammten, weiß ich nicht zu sagen, noch auch, von woher sie eingewandert, oder wohin sie weitergezogen sind. Genügen muß, was über sie von den Poeten gesagt worden ist, oder mag sich Jeder seine besondere Meinung machen. Zuerst nach jenen, scheint es, haben sich die Sikaner angesiedelt, die, wie sie selber sagen, gar noch vor ihnen im Lande waren, denn sie nennen sich Eingeborne; in Wahrheit aber sind sie Iberer und aus ihren alten Wohnsitzen am Fluß Sikanos^) in Jberien, von den Ligyern verdrängt, ausge- [*]( 1) Vgl. III, 86 u. VI, 2 u. es. ) [*]( 2) Iberer, die Spanier. — Zweifelhaft, ob der Fluß Sicoris, jetzt Sexne, Nebenfluß desEbro, gemeint ist. Hierüber und über andere der hier vorkommenden Zweifelhaften) Angaben s. Schlegels Werke. Bd. litt, S. 47l f. (Kr.). ) [*]( ThukydideS. VI. ) [*]( 6 )

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wandert. Damals wurde auch die Insel nach ihnen Sikania genannt, denn vorher hatte sie Trinakria geheißen. Noch jetzt wohnen sie im westlichen Theil von Sieilien. Als dann Troja eingenommen war, sind einige Trojer, entgangen den Schiffen der Achäer, nach Sieilien gekommen und wurden, wie sie sich an den Gränzen der Sikaner anbauten, insgesammt Elymer genannt. Ihre Städte sind Eryx und Egesta^). Neben ihnen bauten sich auch einige Phokier an, von denen, welche von Troja damals durch den Sturm zuerst nach Libyen und von dort nach Sieilien verschlagen worden waren. Die Sikuler aber find aus Italien — denn dort wohnten sie vorher — vor den Opikern flüchtig nach der Insel herübergekommen. Wie erzählt wird und wie es auch am glaublichsten ist, sind sie aus Flößen übergesetzt, indem sie die günstige Strömung benutzten, während der Wind vom Festland herblies; vielleicht find sie aber auch auf eine andere Weise übergefahren. Es gibt aber auch jetzt noch Sikuler in Italien, und dieß Land hat sogar seinen Namen von einem Sikulerkönig, der JtaloS^) hieß. Sie kamen mit großer Macht an streitbarer Mannschaft nach Sieilien herüber, besiegten die Sikaner in einer Schlacht und drängten sie in die südlichen und westlichen Theile der Insel und bewirkten so, daß diese statt Sikania jetzt Sikelia genannt wurde. Sie besetzten die besten Theile des Landes und besaßen diese, als zuerst Hellenen nach Sicilien kamen^), fast schon dreihundert Jahre seit ihrer Ueberfahrt. Sie besitzen aber auch jetzt noch die mittleren und nördlichen Theile der Insel. Auch Phönikier siedelten sich an, welche ringsum die ganze Küste, die Vorgebirge am Meer und die vorliegenden kleinen Inseln besetzt hatten um des Handels willen mit den Sikulern. Als aber dann Hellenen in großer Zahl über's Meer herüberkamen, gaben die Phönikier die meisten dieser Punkte aus und behielten nur in der Elymer Nachbarschaft Motye und Soloeis und Panormos?), im Vertrauen sowohl auf die Bundesgenos- [*]( 3) Geht, der Berg St. Giuliano bei Trapani. — Egesta. tat. bei dem heutigen ) [*]( 4) JtaloS. sabelhaster König. Schlegel XII. S. 4ö< (Kr.). ) [*]( 5)1033 v. Chr. G. ) [*]( 6) Die Aegaten u. a. ) [*]( 7) Solanto und Palermo. )
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senschaft mit den Elymern, und dann auch, weil hier der kürzeste Seeweg Karthago von Sieilien trennt. Dieß ist die Zahl der Barbaren auf Sieilien und so wohnten sie dort.

Von Hellenen kamen zuerst Chalkidier aus Euböa unter des Thukles Anführung über's Meer und gründeten Naxos^) und bauten dem Führer Apollon^) einen Altar, der jetzt außerhalb der Stadt steht und auf welchem die heiligen Sendboten'"), wann sie von Sicilien absegeln, vorher Opfer bringen. Ein Jahr darnach gründete Archias, ein Heraklide aus Korinth, Syrakus, nachdem er zuerst die Sikuler von der Insel") verjagt hatte, auf der jetzt, nicht völlig mehr von der See umflossen, die innere Stadt liegt; später wurde aber auch die äußere Stadt mit in die Mauer eingeschlossen, und die Bevölkerung wurde zahlreich. Thukles aber und seine Chalkidier von Naxos aus gründeten im fünften Jahr, nachdem Syrakus erbaut war, Leontini, nachdem sie die Sikuler im Kampf vertrieben hatten, und danach Katana. Die Katanäer aber machten für sich den Euarchos zum Gründer.

Um dieselbige Zeit'^) kam auch Lamis als Führer einer Kolonie von Megara nach Sieilien und gründete am Pantakyos- Flusse eine Niederlassung, TrotiloS'^) mit Namen. Darnah caber zog er aus von dort und schloß sich eine Zeit lang an die Gemeinde der Chalkidier in Leontini, und als ihn diese austrieben, gründete er Thapsos'4) und starb dann; seine Leute aber, aus Thapsos verjagt, und da auch der Sikulerkönig Hyblon die ganze Gegend aufgab, nahmen diesen zum Führer und gründeten Megara III, das das Hybläische genannt wird. Dort hatten sie zweihundert und fünsund. [*]( 8) r,orwio» 733 v. Chr. ) [*]( 9) Apollo ArchegeteS, d. h. Apollo, als göttlicher Führer der Kolonisten und Beschützer der neuen Ansiedelung gedacht. ) [*]( 10) w) Die Abgesandten zu den Festen der Mutterstadt, nach Delphi. Olympia u. s. w. ) [*]( 11) 1 Die Insel Ortygia, meist nur Nisos, d. i. dorisch die Insel genannt, anfangs durch einen Damm, später durch eine Brücke mit dem Festlande verbunden. ) [*]( 12) 727 v. Chr. ) [*]( 13) Trotilos oder ProtiloS am PantakyoS oder Pantagias. ) [*]( 14) Magnisi. ) [*]( 15)) Verjagt wurden sie wohl von Sikulern, die zugleich auch Feinde und Bedränger des Hydlon waren, weßhalb dieser sich den Megarern als Führer anschloß (Kr.). ) [*]( 6* )

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vierzig Jahre gewohnt, als Gelon, Tyrann der Syrakufier, sie aus Stadt und Land vertrieb '6). Vor dieser Vertreibung aber, im hundertsten Jahre, nachdem sie Hybla gebaut, hatten sie den Pammilos ausgesandt und Selinus gegründet, denn dieser war aus Megara, ihrer Mutterstadt, zu ihnen gekommen und hals nun die neue Stadt gründen. Gela aber gründeten gemeinsam Antiphemos, der aus Rhodos, und Entimos, der aus Kreta Ansiedler herbeiführte, im fünfundvierzigsten Jahr nach der Erbauung von Syrakus ^). Die Stadt selbst erhielt vom Flusse Gela ihren Namen; der Platz aber, wo jetzt die befestigte Stadt steht, und der auch zuerst ummauert wurde, heißt Lindii. Sie gaben sich aber Dorische Gesetze. Ungefähr hundertund acht Jahre nach ihrer eigenen Gründung bauten die Gelaner Akragas ^), welchen Namen sie der Stadt vom Akragas-Flusse gaben; zu Gründern machten sie den Aristonus und den Pystilos und nahmen die Gesetze der Gelaner an. — Zankle wurde zuerst durch See. räuber begründet, die von Kyme, der chalkidischen Stadt im Opiker- Lande^), herüberkamen; danach kam aber auch von ChalkiS und dem übrigen Euböa eine Zahl Volkes und theilte mit ihnen das Land. Ihre Gründer waren Perieres und Kratämenes, der eine aus Kyme, der andere aus Chalkis. Von den Sikulern wurde die Stadt zuerst Zankle genannt, weil der Platz von Gestalt sichelförmig ist und bei den Sikulern die Sichel Zanklon heißt.

Später aber wurden sie von Samiern und andern Joniern vertrieben, die, vor den Medern geflohen, in Sieilien landeten. Die Samier hinwieder vertrieb nicht lange danach Anaxilas, der Rheginer Tyrann, und führte in die Stadt eine gemischte Bevölkerung und nannte sie Messana nach seinem eigenen alten Vaterlande. Himera ist von Zankle aus gegründet worden durch Eukleides und Simos und Sakon; und das Volk in der Ansiedelung war meist chalkidisch; es zogen zu ihnen aber auch Vertriebene aus Syrakus, die man Myletiden nannte und die durch eine feindliche Partei besiegt worden waren. [*]( 18) 482 v. Ehr. ) [*]( 17) 687 v. Chr. ) [*]( 18) Xxrixeotvm, klrxentl, 579 v. Ehr. G, ) [*]( 19) Später Messana, Mtssina. ) [*]( 20) Turmae in Campanien. )

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Ihre Sprache bildete sich zu einem Gemisch von chalkidisch und dorisch, doch galten die chalkidischen Gesetze. Akrä und Kasmenä wurden von Syrakusiern gegründet, Akrä siebenzig Jahre nach Syrakus, Kasmenä um zwanzig Jahre später als Akrä. Auch Kamarina wurde zuerst durch Syrakusier angelegt, gegen hundertundfünfunddreißig Jahre nach der Gründung von Syrakus. Gründer waren Daskon und MenekoloS. Als aber die Kamariner wegen ihres Abfalls von den Syrakusiern mit den Waffen ausgetrieben worden waren, und einige Zeit danach Hippokrates ^), Tyrann von Gela, das Land der Kamariner als Lösegeld für kriegsgesangene Syrakusische Männer erhielt, so wurde er zweiter Gründer und bevölkerte die Stadt von Neuem. Aber zum zweiten Mal wurden die Bewohner durch Gelon ausgetrieben, und die Stadt erhielt dann ihre dritte Bevölkerung durch die Gelaner.

Dies sind die Völker hellenischer und barbarischer Abkunft, welche auf Sieilien wohnten, und so groß ist diese Insel, gegen welche die Athener den Kriegszug unternahmen. Der wahrhaste Grund dazu war, daß sie die ganze Insel sich zu unterwerfen gedachten, als glimpflichen Vorwand aber gebrauchten sie, daß sie ihren Blutsverwandten und neuen Bundesgenossen zu Hülfe ziehen wollten. Am meisten zu diesem Zuge reizten sie die Egestaner, deren Gesandte anwesend waren und aus'S eifrigste anstachelten. Diese nämlich waren Nachbarn der Selinuntier, und einiger Heirathsgeschichten und eines streitigen Landstücks wegen mit ihnen in Krieg verwickelt, und die Selinuntier hatten die Syrakufaner als Bundesgenossen herbeigeholt und bedrängten jene feindselig zu Land und zu Wasser. Die Ege- [*]( 415 v. Chr. ) tsaner erinnerten also die Athener an ihre Bundesgenossenschaft mit den Leontinern^) in dem früheren (sikelifchen) Krieg unter Laches und baten, ihnen Schiffe zu Hülfe zu senden. Unter vielem Anderem, was sie zu diesem Zwecke vorbrachten, war der Hauptgrund: wenn erst die Syrakusaner die Freiheit der Leontiner ungestraft vernichtet und, nachdem sie dann auch die übrigen Bundesgenossen zu [*]( 21) Regierte von* 493 bis 491 v. Chr. ) [*]( 22) d. h. wohl an der Egestaner BundeSgenossmschast mit Leontinern. Vergl. III, 86 - 90. )

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[*]( 415 v. Chr. ) Grunde gerichtet hätten, selber die Macht über ganz Sieilien besäßen, so sei Gefahr da, daß sie einmal als Dorier den Doriern, der Verwandtschaft gemäß, und auch als Pflanzvölker ihren peloponnesischen Mutterstaaten zu Hülse kämen und die Macht der Athener brechen hälfen. Darum gebiete es die Klugheit, in Verbindung mit den noch vorhandenen Bundesgenossen sich den Syrakusanern zu widersetzen, zumal sie selbst zu diesem Kriege ausreichende Geldmittel hergeben würden. Nachdem die Athener in den Volksversammlungen sowohl die Egestaner, die dergleichen oft vorbrachten, als auch ihre eigenen Mitbürger, die jenen zustimmten, angehört hatten, so beschlossen sie für's Erste Gesandte nach Egesta zu schicken, die wegen des Geldes sich überzeugen sollten, ob dessen so viel, wie jene sagten, im öffentlichen Schatz und in den Tempeln vorhanden sei, und zugleich untersuchen, wie es um ihren Krieg mit den Selinuntiern stünde.

Die Gesandten der Athener nach Sieilien wurden also abgeschickt; die Lakedämonier aber und ihre Bundesgenossen, mit Ausnahme der Korintber, zogen in diesem Winter gegen Argos zu Felde, verheerten einen kleinen Landstrich und führten Getreide auf mitgebrachten Wagen davon. Nachdem sie dann die Verbannten der Argiver 23) nach Orneä verpflanzt und zu deren Schutz auch einen Theil ihrer übrigen Mannschaft zurückgelassen hatten, schloßen sie einen Waffenstillstand aus einige Zeit ab, wonach die Orneaten und die Argiver einander unbehelligt lassen sollten, und gingen dann mit dem Heere nach Hause zurück. Als aber nicht lange danach die Athener mit dreißig Schiffen und sechshundert Schwerbewaffneten ankamen, so zog die ganze Mannschaft der Argiver mit den Athenern aus, und beide belagerten die in Orneä einen Tag lang. In der Nacht aber, während ihr Heer in einiger Entfernung lagerte, entwischten ihnen die aus Orneä. Als am folgenden Tag die Argiver dieß merkten, so zerstörten sie Orneä und kehrten nach Hause zurück, und deßgleichen später auch die Athener mit ihren Schiffen.

Auch nach Methone, welches an Makedonien gränzt, schickten die Athener zur See Reiter aus ihren eigenen Bürgern und die Ma­ [*]( 23) Vergl. V. 83 und 116. )

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kedonischen Verbannten T die bei ihnen waren, und beschädigten das [*]( 415 v. Chr. ) Gebiet des Pcrdikkas. Da schickten die Lakedämonier den Chalkidiern an der thrakischen Küste, welche mit den Athenern einen Waffenstillstand hatten, der alle zehn Tage erneuert werden mußte 25), den Befehl zu, sie sollten dem Perdikkas in diesem Kampfe beistehen. Die aber wollten nicht.

So ging dieser Winter zu Ende und mit ihm das sechzehnte Jahr dieses Krieges, den Thukydides beschrieben hat.

Im nächsten Sommer zu Frühlingsanfang kamen die Gesandten der Athener aus Sieilien zurück und mit ihnen Egestaner, welche sechzig Talente ungemünzten Silbers mitbrachten als Sold für sechzig Schiffe auf einen Monat, um deren Zusendung sie bitten wollten. Die Athener hielten nun eine Volksversammlung, und nachdem sie von ihren eigenen Gesandten und den Egestanern sowohl anderes Verlockendes angehört hatten, welchem die Wahrheit nicht entsprach, als auch von dem vielen Geld, welches in Tempeln und in Staatskassen bereit läge, so beschloßen sie, sechzig Schiffe nach Sieilien zu schicken und als Feldherrn mit unumshcränkter Vollmacht den Alkibiades, Sohn des Kleinias, den Nikias, Sohn des Nikeratos, und den Lamachos, des Lenophanes Sohn. Diese sollten den Egestanern gegen die Selinuntier Hülse leisten, und wenn der Krieg ihnen die Mittel dazu ließe, Leontini wieder neu gründen helfen und auch sonst diejenigen Einrichtungen in Sieilien treffen, die ihnen für die Athener die vortheilhaftesten schienen. Am fünften Tage danach wurde-wieder eine Volksversammlung abgehalten, wie man die Ausrüstung der Schiffe so rasch als möglich in's Werk setzen! könne, und um den Feldherrn zu bewilligen, was etwa noch zur Abfahrt nothwendig sei. Da trat Nikias auf, der gegen seinen Willen zum Feldherrn gewählt war und glaubte, der Staat habe sich nicht wohl berathen, sondern unter einem nichtsnutzigen und nur scheinbaren Vorwande stürze man sich in ein so maßloses Unternehmen, wie die Eroberung von ganz Sieilien. In der Absicht, die Athener davon abzubringen, hielt er folgende Rede: [*]( 24) Vergl. l, 59. II, 95. ) [*]( 25) Vergl. V, 26. )

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[*]( 415 v. Chr. ) „Diese Volksversammlung ist zwar zu dem Zwecke berufen worden, um über die gArt und Weise der Rüstung zum Seezug nach Sieilien zu berathen; ich aber bin der Meinung, daß man erst die Sache selbst noch wohl überlegen solle, ob es nämlich überhaupt wohlgethan ist, die Flotte dorthin zu senden. Wir sollten nicht nach einer so kurzen Berathung in Betreff so wichtiger Dinge ohne Weiteres auf die Reden fremder Männer eingeben und einen Krieg aufnehmen, der uns Nichts angeht. Ich zwar für meine Person soll dabei durch eine Ehrenstelle ausgezeichnet werden und dürfte also um mich selbst weniger zu fürchten haben, obwohl ich indeß der Meinung bin, daß auch der immer noch ein ebenso guter Bürger ist, wie Andere, der für seine Person und sein Vermögen einigermaßen besorgt ist 2^ da grade ein solcher um seiner eigenen Sicherheit willen wünschen muß, daß der Staat wohlbehalten bleibe. Gleichwohl habe ich weder in früherer Zeit aus Sucht nach Ehrenstellen jemals etwas gegen meine Ueberzeugung gesagt, noch auch werde ich es jetzt thun, sondern ich werde nach bestem Wissen und Gewissen reden. In Anbetracht eurer Denkart aber dürfte ich von meinen Worten wohl keinen Eindruck erwarten, wenn ich euch nur auffordern wollte, auf Erhaltung eurer jetzigen Macht bedacht zu sein und das Gegenwärtige nicht um Unsicheres und Zukünftiges auf's Spiel zu setzen. Ich will euch darum überzeugen, daß euer Unternehmungseifer hier ganz zur Unzeit kommt und daß keineswegs so leicht zu erlangen ist, wonach ihr die Hände ausstreckt."

„Ich sage euch also, daß ihr hier sehr zahlreiche Feinde zurücklasset und trotzdem dorthin fahren wollt, um euch noch neue dazu in's Land herein zu ziehen. Vielleicht glaubt ihr, die mit euch geschlossenen Waffenstilltsandsverträge hätten Kraft und Bestand, aber die haben sie nur dem Namen nach und nur so lange, als ihr selber euch ruhig verhalten werdet — und daß dem so ist, daS haben Männer von hier28) und aus der Zahl eurer Feinde^) durchzusetzen gewußt — sobald eure Macht aber nur einen einigermaßen beträchtlichen Verlust erlitten haben wird, werden eure Feinde ohne viel [*]( 27) Bei Vielen galt Nikias für furchtsam; also hier zugleich beiläufige Selbst»»theidigung (Kr.). ) [*]( 28) AlkidiadeS und sein Anhang. ) [*]( 29) Besonders KleobuloS und XenareS. Vergl. V, 36 ff. )

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Federlesens über euch herfallen, um so mehr, da sie nur in Folge ihrer [*](415 v. Chr. ) Unglücksfälle und in weniger ehrenvoller Lage, als die unsrige, durch die Noth zum Vertrage bewogen wurden. Dann haben wir auch in diesem Vertrage selbst viel streitige Punkte, und es find sogar auch solche da, welche nicht einmal diesen Vertrag angenommen haben, und die find eben nicht die schwächsten, sondern die Einen führen offenen Krieg mit uns 2°), und die Andern werden durch einen Waffenstillstand, der alle zehn Tage erneuert werden muß, beschwichtigt, weil die Lakedämonier selbst sich noch ruhig verhalten. Sehen sie aber erst unsere Macht getrennt, was wir eben jetzt so eifrig und eilig thun wollen, so werden sie uns ganz gewiß über den Hals kommen und fich mit den Sikelioten verbinden, welche sie sich schon in früherer Zeit vor vielen Andern als Bundesgenossen wünschten. Das also muß man wohl in's Auge fassen und nicht den Staat, der wie ein Schiff auf der Höhe der Wogen schwebt, der Gefahr des Untergangs aussetzen. Wir dürfen nicht nach neuer Herrschaft tsreben, so lange unsere jetzige nicht befestigt ist, — oder find etwa nicht die Chalkidier an der Thrakischen Gränze so viele Jahre im offenen Aufruhr gegen uns und noch immer nicht unterworfen, und steht es nicht auch mit Andern auf dem Festland sehr zweifelhaft? Freilich, den Egestanern, unsern Bundesgenossen, müssen wir mit allem Eifer zu Hülfe eilen, weil man ihnen Unrecht thut, aber die zu bestrafen, die uns selbst schon lange Zeit her durch ihren Abfall Schaden thun, zögern und zaudern wir."

„Und doch könnten wir diese leicht bewältigen und im Zaum halten, über jene aber, auch wenn wir sie besiegt hätten, könnten wir ihrer Entfernung und großen Zahl wegen eine Herrschaft nur mit großer Schwierigkeit ausüben. Es hat aber keinen Sinn und Verstand, gegen solche zu Felde zu ziehen, die man im Falle des Sieges nicht niederhalten kann, und zu denen man im Fall der Niederlage nicht mehr im gleichen Machtverhältniß steht, wie vor dem Angriff auf sie. Die Sikelioten aber, so wie es jetzt mit ihnen steht, scheinen mir keineswegs gefährlich für uns, und noch viel weniger, wenn einmal die Syrakusier sie alle beherrshcen sollten, womit uns [*]( 30 ) Die Kvrinthcr^v, 32 oder die Diktidicr V, 35 und Perdilkas V, 83? (Kr.) )

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die Egestaner vorzüglich zu schrecken suchen. Denn nach dem jetzigen Stand der Dinge könnte wohl der eine oder andere Staat auf Sicilien aus Freundschaft den Lakedämoniern zu Hülse kommen, in jenem Falle aber ist es gegen alle Wahrscheinlichkeit, daß ein über Andere herrshcender Staat gegen seines Gleichen einen Krieg unternähme. Denn wie sie in diesem Falle unsere Herrschaft in Verbindung mit den Lakedämoniern gestürzt hätten, ganz ebenso und von eben denselben ^ würde dann ihre Macht gestürzt werden müssen. Wir aber könnten die dortigen Hellenen am allerbesten in Furcht halten, wenn wir gar nicht hingingen, oder auch, wenn wir ihnen einmal unsere Macht aus der Nähe zeigten und wieder umkehrten. Blieben wir aber ihnen gegenüber im Nachtheil, so könnten sie uns leicht verachten und mit den hiesigen Feinden über uns kommen. Denn wir wissen ja Alle, daß immer das Entfernteste und was noch keine Gelegenheit gegeben hat, die Wahrheit seines Rufes zu erproben, am meisten bewundert wird, wie es ja auch in Bezug auf die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen ergangen ist. Weil ihr aber wider Erwarten über das gesiegt habt, was ihr anfänglich gefürchtet, so verachtet ihr sie jetzt schon und denkt an die Eroberung Siciliens. Man darf sich aber nicht wegen der Unfälle, welche die Feinde betroffen haben, überheben, sondern erst dann zuversichtlich sein, wenn man ihre ganzen Entwürfe zu nichte gemacht hat. Auch dürft ihr nicht glauben, daß die Lakedämonier auf irgend etwas Anderes sinnen, als, wie sie auch unter den jetzigen Verhältnissen auf irgend eine Weise durch unser Verderben ihren hohen Ruf wieder herstellen können, zumal sie ja auch alle Zeit her und vor Allem ihren Ruhm in die Tapferkeit setzen. Für uns also — sofern wir Verstand zeigen — ist jetzt die Aufgabe nicht, den barbarischen Egestanern auf Sieilien zu Liebe einen Krieg zu führen, sondern einen Staat scharf zu überwachen, der unter der Form einer Oligarchie verderbliche Pläne gegen uns schmiedet."

„Bedenken müßt ihr auch, daß wir erst seit Kurzem von einer großen Pest und dem Kriege uns ein wenig erholt und an Geld und Menschenzahl wieder zugenommen haben. Diesen Zuwachs an [*]( As) Don den Lakedämoniern all vorgeblichen Befreiern der Hellenen. )

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Mitteln sollten wir aber gerechterweise nur zu unserm eignen Besten [*]( 415 v. Chr.' ) und hier im Lande selbst aufwenden und nicht für diese vertriebenen Leute 32), die uns um Hülse bitten, denen es Nutzen bringt, zuversichtlich zu lügen, auch auf die Gefahr des Andern hin, und die ihrerseits nur mit Worten aufwarten können und schließlich im Fall des Gelingens sich nicht dankbar erweisen, im Fall des Scheiterns aber auch ihre Freunde mit in's Verderben ziehen werden.

„Wenn aber Einer aus eurer Mitte, der zu seiner großen Freude zum Feldherrn gewählt worden ist, Euch zu dem Seezug räth, — Einer, der nur auf seinen eigenen Vortheil schaut und übrigens zum Feldherrn auch noch zu jung ist^), — Einer, der sich gern seiner schönen Pferde wegen bewundern läßt und wegen der Kostspieligkeit derselben aus der Feldherrnstelle seinen Profit herausshclagen will, so gestattet doch dem nicht, daß er auf die Gefahr des Staatsbankerots mit seiner eigenen Person prachere, und denkt, daß dergleichen Menschen den Staat bestehlen und das Eigene durchbringen. Bedenkt, daß es sich um die wichtigsten Dinge handelt, die nicht danach find, daß junge Leute ihren unreifen Witz daran üben und sie mir Nichts dir Nichts in die Hand nehmen."

„Freilich muß ich mich vor denen fürchten, die ich da neben eben diesem Manne als seine Für- und Zusprecher sitzen sehe, und ich fordere deßhalb die Aelteren auf, nicht scheu zu sein, wenn Einer von diesen neben ihnen sitzt, und nicht zu fürchten, sie würden als feige erscheinen, wenn sie gegen den Krieg tsimmen, und daß sie sich ebensowenig durch verhängnißvolle Gier nach weit entfernten Dingen — denn die könnte auch sie noch ankommen — hinreißen lassen. Sie sollen bedenken, daß durch Leidenschaftlichkeit das Wenigste, durch kluge Vorsicht aber das Meiste erreicht wird. Ihr müßt also zur Rettung des Vaterlandes, welches jetzt mit der größten Gefahr spielt, die es je bedrohte, gegen den Zug stimmen und beschließen, daß die Sikelioten sich uns gegenüber in den bisherigen Grenzen zu halten haben, die auch wir genehm halten müssen, nämlich im Ionischen Meer, wenn Einer längs der Küste hinschifft, und im Sikelischen, wer [*]( 32) Die Leontiner. ) [*]( 38) AlkibiadeS war damals etwas über dreißig Jahre alt. )

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[*]( 415 v. Chr. ) über die hohe See fährt. Was sie haben, das sollen sie behalten und ihre Angelegenheiten unter sich austragen. Den Egestanern insbesondere aber sagt: da sie von vornherein, ohne die Athener zu fragen, den Krieg angefangen haben, so sollen sie ihn auch allein ausmachen. Und für die Zukunft nehmt nicht mehr, wie wir gewöhnlich thun, solche als Bundesgenossen an, die von uns nur Hülse in ihrer Noth wollen, von denen wir aber, wenn wir selbst Hülse brauchten, keine erlangen könnten."

„Und du, Prytane^), sofern du es für deine Pflicht hältst, für das Staatswohl besorgt zu sein, und sofern du dich als guter Bürger zeigen willst, berufe die Athener zur Abstimmung und lege ihnen die Sache nochmals zur Berathung vor! Wenn du dich fürchtest, auf Abänderung des Volksbeschlusses anzutragen, so bedenke, daß die Aufhebung gesetzlicher Beschlüsse unter Theilnahme so vieler Zeugen keine Anschuldigung begründen kann! Bedenke, daß du so an der Stadt, die jenen Beschluß gefaßt hat, wie ein Arzt handelst, und daß die rühmliche Verwaltung deines Amtes darin besteht, dem Vaterland so viel als möglich zu nützen, oder ihm doch wenigstens nicht mit Wissen und Willen zu schaden!"

So redete Nikias. Von den Athenern aber, die noch auftraten, forderten die Meisten zum Kriegszug aus, und man solle den gefaßten Beschluß nicht aufheben; Einige indeß sprachen auch dagegen. Am eifrigsten aber trieb zum Feldzug Alkibiades, des KleiniaS Sohn, einmal, weil er dem Nikias den Widerpart halten wollte, dessen Gegner er auch sonst in Staatssachen war, zumal er eben auch seiner ungünstige Erwähnung gethan, hauptsächlich aber, weil er die Feldherrnwürde eifrig wünschte und in dieser Stellung Sieilien und Karthago zu erobern gedachte, was im Fall des glücklichen Gelingens auch ihn selbst an Geld und Ehren heben würde. Er stand in Ansehen bei den Städtern, stöhnte aber seinen Leidenschaften in Bezug auf Pferde und sonstigen Luxus über Vermögen, was denn auch später nicht die kleinste Ursache zum Untergang der Athenischen Macht wurde. Denn als die Meisten die Größe seiner Ueberhebung in Bezug aus persönliche Lebensweise und die Großartigkeit seines Strebens, die er [*]( 54) Der Rathsvorsteher, der bei der Volsversammlung den Vorsitz führte. )

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in allen Geschäften zeigte, welche er in die Hand nahm, zu fürchten [*](415 v. Chr. ) begannen, so wurden sie ihm Feind, weil sie glaubten, er strebe nach Alleinherrschaft, und obwohl er das Kriegswesen zum besten Nutzen des Gemeinwesens trefflich leitete, so übertrugen sie, Jeder persönlich beleidigt durch sein Benehmen und seine Lebensweise, den Oberbefehl an Andere und richteten so den Staat binnen Kurzem zu Grunde. Damals nun trat Alkibiades auf und redete zu den Athenern Fol» gendes:

„In der That, ihr Athener, kommt mir ein Oberbefehl eher als Andern zu — denn hiemit muß ich beginnen, da Nikias mich angegriffen hat — und ich glaube desselben würdig zu sein. Weßhalb ich verschrieen bin, das grade brachte meinen Vorfahren und bringt mir Ruhm ein und dem Vaterland Nutzen. Beim Anblick meines prächtigen Aufzuges zu Olympia mußten die Hellenen die Macht unserer Stadt noch für größer halten, als sie wirklich ist, nachdem sie zuvor sich geschmeichelt hatten, sie sei durch den Krieg zu Grunde gerichtet. Deßhalb habe ich sieben Wagen in die Rennbahn geschickt, was vor mir ein Privatmann nie gethan, und so habe ich den ersten und zweiten und vierten Preis gewonnen ^), und dieses Sieges würdig war mein übriger Aufwand. Schon nach dem Gesetz gewährt dieß Ehre, und nach dem Geleisteten bildet man sich eine Vorstellung von der Macht (des Staates). Mein sonstiger glänzender Aufwand in der Stadt, wenn ich Chorführer bin ^), oder bei Andern Gelegenheiten, erregt natürlich unter den Stadtbürgern Neid, für die Fremden aber entfaltet sich auch hierin die Staatskraft. Das ist doch fürwahr keine schädliche Thorheit, die auf eigene Kosten nicht nur sich selbst, sondern auch dem Staate nützt, und eS ist auch nicht ungerecht, daß Einer, der von sich groß denken darf, sich nicht mit anderen auf eine Linie stellt. Findet doch auch der Unglückliche Keinen, der von seinem Unglück den gleichen Antheil auf sich nehmen will. Sondern wie uns im Unglück kein Mensch den Hof macht, so muß es sich Einer auch wohl gefallen lassen, wenn ihn die Glücklichen über die Achsel ansehen. Erst stelle er sich auch dem Unglücklichen gleich, [*]( 35) Vergl. Plutarch, Alkibiades Kap. II. ) [*]( 38) Vergl. Anm. 1l, Buch III. )

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[*]( 415 v. Chr. ) wenn er vom Glücklichen dasselbe verlangt. Ich weiß aber, daß Männer wie ich, und wer immer in einer Art sich auszeichnet, so lange sie leben, den Andern unangenehm find, und am meisten ihres Gleichen, dann aber auch den Andern, mit denen sie zusammen leben; bei den Nachkommenden aber erregen sie sogar den Wunsch, Ansprüche aufVerwandtschaft mit ihnen machen zu können, wenn diese auch keineswegs begründet find; und welchem Staate sie immer angehören, der rühmt sich ihrer nnd will sie nicht einem andern überlassen, und betrachtet sie nicht als solche, die ihre Sache schlecht gemacht hätten, sondern als die seinigen und solche, die rühmlich gehandelt. Danach nun strebe ich, und wenn ich in meinem Privatleben vershcrien bin, so seht doch nur daraus, ob ich die öffentlichen Angelegenheiten etwa schlechter verwalte, als ein Andrer. Habe ich doch ohne große Gefahr und Kosten eurer Seits die mächtigsten Staaten des Peloponnes vereinigt und die Lakedämonier gezwungen, bei Mantinea ihre ganze Existenz auf das Kampsglück eines einzigen Tages zu setzen^). Und haben sie damals auch gesiegt, so find sie doch selbst heute noch nicht sicher und zuversichtlich."

„Solche Erfolge hat meine Jugend und Unverstand, der jenen über alle Gränzen zu gehen scheint, gegen die Macht der Peloponnesier durch angemessene Worte zu Wege gebracht. Mein Feuereifer flößte Zuversicht ein und überredete. So fürchtet also auch ihr jetzt diese Eigenschaften nicht, sondern so lange ich in ihrem Besitz der Jugendkraft genieße, und Nikias den Namen des Glücklichen wird behaupten können^), so zieht möglichsten Nutzen vom Einen wie vom Andern! Und nehmt den beschlossenen Zug nach Sieilien nicht zurück, als ob derselbe gegen eine starke Macht gerichtet wäre. Denn die dortigen Städte haben eine zahlreiche Bevölkerung von sehr gemischten Massen^), und Umänderungen der Versassung und Aufnahme von Ncubürgern haben dort keine Schwierigkeit. Deßhalb ist dort aber auch Keiner für seine eigene Person mit Waffen gerüstet, als ob er ein eigenes Vaterland zu vertheidigen habe, noch auch gibt [*]( 37) Vergl. V, 6K ff. ) [*]( 38) d. h. wenigstens glücklich, wenn auch eben nicht sehr klug und unternehmend. Gegenhied. ) [*]( R) also ohne Einheit der Gesinnung und Interessen. (Kr>) )

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es im Lande gesetzliche Vorkehrungen dazu. Sondern wie Einer [*]( 415 v. Chr. ) grade durch Überredungskunst oder durch Erregung von Bürger- zwietracht vom Gemeingute sich etwas aneignen kann, danach sieht er sich vor, und schlägt eS fehl, so weiß er, daß er sich anderswo ansiedeln kann. ES ist doch nicht wahrscheinlich, daß ein solcher Hause einem Antrag einmüthig Gehör schenke, oder sich gemeinsam zu irgend einem Unternehmen wende. Einzeln aber, wenn man ihnen nnr nach dem Sinn redet, werden sie leicht zu gewinnen sein, zumal sie sich einander in denHa aren liegen, wie wir erfahren. Aber sie haben auch nicht so viele Schwerbewaffnete, als sie sich rühmen, und haben sich doch nicht einmal die andern Hellenen so zahlreich in Waffen gezeigt, wie sie selber sich bezifferten, vielmehr hat sich Hellas über sich selbst höchlichst getäuscht und sich in diesem Kriege.^) kaum zur Noth gerüstet gezeigt. Die dortigen Verhältnisse aber werden sich nach dem, was ich höre, ebenso zeigen, und wir werden sogar noch leichter mit ihnen fertig werden, denn wir werden dort viele Barbaren finden, die aus Haß gegen die Syrakusaner aus unserer Seite fechten werden. In den hiesigen Verhältnissen aber werdet ihr auch kein Hinderniß finden, wenn ihr nur gut zu Rathe geht. Denn unsere Väter haben eben dieselben, von denen man jetzt sagt, daß wir bei einem Seezug nach Sieilien sie als Feinde zurücklassen, und noch die Meder dazu als Feinde gehabt und haben doch die Herrschast errungen, ohne daß ihre Stärke anderSwo gelegen hätte, als in ihrer überwiegenden Seemacht. Und gerade jetzt find die Peloponnesier uns gegenüber so muthlos, wie sonst nie; und sollen sie noch so stark sein, sie sind immer nur im Stande, in unser Land einzufallen, und das können sie auch, wenn wir den Seezug nicht unternehmen; mit ihrer Seemacht aber können sie wohl nicht schaden, denn wir lassen immer noch eine Flotte zurück, die ihnen gewachsen bleibt."

„Mit welchen Gründen also könnten wir denn hier vor uns selbstuns entschuldigen, wenn wir das Unternehmen aus den Händen ließen? — mit welchen gegenüber unsern dortigen Bundesgenossen, [*]( 40) In diesem Kriege ist nach der Auffassung des Thukydideö der ganze peloponnesische Krieg. Denn die Athener konnten doch nicht daran denken, auch die noch solt genden Begebenheiten mit den vorangegangenen zusammenzufassen. Ja. sie hatten jelz» eigentlich seit sechs Jahren Frieden. (Kr.) )

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[*]( 415 v. Chr. ) wenn wir ihnen nicht zu Hülfe kämen? Haben wir uns mit ihnen doch eidlich verbunden, und sind also verpflichtet, ihnen zu helfen, ohne ihnen vorzuhalten, daß wir von ihnen keine Hülfe erwarten könnten. Denn nicht, damit sie uns hieher Gegenhülfe leisten, haben wir sie in unsere Bundesgenossenschaft aufgenommen, sondern damit wir unsern dortigen Feinden Schaden thun und sie hindern, selber hieher zu kommen. Denn die Herrschaft haben sowohl wir, als wer sonst immer Herrschaft erlangt hat, dadurch gewonnen, daß wir bereitwilligst denen beisprangen, die unsere Hülfe anriefen, mochten sie nun Barbaren sein oder Hellenen; denn wenn Alle der Ruhe Pflegen, oder immer erst genau den Verwandtschaftsgrad untersuchen wollten, wenn es sich darum handelt, Einem beizuspringen, so würde unsere Herrschaft nur sehr unmerklich wachsen, und wir würden sie erst dadurch recht in Gefahr bringen. Denn wer einmal eine Uebermacht besitzt, gegen den ergreift man nicht nur dann die Waffen, wenn er Einem zu Leibe geht, sondern man kommt ihm zuvor, damit er nicht angreisen kann. Und es steht auch nicht bei uns, abzumessen, wie weit wir unsere Herrschaft ausbreiten wollen, sondern da wir schon einmal auf dieser Stufe der Macht stehen, so zwingt uns die Nothwendigkeit, auf die Unterwerfung der Einen zu denken und die Andern sich unserer Herrschaft nicht entziehen zu lassen, denn wenn wir nicht selbst über Andere herrschen, so gerathen wir in die Gefahr, von ihnen beherrscht zu werden. Ruhige Unthätigkeit dürft ihr nicht mit denselben Augen ansehen, wie Andere, wenn ihr nicht zuerst die Grundsätze eures Verhaltens nach der Art jener umwandeln wollt."

„Bedenken wir also, daß wir unsere hiesige Macht verstärken, wenn wir gegen jene zu Felde ziehen, und laßt uns den Seezug unternehmen, damit den Peloponnesiern ihr Hochmuth vergehet, wenn sie sehen, daß wir diese gegenwärtige Unthätigkeit verachten und sogar gegen Sieilien segeln. Und entweder werden wir aller Wahrscheinlichkeit nach über ganz Hellas herrschen, wenn wir auch die dortigen Staaten unterworfen haben, oder wir werden doch wenigstens den Syrakusanern empfindlich schaden, und auch davon werden sowohl wir selbst, als unsre Bundesgenossen Nutzen haben. Sichere Bürgschaft des Verbleibens sowohl, wenn die Sache von Statten geht, als auch der Rückkehr, werden uns die Schiffe gewähren, denn auch

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denn auch zur See werden wir aller Sikelioten Meister sein. Mögen [*]( 415 v. Chr. ) euch nicht die Worte des Nikias, die süße Ruhe empfehlen und zwischen Jungen und Aelteren Zwietracht zu stiften suchen, von der Sache abwendig machen, sondern in der hergebrachten gesetzlichen Weise und wie auch unsere Väter ihrer Zeit, als die Jungen durch gemeinsame Berathung mit den Alten den Staat zu seiner jetzigen Macht gehoben haben, so und auf dieselbe Weise sucht auch jetzt den Staat vorwärts zu bringen, in der Ueberzeugung, daß Jugend und Alter ohne einander Nichts vermögen, und daß die Mischung von Leichtsinn, Mittelschlag und übergenauer Berechnung wohl die meiste Kraft ergebe, — daß der Staat, wenn er in Unthätigkeit versinkt, sich in sich selbst verzehre, wie jedes andere Wesen, und daß auf diese Weise jede Geschicklichkeit in sich veraltere, daß aber durch Kampf der Staat immer zunehme an Erfahrung und die Selbstvcrtheidigung mehr durch die That als durch Worte immer in Uebung behalte. Ueberhaupt aber ist es meine feste Ueberzeugung, daß ein Staat, der bis dahin nie unthätig war, durch den Umschlag in die Unthätigkeit wohl am schnellsten seinem Verderben cntgegengeführt werde, und daß unter den Menschen Diejenigen ihre Existenz am meisten sichern, welche in der Staatsführung von den bestehenden Sitten und Gewohnheiten. wenn sie auch mangelhaft sein sollten, am wenigsten abweichen."

So redete Alkibiades. Die Athener aber, nachdem sie ihn gehört hatten und nach ihm die Egestaner und etliche Leontinische Verbannte, welche bittend auftraten und mit Erinnerung an die Eidschwüre für sich um Hülfe flehten, da drangen sie noch viel stärker auf den Kriegszug, als vorher. Nikias nun sah wohl ein, daß er sie mit seinen Gründen nicht mehr auf andere Ansichten bringen würde, dachte aber, daß er sie durch großen Umfang der Kriegsrüstungen, wenn er diese in hohem Maße von ihnen fordere, leicht anderes Sinnes machen werde. So trat er denn zum zweiten Male auf und redete, wie folgt: