History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Wahrmund, Adolf, translator. Stuttgart: Krais and Hoffmann, 1864.

Die Böoter schickten nun sogleich um Speerschützen und Schleuderer vom Melischen Meerbuset, und da ihnen nach der Schlacht auch zweitausend schwerbewaffnete Korinther zu Hülse gekommen und auch die peloponnesische Besatzung aus Nisäa mit den Megarern zu ihnen gestoßen war, so zogen sie vor Delion und bekannten die Verschanzung. Unter Anderem, was sie versuchten, wendeten sie auch die folgende Erfindung an, durch die sie den Platz auch wirklich nahmen. Sie schnitten einen großen Stamm in der Mitte entzwei, höhlten ihn dann ganz durch und fügten ihn wieder sorgfältig an einander, wie eine Röhre; dann befestigten sie an das untere Ende des Stammes vermittels Ketten ein Becken, in welches man durch die Höhlung des Balkens ein Blasrohr herabgehen ließ, welches am sunteren^ Ende von Eisen war; auch sonst war der Balken zu einem großen Theil mit Eisen beschlagen. Nun führten sie das Ganze aus weiter Entfernung auf Wagen zu der Mauer heran, besonders da, wo Reben und Holzwerk in den Bau eingefügt waren, und so oft er nahe genug herangebracht war, setzten sie große Blasebälge in die ihnen zugekehrte Mündung des Balkens und setzten diese in Thätigkeit. Die Luft, die nun durch die enge Höhlung in das Becken blies, das mit glühenden Kohlen, Schwefel und Pech angefüllt war, entzündete eine mächtige Flamme und steckte die Verschanzung in Brand, so daß Niemand mehr dort aushalten konnte, sondern Alle sie im Stich ließen und davon- gingen, auf welche Art denn die Verschanzung genommen wurde. Von der Besatzung waren einige gefallen, zweihundert wurden gefangen

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[*]( 424 v. Chr. ) genommen, die Mehrzahl der Uebrigen schiffte sich ein und fuhr nach Hause.

Als Delion am siebzehnten Tage nach der Schlacht genommen war, und nicht lange danach wieder der Herold der Athener der Todten wegen kam, jedoch in Unkenntniß dessen, was sich ereignet hatte, antworteten die Böoter nicht mehr wie das erstemal, sondern gaben die Todten heraus. Es waren aber von den Böotern in der Schlacht etwas unter fünfhundert gefallen, von den Athenern hingegen etwas unter tausend und darunter Hippokrates, ihr Feldherr, dazu aber noch eine große Zahl Leichtbewaffneter und vom Troß.

Kurz nach dieser Schlacht unternahm Demotshenes, da ihm sein Seezug zum Zwecke der Uebernahme von Siphä nicht nach Wunsch ausgegangen war, mit einem Heere von Akarnanern und Agräern und vierhundert athenischen Schwerbewaffneten eine Landung der Flotte auf das Gebiet von Sikyon. Noch eh' aber sämmtliche Schiffe landen konnten, eilten die Sikyonier zur Abwehr herbei, schlugen die Gelandeten in die Flucht und verfolgten sie bis zu ihren Schiffen. Eine Anzahl von ihnen tödteten sie, Andere nahmen sie lebend gefangen. Dann errichteten sie ein Siegeszeichen und gaben unter einem Waffenstillstände jenen ihre Todten heraus.

Ungefähr in denselben Tagen, als bei Delion geschlagen wurde, verlor auch der Odryserkönig Sitalkes, auf einem Feldzuge gegen die Triballer in einer Schlacht besiegt, sein Leben. SeutheS, des Sparadokos Sohn, sein Neffe brüderlihcerseits, wurde nun König über die Odryser und das übrige Thrakien, das auch jener beherrscht hatte.

Im selben Winter zog Brasidas mit den Bundesgenossen auS den thrakischen Grenzlanden gegen die Stadt Amphipolis am Strymon-Flusse, einen Pflanzort der Athener. Eben denselben Platz, auf welchem die Stadt sieht, hatte schon früher der Milesier Aristagoras, als er vor dem König DareioS flüchtig war^), anzubauen versucht, war aber von den Edonern verdrängt worden. Danach, zwei und dreißig Jahre später^), hatten auch die Athener zehntausend Ansiedler aus ihrer Mitte und wer sonst wollte, dahingesendet, die aber bei DrabeskoS von den Thrakern aufgerieben wurden. Und [*]( 46)499 v. Chr. ) [*]( 47) 467 v. Chr. )

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wiederum, im neun und zwanzigsten Jahre danach^), schickten die [*]( 424 v. Chr. ) Athener Ansiedler dahin unter Führung des Hagnon, Sohnes des Nikias. Diese vertrieben dann die Edoner aus der Gegend und gründeten diese Stadt an dem Orte, der früher Neunwege (EnneaHodoi) genannt worden war. Sie kamen aber damals flußaufwärts von Eion, das, an der Mündung des Flusses gelegen, ihnen als Seehandelshafen diente und fünf und zwanzig Stadien von der Stadt entfernt ist, der Hagnon den Namen Amvhipolis (Ningstadt) gab, weil der Strymon sie im Halbkreis umfloß und er selbst vom einen Arme des Flusses zum andern eine lange Mauer gezogen hatte. Er baute sie aber so, daß sie über das Festland und das Meer weithin sichtbar ist.

Gegen diese Stadt nun, aufbrechend von Arnä auf Chalkidike, marfchirte Brasidas mit seinem Heere. Gegen Abend hatte er Aulon und BromiSkos erreicht, wo der See Bolbe seine Mündung in's Meer hat; dort ließ er abessen und marfchirte dann die Nacht durch weiter. Es war nämlich stürmisches Wetter und schneite ein wenig, weßhalb er um so mehr vorwärts strebte, um von denen in Amphipolis unbemerkt zu bleiben, — die ausgenommen, welche daselbst mit Verrath umgingen. Es wohnten nämlich daselbst auch Argilier — Argilos ist ein Pflanzort von Andres — diese und einige andere arbeiteten im Einverständnisse mit Brasidas, wozu sie theils durch Perdikkas, theils durch die Chalkidier beredet worden waren — vorzüglich aber wirkten die Argilier, die ganz in der Nähe wohnten und sich von jeher den Athenern verdächtig gemacht hatten und sich Amphipolis aufsäßig gezeigt hatten, da jetzt die Gelegenheit günstig war und Brasidas heranrückte, bei ihren in Amphipolis wohnenden Leuten dahin, daß die Stadt übergeben werden sollte. Jetzt nun nahmen sie den Brasidas in ihre Stadt auf, erklärten ihren Abfall von Athen und brachten noch in derselben Nacht vor Sonnenaufgang das Heer bis an die Flußbrücke. Die Stadt selbst liegt aber noch etwas weiter oberhalb der Brücke, und die Mauern zogen sich damals noch nicht so weit herab, wie jetzt, sondern es stand dort nur ein schwacher Posten, den Brasidas leicht bewältigte, einmal, weil auch hier Verrath [*]( 48) 439 v. Chr. )

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[*]( 424 v. Chr. ) thätig war, dann auch wegen der stürmischen Witterung, und weil der Uebersall ganz unerwartet geschah. Dann überschritt er die Brücke und nahm sogleich in der ganzen Gegend in Besitz, was den außerhalb der Stadt wohnenden Amphipoliten gehörte.

Da dieser Flußübergang denen in der Stadt ganz unerwartet kam, und von denen, welche außer der Stadt wohnten, viele gefangen wurden, Andere aber sich hinter die Ringmauern flüchteten, so geriethen die Amphipoliten in große Bestürzung, zumal sie sich auch unter einander nicht trauten. Und man behauptet, Brasidas habe die Stadt wohl nehmen können, wenn er, anstatt sein Heer mit Plünderung zu beschäftigen, den Ort sogleich hätte angreifen wollen. Nun aber ließ er das Heer ein Lager schlagen und in der Umgegend ans Plünderung streifen, und da Seitens derer in der Stadt Nichts von dem geschah, woraus er wartete, so hielt er sich ruhig. Die Gegenpartei der Verräther aber, der Zahl nach überlegen, verhüteten, daß die Thore nicht sogleich geöffnet wurden, und schickten im Einvernehmen mit Eukles, dem Feldherrn der Athener, der zur Ueberwachung des Platzes da war, Boten zu seinem Mitfeldherrn an der thrakischen Küste, Thukydides, dem Sohne des Oloros, der diese Geschichte verfaßt hat und damals bei Thasos stand — welche Insel, eine Siedelung der Parier, von Amphipolis ungefähr eine halbe Seetagreise entfernt ist — mit der Aufforderung, ihnen zu Hülfe zu kommen; und dieser ging aus die Meldung hin mit sieben Schiffen, die zur Hand waren, sogleich unter Segel, in der Absicht, sich wo möglich noch nach Amphipolis zu werfen, bevor die Stadt übergehe, und wenn das nicht, so doch Eion noch zu besetzen.

Brasidas indessen, der sich sowohl wegen der von Thasos zu Hülse eilenden Schiffe fürchtete, als auch, weil er erfahren hatte, daß Thukydides das Nutznießungsrecht von Goldbergwerken in der dortigen Gegend Thrakiens besitze und deßhalb einer der einflußreichsten Männer des Festlandes sei, beeilte sich, die Stadt wo möglich noch vorher in seinen Besitz zu bringen, damit nicht die Mehrzahl der Amphipoliten, welche hofften, daß jener zur See Bundeshülse bringen und auch ein thrakisches Hülfsheer sammeln und sie so retten könne, nach seiner Ankunft die Uebergabe der Stadt von sich weisen möchten. Deßhalb stellte er mäßige Vcrgleichsbedingungen und ließ durch den

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Herold verkünden, wer'von denen in der Stadt, ob nun Amphipolite, [*]( 424 v. Chr. ) oder Athenrr, damit einverstanden sei, der könne unter völliger Rechts- l Gleichheit im Besitze des Seinigen bleiben; wer aber das nicht wolle, der könne binnen fünf Tagen abziehen und das Seinige mitnehmen.

Die Mehrzahl der Amphipoliten nun, als sie dieß hörten, wurden anderer Gesinnung, zumal sich auch nur wenige Athener unter den Bürgern fanden, vielmehr die meisten gemischtes Ursprungs waren. Auch wohnten in der Stadt viele Angehörige der vor den Mauern Gefangenen. Im Verhältniß zu dem, was sie gefürchtet hatten, schien ihnen des Brasidas Aufforderung gemäßigt: den Athenern, weil sie froh waren, hinauszukommen, da so die Gefahr für sie unvergleichlich geringer schien, und dann auch, weil sie Hülse so bald nicht erwarteten; dem übrigen Haufen, weil er nicht in gleicher Weise aus der Stadt ausgetrieben wurde und sich wider Erwarten aller Furcht ledig sah. So traten denn auch die, welche mit Brasidas unter der Decke gespielt, bereits ganz offen auf und verfechten diese Ansicht, da sie sahen, wie auch die Menge jetzt anderer Meinung geworden war und dem anwesenden athenischen Feldherrn kein Gehör mehr schenkte. So wurde also der Vergleich abgeschlossen, und sie nahmen den Brasidas unter den von ihm verkündeten Bedingungen in die Stadt auf. — Diese nun übergaben die Sadt auf die angegebene Art, Thukydides aber mit feinen Schiffen segelte am Abend desselben TageS in Eion ein. Amphipolis hatte Brasidas bereits in Besitz und um eine Nacht hätte er auch Eion genommen; denn wären die Schiffe nicht schleunig zu Hülfe gekommen, so wäre am Morgen der Platz schon verloren gewesen.

Thukydides traf nun in Eion Vorkehrungen, sowohl um die Stadt für den Augenblick, wenn Brasidas angreifen sollte, als auch für die Zukunft zu sichern, und nahm diejenigen auf, welche aus der oberen Stadt, dem Vergleiche gemäß, zu ihm kommen wollten. Brasidas aber erschien plötzlich mit vielen Fahrzeugen den Fluß abwärts segelnd vor Eion, in der Absicht, wo möglich die von der Verschanzung vorspringende Landspitze zu nehmen, um so die Einfahrt zu beherrschen; sowohl dieser Versuch aber, als auch der gleichzeitige zu Lande, wurden abgeschlagen, worauf er in Amphipolis die nöthigen Anstalten traf. Auch Myrkinos, eine Stadt der Edoner, trat zu ihm

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[*]( 424 v. Chr. ) über, nachdem der Edonerkönig Pittakos durch die Söhne des GoaxiS und dessen Gemahlin Brauro ermordet worden war; ebenso Galepsos und nicht lange danach auch Oesyme. Es sind dieß Pflanzorte der Thasier. Hicbei hatte auch Perdikkas mitgewirkt, der sogleich nach der Einnahme von Amphipolis herbeigeeilt war.

Wegen des Verlustes von Amphipolis geriethen die Athener in große Furcht, zumal ihnen auch die Stadt durch Lieferung von Schiffsbauholz und Steuerzahlung nützlich gewesen war, und weil die Lakedämonier ^bis jetzig zwar im Geleite der Thessaler gegen ihre Bundesgenossen bis an den Strymonfluß vorbringen konnten, aber, ohne den Brückenübergang in ihrer Gewalt zu haben, nicht weiter zu kommen vermochten, weil sich von oben her längs einer großen Strecke des Flusses ein bedeutender Sumpf hindehnteund die Athener gegen Eion hin Kriegsschiffe zum Schutze aufgestellt hatten; jetzt aber, glaubten sie, sei jenen die Sache leicht gemacht. Auch fürchteten sie den Abfall der Bundesgenossen, denn Brasidas zeigte sich sowohl im Uebrigen gemäßigt und erklärte auch in seinen Reden überall, daß er ausgeschickt sei, um Hellas frei zu machen; und als die den Athenern unterthänigen Städte von der Wegnahme von Amphipolis hörten und welche Bedingungen jener anbiete und wie mild er sich zeige, so wurden sie sehr geneigt, ihre Lage zu ändern und schickten heimlich Herolde an jenen, mit der Aufforderung, bei ihnen zu erscheinen, und jede wollte zum Abfall die erste sein. Und sie glaubten dieß auch ohne Gefährde thun zu können; so sehr täuschten sie sich über die Macht der Athener, die sich hinterher viel größer zeigte; aber die Menschen beurtheilen ja die Dinge mehr nach ihren unklaren Wünschen, als mit untrüglicher Voraussicht, und sind gewohnt, in Betreff dessen, was sie wünshcen, sich ganz und gar einer blinden Hoffnung hinzugeben, was sie aber nicht wünschen, mit willkürlicher Verstandesdeutung abzuweisen. Auch weil die Athener kürzlich in Böotien geschlagen worden waren, und Brasidas zwar Verführerisches, aber nicht der Wahrheit gemäß vorbrachte, als ob nämlich bei Nisäa, wo die Athener sich nicht zu schlagen wagten, er mit seinem Heere allein ihnen so furchtbar gewesen wäre — auch deßhalb also faßten die Städte Muth und ver-­ [*]( 49) Der See Ktrkinitis. )

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trauten, daß niemals Jemand zur Ahndung gegen sie ziehen werde. [*]( 424 v. Chr. ) Der Hauptgrund war aber, weil es ihnen für den Augenblick erwunjckt war, und weil sieden ersten guten Eifer der Lakedämonier zu erproben dachten; dafür waren sie bereit, sich in jeder Weise Gefahren zu unterziehen. Als die Athener dieß merkten, schickten sie, so weit es sich in der Geschwindigkeit und der schlechten Jahreszeit wegen thun ließ, Besatzungen in die Städte; Brasidas aber sandte nach Lakedämon und verlangte dringend, ihm noch Truppen zuzuschicken, und traf selbst am Strymon Vorkehrungen zum Bau von Kriegsschiffen. Die Lakedämonier zeigten sich ihm jedoch nickt willfährig, theils weil die ersten Männer unter ihnen auf jenen neidisch waren, theils auch, weil sie mehr daran dachten, ihre Leute oon der Insel (Sphakteria) zurückzuerhalten und dem Krieg ein Ende zu machen.

In demselben Winter nahmen die Megarer ihre langen [*]( 423 v Chr. ) Mauern wieder, welche die Athener besetzt hielten, und rißen sie bis, auf den Grund nieder, und Brasidas zog nach der Einnahme von Amphipolis mit den Bundesgenossen gegen die sogenannte (Halbinsel) Akte. Dieselbe erstreckt sich von dem Kanäle des Königs Ho) an einwärts (d. h. südlich), und der Athos, ein hoher Berg auf derselben, fällt in das Aegäische Meer hinaus ab. Von Städten sind dort Sane, eine Pflanzung der Andrier, am Kanale selbst liegend und gegen das Euböische Meer hingewendet, und außerdem Thyssos, Kleonä, Akrothooe, Olophyxos und Dion, deren Bewohner aus verschiedenen barbarischen Völkerschaften, welche beide Sprachen (barbarisch und hellenisch) reden, gemischt sind. Auch etwas Ehalkidisches Blut iii unter ihnen, meist aber sind es Pelasger vom Stamme der Tyrsener, welche früher einmal auch Lemnos und Athen besaßen, oder Bisalter und Krestoner und Edoner; die Städtchen aber, in denen sie wohnen, sind unbedeutend. Die Mehrzahl derselben nun trat zu Brasidas über, Sane und Dion aber leisteten Widerstand, weßhalb er mit seinem Heere dort stehen blieb und daS Gebiet verwüstete.

Da sie aber im Widerstand verharrten, wendete er sich plötzlich gegen das Chalkidische Torone, welches die Athener besetzt [*]( 50) lerres hatte hier — wie Herodot meint, ganz unnSthiger Weise-einen Kanal zwischen dem ZlthoS und dem Festlande graben lassen. Herodot VII, 22. 122. )

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[*]( 423 v. Chr. ) hielten. Eine kleine Zahl Bürger, welche ihm die Stadt in die- Hände zu spielen bereit waren, riefen ihn herbei. Er kam an, als es noch dunkel war, aber der Morgen schon grauen wollte, und lagerte sich mit dem Heere bei dem Tempel der Dioskuren, der von der Stadt ungefähr drei Stadien entfernt ist. Die übrigen Bürger in Torone und die Athener der Besatzung merkten davon Nichts; von denen aber, die mit ihm unter der Decke spielten und von seinem Anmärshce wußten, waren Einige heimlich hinausgegangen und hielten ihm den Zugang offen, und als sie ihn bereits angekommen sahen, brachten sie von-seinen Leuten sieben Mann Leichtbewaffnete mit Dolchen in die Stadt hinein — denn nur so viele von den zuerst dazu bestimmten zwanzig Mann fürchteten sicd nicht hineinzugehen; Lysistratos, der Olynthier, befehligte sie. Diese schlichen sich durch die dem Meere zugekehrte Verschanzung ein, erstiegen — die Stadt ist nämlich an einem Hügel'hinausgebaut — den höchsten Punkt derselben, unbemerkt von der hier aufgestellten Wachmannschaft, stachen diese nieder und öffneten die Mauerpforte gegen Kanasträon hin.

Brasidas, der indessen etwas näher vorgerückt war, hielt sich mit dem übrigen Heere ruhig und sandte nur hundert leichte Schildträger vor, damit diese, wenn ein und das andere Thor geöffnet und das verabredete Zeichen gegeben würde, zuerst eindringen sollten. Diese waren, während zu ihrer Verwunderung längere Zeit verstrich, allmälig bis nahe an die Stadt gekommen. Indessen waren jene Toronäer in der Stadt mit den Eingedrungenen nicht unthätig, und als jenes Pförtchen geöffnet und auch das Stadtthor beim Markte vermittelst Durchhauung deS Querbalkens gesprengt war, brachten sie zuerst einige um die Mauer herum durch das Pförtchen herein, damit sie durch ihr plötzliches Erscheinen im Rücken und auf beiden Seiten die Nichts ahnenden Toronäer in Verwirrung setzten; danach gaben sie das Feuerzeichen, wie verabredet war, und ließen nun auch die übrigen leichten Schildträger durch das Marktthor herein.

Als Brasidas das Zeichen sah, setzte er sein Heer in Bewegung und ließ es im Laufschritt unter allgemeinem Geschrei anstürmen, so daß die in der Stadt in die höchste Bestürzung geriethen. Einige drangen sogleich durch das Thor ein, Andere mit Hülse der viereckigen Balken, welche zufällig an den eingefallenen und in der

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Ausbesserung begriffenen Mauerstellen zum Hinaufbringen der Steine [*]( 423 v. Chr. ) angelehnt waren. Brasidas und die Meisten mit ihm wendeten sich , sogleich auswärts nach den höheren Theilen der Stadt, um dieselbe ganz und zuverlässig in ihre Gewalt zu bekommen.. Der übrige Hause vertheilte sich gleicher Weise nach allen Richtungen.

Bei diesem Ueberfall ihrer Stadt gerieth die Mehrzahl der Toronäer, welche um Nichts gewußt hatten, in große Verwirrung; die aber, welche das Ganze eingefädelt hatten, und die, welchen das Ereigniß sonst nach Wunsch kam, machten sogleich mit den Eingedrungenen gemeinsame Sache. Von den Athenern aber — denn es übernachteten zufällig grade gegen fünfzig Schwerbewaffnete auf dem Markte — fielen einige im Handgemenge, und die übrigen, als sie merkten, was vorging, flohen theils zu Land, theils aus die Schiffe, deren zwei auf Wache standen, und retteten sich in das Kastell Lekythos, welches sie im alleinigen Besitz hatten, und das nach der Meerseite hin auf einem hohen Punkte der Stadt gelegen und durch eine fchmale Landenge von derselben getrennt war. Hieher flüchteten sich zu ihnen auch diejenigen Toronäer, welche zu ihnen in näherer Beziehung standen.

Als es heller Tag geworden und Brasidas bereits im sicheren Besitze der Stadt war, ließ er den mit den Athenern geflüchteten Toronäern durch deu Herold sagen, wer wolle, der könne in sein Eigenthum zurückkehren und ohne Furcht in der Stadt wohnen; zu den Athenern aber sandte er einen Herold und forderte sie auf, Le-' > kythos unter dem Schutze eines Vergleiches und mit all ihrer Habe zu verlassen, denn es gehör? den Chalkidiern. , Die aber sagten, sie würden nicht weggehen, und verlangten, er solle ihnen einen Tag Waffenstillstand gewähren,, damit sie ihre Todten abholen.könnten. - Brasidas nun gewährte ihnen zwei Tage. Unterdessen befestigte er die .nahe liegenden Häuser, und ebenso thaten die Athener aus ihrer Seite.

Darauf hieß Brasidas die. Toronäer zusammenkommen, und redete zu ihnen Aehnliches wie in Akanthos: es wäre ungerecht, wenn sie diejenigen, welche ihm.die Einnahme der Stadt möglich gemacht hätten, deßhalb für schlechter oder für Verräther halten wollten, — -denn sie hätten nicht, um die Stadt in Knechtschaft zu bringen, noch auch durch Geld bestochen jenes gethan, sondern in guter Absicht und

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[*]( 423 v. Chr. ) um der Stadt die Freiheit zu geben, — sie sollten aber auch nicht glauben, daß diejenigen, welche sich daran nicht betheiligt, nun nicht auch gleiche Ansprüche hätten, denn er sei nicht gekommen, um irgend eine Stadt oder einen Bürger in's Unglück zu bringen. Und er habe deßhalb auch den zu den Athenern Geflüchteten den Antrag machen lassen, weil er glaube, daß sie trotz der Freundschaft mit jenen nicht schlechtere Bürger seien; auch würden jene, — glaube er — wenn sie erst die Lakedämonier aus Erfahrung kennen gelernt, keine geringere Neigung zu ihnen selbst fassen, vielmehr eine noch größere, je mehr sie ja auch selbst sich der Gerechtigkeit in höherem Grade befleißigten (als die Athener); jetzt aber seien sie geschreckt, weil sie sie noch nicht kennen gelernt hätten. Alle aber, verlangte-er, sollten sich bereit halten, sich als zuverläßige Bundesgenossen zu zeigen; denn von jetzt an würde ihnen bereits jedes Vergehen zur Anschuldigung gereichen. Durch das, was vergangen sei, wären sie, die Lakedämonier, nicht beleidigt worden, vielmehr sie, die Toronäer selbst, durch andere Mächtigere, und worin sie allenfalls den Lakedämonier» entgegengehandelt, das sei verziehen.

Durch solche Reden ermuthigte er sie, und als der Waffenstillstand vorüber war, unternahm er den Sturm auf Lekythos; die Athener aber wehrten sich aus ihrer schlechten Verschanzung und den Häusern, welche Brustwehren erhalten hatten. Und den ersten Tag hindurch trieben sie auch die Angriffe ab; Tags daraus aber, als seitens der Feinde eine Maschine gegen sie geführt werden sollte, von welcher maii Feuer an ihre hölzernen Wehren zu bringen gedachte, und das Heer schon im Anmarsch war, errichteten sie da, wo nach ihrer Meinung jene ihre Maschine zuvörderst anwenden würden und der Platz am leichtesten anzugreifen war, auf einem Unterbau einen hölzernen Thurm, trugen viele Eimer und Fässer Wasser's und große Steine hinauf und erstiegen ihn auch selbst in großer Anzahl. Da aber der Bau eine zu große Belastung erhalten hatte, so brach er plötzlich unter großem Gekrache zusammen, was bei den Athenern, die in der Nähe tsanden und Alles sehen konnten, mehr Aerger als Furcht erregte; die aber etwas entfernter und besonders die, welche am weitesten abstanden, glaubten dabei, der Platz sei schon genommen und wendeten sich fliehend dem Meere und den Schiffen zu.

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Als nun Brasidas sah, wie sie die Brustwehren verließen, [*]( 423 v. Chr. ) und erkannte was vorging, griff er sogleich mit dem Heere an, nahm l die Verschanzung und hieb nieder, was er darin traf. Die Athener, welche auf die angegebene Art auf Last- und Kriegsschiffen den Platz verlassen hatten, wurden nach Pallene geführt. Brasidas aber, der beim Beginne deS Sturmes zufällig durch den Herold hatte ausrufen lassen, daß, wer zuerst die Mauer ersteige, von ihm dreißig Silberminen erhalten solle, glaubte jetzt, daß die Einnahme auf andere Art als durch menschliche Kraft erfolgt sei, und da auf Lekythos ein Tempel der Athene steht, so legte er die dreißig Minen als Geschenk für die Göttin in dem Heiligthum nieder, ließ die Verschanzungen abtragen, Alles aufräumen und weihte das Ganze zu einem heiligen Bezirke. — Was vom Winter noch übrig war, verwendete er zur Einrichtung der Plätze, die er bereits besaß, und traf Anstalten gegen die noch übrigen. — Mit diesem Winter ging auch das achte Jahr dieses Krieges zu Ende.

Sogleich mit Frühlingsanfang des folgenden Jahres schloßen Lakedämonier und Athener einen Waffenstillstand auf ein ganzes Jahr; die Athener, weil sie dachten, Brasidas könne ihnen so weiter keine Städte mehr zum Abfall bewegen, bis sie sich in Ruhe gerüstet hätten; und wenn sie sich so in eine günstige Lage versetzt, würden sie auch weitere Friedensvereinbarungen treffen können; die Lakedämonier aber dachten sich, daß die Athener eben dergleichen Befürchtungen hegten, wie sie deren wirklich hatten, und wenn sie erst von Knegsübeln und Mühseligkeiten einige Ausrast verschmeckt hätten, würden sie sich noch mehr nach Frieden sehnen und unter Auslieferung ihrer Leute auch aus längere Zeit einen Vertrag schließen. Sie wünschten nämlich dringender ihre Leute zurückzuerhalten, während Brasidas noch in glücklichem Fortschreiten begriffen war, denn hätte er erst noch Größeres erreicht und den Athenern gegenüber wieder ein vollständiges Gleichgewicht hergestellt, so würden sie gewiß jener Leute verlustig gehen, und dann sei bei weiterem gefahrvollem Kampf mit beiderseits gleicher Macht der Sieg doch noch ungewiß. Es wurde also zwischen den beiden Parteien und ihren Bundesgenossen folgender Waffenstillstand abgeschlossen:

„In Betreff des Tempels und Orakels des Pythischen

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[*]( 423 v. Chr. ) Apollo schlagen wir vor, daß Jeder, der da will, ohne Furcht und Gefahr nach der Weise der Väter daselbst Zutritt haben soll. Den Lakedämoniern dünkt dieß also genehm,-und so auch den anwesenden Bundesgenossen. Die Böoter und Phokier eben dazu durch Herolde zu vermögen, versprechen sie nach Möglichkeit. In Betreff des Tempeleigenthums werden wir nach Pflicht und Recht Sorge tragen, daß wir ausfindig machen, die daran gefrevelt haben, sowohl wir als auch ihr, und wer sonst von den Andern will, Alle nach den väterlichen Gesetzen. In Betreff der jetzigen Verhältnisse hat den Lakedämoniern und den andern Bundesgenossen genehm geschienen: wenn die Athener den Waffenstillstand eingehen, so sollen sich beide Theile innerhalb des Gebietes halten, welches sie jetzt besitzen, die Athener einerseits bei Koryphasion innerhalb Buphras und Tomeus, anderseits auf Kythera, ohne sich in die Bundesgenossenschaft einzumischen, weder wir in die ihrige, noch sie in die unsrige; — und die, welche bei Nisäa und Minoa stehen, sollen die Straße nicht überschreiten, welche von-dem Thore neben dem Nisostempel nach dem Heiligthum des Poseidon und von hier gerade auf die Brücke von Minoa zuführt; — aber auch die Megarer und ihre Bundesgenossen sollen die Straße nicht überschreiten; — und die Insel (Minoa), welche die Athener genommen haben, sollen sie behalten, ohne daß sich einer von beiden Theilen nach der andern Seite einmischt; — ebenso auch Alles, was sie jetzt im Trözenischen Gebiete besitzen, in der Art und Meise, wie die Trözenier mit den Athenern vereinbart haben. Und zur See sollen sie sich in ihrem und ihrer Bundesgenossen Gebiet frei bewegen, die Lakedämonier aber und ihre Bundesgenossen sollen nicht mit Kriegsschiffen ausfahren, sondern allein mit Lastschiffen, die nur von Rudern getrieben werden und bis fünfhundert Talente führen. Für Herolde und Gesandtschaften mit ihrem Gefolge, so viel dessen nöthig dünkt, zum Zwecke der Beendigung des Krieges und der Rechtsentshceidungen, sowohl nach dem Peloponnes, als nach Athen, soll freier Ab- und Zugang fein, sowohl, zu Land, als zu Wasser. Ueberläuser sollen während dieser Zeit nicht angenommen werden, [*]( 51) Koryphasion ist die lakedämvnische Bezeichnung für Pyl.vs, vergl. IV, 3. ) [*]( 52) DaS attische Talent wog gegen 55 Psund.)
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weder ein Freier, noch ein Sklave, weder von unserer, noch von eurer Seite[*](423 v. Chr. )Rechtsentscbeidnngen aber sollt ihr sowohl uns, als wir euch > gegenüber nach hergebrachter Weise obwalten lassen, so daß Streitigkeiten nach dem Recht ohne Kampf entschieden werden.- Dieß ist's, was die Lakedämonier und ihre:Bundesgenossen vorschlagen..Wenn ihr aber etwas Besseres und Gerechteres wißt als dieß, so kommt nach Lakedämon und theilt es mit; denn Nichts, was immer Gerechtes ihr vorbringen möget, werden sie abweisen, weder die Lakedämonier, noch ihre Bundesgenossen. Wer aber kommt-soll mit Vollmacht kommen, wie auch ihr von uns verlangt. i Der Waffenstillstand soll aber ein Jahr dauern." —

„Beschlossen hat das Volk (der Athener); der Akamantische Stamm führte den Vorsitz; Phainippos war Schreiber; NikiadeS war Vorsteher. LacheS stellte den Antrag ^): möge es Glück bringen den Athenern! — es, solle der Waffenstillstand abgeshclossen.werden unter den Bedingungen, welche die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen eingeräumt haben. Das Volk hat genehmigt, daß der Waffenstillstand ein Jahr dauern soll; ansangen aber soll er am heutigen Tage, am vierzehnten des Monats Elaphebolion In­ [*]( 53).Die Athenischen Bürger waren in zehn Stämme tPhhlen) eingetheilt, deren Namen sorgende sind: ErechtheiS, Regen, Pandionis, Leontis, Akaman. tiS, OeneZö. KekropiS, H ipp 0 t ho ö» t i s, AiantiS, Antiochis. Diese zehn Stämme theilten sich da? Jahr hindurch in den Vorsitz bei den Berathungen, wonach diesen Vorsitz, die Prhtanie genannt, jeder Stamm 35 bis ZSTage zu führen hatte. Von den dem Ver sitzenden Stamme angehörigen fünfzig Rathsbeisitzern wurde für jeden Tag Einer durch das Loos zum Vorsteher (Epistates) gewählt. So war Sokrates einmal Vorsteher, als über die Hinrichtung der Feldherrn berathen wurde, welche nach der Schlacht dei den arginusischen Inseln, zu Ende dieses Krieges, die Todten nicht hatten ausfischen lassen. ^ ) [*]( 54) Das attische Jahr begann mit der Sommersonnenwende. Die Monate waren: ) [*]( j. Hekatombaion, d. i Hunderlopfermond, Juli — August ) [*]( 2. Metageitnion, d. i. Umzugmond. August — September ) [*]( 3. Beet-rentiert, b. i. Kuhlausmond, September — Oktober. ) [*]( 4. Pyanepsion, b. i. Bohneiikochmond. Oktober — November. ) [*]( 5. M aimakt erion, d. i. Wintermond, November — December. ) [*]( 6. Poseideon, b. i. Wink-Mond, December — Januar. ) [*]( 7. Gamelion, b. i. Hochzeitmond, Januar — Februar. ) [*]( 8. Anthesterion, b. i. Blühmond, Februar — März. ) [*]( 9. Elaphebolion, d. i. Hirschjagdmond, März — April. ) [*]( ThulydideS IV. ) [*]( 24 )

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[*]( 423 v.. Chr. ) dessen sollen Gesandte und Herolde zwischen ihnen bin und hergehen und unterhandeln, wie dem Krieg ein Ende 'gemacht werden könne! Die Feldherrn und Prytanen sollen-eine Versammlung berufen-und mit den Athenern zuerst ierat hen, unter welchen-Bedingungen eine Ge! sandtschaft wegen Friedensschlusses zulässig sei. Die anwesenden Gesandten.aber sollen sogleich vor dem Volke inter den heiligen Gebräuchen beschwören, daß sie-den einjährigen Waffenstilltsand-trVu^ lich halten wollen."

Ueber diese Punkte vereinigten sich die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen mit den Athenern und deren Bundesgenossenschaft, und sie beschworen dieselben am zwölften des lakedämonischen Monats ^Gerastios. - Es verabredeten und beschworen den Vertrag Seitens der Lakedämonier diese: TauroS, Sohn des EcketimidaS,"AtbenaioS, Sohn des Perikleidas, Philocbaridas, Sohn deS Eryxida'l'das; SeitcnS der Konntder: Lineas, Sohn des^OkytoS/ EuphamidaS, Sohn des Aristonyinos;' Seitens der Sikyonier: ^DamotimoS, Sohn des Nankrates, Öuajunos, Sohn des Megäkles; von Seiten der MegarerNikasos^ des Kekalos Sobn, Menekiates, des,Ämphidoros Sohn; Seitens der Epidauriier:' Amphias / Sohn des Eupa'l'das; — von Seiten der Athener aber die Feldherrn Nikostratos, Sohn des DiitrepheS, Nikias, Sohn des Nikeratos^Autokles, Sohn 'des Tolmäos. — Dieß'also war der Waffenstillstand, welcher zu''Stande kam, und während desselben unlerdandelten sie ununterbrochen durch Gesandtschaften wegen eines Hauptfriedensschlusses.