History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Wahrmund, Adolf, translator. Stuttgart: Krais and Hoffmann, 1864.

Dieß Ereigniß war es, was von den Vorfällen dieses [*]( 425 v. Chr. ) Krieges den Hellenen am meisten unerwartet kam. Denn von La-, kedämoniern erwartete man, daß sie weder durch Hunger, noch durch irgend welche Noth bezwungen die Waffen auslieferten, sondern mit diesen fechtend sterben müßten, wie sie auch gekonnt hätten. Auch war man ungläubig, ob denn die, die sich ergeben hätten, von gleicher Art seien mit denen, die den Tod gefunden, und als später einmal von den athenischen Bundesgenossen Einer in kränkender Absicht einen der Kriegsgefangenen von der Insel fragte, ob ihre Gefallenen wackere Leute gewesen, so erhielt er zur Antwort, das müßte ein rares Rohr — damit meinte er den Pfeil — gewesen sein, das die Tapseren hätte unterscheiden können, — womit jener sagen wollte, daß gefallen sei, wen grade die Steine und Pfeile zufällig getroffen hätten.

Als die Leute eingebracht waren, faßten die Athener Beschluß, sie in Banden verwahrt zu halten, bis ein Vergleich getroffen wäre; sollten aber die Peloponnesier früher noch einen Einfall auf ihr Gebiet machen, so wolle man sie hinausführen und hinrichten. Nach Pylos aber legten sie eine Besatzung, und die Messenier aus Naupaktos schickten in dieß ihr Vaterland, — denn Pylos gehört zu der ehemaligen Messenischen Landschaft, — die tüchtigsten Leute aus ihrer Mitte, welche Lakonika verwüsteten und sehr vielen Schaden anrichteten, zumal sie auch dieselbe Sprache redeten. Die Lakedämonier aber, die in früherer Zeit solche Verheerungs- und Raubzüge nicht erfahren hatten, zumal ihnen auch die Heloten zum Feind überliefen, und sie fürchten mußten, daß ihnen noch größere Verwirrung im Lande angerichtet werde, nahmen die Sache keineswegs leicht, und obgleich sie den Athenern ihre Gedanken nicht verrathen wollten, schickten sie doch Gesandte zu ihnen und versuchten Pylos und ihre [*]( Und rings die ganze Nachbarschaft, die Käs- und Hvnighiindler; Das bläst mm all' in'S gleiche Horn und hängt wie Pech zusammen; Brummst du nun auf und willst einmal ein Scherbenspielchen machen (d. h. ihn verbannen). Dann läuft des Nachts die Bande hin und reißt die Schilde 'runter, Besetzt uns Markt und Kornhaus, um die Bürger auszuhungern! (Ludwig Seeger's Nebersehung.) )

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[*]( 425, v. Chr. ) Leute zurück zu erhalten. Die Athener aber wollten höher hinaus und schickten jene, so oft sie auch zukehrten, unverrichteter Sache zurück. Dieß waren die Ereignisse bei Pylos.

Bald danach, in demselben Sommer, unternahmen die Athener auf achtzig Schiffen und mit zweitausend Schwerbewaffneten aus der eigenen Bürgerschaft und zweihundert Reitern auf Fahrzeugen, die für Pferde eingerichtet waren, einen Feldzug gegen das Gebiet von Korinth. Von den Bundesgenossen zogen mit Milesier^), Andrier^) und Karystier^). Anführer war selbdritt [*]( 21) Milet, ionische Stadt in Kleinasien, noch auf Karischem Gebiete, hatte fünf Häfen und entfaltete mit großem Glücke eine ganz ungemeine Handelsthätigkeit, vorzugsweise im schwarzen Meere, an dessen Küsten es rings-um seine Pflanzstädte anlegte, die dann ebendaselbst wieder neue Kolonien gründeten. Früher hieß das Schwarze Meer bei den Griechen das ungastliche, unwirthsame (Pontos areinos), durch die mi> lesischen Kolonien wurde es zum gastlichen (eureinos) umgewandelt und in die hellenische Welt einbezogen. Hauptgegenstände des Handel? waren Getreide und Salzsischc verschiedener Art (unser Häringshandel). Milet war von nicht weniger als achtzig Städten die Mntterstadt, wovon Naukratis in Aegypten, die andern fast alle am Marmora- und Schwarzen Meer. Die bedeutendsten dieser letzteren waren: Heraklea, Sinope, wo besonders der PelamyS-Fisch in zahlloser Menge gefangen wurde, Amisos, Trapezus, zu der Römer Zeiten Sitz deS Großhandels, heute den Handel nach Armenien und Persien vemittelnd, Dioskurias, Hauptmarkt der kaukasischen Völker, wo man, wie die Alten erzählen, siebzig verschiedene Sprachen hören konnte. Auf der Halbinsel Krim, dem Taurischen Cherfonnes der Alten, lag Theodofia mit einem Hafen für hundert Schiffe, Hauptsitz des Handels mit Getreide, welches hier dreißigsältigen Ertrag gab. Am Eingang in das Azov'fche Meer: Pantikapäon und gegenüber Phancigoria, an der Mündung des Don (Tanais). An der Westseite des Meeres: Olbia, Tomi. Odefsos n. s. w. ) [*]( In älterer Zeit standen die Milesier im Rufe mannhafter Tüchtigkeit, später verweichlichten sie, wie alle kleinasiatischen Senior, und hatten die Nachrede, leicht reizbar und zu thörichtem Thun geneigt zu sein. Unter persischer Oberherrschaft trugen sie das Joch eigener Tyrannen. Die Geschichte des Histiäos und Aristagoras ist bekannt. Als der Abfall von den Persern erfolgte, wurde Jsonomie, d. i. gleiches Recht für Alle ausgerufen, demokratische Strategen eingesetzt u. s. m. Aber der nöthige Grad sittlicher Tüchtigkeit fehlte. Die Seeübungen, welche Dionysios von Pholäa einsührte, wurden von den Jonier» nur sieben Tage ertragen, und in der Schlacht liefen Alle davon oder gingen über. Nur die Chier fochten tapfer. Nun trat von Neuem Tyrannis ein, bis die Befreiung durch die europäischen Hellenen erfolgte. — Für die Neigung zu Athen wurde die Volkspartei zu Ende des Krieges von Lysander durch ein furchtbares Gemetzel bestraft. ) [*]( 22) Andros, eine der kylladiscken Inseln, mit ionischer Bevölkerung, hatte durch )

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Nikias, des Nikeratos Sohn. Mit Tagesanbruch segelten sie an [*]( 425 v. Chr. ) nnd landeten an der Küste zwischen der Halbinsel und Nheiton, in< jener Gegend, welche durch den Solygei'schen Hügel beherrscht wird, aus dem sich in alter Zeit die Dorier während ihres Krieges mit den äolischen Korinthern festgesetzt hatten ^). Jetzt liegt auf der Höhe das Dorf Solygea. Von dem Punkt der Küste nun, wo die Schiffe landeten, bis zu diesem Dorfe beträgt die Entfernung zwölf Stadien, bis nach der Stadt Korinth sechzig und bis zum Jsthmos hin zwanzig. Die Korinther hatten aber schon längere Zeit vorher von Argos aus Nachricht, daß die Athener gegen sie auszögen, und rückten deßhalb zur Abwehr gegen den Jsthmos mit gesammter Mannschaft vor, ausgenommen die, welche sich jenseits der Landenge befanden; auch in Amprakia und Leukadia waren fünfhundert Mann von ihnen als Besatzung abwesend; sonst aber waren Alle vereint und lauerten den Athenern auf, wo sie landen würden. Da jene aber noch nächtlicher Weile unbemerkt herangesegelt waren und den Korinthern nun die Feuerzeichen gegeben wurden, so ließen sie die Hälfte ihrer Mannschaft in Kenchrea zurück für den Fall, daß die Athener gegen Krommyon marshciren sollten, und rückten in Eile zur Abwehr jenen entgegen.

Battos, der eine ihrer Anführer — denn eS waren deren zwei bei der Schlacht anwesend — nahm eine Abtheilung nnd marschirte nach dem Dorfe Solygea, um dies zu schützen, da es keine Mauern hatte; Lykophron aber mit den übrigen Truppen nahm das Gefecht an. Und zuerst nun griffen die Korinther den rechten athenischen Flügel vorwärts der Halbinsel an, gerade, als diese eben an's Land gestiegen waren, dann auch die andern Abtheilungen. Der Kampf war hitzig und durchaus Mann gegen Mann. Der rechte Flügel der Athener und Karystier, — denn diese standen bei ihnen aus der äußersten Spitze des Flügels — empfing die angreifenden [*]( Penkles 452 v. Chr. eine Niederlassung von zweihnndertundsünszig athenische» Bürgern erhalten Stagira und AkanthoS waren Kolonien der Insel. ) [*]( 23) KarystoS aus Euböa. Die Bevölkerung war aus Joniern nnd Dryvpern gemischt. Mit Chalkis und Eretria nahm die Stadt früher Theil an der Amarynthische n Genossenschaft. Von den Athenern unterworfen 476 v. Chr. vergl. l, 98. ) [*]( 24) Vgl. B. l, Anm. 22 nnd W. )

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[*]( 425 v. Chr. ) Korinther und trieb sie, obgleich mit Anstrengung, zurück. Diese zogen sich weichend gegen eine Mauer, und da die ganze Gegend abschüssig ist, warfen sie von ihrer höheren Stellung herab mit Steinen; dann stimmten sie den Schlachtgesang an und gingen wieder zum Angriff, und da die Athener Stand hielten, kam es wieder zum Handgemenge. Da kam aber eine Korinthische Abtheilung ihrem linken Flügel zu Hülfe, brachte den rechten der Athener zum Weichen und drängte sie bis an das Meer hin. Nun machten aber die Athener und Karystier bei den Schiffen wieder Kehrt und gewannen wieder Raum. Auf den übrigen Punkten kämpfte das Heer beiderseits ununterbrochen, besonders suchte sich der rechte korinthische Flügel unter Lykophron des linken der Athener zu erwehren, denn sie befürchteten, derselbe möchte einen Versuch gegen das Dorf Solygea machen.

Lange Zeit hielten hier beide Theile Stand und keiner wollte dem andern weichen, dann aber, weil den Athenern die Mitwirkung ihrer Reiterei zu Statten kam, während jene nicht Ein Pferd hatten, flohen die Korinther und zogen sich nach dem Hügel, wo sie sich unter den Waffen aufstellten nnd nicht mehr herunter kamen, sondern ruhig stehen blieben. Bei dieser Niederlage des rechten Flügels fielen seitens der Korinther die Meisten und darunter auch Lykophron der Feldherr. Als der übrige Theil ihres Heeres, wie oben erzählt, geworfen winde, ohne gerade scharf verfolgt zu werden und schnell zu fliehen, zog er sich auch auf die Anhöhe und nahm dort Stellung. Die Athener aber, da jene das Gefecht nicht mehr aufnahmen, zogen den gefallenen Feinden die Waffenrüstung aus, hoben ihre eigenen Todten aus und errichteten auch sogleich ein Siegeszeichen. — Jene Hälfte der Korinther nun, die zur Bewachung in Kenchrea zurückgeblieben war, damit die Athener nickt gegen Krommyon segelten, hatte wegen des Oneischen Gebirges von der Schlacht Nichts gemerkt; als sie aber den Staub aufsteigen sahen und Meldung erhielten, rückten sie sogleich zur Unterstützung heran. Da nun die Athener diese gesammte Macht anrücken sahen und glaubten, es komme Zuzug aus den benachbarten peloponnesischen Städten, zogen sie sich in Eile auf ihre Schiffe zurück, indem sie die Waffenbeute und ihre Todten mit sich führten, ausgenommen zwei, die sie dort ließen, weil sie dieselben nicht hatten aufsinden können. Nachdem

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sie sich eingeschifft, fuhren sie nach den naheliegenden Inseln und [*]( 425 v. Chr. ) holten unter dem Schutze eines Waffenstillstandes die Todten, die sie zurückgelassen, durch den Herold ab. Von den Korinthern waren in dieser Schlacht geblieben zweihundertundzwölf, von den Athenern etwas weniger als fünfzig Mann.

Von den Inseln aus gingen die Athener noch desselbigen Tages unter Segel gegen das Korinthische Krommyon, welches von der Stadt hundert und zwanzig Stadien entfernt liegt. Hier legten sie sich vor Anker, verwüsteten das Land und blieben die Nacht über da. Des folgenden Tags schifften sie längs der Küste zuerst gegen Epidauria, und nachdem sie dort eine Landung veranstaltet, nach Methone, das zwischen Epidauros und Trözen gelegen ist. Hier besetzten sie die Kehle der Halbinsel, auf welcher Methone liegt, und verschanzten sie. Dort ließen sie eine Besatzung und plünderten dann eine Zeit lang das Gebiet von Trözen und Halias und Epidauria. Als dann die Verschanzung ausgebaut war, ging die Flotte wieder nach Haus.

Um dieselbe Zeit, als dieß vorfiel, waren auch Eurymedon und Sophokles, nachdem sie mit den für Sicilien bestimmten Schiffen der Athener von Pylos abgefahren waren, in Kerkyra angekommen und mit den Kerkyräern aus der Stadt gegen die auf dem Berge Jstone Verschanzten ausgezogen, welche sich damals nach dem Aus-bruch der Zwistigkeiten hier festgesetzt hatten und von da ans das platte Land beherrschten und vielen Schaden thaten. Deren Verschanzung nun nahmen sie durch Berennung; die Leute darin aber flüchteten sich Alle insgesammt auf einen hochgelegenen Punkt und ergaben sich dann unter der Bedingung, daß sie ihre Hülsstruvpen und ihre eigenen Waffen ausliefern sollten, über ihre eigenen Personen aber sollte das Volk der Athener entscheiden. Unter dem Schutze dieses Vergleiches ließen die Feldherrn die Männer in ein Gewahrsam auf der Insel Ptychia bringen, bis sie dann nach Athen geschickt würden; wenn jedoch unterdessen auch nur Einer von ihnen aus einem Fluchtversuch ertappt würde, so solle der Vergleich Keinen mehr schützen. Nun fürchteten aber die Vorstände der Volkspartei in Ker­ [*]( 25) Vgl. B. in. ss. ) [*]( ThukydideS. IV. ) [*]( 21 )

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[*]( 425 v. Chr. ) kyra, die Athener möchten jene vielleicht am Leben lassen, wenn sie erst dorthin gebracht wären, und setzten daher folgende List in's Werk. Sie überredeten einige von den Männern auf der Insel, indem sie ihnen befreundete Leute hinschickten, mit dem Auftrag, so zu thun, als ob sie aus Theilnahme für sie handelten: es sei für sie das Beste, so schnell als möglich zu entlaufen, wozu sie schon selbst ein Fahrzeug bereit halten würden; denn die athenischen Feldherrn seien Willens, sie der Volkspartei in Kerkyra auszuliefern.

Als sie sie nun wirklich überredet und ein Fahrzeug zur Stelle geschafft hatten, wurden sie im Davonfahren ausgegriffen, damit der Vertrag für gebrochen erklärt und sie Alle den Kerkyräern ausgeliefert. Es waren aber dabei die Feldherrn der Athener nicht in geringem Grade mitbetheiligt, so daß der Betrug sehr glaublich scheinen und die Erfinder des Planes um so unbesorgter zu Werke gehen konnten, denn sie wollten offenbar nicht, daß die Mannschaft von Andern, als ihnen selbst, in Athen eingebracht würde, weil sie ja selbst nach Sicilien segeln mußten, und so Andere die Ehre davon gehabt haben würden.

Nun übernahmen die Kerkyrä'er die Mannschaft, schloffen sie in einem großen Gebäude ein und führten sie später, je immer zwanzig Mann, zur Hinrichtung heraus, mitten durch zwei Reihen von beiden Seiten aufgestellter Schwerbewaffneten, aneinander gebunden und gestoßen und verwundet von den zur Seite Stehenden, wenn Einer grade seines Feindes ansichtig wurde. Dabei gingen auch noch Leute mit Geißeln nebenher, welche die langsamer Gehenden zur Eile trieben.

Aus diese Weise hatten sie schon gegen sechzig Mann herausgeführt und hingerichtet, ohne daß die im Gebäude befindlichen eS wußten; denn sie glaubten, man führe sie nur weg, um sie irgendwo anders unterzubringen. Als sie es aber merkten und ihnen auch Einer Mittheilung machte, so riesen sie die Athener an und forderten diese auf, sie selbst sollten sie tödten, wenn sie schon ihren Tod beschlossen hätten. Sie wollten nun nicht mehr aus dem Gebäude gehen und sagten, sie würden auch Niemanden mehr gutwillig herein lassen. Die Kerkyräer machten nun auch gar keinen Versuch, die Thüren mit Gewalt zu erbrechen, sondern stiegen auf das Dach des Gebäudes, rissen die Wölbung aus und warfen mit Backsteinen und schoßen mit P seilen

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herunter. Jene nun schützten sich dagegen, so gut sie konnten, die [*]( 425 v. Chr. ) Mehrzahl aber tödteten sich zu gleicher Zeit selbst, indem sie sich die, Pfeile in den Hals stießen, welche jene herabgeschossen hatten, oder sich an den Bettstellen erhängten, welche dort vorhanden waren, wobei sie sich aus den Bettgurten oder ihren eigenen Kleidungsstücken Schlingen machten. Indem sie so die ganze Nacht hindurch — denn diese war über der unheilvollen That eingebrochen — theils sich selbst tödteten, theils von denen oben niedergestreckt wurden, kamen Alle um's Leben. Und als es Tag geworden war, warfen die Kerkyräer sie schichtenweise auf Wägen und führten sie vor die Stadt. Die Weiber, so viele ihrer in der Verschanzung gefangen worden waren, gaben sie in die Sklaverei. Auf diese Weise wurden die Kerkyräer von dem Berge durch die Volkspartei vernichtet, und der Bürgerkrieg, der so furchtbar ausgeartet, war damit — für die Zeit dieses Krieges wenigstens — zn Ende; denn was von der aristokratischen Partei noch übrig blieb, war nicht mehr der Rede werth. — Die Athener aber segelten nach Sicilien, wohin sie von vorn herein bestimmt waren, und führten dort den Krieg in Verbindung mit den Buntesqenossen.

Die Athener in Naupaktos unternahmen, als der Sommer zu Ende ging, mit den Akarnanern einen Zug gegen die Korinthische Stadt Anaktorion, die an der Mündung des amprakischen Busens liegt, und nahmen sie durch Verrath. Die Akarnaner trieben die Korinther aus und besetzten die Stadt nnn selbst durch Ansiedler aus ihren sämmtlichen Städten. Damit ging der Sommer zu Ende.

In dem folgenden Winter glückte es dem Aristides, des Archippos Sohn, einem der athenischen Anführer, welche zur Steuererhebung bei den Bundesgenossen herumgesandt wurden, in der Stadt Eion am Strymonflusse den Perser Artaphernes in seine Gewalt zu bekommen, der in Sendung seines Königs nach Lakedämon reisen wollte. Er selbst wurde nach Athen gebracht und seine Papiere aus der Assyrischen Schrift^) verdolmetscht und von den Athenern gelesen. Unter vielem Andern, was darin geschrieben tsand, war das [*]( 26 ) Heeren versteht darunter K eilschrift. Doch ist wohl die Assyrische Sprache zu. verstehen (Krüger). ) [*]( 21* )

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[*]( 424 v. Chr. ) Hauptsachlichste dieß: die Lakedämonier seien sich nicht klar, was sie eigentlich wollten; denn von den vielen Gesandten, die herübergekommen seien, habe keiner dasselbe gesagt, wie seine Vorgänger; wenn sie nun ihre Absichten deutlich aussprechen wollten, so sollten sie mit dem Perser Leute an ihn absenden. Den Artaphernes ließen die Athener später auf einem Dreiruderer nach Ephesos bringen und mit ihm Gesandte abgehen. Als diese aber dort erfuhren, der König Artaxerxes, des Xerxes Sohn, sei kürzlich gestorben, — und in der That war er um jene Zeit verschieden — so kehrten sie nach Haus zurück.

Im Laufe desselben Winters rissen die Chier^) auf Befehl der Athener ihre neu erbaute Mauer nieder, denn diese vermutheten, die Chier wollten ihr Verhältniß zu ihnen ändern. Doch schlössen die Chier mit den Athenern einen neuen Vertrag, durch den sie sich möglichst sicher zu stellen suchten, daß diese ihre Verfassung nicht umstürzen sollten. Nun ging der Winter zu Ende und damit das isebente Jahr des Kriegs, den Thukydides beschrieben hat.

Gleich zu Anfang des folgenden Sommers, zu einer Neumondszeit, trat eine theilweise Sonnenfinsterniß ein^), und im Anfang desselben Monats^) fand auch ein Erdbeben statt. Die Flüchtlinge der Mitylenäer und der übrigen Lesbier, welche in der Mehrzahl ihren Waffenplatz am Festland hatten und auch eine Hülfstruppe theils aus dem Peloponnes durch Sold gewonnen, theils aus der dortigen Gegend zusammengezogen hatten, nahmen Nhöteon weg. Danach aber gaben sie es gegen eine Summe von zweitausend Phokäischen Statern wieder heraus, ohne Jemanden ein Leids gethan zu haben. Darauf zogen sie gegen Antandros und nahmen die Stadt mit Beihülfe von Verräthern. Ihr Plan war nämlich, auch die übrigen sogenann- [*]( 27) Vgl. Anm. 3 im lll. Buch, ) [*]( 28) In der siebenten Stunde nach Mitternacht des 2l. März (Krüger). ) [*]( 29) Der Monat Elaphebolion (März) ist gemeint. Zu Anfang deS Monats heißt soviel als in der ersten Dekade (Kr.), d. i. Zeitraum von zehn Tagen (wie solche auch die französische Revolution an die Stelle der Wochen von 7 Tagen setzen wollte). — Der attische Monat von 2v/z^ Tagen zerfiel eigentlich nur in zwei Abtheilungen: den aufsteigenden Mond vom l. bis 20. und den absteigenden (PAt/'o^rot) vom 2l. bi» es. oder so. )

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ten aktäischen Städte 3°), welche früher unter Mitylenäischer Verwal- [*]( 424 v. Chr. ) tung den Athenern gehorcht hatten, zu befreien, vor allen andern aber Antandros, und diese Stadt zu einem starken Platze zu machen; denn da es leicht war, hier Schiffe zu bauen, weil die Gegend Hölzer liefette, auch das Jdagebirge in der Nähe und sonstige Mittel bereit waren, so hielten sie es für leicht, von hier aus das naheliegende Lesbos zu gefährden und sich die Aeolifchen Städtchen auf dem Festland zu unterwerfen. Diese nun gingen daran, solche Dinge in's Werk zu setzen.

Im selben Sommer zogen die Athener aus sechzig Schiffen und mit zweitausend Schwerbewaffneten und einigen Reitern gegen Kythera aus. Von den Bundesgenossen führten sie Milesier mit und einige andere. Anführer waren dabei Nikias, des Nikeratos Sohn, Nikostratos, Sohn des Diotrephes, und Autokles, des Tolmäos Sohn. Kythera aber ist eine Insel und liegt vor Lakonika, Malea gegenüber. Es wohnen darauf Lakedämonier aus der Klasse der Beisitzer, und jährlich kam von Sparta ein Oberbeamter herüber, der „Kytherodikes"; auch hielten sie dort beständig eine Besatzung von Schwerbewaffneten und trafen überhaupt mancherlei Vorsorge; denn dort legten die Frachtschiffe bei, welche von Aegypten und Libyen kamen; auch wurde dadurch die Möglichkeit beschränkt, daß Lakonika von der Seeseite her, wo dem Lande einzig beizukommen war, durch Seeräuber Schaden litt; denn die Insel erstreckt sich vom Sikelischen bis zum Kretischen Meere.

Als die Athener mit dem Heere gelandet waren, besetzten sie die an der See gelegene Stadt Skandeia mit zehn Schiffen und zweitausend Milefischen Schwerbewaffneten; das übrige Heer ließen sie an dem Küstentheil der Insel an's Land steigen, der Malea gegenüber liegt, und marschirten gegen die Stadt der Kytherier ^ebenfalls an der See gelegen^, und fließen sehr bald aus diese, die mit ihrer gestimmten Macht da lagerten. Als es zum Gefecht kam, hielten die Kytherisr zwar eine Weile Stand, dann aber wandten sie um und [*]( 30 ) Aktäifche, d. i. Küstenstädte, hießen die von LeöboS und Kyme aus am JdaGebirge in der Landschaft Troas gegründeten Kolonien, Antandros, Gargara, AsfoS u. a. — Zur Strafe des Abfalls verboten die Mithlenäer diesen Städten, ihre Kinder künftig Schrift und Musik lehren zu lassen. )

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[*]( 424 v. Chr. ) flohen nach der obern Stadt 3Später gingen sie einen Vergleich mit Nikias und den andern Feldherrn ein, wonach sie die Entscheidung über sich den Athenern anheimstellten, nur todten dürften sie sie nicht. Es waren aber auch schon früher zwischen Nikias und Einigen der Kytherier Verabredungen getroffen worden, weßhalb auch sowohl für den Augenblick, als für die Zukunft die Vergleichssache schneller und vortheilhafter für sie abgemacht wurde; denn sonst hätten die Athener wohl die Kytherier von dort wegversetzt, weil sie Lakedämonier waren und die Insel so dicht vor Lakonika lag. Nachdem der Vergleich abgeschlossen war, und die Athener Skandeia, das Städtchen am Hafen, besetzt, wie auch eine Besatzung nach Kythera gelegt hatten, segelten sie gegen Asine und Helos und die meisten andern Plätze am Meer, machten Landungen, verblieben auch über Nacht, wo die Gelegenheit dazu war, und verwüsteten das Land ungefähr sieben Tage lang.

Obgleich nun die Lakedämonier sahen, wie die Athener Kythera besetzt hielten, und erwarteten, daß sie auch an ihrer Küste solche Landungen veranstalten würden, so stellten sie sich doch an keinein Punkte mit ihrer Gesammtmacht gegen sie auf, sondern vertheilten eine Zahl Schwerbewaffneter durch das Land, überall je nach Bedarf; und auch sonst waren sie sehr aus ihrer Hut und fürchteten, es möchte eine Umwälzung ihrer ganzen inneren Verhältnisse eintreten, da das große und ganz unerwartete Unglück auf der Insel ^Sphakteria^ sie betroffen hatte, Pylos und Kythera im Besitz des Feindes waren und von allen Seiten die Gefahren plötzliches und unabwendbares Kampfes sie umdrohten. Daher errichteten sie auch gegen ihre Gewohnheit eine Truppe von vierhundert Reitern und Bogenschützen und waren, wenn irgend jemals, so jetzt im höchsten Grade widerwillig gegen Kriegsunternehmungen, da sie sich ganz gegen die hergebrachte Art [*]( 31) Kythera (Cerigo, jetzt zu den jonischen Inseln gezogen). Unter der oberen Stadt versteht Krüger die eigentliche Stadt Kythera, im Gegensatz zu Stand ein, dem Hasenorte; denn daß die Stadt der Kytherier neben einer oberen Stadt auch außer Skandeia einen Hasenvrt gehabt, sei nach dem Wortlaute zu Ende diese? Kap. nicht wohl anzunehmen. — Indessen hatte die Insel nach Skylar 38 allerdings zwei Häsen. — Wegen deS Kap. 53 erwähnten Verkehrs mit Aegypten, woher Getreide eingeführt wurde, vgl. VIII, 35 (Kr.). )

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ihres Kriegswesens in einen Seekampf verwickelt sahen, und dazu [*]( 424 v. Chr. ) gegen Athener, welche in jedem nicht unternommenen Wagestück einen l Abgang an Erfolg sahen, den sie nach ihrer Meinung hätten erreichen können. Auch hatten die in kurzer Zeit zahlreich und gegen alle Berechnung eingetretenen Unfälle sie in die größte Bestürzung versetzt, und sie waren immer in Furcht, daß wieder ein solches Unglück, wie das auf der Insel, über sie hereinbreche. Deßhalb war ihnen der Muth zum Kämpfen gesunken, und was sie nur angriffen, damit glaubten sie einen Mißerfolg zu haben, weil sie wegen ihrer früheren Unbekanntheit mit schlimmen Erfahrungen jetzt in ihrer Meinung von sich selbst die Sicherheit verloren hatten, die das Gelingen verbürgt.

Gegenüber den Athenern, welche damals ihr Küstengebiet verwüsteten, verhielten sie sich meist unthätig, wo die Landung im Bereiche irgend eines Besetzungspostens geschah; denn diese hielten sich Alle für zu schwach an Zahl, zumal bei solcher Stimmung; nur eine Besatzung, die eben Kotyrta und Aphrodisia vertheidigte, jagte den zerstreuten Haufen der Leichtbewaffneten im Anlauf in die Flucht; als sich aber das schwere Volk ihnen entgegenstellte, wichen sie wieder zurück, und da ihnen einige Mann fielen und auch Waffen erbeutet wurden, so stellten die Athener ein Siegeszeichen auf und fuhren wieder nach Kythera. Von dort aus kreuzten sie dann gegen das Limerifche Epidauros, verheerten einen Strich des Gebietes und gingen dann nach Thyrea, welches zu der sogenannten Landschaft Kynuria gehört und aus der Gränze zwischen Argos und Lakonika liegt. Die Lakedämonier, Herren des Landes, hatten es den ausgetriebenen Aegineten zum Bewohnen gegeben, weil ihnen diese zur Zeit des Erdbebens, das sie heimsuchte, und des Helotenaufstandes Freundschaftsdienste geleistet und sich, obgleich Unterthanen der Athener, doch immer ihrer Partei zugeneigt hatten

Während nun die Athener noch im Ansegeln begriffen waren, ließen die Aegineten das Bollwerk, mit dessen Ban sie eben beschäftigt waren, im Stich und zogen sich landeinwärts nach der Stadt zurück, in der sie wohnten und die ungefähr zehn Stadien vom Meere abliegt. Einer der Lakedämonischen Posten in der Gegend, welcher [*]( 32) Vgl. II. 27. )

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[*]( 424 v. Chr. ) auch an der Verschanzung bauen half, wollte, trotz der Bitte der Aegineten, nicht mit in die Stadt ziehen, sondern es schien ihnen gefährlich, sich hinter die Mauer sperren zu lassen. Sie zogen sich also auf die Anhöhen zurück und verhielten sich unthätig, da sie sich nicht stark genug glaubten, das Gefecht annehmen zu dürfen. Unterdessen waren die Athener schon gelandet, marshcirten sogleich mit ihrer ganzen Macht an, nahmen Thyrea, verbrannten die Stadt und plünderten, was darin war. Die Aegineten, soviel ihrer nicht im Handgemenge gefallen waren, führten sie nach Athen und mit ihnen auch den lakedämonischen Stadthauptmann, der bei ihnen war, Tantalos, den Sohn des Patrokles, der verwundet gefangen genommen wurde. Auch aus Kythera führten sie einige Männer mit sich, die ihnen der Sicherheit wegen gut dünkte anderswo unterzubringen. Diese letzteren beschlossen die Athener zur Ueberwachung auf die Inseln zu geben, die übrigen Kytherier sollten aus ihrem Grund und Boden wohnen bleiben und eine Steuer von vier Talenten zahlen; alle gefangenen Aegineten aber beschlossen sie, wegen der von jeher vererbten Feindschaft, hinzu- richten und den Tantalos bei den andern Lakedämoniern von der Insel (Sphakteria) in Ketten zu verwahren.

Desselbigen Sommers kam auf Sicilien zuerst zwischen denen von Kamarina und von Gela eine gegenseitige Waffenruhe zu Stande. Danach traten auch die andern Sikelioten, aus jeglicher Stadt Gesandte, in Gela zu Unterhandlungen zusammen, ob sie eine Aussöhnung zu Wege brächten. Es wurde nun gar manche Meinung dafür und dawider ausgesprochen, indem die gegenseitigen Beshcwerden und Ansprüche dargelegt wurden, je nachdem Einer glaubte, daß er zu Schaden gekommen sei; Hermokrates aber, Sohn des Hermon, der Syrakusier, der auch sonst am meisten bei ihnen vermochte, hielt zu der allgemeinen Versammlung die folgende Rede:

„Ich trete hier auf, o Sikelioten, als Bürger einer Stadt, die weder zu den kleinsten gehört, noch auch im Kriege sehr im Nachtheil war, und will euch meine Meinung darlegen, wie ich glaube, daß sie für ganz Sicilien den größten gemeinsamen Nutzen einschließt. Wozu sollte nun Einer, um alle Leiden des Krieges abzuschildern, vor Männern, die das selbst wissen, viele Worte machen? Denn eS gibt unter uns weder solche, die sich aus Unkenntniß des Krieges dazu hin

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reißen, noch auch solche, die sich durch Furcht davon zurückhalten las- [*]( 424 v. Chr. ) sen, wenn sie dabei zu gewinnen glauben. Es kommt aber vor, daß Manche dem erwarteten Vortheil gegenüber die Gefahr unterschätzen, und daß Andere die Gefahren des Kriegs heraufbeschwören, um nur nicht einen augenblicklichen kleinen Nachtheil zu erleiden. Beides jedoch kann sehr zur Unzeit geschehen, und in diesem Falle können Aufforderungen zur Aussöhnung von Nutzen sein. Und auch für uns, wenn wir uns hievon überzeugen, möchte das das Vortheilhafteste sein. Weil wir ein jeder Staat seine eigene Sache auf'S Beste zu fördern dachten, haben wir den Krieg begonnen, und aus demselben Grunde suchen wir jetzt durch Unterhandlungen eine Aussöhnung herbeizuführen, und wenn es nicht so ausgeht, daß sich Jeder seines billigen Rechtes theilhaftig geworden glaubt, so werden wir den Krieg fortsetzen."