History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Wahrmund, Adolf, translator. Stuttgart: Krais and Hoffmann, 1864.

Da nämlich die Athener den Peloponnes und vorzugsweise ihr eigenes Gebiet bedrängten, so hofften die Lakedämonier, sich dieselben dadurch am Leichtesten vom Hals zu schaffen, wenn sie ihnen auch ihrerseits empfindlich weh thäten, indem sie ein Heer in das Gebiet ihrer Bundesgenossen schickten, zumal diese selbst erbötig waren, dasselbe auf eigene Kosten zu ernähren, und sie selbst zur Unterstützung ihres Abfalls herbeiriefen. Zugleich gewannen sie damit einen erwünschten Vorwand, einen Theil der Heloten auszusenden, damit diese nicht unter den gegenwärtigen Umständen, wo Pylos in fremdem Besitz war, eine Umwälzung herbeiführten. Auch hatten sie, aus Furcht vor deren junger Mannschaft und großer Zahl, bereits Folgendes gegen sie in's Werk gesetzt: — denn von jeher hatten die meisten Maßregeln der Lakedämonier den Zweck, sich gegen die Heloten sicher zu stellen — Sie machten bekannt, wer unter ihnen recht tüchtig zu sein glaube, ihnen im Kriege zu dienen, der solle sich mustern lassen, gleich als wollten sie ihnen die Freiheit schenken, in der That aber, um eine Probe zu machen ; denn sie dachten, wer von jenen am meisten nach der Freiheit strebe, der werde auch in mannhaftem Ehrgefühl zuerst bereit sein, über sie herzufallen. So wurden ihrer gegen zweitausend ausgelesen, die dann bekränztes Hauptes als Befreite in den Tempeln umherzogen; die Lakedämonier'aber ließen sie bald danach verschwinden, ohne daß irgend Jemand merkte, wie Jeder von ihnen nm's Leben kam. Auch jetzt ergriffen sie gern die Gelegenheit, ihrer siebenhundert, als Schwerbewaffnete ausgerüstet, dem Brasidas mitzugeben; die Uebrigen, die er mitführte, hatte er gegen Sold aus dem Peloponnes gedungen.

Den Brasidas grade hatten die Lakedämonier deßhalb [*]( 40) Vgl. II, II. )

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ausgesandt, weil er es selbst wünschte; auch hatten die Chalkidier ihn [*]( 424 v. Chr. ) vorgezogen, als einen Mann, der in Sparta den Ruf hatte, daß er« zu jeder Unternehmung Geschick und Kraft besitze, und in der That erwies er sich bei diesem Zuge den Lakedämoniern höchst nützlich. Denn indem er sich von vorn herein als einen gerechten und mäßigen Mann zeigte, brachte er die meisten dortigen Ortschaften auf die Seite der Städte, andere nahm er durch Verrath, so daß die Lakedämonier für den Fall, daß sie einmal Frieden schließen wollten, was sie ja auch thaten, Plätze zum Austausch und zum Loskauf in Händen hatten, und überdieß ein Theil der Kriegslast von den Schultern der Peloponnesier genommen wurde. Und auch für den Krieg, welcher einige Zeit nach den sieilifchcn Ereignissen eintrat, bewirkte die damals erprobte Rechtschaffenheit und Verständigkeit des Brasidas vorzugsweise, daß die Bundesgenossen der Athener sich den Lakedämoniern zuwendeten, indem die Einen sie selbst erfahren hatten und die Andern nach dem, was sie hörten, daran glauben mußten. War er doch der Erste, der dorthin kam, und da er sich in allen Stücken als einen braven Mann zeigte, so ließ er die feste Voraussetzung zurück, daß auch die andern Lakedämonier Männer seines Schlages seien.

Als er nun damals in den Thrakischen Granzlandschasten angekommen war, und die Athener davon Kenntniß erhielten, so erklärten sie den Perdikkas als Feind, weil sie ihn für die Ursache des Zuges hielten, und sorgten für bessere Ueberwachung der dortigen Bundesgenossen. Perdikkas aber verstärkte sogleich seine eigene Macht durch den Brasidas und dessen Heer und zog gegen seinen Gränznachbar Arrhibäos, deS Bromeros Sohn, König der Lynkestischen Makedonien zu Felde, mit dem er Streit hatte, um ihn zu unterwerfen.

Als aber Perdikkas mit dem Heere schon beim Passe Lynkos stand, erklärte Brasidas, er wolle zuerst wo möglich durch gütliche Ueberredung den Arrhibäos als Bundesgenossen für die Lakedämonier zu gewinnen suchen, bevor man zu den Feindseligkeiten schreite. Arrhibäos hatte nämlich schon durch den Herold etwas davon merken lassen, daß er bereit sei, sich dem Schiedsgericht des Brasidas zu unterwerfen, und auch die anwesenden Chalkidischen Gesandten gaben ihm an die Hand, er solle doch dem Perdikkas nicht alle Schwierigleiten aus dem Wege räumen, damit er sich leichter herbeilasse, auch

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[*]( 424 v. Chr, ) zu ihrem eigenen Nutzen thätig zu sein. Auch hatten die Gesandten des Perdikkas in Lakedämon ein Versprechen der Art gegeben, als mache er sich anheischig, ihnen aus seinen Nachbarländern zahlreiche Bundesgenossen zu gewinnen, so daß Brasidas, sich daraus berufend, das Verhältniß zum Arrhibäos lieber vom Standpunkt der Gemeinsamkeit ordnen wollte. Perdikkas aber erklärte, er habe den Brasidas nicht zum Schiedsrichter ihrer Streitigkeiten herbeigerufen, sondern damit er die Feinde unschädlich mache, die er ihm bezeichne, und es sei auch deßhalb ein Unrecht, mit dem Arrhibäos zu unterhandeln, weil er die Kosten der Ernährung des Heeres zur Hälfte trage. Aber auch gegen den Willen des Perdikkas und im Zerwürfniß mit ihm kam Brasidas mit jenem zusammen und wurde von ihm überredet, sein Heer zurückzuziehen, bevor er noch in sein Gebiet eingefallen war. Perdikkas aber, im Glauben, daß ihm Unrecht geschehe, bezahlte von jetzt an, anstatt der halben Unterhaltungskosten, nur den dritten Theil.

Bald danach, in demselben Sommer, kurz vor der Zeit der Weinlese, zog Brasidas mit Chalkidischen Hnlsstruppen gegen Manthos, eine Pflanzstadt der Andrier^'), zu Felde. Diese aber geriethen unter einander in Streit, ob sie ihn ausnehmen sollten, oder nicht; einerseits nämlich diejenigen, welche ihn im Einvernehmen mit den Chalkidiern herbeigerufen hatten, und die Volkspartei andererseits. Dennoch ließ sich das Volk, aus Furcht um seine Aernte, die noch auf den Halmen stand, bewegen, den Brasidas allein einzulassen, um nach Anhörung seiner Vorschläge Beschluß zu fassen. Er trat nun vor dem Volke auf — denn für einen Lakedämonier war er der Rede nicht unmächtig — und sprach so:

„Daß ich und dieß Heer von den Lakedämoniern ausgesandt worden sind, ihr Akanthier, ist zur Bethätigung dessen geschehen, was wir beim Beginne des Krieges erklärt haben, daß wir nämlich Krieg gegen die Athener führen, um Hellas frei zu machen. Wenn wir aber erst nach so geraumer Zeit hieher kommen, getäuscht in der aus den dortigen Kämpfen gewonnenen Ansicht, wonach wir der Athener allein, ohne euch mit in die Gefahr zu ziehen, in Bälde Meister zu werden hofften, so möge uns deßhalb Niemand tadeln. Denn jetzt, sobald es nur anging, sind wir wirklich da und werden mit euch ver­ [*]( 41) Vgl. Anm. 22. )

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suchen, sie niederzuwerfen. Ich wundere mich aber, daß ihr die Thore [*]( 424 v. Chr. ) vor mir verschließet und daß ich euch nicht erwünscht komme. Denn< wir Lakedämonier glaubten, zu Solchen zu kommen, die auch schon vor unserer wirklichen Ankunft uns wenigstens der Gesinnung nach Verbündete seien, und daß wir euch erwünscht kommen werden, und nur deßhalb haben wir die so große Gefahr eines vieltägigen Marsches durch fremdes Gebiet nicht gescheut und auch sonst allen Eifer aufgeboten. Solltet ihr aber etwas Anderes im Sinne haben, oder auch gar eurer und der andern Hellenen Freiheit in den Weg stellen wollen, so wäre das sehr schlimm; und zwar nicht allein, weil ihr selbst mir entgegentretet, sondern auch weil von denen, zu welchen ich noch komme, schon Mancher sich mir nicht so leicht anschließt, indem er ein Haar darin findet, daß ihr mich nicht aufgenommen habt, zu denen ich zuerst gekommen bin, und die ihr eine ansehnliche Stadt vorstellet und für verständige Leute geltet. Und ich wüßte dafür keinen andern triftigen Grund anzugeben, als entweder, daß ich euch eine Freiheit biete, die anzunehmen unrecht ist, oder daß ich zu schwach und ohnmächtig dastehe, um euch gegen die Athener zu schützen, wenn sie angreifen sollten; obwohl die Athener nicht den Muth hatten, daSHeer, welches ich hier bei mir habe, als ich mit demselben Nisäa zu Hülfe zog, trotz ihrer Uebermacht anzugreisen; und es ist doch nicht wahrscheinlich, daß sie aus einer Flotte ein Heer gegen euch absenden werden, das zahlreicher ist, als das bei Nisäa!"

„Ich selbst bin nicht in schlimmer Absicht, sondern zur Befreiung der Hellenen hiehergekommen und habe zuvor die Obrigkeiten der Lakedämonier sich durch die schwersten Eide verpflichten lassen. daß die Bundesgenossen, welche ich etwa gewinne, ihre selbstständige Verfassung behalten sollen; auch bin ich nicht hier, um euch durch Gewalt oder List zum Waffenbunde mit uns zu bewegen, sondern im Gegentheil, um aus eurer Seite, die ihr von den Athenern geknechtet seid, zu kämpfen. Ich erwarte nun auch, daß ich für euch nicht ein Gegenstand des Argwohns sei, nachdem ich die sichersten Bürgschaften gegeben habe,und daß ihr mich nicht für zu ohnmächtig zn euerem Schutze haltet, sondern vertrauensvoll aus meine Seite tretet. Wenn aber Einer aus persönlichen Rücksichten fürchtet, ich werde die Regierung eurer Stadt einer gewissen Partei in die Hände spielen, und wer deß-

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[*]( 424 v. Chr. ) halb Unlust empfindet, der darf von Allen am meisten voller Zuversicht sein. Denn ich bin nicht gekommen, um für eine Partei zu fechten, und denke auch nicht, eine zweideutige Freiheit anzubieten, wie wenn ich mit Beseitigung der hergebrachten Verfassung die Mehrzahl einer Minderzahl, oder die Minderzahl der großen Masse in die Hände liefern wollte. Denn ein solcher Zustand wäre drückender, als fremde Herrschaft, und wir Lakedämonier würden damit auch für unsere Mühe keinen Dank einärnten, vielmehr, anstatt Ruhe und Ehre, eher Vorwürfe, und wir würden die Beschwerden, derentwegen wir gegen die Athener Krieg führen, offenbar noch in gehässigerer Art uns selbst zuziehen, als jene, die von vorn herein aus Rechtlichkeit keinen Anspruch machen. Denn dem, der für mächtig gilt, ist eS schimpflicher, unter ehrbarem Vorwand durch List, als durch offene Gewalt seinen Vortheil zu suchen. Im letzteren Falle greift man an, weil man sich im Besitze der Uebermacht fühlt, welche ein Geschenk des Schicksals ist, im ersteren aber mit der Arglist betrügerischer Gesinnung. So sehr erwägen wir mit genauester Umsicht, waS uns srommt."

„Außer jenen Eidschwüren könnte euch Niemand eine stärkere Bürgschaft dafür geben, daß das, was er gesagt hat, auch wirklich nützlich ist, als wer durch seine Thaten, wenn solche mit seinen Worten zusammengehalten werden, sich Glauben erzwingt. Wenn ihr aber auf diese meine Anerbietungen antworten solltet, ihr sähet euch außer Stande dazu, und daß ihr bei eurer wohlwollenden Gesinnung gegen uns glaubt, sie zurückweisen zu dürfen, ohne daß euch daraus Schaden erwachsen sollte, und die angebotene Freiheit erscheine euch nicht gefahrlos, und es sei passender, sie Solchen anzutragen, die in der Lage wären, sie annehmen zu können, auszwingen aber sollten wir sie Niemanden, so werde ich die Götter und Heroen dieses Landes zu Zeugen aufrufen, daß ich, mit guter Absicht hiehergekommen, euch nicht überreden konnte, und werde euch durch Verwüstung eures Landes zu zwingen suchen; und dabei werde ich die Ueberzeugung haben, kein Unrecht zu thun, vielmehr sehe ich meine Rechtfertigung in zwei zwingenden Gründen, einmal, so weit es die Lakedämonier angeht, damit sie, falls ihr bei all' eurer Wohlgesinntheit gegen uns euch doch nicht zum Beitritt bewegen lasset, durch eure Geldleistungen an die Athener nicht zu Schaden kommen, und — insofern es die Hellenen

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betrifft — damit sie durch euch nicht gehindert werden, sich ihrer [*]( 424 v. Chr. ) Knechtschaft zu entledigen. Andere Beweggründe freilich würden uns, mit Unrecht zu solcher Handlungsweise veranlassen, und wir Lakedämonier haben auch keinen Beruf, Andere gegen ihren Willen frei zu machen, außer wenn ein gemeinsamer Vortheil es verlangt. Und wir streben auch gar nicht nach Herrschaft, sondern weil wir es uns zur Aufgabe machen, Andern die Lust zum Herrshcen zu benehmen, würden wir doch an der Mehrzahl Unrecht thun, wenn wir bei unserm Willen, Allen freie Verfassung zu gewähren, euren Widerstand übersehen wollten. Darüber also fasset nun einen weisen Beschluß und setzt eine Ehre darein, die Erstlinge der Freiheit unter den Hellenen gepflückt zu haben und euch unvergänglichen Ruhm zu erwerben. So werdet ihr auch ein Jeder sein Eigenthum unbeschädigt bewahren und der ganzen Stadt den Kranz des ruhmvollsten Namens gewinnen."

So sprach Brasidas. Die Akanthier aber, nachdem zuerst viel dafür und dawider geredet worden war, stimmten heimlich ab, und weil die Worte des Brasidas sie gewonnen hatten und sie auch wegen der Feldfrucht fürchten mußten, so stimmte die Mehrzahl für den Abfall von den Athenern, und nachdem sie ihn auf die Eide verpflichtet hatten, welche die Obrigkeiten der Lakedämonier bei seiner Absendung geschworen hatten, daß alle Bundesgenossen, die er gewinne, gewiß ihre freie Verfassung behalten sollten, so nahmen sie sein Heer in die Stadt auf. Und nicht lange danach fiel auch Stageiros, eine Pflanzstadt der Andrier, ebenfalls ab. Das waren die Ereignisse dieses Sommers.

Im folgenden Winter, sogleich nach dessen Anfang, als dem Hippokrates und Demotshenes, den Feldherrn der Athener, die Plätze in Böotien übergeben werden sollten, wozu Demotshenes mit den Schissen vor Siphä, jener aber bei Delion eintreffen sollte, fand ein Irrthum wegen der Tage statt, an welchen beide ausziehen sollten, indem zuerst Demotshenes mit Akarnanern und vielen dortigen Bundesgenossen auf seinen Schissen gegen Siphä segelte, aber Nichts ausrichten konnte, weil der Plan von NikomachoS, einem Phokischen Manne aus Phanoteus, verrathen worden war, indem dieser den Lakedämoniern, diese aber den Böotern Mittheilung gemacht hatten. Da nun von sämmtlichen Böotern Hülfszuzug erfolgte, weil Hippokrates

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[*]( 424 v. Chr. ) noch nicht im Lande stand und ihnen gleichzeitig Schaden zufügte, so wurden Siphä und Chäronea noch vorher rechtzeitig besetzt. Als aber die Anstifter des Verrathes dieß merkten, so ließen sie es in den Städten gleichfalls beim Alten und verhielten sich ruhig.

Hippokrates seinerseits rief die Athener insgesammt und, wie die Bürger, so auch die Beisitzer und was an Miethstruppen da war, unter die Waffen und kam etwas später vor Delion an, als die Böoter von Siphä sich bereits wieder zurückgezogen hatten. Er ließ dann sein Heer Stellung nehmen und befestigte Delion, das ein Heiligthum des Apollo ist, auf folgende Weise. Rings um den geweihten Ort und den Tempel zogen sie einen Graben, warfen den Schutt aus den Gruben anstatt einer Mauer auf, und schlugen neben demselben hin Pfähle ein. Den Weinberg ringS um das Heiligthum schlugen sie ans, um die Reben in die Pallisaden einzuflechten, und nahmen auch Steine und Ziegel aus den Ruinen der nahestehenden Häuser und suchten auf jede Weise den Wall in die Höhe zu bringen. Auch hölzerne Thürme errichteten sie, wo die Gelegenheit es erlaubte und vom Mauerwerk des HeiligthumS Nichts mehr vorhanden war; denn die Halle, welche früher dagestanden hatte, war eingestürzt. Am dritten Tage, nachdem sie von Hause ausgezogen, gingen sie an die Arbeit, und blieben daran diesen und den vierten Tag und auch am fünften noch bis zur Zeit des Frühmahls; danach, als der größte Theil der Arbeit gethan war, zog zuerst das Heer von Delion ab und machte auf dem Weg nach Hause ungefähr zehn Stadien. Hier lagerten sich die Schwerbewaffneten, um auszuruhen, während die Mehrzahl der leichten Truppen sogleich weiter marschirte. Hippokrates aber blieb zurück und traf noch Anordnungen wegen der Besatzung und wie man das, was an der Befestigung noch fehlte, ausführen sollte.

In diesen Tagen sammelten sich aber die Böoter bei Tanagra, und als bereits von allen Städten Zuzug da war und sie merkten, daß die Athener bereits wieder aus dem Marsch nach Hause seien, und von den übrigen Böotarchen, deren Zahl eils ist, keiner sür eine Schlacht stimmte, weil die Feinde nicht mehr auf Böotifchem Gebiete stünden — denn die Athener, als sie sich lagerten, befanden sich ungefähr auf dem Gränzgebiet von Oropia — da trat Pagondas auf, des Aeoladas Sohn, der mit Arianthidas, dem Sohne des Lysi

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machidas, aus der Mitte der Thebaner, Bootarch war, — theils weil [*]( 424 v. Chr. ) er unter seinem Oberbefehl eine Schlacht liefern wollte, theils auch, weil er wirklich glaubte, es sei besser, die Waffen entscheiden zu lassen, — und rief dieAbtheilungen einzeln auf, damit sie nicht insgesammt die Aufstellung verließen, und redete den Böotern zu, die Athener anzugreifen und den Kampf zu wagen, indem er sprach :

„Es hätte, ihr Böotischen Männer, keinem unserer Feldherrn auch nur der Gedanke kommen dürfen, daß wir uns mit den Athenern, wenn wir sie nicht mehr auf Böotifchem Grund und Boden anträfen, nicht in eine Schlacht einlassen sollten. Denn sie sind aus dem Gränzland herübergekommen, haben auf unserem Gebiet eine Verschanzung erbaut und schicken sich an, Böotien zu verheeren. Sie sind doch wohl also unsere Feinde, an welchem Orte sie auch von uns getroffen werden, und woher sie auch gekommen sein mögen, um sich als Feinde zu betragen. Wenn aber jetzt Einer dafür halten sollte, daß jene Ansicht größere Sicherheit geweihre, so ändere er nur seine Meinung! Denn die Klugheit läßt bei denen, welchen ein Anderer zu Leibe geht, in Betreff des eigenen Landes nicht solche ängstliche Ueberlegung zu, wie bei demjenigen, der, im Besitze des eigenen Grundes und Bodens, von Habgier getrieben, einen Andern aus freien Stücken angreist. Es ist aber von euren Vätern ererbte Weise, das Heer eines fremden Angreifers, sei es nun aus dem eigenen, oder auf fremdem Boden, wieder anzugreifen, und das muß den Athenern gegenüber, die dazu noch unsere Gränznachbarn sind, am allermeisten geschehen. Denn darauf, daß man seinen Nachbarn gewachsen ist, beruht sür Alle die Freiheit; und wie sollte man es gegenüber solchen, die nicht nur ihre Nachbarn, sondern sogar weit Abgelegene zu knechten trachten, im Kampfe nicht auf's Aeußerste ankommen lassen! Als warnendes Beispiel haben wir das vor uns liegende Euböa, wie es da und auch im größten Theil des übrigen Hellas aussieht. Wir müssen einsehen, daß, während anderwärts Nachbarn um ihre Gränzgebiete sich Schlachten liefern, bei uns, wenn wir erst besiegt sind, für unser ganzes Land unwiderruflich Eine Gränze gesteckt ist; denn sind sie erst eingedrungen, so werden sie uns mit Gewalt Alles abnehmen. So viel größer ist die Gefahr, als anderwärts, die uns aus solcher Nachbarschaft droht! Wer, wie die Athener jetzt, im pochenden Ver-

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[*]( 424 v. Chr. ) trauen auf seine Macht Andere angreift, verpflegt denjenigen, der sich nicht viel rührt und sich nur aus eigenem Boden zur Wehr setzt, um so ungescheuter mit Krieg zu überziehen, dagegen dem, der ihm über seine eigenen Gränzen entgegenrückt und, wenn die Gelegenheit es gibt, selbst angriffsweise verfährt, weniger kräftig zu widerstehen. Einen Beweis hievon haben wir grade an den Athenern. Denn dadurch, daß wir sie bei Koronea angegriffen und besiegt haben, damals, als sie bei unserer inneren Entzweiung die Herrn in unserem Lande spielten, haben wir dem böotischen Gebiete bis auf diese Tage Ruhe vor ihnen verschafft. In der Erinnerung daran sollen wir Aelteren unsern eigenen früheren Thaten wieder gleichkommen, die Jüngeren aber, als Söhne der Väter, die damals sich als Tapfere gezeigt, sollen streben, den Tugenden ihres eigenen Blutes keine Schande zu machen. Vertrauen müssen wir auch, daß der Gott auf unserer Seite stehen werde, dessen Heiligthum jene gegen göttliches Recht befestigt haben und wie in ihrem Eigenthume darin schalten, — vertrauen auch auf die heiligen Opferzeichen, die uns Glück verheißen, und so diese angreifen und ihnen zeigen, daß, wonach sie streben, sie sich anderwärts holen sollen, bei Solchen, die nicht zu fechten wissen; daß sie aber bei Männern, denen es ererbte Pflicht ist, für die Freiheit ihres eigenen Landes immer im Kampfe einzustehen, fremdes aber nicht mit Unrecht zu knechten, nicht ohne Kampf davonkommen."

Durch diese Worte der Aneiferung überredete Pagondas die Böoter zum Angriff auf die Athener, ließ das Heer aufbrechen und setzte es eilig in Marsch; denn es war schon spät in der Tageszeit. Als er aber in die Nähe des feindlichen Heeres gekommen war, ließ er die Seinigen an einer Stelle Halt machen, wo beide Theile eines dazwischen liegenden Hügels wegen einander nicht sehen konnten. Hier stellte er sein Heer in Schlachtordnung und bereitete Alles zum Gefecht vor. Hippokrates, der sich noch bei Delion befand, als ihm das Anrücken der Böoter gemeldet wurde, sandte seinem Heere den Befehl zu, sich in Schlachtordnung zu stellen, und kam bald darauf auch selbst herbei, nachdem er bei Delion ungefähr dreihundert Reiter zurückgelassen hatte, sowohl um den Ort gegen einen Angriff zu schützen, als auch um auf Gelegenheit zu lauern, während der Schlacht den Böotern in die Flanke zu fallen. Die Böoter aber stellten eine Abthei

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lung zur Abwehr gegen diese Reiter auf, und als bei ihnen Alles in [*]( 424 v. Chr. ) Ordnung war, erschienen sie über dem Kamme des Hügels und stell-i ten sich in der Linie auf, wie sie ihnen bestimmt worden war, an Zahl ungefähr siebentausend Schwerbewaffnete und über zehntausend Mann leichterTruppen, nebst tausend Reitern und fünfhundert leichten Schildträgern. Auf dem rechten Flügel standen die Thebaner und ihre Unterthanen, in der Mitte die von Haliartos und Koronea und Kopä und die Andern, die um den See wohnen, auf dem linken Flügel die Thespier und Tanagräer und Orchomenier. Die Reiterei und die leichten Truppen waren auf beide Flügel vertheilt. Die Thebaner standen fünf und zwanzig Mann hoch ^-), die Uebrigen, wie es bei ihnen grade anging. Dieß war die Stärke und die Aufstellung der Böoter.

Auf Seiten der Athener stand die ganze schwerbewaffnete Truppe acht Mann hoch, ihren Gegnern an Zahl gewachsen, die Reiter aus beiden Flügeln. Ordentlich ausgerüstete Leichtbewaffnete aber waren nicht zugegen, noch auch besaß die Stadt solche überhaupt. Die aber den Auszug damals mitmachten, waren viel zahlreicher, als die der Feinde, gingen jedoch meist ohne alle Waffen mit, da Alles, was an Fremden und Bürgern da war, sich an dem Zuge betheiligte. Da sie aber bereits früher schon den Marsch nach Hause fortgesetzt hatten, so war ihrer nur noch eine geringe Zahl anwesend. Als nun beide Theile schon in Schlachtlinie aufgestellt und bereits im Begriff waren, auf einander loszugehen, da ermunterte noch Hippokrates, ihr Feldherr, längs der Abtheilungen hinschreitend, die Athener mit solchen Worten:

„Ihr Athener, meine Ermunterung ist nur kurz, vermag aber bei tapferen Männern gleich viel, und sie ist mehr Erinnerung, als Anspornung. Keinem von euch möge es bekommen, daß wir hier aus fremdem Boden uns ohne Noth leichtsinnig einer so großen Gefahr unterziehen; denn im Lande Dieser werden wir um unser eigenes kämpsen, und wenn der Sieg nns gehört, so werden die Peloponnesier nie mehr in unser Land fallen, da ihnen die böotifche Reiterei fehlt, sondern in Einer Schlacht werdet ihr dieß Land gewinnen und [*]( 42) Zn der Schlacht bei Leuktra standen sie sogar fünfzig Mann hoch. Vgl. VI, 67 und VII, 79 lKr.). ) [*]( ThukydideS. IV. ) [*]( 23 )

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[*]( 424 v. Chr. ) die Freiheit eures eigenen erhöhen. Geht also in den Kampf mit diesen, wie eS würdig ist der Stadt, welche, als die erste unter den Hellenen, Jeder von euch sich rühmt zur Vaterstadt zu haben, — und würdig eurer Väter, welche unter Myronidas diese Männer bei Oenophyta^) besiegt und Böotien gewonnen haben!"

Während Hippokrates die Seinigen also aneiserte, war er bis zur Mitte des Heeres gekommen, fand aber jetzt nicht mehr Zeit, weiter zu gehen, denn die Böoter, welchen auch hier Pagondas mit kurzen Worten zugesprochen hatte, stürmten den Schlachtgesang anstimmend vom Hügel herab. Es gingen ihnen nun auch die Athener entgegen, und im Sturmlauf trafen beide aus einander. Auf beiden Seiten aber kamen die Flügel gar nicht zum Handgemenge, sondern auf beiden Flügeln traf es sich, daß Waldströme den Zusammenstoß hinderten; bei den übrigen HeereStheilen aber wurde heiß gekämpft und die Schilde prasselten auf einander. Den linken böotischen Flügel und die Ausstellung bis zur Mitte hin brachten die Athener zum Weichen und sie bedrängten hier besonders die Thespier. Denn da ihre Nachbarn in der Aufstellung bereits gewichen waren und sie selbst daher eng eingeschlossen wurden, so wurde hier eine große Zahl Thespier im Handgemenge fechtend zusammengehauen; aber auch einige Athener traf dieß Loos, da sie wegen ihrer durch die Umzingelung aufgelösten Ordnung einander mißkannten und sich gegenseitig tödteten. Aus dieser Seite also wichen die Böoter und zogen sich fliehend auf den noch kämpfenden Theil zurück. Ihr rechter Flügel aber, wo die Thebaner standen, war im Vortheil über die Athener und drängte sie Anfangs Schritt vor Schritt vor sich her. Nun schickte auch Pagondas zwei Abtheilungen Reiter ungesehen um den Hügel herum, wo der linke Flügel in Bedrängniß war, und als sie hier plötzlich zum Vorschein kamen, glaubten die auf dem siegreichen Flügel der Athener, es komme da ein zweites Heer, und geriethen in Schrecken, und so riß auf beiden Flügeln, hier wegen dieses Ereignisses und dort wegen der nachdrängenden und schon durchbrechenden Thebaner, allgemeine Flucht im Heer der Athener ein. Einige flüchteten gegen Delion und das Meer zu, Andere nach Oropos, ein Theil auch nach dem Berge Par­ [*]( 43) Vgl. l, 108. )

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nes und wieder Andere nach vershciedenen Seiten, wo grade ein Je- [*]( 424 v. Chr. ) der Rettung hoffte. Die Böoter aber verfolgten und hieben meder,, besonders ihre Reiterei und die der Lokrer, welche grade, als die Flucht sich entschied, auf dem Schlachtfelde eingetroffen waren. Da die Nacht die Verfolgung abschnitt, so fand die große Masse der Fliehenden leichter Rettung. Am folgenden Tage wurden die aus Oropos und Delion, wo trotzdem zur ferneren Behauptung eine Besatzung blieb, auf Schiffen nach Hause geführt 44).

Die Böoter ihrerseits errichteten ein Siegeszeichen, hoben ihre Todten auf und plünderten die der Feinde. Dann zogen sie sich, zur Bewachung eine Abtheilung zurücklassend, auf Tanagra zurück und dachten, wie sie Delion bekennen möchten.

Aus Athen wurde ein Herold der Todten wegen abgeschickt. Der begegnete aber unterwegs einem böotischen Herold, der ihn umkehren hieß; denn er werde, sagte dieser, Nichts ausrichten, bevor er selbst nicht wieder zurück sei. Dieser trat dann vor die Athener und sagte ihnen im Namen der Böoter, sie handelten unrecht, daß sie die gemeinen Gesetze der Hellenen überträten; denn bei Allen gelte es, daß sie bei einem Einfall auf hellenisches Gebiet die dortigen Heiligthümer unberührt ließen. Die Athener aber hätten Delion verschanzt und sich darin festgesetzt, und es geschehe daselbst Alles, waS sonst Menschen auf ungeweihtem Boden thäten, und auch das Wasser, welches sie selbst unberührt ließen, außer zum Sprengen bei heiligen Handlungen, werde geschöpft und wie gemeines Wasser verbraucht. Der Gottheit und ihrer selbst wegen also forderten die Böoter bei den gemeinsamen Göttern und bei Apollo sie auf, aus dem Heiligsten abzuziehen und mitzunehmen, was ihnen gehöre.

Auf diese Forderung des Herolds schickten die Athener [*]( 44) Bei Delion hatten auch SokrateS und Alkibiades mitgesochten, der letztere zu Pferde. Wie muthiz sich SokrateS auf dem Rückzüge gewehrt, erzählt Alkibiades bei Plato , Gastmahl 22l. Ueber die Wirkung der Niederlage sagt Xenophon in den Denk» Würdigkeiten deS SokrateS III, 5. 4: .Du weißt ja, daß seit dem Unglück deS Tolmide» und seiner Tausend bei Lebadea (Aoronea) und der Niederlage des Hippokrates bei De» lion der Ruhm der Athener den Böotiern gegenüber dahingeshcwunden, dagegen den Thebanern der Muth dergestalt gewahcsen ist. daß die Böotier uns jetzt ganz aus eigene Hand mit einem Einfall in Attika bedrohen, die Athener aber in Furcht leben, die Bövtier möchten Attika verwüsten.' ) [*]( 23* )

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[*]( 424 v. Chr. . ) einen ihrer Herolde an die Böoter und ließen sagen: „sie hätten sich an dem Heiligthume in Nichts vergangen und würden auch künftig mit Willen dasselbe nicht verletzen; denn sie seien ja auch von vorn herein nicht zu einem solchen Zwecke gekommen, sondern vielmehr, um von dort aus sich derer zu erwehren, die gegen sie Unrecht thäten. Gemeinsames Gesetz bei den Hellenen sei, daß, wer immer über eine Landstrecke, sei sie nun größer oder kleiner, die Macht habe, hiemit auch die Heiligthümer besitze, um ihrer dem Herkommen und den eigenen Kräften gemäß zu warten; denn auch die Böoter und viele andere Stämme, so viele ihrer mit Gewalt Andere ausgetrieben, deren Land sie nun als eigen besäßen ^), hätten jetzt fremde Heiligthümer im eigenen Besitz, obgleich sie zuerst auch als Feinde in's Land gekommen seien. Und auch sie würden, selbst wenn sie im Lande jener noch weitere Eroberungen machen könnten, diese als rechtmäßiges Eigenthum besitzen, und für jetzt würden sie von da, wo sie jetzt stünden, als von ihrem Eigenthum, nicht abziehen. Das Wasser zu berühren, habe die Noth sie gezwungen, und in diese Noth hätten sie sich nicht durch Uebermuth versetzt; sondern während ihrer Abwehr gegen jene, die zuerst ihr Gebiet angegriffen, seien sie genöthigt worden, sich desselben zu bedienen. Es sei aber ganz natürlich, daß eine That, zu der man durch Krieg oder Noth gezwungen worden, auch bei der Gottheit Entschuldigung finde. Gewährten ja doch die Altäre sogar für freiwillige Verbrechen Zuflucht. Frevel aber sei eine Bezeichnung für solche Vergehen, zu denen Einer nicht gezwungen gewesen sei, und nicht für solche, wozu Einer im Drang der Noth habe schreiten müssen. Wer aber, wie Jene, Todte gegen Heiligthümer auszuwehcseln begehre, der mache sich eines viel größeren Frevels schuldig, als die, welche um Tempel nicht erkaufen wollen, was nicht geziemt. Und ausdrücklich, befahlen sie, solle er ihnen sagen, sie würden nicht unter der Bedingung des Abzugs aus dem böotischen Gebiet — und es gehöre ja auch gar nicht mehr jenen, was sie selbst sich mit dem Schwerte erkämpft hätten — sondern nur nach hergebrachter Weise unter dem Schutze eines Waffenstillstandes ihre Todten abholen."

Die Böoter gaben hierauf zur Antwort: „wenn die Athe­ [*]( 45) Vgl. l, 12. )

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ner auf Böotischem Gebiete stünden, so sollten sie abziehen und mit- [*](424 v Chr. ) nehmen, was ihnen gehöre; stünden sie aber auf eigenem Grund und« Boden, so müßten sie ja selbst wissen, was sie zu thun hätten." Damit gaben sie zu verstehen, daß die Oropische Landschaft, wo zufällig die Todten lagen, da die Schlacht auf den Gränzen stattgefunden hatte, dem Unterthanenverhältniß nach den Athenern gehöre, daß diese sich aber doch nicht wider ihren Willen der Todten bemächtigen würden, und sie könnten ja auch gar keinen Waffenstilltsandsvertrag über ein Gebiet abschließen, das ihnen nicht gehören solle. Jene Antwort aber, „daß sie gegen den Abzug aus Böotischem Gebiete das Verlangte erhalten könnten", hielten sie für ganz passend. Der Herold der Athener ging mit dieser Antwort unverrichteter Sache wieder zurück.