History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Wahrmund, Adolf, translator. Stuttgart: Krais and Hoffmann, 1864.

So redeten die Platäer. Die Thebaner aber, aus Furcht, die Lakedämonier möchten auf die Rede jener weich werden, traten auch vor und sagten, sie selbst wollten auch eine Rede halten, da auch jenen wider ihr Erwarten länger das Wort gestattet worden sei, als zur Beantwortung der Frage nöthig war. Als jene nun sie reden hießen, so sprachen sie wie folgt:

„Wir hätten nicht verlangt, eine Rede halten zu dürfen, wenn auch jene aus die gestellte Frage in Kürze geantwortet und nicht, gegen uns sich wendend, Anklagen erhoben und von der Sache abschweifend sich selbst vertheidigt hätten, wo Niemand sie anklagte, und gelobt, wo Niemand sie getadelt hat. Wir haben nun dem Einen zu widersprechen und den Ungrund des Andern zu beweisen, damit weder unsere angebliche Bosheit ihnen zu Statten komme, noch auch ihre hohe Einbildung von sich selbst, sondern ihr über beides die Wahrheit höret und danach entscheidet. Wir geriethen mit ihnen zuerst damals in Zwist, als wir nach dem Anbau des ganzen übrigen Böotiens Platäa gründeten und zugleich damit auch einige andere Plätze, die wir in Besitz genommen, nachdem wir die Bewohner, Leute aus allerlei

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Volk zusammengelaufen 32), ausgetrieben hatten. Da wollten nun [*](427 v. Chr. ) diese nicht, wie es zuerst ausgemacht worden war, sich unserer Ober-i leitung unterwerfen, sondern mit Verachtung der väterlichen Weise sich von den andern Böotiern gesondert halten, und als dann Zwang angewendet wurde, traten sie zu den Athenern über und haben uns vielen Schaden zugefügt, der ihnen dann auch wieder heimgegeben wurde."

„Zur Zeit aber, als der Barbar gegen Hellas heranzog, sagen sie, hätten von allen Böotiern sie allein es nicht mit den Medern gehalten, und damit brüsten sie sich selbst am meisten und machen uns eine Schande daraus. Freilich nun, geben wir zur Antwort, hielten sie nicht mit den Medern, weil eben die Athener es auch nicht thaten; dafür haben sie aber, als später auf dieselbe Weise die Athener gegen die Hellenen auszogen, von allen Böotiern allein es mit den Athenern gehalten. Und nun überlegt einmal, in welcher Versassung unsere beiden Staaten waren, als der eine und der andere jenes thaten! Unsere Stadt wurde damals weder oligarchisch mit sonst gleichen Rechten für die Bürger regiert, noch auch in demokratishcer Weise, sondern es lenkten, was von einem gesetzlichen nnd maßvollen Zustande am weitesten abliegt und der Tyrannis am nächsten steht, wenige Männer mit gewaltsamer Herrschaft die Regierung. Und diese hofften zu eigenem Vortheil die Zügel noch stärker fassen zu können, wenn erst der Meder gesiegt hätte, und darum führten sie ihn in's Land herein, indem sie das Volk mit Gewalt im Zaum hielten. Es war also nicht die Gesammtheit der Bürger, die dieß thaten, denn es fehlte die freie Selbst- bestimmung; und es ist nicht Recht, ihnen daraus einen Vorwurs zu machen, da doch nur während eines gesetzlosen Zustandes der Fehler begangen wurde. Vielmehr muß man untersuchen, wie wir uns später benahmen, als dann der Meder abzog und wir unsere gesetzmäßige Verfassung wieder erhielten. Als da die Athener heranzogen und wie das übrige Hellas so auch unser Land zu unterwerfen versuchten, und sie bei dem herrschenden Parteizwist auch schon einen großen Theil desselben genommen hatten, haben wir da nicht bei Koronea mit [*]( 33) Hyanter, Thraker, Pelasgcr. Strabo S, 2. S. 401. vgl- Thuk. I. 12. ) [*]( 34') Vgl. l. 113 und II. 2. ) [*]( Thukydides. III. ) [*](16)

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[*]( 427 v. Chr­ ) ihnen gekämpft und sie geschlagen und so Böotien frei gemacht? Und helfen wir jetzt nicht eifrig zur Befreiung der Andern mit und stellen Reiter und Kriegsrüstung, wie sonst keiner der Bundesgenossen?"

„So viel sei zu unserer Rechtfertigung gesagt, warum wir auf Seiten der Perser standen. Jetzt aber wollen wir zu beweisen suchen, daß ihr Platäer den Hellenen viel größeres Unrecht zugefügt habt und jede noch so harte Züchtigung viel eher verdient als wir. Um euer Recht gegen uns zu wahren, so sagt ihr, wäret ihr Bundesgenossen und Bürger^) der Athener geworden. Nun, dann hättet ihr sie ja nur gegen uns zu eurer Hülfe herbeiziehen dürfen, und nicht mit ihnen gegen Andere zu Felde ziehen; denn dieß stand ja in eurem Belieben, auch sofern ihr von den Athenern gegen euren Willen wozu gezwungen werden solltet, da ja bereits der Lakedämonische Waffenbund gegen den Perser vorhanden war, auf den ihr euch in eurer Vertheidigung immer beruft. Denn derselbe genügte, euch vor unserem Angriffe zu schützen und, was da? Bedeutendste ist, euch Sicherheit der freien Berathung und Entschließung zu gewähren. Aber freiwillig und nicht mehr gezwungen habt ihr lieber die Partei der Athener gewählt. Nun sagt ihr weiter, es sei schimpflich, seine Wohlthäter zu verrathen; ja, aber viel schimpflicher und ungerechter war es, die Gesammthellenen zu verrathen, zu denen ihr doch geschworen hattet, als die Athener allein, denn diese wollen Hellas knechten, jene aber es frei machen. Sodann ist die Art, wie ihr eure Dankbarkeit zeigt, der Natur der Wohlthat nicht entsprechend, denn ihr habt sie zu Hülfe gernfen, wie ihr sagt, weil euch selbst Unrecht geschah, und doch habt ihr jenen selbst mitgeholfen, Andern Unrecht anzuthun. Oder ist es etwa schimpflicher, einen entsprechenden Dank gar nicht abzustatten, als einen solchen, den man zwar um der Sache der Gerechtigkeit willen schuldig geworden ist, aber nur unter Verletzung der Gerechtigkeit abstatten kann?" [*]( 35) Das hier erwähnte Bllrgerthum kann sich nur daraus beziehen, daß dem 427 eingetretenen Vollbürgerrecht vielleicht die Erlaubniß der Wechselheirathen zwischen Platäern und Athenern, oder auch Isopolitie, d. i. Bürgerrecht zweiten GradeS, ohne Stimmrecht und Anspruch auf Aemter, voranging. )

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„Dadurch habt ihr gezeigt, daß ihr auch damals nicht der [*]( 427 v. Chr. ) Hellenen wegen allein nicht zu den Medern gehalten habt, sondern nur < weil auch die Athener es nicht gethan haben; ihr wolltet eben dasselbe thun wie diese und das Gegentheil von jenen. Jetzt aber verlangt ihr, daß auch von diesen hier die Tapferkeit belohnt werde, die ihr Andern zu Liebe gezeigt habt. Das ist nicht in der Ordnung. Habt ihr die Partei der Athener vorgezogen, so theilt jetzt mit ihnen auch die Gefahr und beruft euch nicht immer auf jenen Bundesfchwur, als ob euch der jetzt Rettung bringen sollte. Ihr seid längst davon zurück- getreten und seid ihm untreu geworden, denn ihr habt die Aegineten und andere Eidgenossen lieber unterwerfen helfen, als daß ihr es gehindert hättet, und das aus ganz freier Wahl und indem ihr eure freie Verfassung hattet, wie sie noch jetzt ist, und Niemand euch zwang, wie es uns geschah. Habt ihr doch noch die letzte Aufforderung vor eurer Einschließung, daß ihr euch ruhig verhalten solltet und keiner von beiden Parteien zu helfen brauchtet, zurückgewiesen! Wen träfe nun der Haß aller Hellenen gerechter als euch, die ihr zum Verderben jener eure Tapferkeit gezeigt habt? Und wenn ihr einmal Bravheit an den Tag gelegt habt, wie ihr sagt, so habt ihr jetzt gezeigt, daß das nicht eure eigentliche Natur war; wonach aber diese immer begehrte, das ist nun in seiner wahren Gestalt an's Licht gebracht; denn ihr seid mit den Athenern den Weg der Ungerechtigkeit gewandelt. Was es mit unserer unfreiwilligen Perser- und eurer freiwilligen Athenerfreundfchaft für eine Bewandtniß hat, haben wir hiemit dargethan."

„Was nun unser letztes Unrecht gegen euch betrifft, daß ihr nämlich sagt, wir seien wider alles Recht mitten im Frieden und zur Zeit des Neumondfestes gegen eure Stadt gezogen, so glauben wir auch hierin nicht schuldiger zu sein als ihr selbst. Sind wir aus eigenem Antriebe fechtend gegen eure Stadt gerückt und haben, wie Feinde zu thun pflegen, euer Land verwüstet, so sind wir schuldig; wenn aber Männer, die durch Reichthum und Geschlecht unter euch die ersten waren, in der Absicht, euch von dem auswärtigen Waffenbündniß abzubringen und zum gemeinsamen Bunde der Gesammtböoten zurückzuführen, uns aus freiem Antrieb ihrerseits herbeigernsen haben, [*]( 36) Vgl. II. 2. ) [*]( 16* )

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[*]( 427 v. Chr. ) worin besteht dann unser Unrecht? Da ist doch die Schuld eher auf Seiten der Führer als bei denen, die nur folgen. In der That aber haben nach unserem Urtheil weder jene gefehlt, noch auch wir. Sie waren Bürger so gut als ihr und haben mehr als ihr auf's Spiel gesetzt, als sie uns die Thore öffneten. Und indem sie uns in freundlicher , nicht in feindlicher Absicht in eure Stadt brachten, wollten sie nur die Schlechteren unter euch hindern, noch schlechter zu werden, und die Besseren in die verdienten Rechte einsetzen. Sie wollten eure Einsicht zur Vernunft lenken und die Stadt keineswegs ihrer Bürger berauben, sondern sie nur der eigenen Stammverwandtshcaft zurückgeben und euch mit Niemanden verfeinden, sondern mit allen Parteien gleich freundlich stellen."

„Daß wir aber nicht als Feinde aufgetreten sind, zeigt unser Benehmen: Nicht nur daß wir Niemanden ein Leids angethan, haben wir vielmehr von vorn herein verkündet, wer eine Staatsverfassung nach der väterlichen Weise aller Böotier wolle, der möge zu uns treten. Ihr fügtet euch dem auch ganz willig, gingt einen Vergleich mit uns ein und verhieltet euch anfangs ruhig; dann aber, als ihr merktet, daß unser nur Wenige seien, da, anstatt Gleiches mit Gleichem zu vergelten — obgleich unser Verfahren allerdings etwas aufdringlich war, da wir nicht mit Bewilligung der Menge in die Stadt gekommen waren — und anstatt uns gütlich zum Abzug zu bereden, seid ihr plötzlich zu Thätlichkeiten geschritten, habt uns dem Vergleiche zuwider angegriffen und im Handgemenge Viele von uns getödtet. Und das könnten wir noch leichter vershcmerzen, denn jene haben in gewissem Sinne Gerechtes erlitten. Daß ihr aber die Andern, welche die Hände flehend emporstreckten und die ihr auch gefangen nahmt, eurem Versprechen, Keinen mehr zu tödten, zum Trotz hinterdrein dennoch hingerichtet habt, ist das nicht eine gottlose That? Und damit habt ihr euch in einer kurzen Spanne Zeit dreifach verfehlt, durch den Bruch des Vergleichs, durch die nachherige Hinrichtung der Männer, und dann, weil ihr uns mit dem Versprechen hintergangen habt, sie nicht tödten zu wollen, wenn wir euch an eurem Besitz auf dem Lande nicht schädigten. Und trotzdem behauptet ihr noch, wir seien die Schuldigen, und verlangt, für euer Theil, von aller Sühne losgesprochen zu werden. Nein, das wird nicht geschehen, wenn anders diese

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Männer hier ein gerechtes Urtheil fällen. Ihr sollt für Alles zumal [*]( 427 v. Chr. ) büßen."

„Ueber diese Dinge, ihr Lakedämonier, haben wir uns deßhalb und sowohl euret- als unsertwegen ausgelassen, damit ihr wisset, daß ihr sie mit vollem Recht zum Tode verurtheilen werdet, und daß wir mit noch heiligerem Rechte Rache an ihnen gesucht haben. Laßt euer Ohr nicht rühren durch Tugenden einer vergangenen Zeit, wenn dergleichen je wirklich vorhanden waren. Solche sollen den Bedrückten zu Statten kommen, denen aber, die schändlich handeln, müssen sie Verdoppelung der Strafe wirken, weil sie sich in einer Weise vergangen haben, wie es ihrer Art nicht geziemte. Auch ihr Winseln und Wehklagen darf ihnen nichts nützen, noch daß sie ein Geschrei anheben von den Gräbern eurer Väter und der Verödung ihrer Stadt. Wir weisen dagegen auf die Blüthe unserer Bürger hin, die viel Schrecklicheres leiden und von der Hand dieser den Tod nehmen mußten. Das waren diejenigen, deren Väter theils bei Koronea fielen, indem sie Böotien euch zubrachten, theils nun, alt und verlassen im verödeten Haus, mit viel mehr Recht euch flehend nahen, ihnen an diesen hier Rache zu, schaffen. Des Mitleids sind würdiger die, welche Unverdientes leiden mußten; wen aber die Gerechtigkeit schlägt, wie diese hier, verdient im Gegentheil eher, daß man sich darüber freue. Ihre jetzige Verlassenheit haben sie nur sich selbst zuzuschreiben; denn sie haben freiwillig die besseren Bundesgenossen von sich gestoßen. Ohne vorher beleidigt zu sein, haben sie widerrechtlich gegen uns gehandelt und dabei mehr ihrem Hasse als der Billigkeit Gehör gegeben, so daß ihre Strafe jetzt kaum ihrem Verbrechen gleichkommen wird. Denn sie werden nach dem Gesetze leiden und nicht, wie sie sagen, als solche, die im Kampfe die Hände flehend emporgehoben, sondern die sich unter der Bedingung ergeben haben, nach dem Gesetze gerichtet zu werden. Schaffet nun auch, ihr Lakedämonier, Sühnung dem Gesetze der Hellenen, das von diesen übertreten wurde, und uns, die wir wider alles Recht gelitten, stattet den schuldigen Tank ab für den Eifer, den wir gezeigt haben. Laßt unsere Sache in eurem Urtheil nicht durch dieser Leute Redekünste aus dem Feld schlagen, sondern gebt den Hellenen ein Beispiel, daß ihr nicht Wettkämpfe der Worte wollt, sondern die Thaten. Sind diese brav, so genügt kurze Meldung,

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[*]( 427 v. Chr. ) faulen Thaten freilich müssen kunstvoll geschlungene Reden einen Schleier umhängen. Wenn ihr aber als Häupter des Bundes, wie jetzt, so in jedem Falle euer Urtheil nach den entscheidenden Thatsachen kurz fällt, so wird es Einer künftig eher bleiben lassen, zur Beschönigung ungerechter Thaten schöne Worte zu suchen."

So redeten die Thebaner. Die Lakedämonier aber als Richter glaubten, sie hätten die Frage bereits richtig gestellt, ob sie nämlich während der Dauer dieses Krieges irgend einen Dienst von jenen erfahren hätten — weil sie nämlich schon in der Zeit vor diesem Kriege das Ersuchen an sie gestellt hätten, sich gemäß dem Bunde, den Pausanias nach der Besiegung der Meder mit ihnen geschlossen hatte, ruhig zu verhalten, und weil jene auch später die Anträge, die ihnen vor der Einschließung ihrer Stadt gemacht wurden, nämlich sich jenem Bunde gemäß neutral zu verhalten, nicht angenommen hätten. Demnahc glaubten die Lakedämonier, daß jene wegen Nichterfüllung dieser gere chten Forderung schon nicht mehr als Verbündete zu betrachten seien und überdies; ihnen bereits Schaden zugefügt hätten. Sie ließen also jeden einzeln vorführen und fragten ihn nochmals, ob er den Lakedämoniern und ihren Bundesgenossen während dieses Krieges irgend einen Dienst erwiesen habe, und wie er dieß verneinte, wurde er abseits geführt und hingerichtet. Verschont aber wurde nicht Einer. So starben von den Platäern selbst nicht weniger als zweihundert und dazu sünsuudzwanzig Athener, welche die Belagerung mit ausgehalten hatten; die Weiber verkauften sie als Sklavinnen. Die Stadt selbst gaben die Thebaner ungefähr ein Jahr lang Bürgern von Megara-^) zu bewohnen, die in Folge innerer Zwiste waren ausgetrieben worden, wie auch denjenigen Platäern, die zu ihrer Partei gehalten und noch am Leben waren. Später aber machten sie die ganze Stadt dem Boden gleich und bauten neben dem Tempel der Hera eine Her- [*]( 37) An die Stelle einer ganz entarteten Demokratie und zerrütteter Zustände folgte in Megara schon vor Beginn des Krieges eine oligarchische Regierung, womit der Abfall von der athenischen Bundesgenossenschaft (vgl. l. 103) gegeben war. Zu Anfang des Krieges findet sich eine oligarchische Partei wieder in der Verbannung. Zu diesen werden auch die hier erwähnten Flüchtlinge gehört haben. ) [*]( 38) Dieser Tempel spielte eine Rolle in der Schlacht bei Platäa As, )

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berge von zweihundert Fuß Länge, rings herum und unten und oben [*]( 427 v. Chr. ) mit Gemächern, und verwendeten dazu die Dächer und Thürpfosten der Platäer. Von dem Uebrigen, was sich an Erz und Eisen in der Stadt fand, machten sie Ruhebetten und weihten sie der Hera und bauten dieser auch einen steinernen Tempel von hundert Fuß Länge. Grund und Boden erklärten sie für Gemeindeland und verpachteten es auf zehn Jahre, wovon der Nutzen den Thebanern zufiel. Wie denn wohl auch überhaupt der Thebaner wegen sich die Lakedämonier so hart gegen die Platäer gezeigt haben, weil sie glaubten, jene würden ihnen in dem gegenwärtigen Kriege von Nutzen sein. Dieß Ende nahm es mit Platäa im drei und neunzigsten Jahre, seitdem sie Bundesgenossen der Athener geworden waren (519 v. Chr. G.)>

Die vierzig Schiffe der Peloponnesier indessen, welche den Lesbiern zu Hülfe gekommen waren, wurden damals auf ihrer Flucht auf der hohen See von einzelnen athenischen Schiffen verfolgt. Dann trieb sie ein Sturm an die Küste von Kreta und von hier gelangten sie einzeln nach dem Peloponnes, wo sie bei Kyllene dreizehn Dreiruderer der Leukadier und Amprakioten antrafen und dabei des TelliZ Sohn Brasidas, der dem Alkidas als Mitberather an die Seite gegeben, worden war. Als die Lakedämonier nämlich ihre Unternehmung auf Lesbos gescheitert sahen, so wollten sie ihre Flotte vermehren und nach dem von innern Unruhen heimgesuchten Kerkyra segeln, da die Athener nur mit 12 Schiffen bei Naupaktos standen; und sie wollten sich damit beeilen, damit nicht früher noch eine athenische Flotte zu Hülfe kommen könnte. Und hiezu nun rüsteten Brasidas und Alkidas.

Die Kerkyräer nämlich waren unter sich uneins geworden, nachdem die in den Seeschlachten wegen Epidamnos gemachten Kriegsgefangenen wieder zurückgekommen waren, freigegeben von den Korinthern , wie es hieß, weil sich die Staatsgastfreunde mit einer Summe [*]( Herodot IX, 52. 53. Zu der Hera, die hier verehrt wurde, betete auch PausaniaS im Beginn der Schlacht, als den Spartanern die Opserzeichen nicht günstig ausfallen wollten. Gewiß wurde dieser Tempel, schon wegen der Gräber der Gefallenen in der Nähe, sehr häufig besucht (Herodot IX, 35), weßhalb für Besucher und Wallfahrer die Herberge gebaut wurde, von der hier die Rede ist. )

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[*]( 427 v. Chr. ) von achthundert Talenten für sie verbürgt hätten, in der That aber, weil sie sich von den Korinthern hatten bereden lassen, ihnen Kerkyra wieder zuzuwenden. Und in diesem Sinne wirken sie auch, indem sie die einzelnen Bürger angingen, um sie zum Abfall von den Athenern zu bereden. Als nun sowohl ein attisches, als auch ein korinthisches Schiff Gesandte brachten und diese redend aufgetreten waren, so beschlossen die Kerkyräer, den Athenern zwar dem Vertrage gemäß Bundesgenossen zu bleiben, sich aber auch zu den Peloponnesiern so freundlich zu stellen, wie früher. Nun war dort Peithias, der aus eigenem Antrieb Gastfreund der Athener geworden war und damals zu den Volksvorstehern gehörte. Den führten jene Männer vor Gericht, indem sie behaupteten, er wolle Kerkyra den Athenern unterthänig machen. Er wurde aber freigesprochen und stellte nun seinerseits die fünf reichsten unter jenen Männern vor Gericht, mit der Beschuldigung, daß sie aus dem heiligen Haine des Zeus und des Alkinoos Wein- pfähle gehauen hätten. Jeder Pfahl aber sollte nach dem Gesetz mit einem Stater gebüßt werden. Als nun jene verurtheilt' wurden und wegen der hohen Strafsumme sich als Schutzflehcnde in die Heiligthümer begaben, um zu erlangen, daß sie in selbstgewählten Fristen abzahlen dürften, so setzte es Peithias durch, daß nach der Strenge des Gesetzes verfahren werden sollte, denn er saß auch mit im Rathe. Nach dem Buchstaben des Gesetzes aber durfte ihnen dieß nicht erlaubt werden, und als sie nun auch erfuhren, daß Peithias, so lange er noch im Rathe sitze, das Volk dahin stimmen wolle, der Athener Freunde und Feinde auch für ihre Freunde und Feinde zu erklären, so ermannten sie sich, drangen mit Dolchen bewaffnet plötzlich in die Rathsver« [*]( 39) In den alten Zeiten war das Staatsgastrecht (Proxenie) an die Person des Fürsten geknüpft, an dessen Stelle später die Staatsgemeinde trat. StaatSga st freund einer Stadt war derjenige Bürger eines andern Staates,'welcher aus irgend welchen Beweggründen freiwillig die Pflicht übernahm, die Bürger jener Stadt in seiner eigenen Heimat gastfreundlich aufzunehmen und politisch zu vertreten, wofür ihm der Staat, dessen Bürger er war, wiederum Gastsreund und zweites Vaterland wurde. Dieß Verhältnis; ist also mit unseren Consulaten zu vergleichen, nur daß der Staatsgastfreund von vorn herein nicht Bürger des vertretenen Staates war. Vergl. II. 29. ) [*]( 40) Der Silberstater ist nahezu gleich ! Thlr. pr., der Sold stater das fünffache. )
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sammlung und stießen den Peithias nebst andern Rathsherrn, wie auch [*]( 427 v. . Chr. ) einige sechzig Bürger nieder. Einige wenige von der Partei des Pei» < thias flüchteten sich auf den attischen Dreiruderer, der noch im Hafen lag.

Nachdem jene diese That verübt hatten, riefen sie die Kerkyräer zusammen und hielten ihnen vor, daß das der beste Zustand für sie sei und daß sie so am wenigsten Gefahr liefen, in athenische Knechtschaft zu gerathen: für die Zukunft sollten sie keine der beiden kriegführenden Parteien bei sich aufnehmen, außer wenn sie mir mit einem Schiffe kämen und sich ruhig verhielten; wer mit größerer Macht käme, der solle als Feind behandelt werden. Nachdem sie in diesem Sinne gesprochen, nöthigten sie sie auch, ihren Vorschlag zum Beschlusse zu erheben. Sogleich schickten sie aber auch nach Athen Gesandte, welche theils über das Vorgefallene einen Bericht erstatten sollten, so wie ihn ihr Vortheil erheischte, theils auch die dorthin Geflüchteten überreden, nichts Feindliches zu unternehmen, damit nicht neues Unheil über die Stadt komme.

Als diese nun angekommen waren, so nahmen die Athener wie die Gesandten selbst, so auch diejenigen, welche sich von ihnen hatten umstimmen lassen, als Aufrührer fest und brachten sie nach Aegina. Unterdessen machten sich die, welche in Kerkyra die Oberhand behaupteten, die Ankunft eines korinthischen Dreiruderers und lakedämonischer Gesandten zu Nutz, fielen über die Volkspartei her und besiegten sie im Kampfe. Mit Einbruch der Nacht aber zog sich das Volk nach der Burg und den hoch gelegenen Theilen der Stadt, sammelte sich daselbst und setzte sich fest, bemächtigte sich auch des hylläischen Hafens. Jene aber hielten den Markt besetzt, wo auch die Mehrzahl von ihnen wohnte, und den anstoßenden Hafen, der gegen das Festland zu liegt.

Des folgenden Tags fanden einige Plänkeleien Statt, während beide Theile auf dem Lande umherschickten, um die Sklaven durch Verheißung der Freiheit auf ihre Seite zu bringen. Die Mehrzahl der Sklaven nun trat auf die Seite des Volks, hingegen stießen zu jenen achthundert Mann Hülfsvölker vom Festlande.

Ein Tag verging dazwischen ruhig, dann erhob sich wieder der Kamps und es siegte das Volk, weil es durch seine Stellung stärker und auch an Menge überlegen war. Auch die Weiber halfen bei

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[*]( 427 v. Chr). ihnen tapfer mit, denn sie warfen von den Häusern herab mit Ziegelsteinen und hinten den Lärm ganz wider die weibliche Natur muthig aus. Als aber am späten Abend die Gegner weichen mußten, so fürchteten diese in ihrer Minderzahl, das Volk möchte im ersten Anlauf sich des Schiffswerftes bemächtigen, ihnen auf den Leib rücken und sie alle niederhauen, und darum steckten sie die Familienhäuser rings um den Markt her und die Zinshäuser in Brand, damit jenen der Weg versperrt sei, und sie schonten dabei weder eigenes, noch fremdes Gut, so daß auch viele Waaren der Kaufleute mit verbrannten und die ganze Stadt Gefahr lief, in Asche gelegt zu werden, hätte sich ein Wind erhoben, der die Flamme gegen die Stadtseite hintrieb. Nach Beendigung des Kampfes überließen sich beide Theile der Ruhe und blieben die Nacht über auf ihrer Hut. Das korinthische Schiff aber machte sich, da das Volk gesiegt hatte, in der Stille davon, und auch die Mehrzahl der Hülfsvölker setzte unbemerkt nach dem Festlande über.

Des folgenden Tags kam Nikostratos, des Diitrephes Sohn, der Athener Feldherr, von Naupaktos aus zu Hülse mit zwölf Schiffen und fünfhundert meffenifchen Schwerbewaffneten. Dieser suchte einen Vergleich zwischen ihnen zu Stande zu bringen und überredete sie, sich unter einander dahin zu einigen, daß sie die zehn schuldigsten Männer, die ohnedieß schon geflüchtet waren, verurtheilen, sonst aber sich unter einander verpflichten wollten, jeden andern ruhig da wohnen zu lassen, und gegen die Athener Feind und Freund mit ihnen gemeinsam zu haben. Da er dieß nun zu Wege gebracht hatte, so wollte er wiederum absegeln; aber die Vorsteher des Volkes beredeten ihn, von seinen eigenen Schiffen ihnen fünf da zu lassen, damit sich die Gegner um so weniger rühren möchten; sie wollten ihm dafür eben so viel von ihren eigenen bemannen und mitgeben. Als er nun seine Einwilligung gab, so wählten sie die Bemannung der Schiffe auS ihren Gegnern. Diese fürchteten jedoch, sie möchten nach Athen geschickt werden, und setzten sich als Schutzflehende in den Tempel der Dioskuren. Nikostratos hieß sie aufstehen und gutes Muthes sein, da sie sich aber nicht zureden ließen, so griff das Volk zu den Waffen mit dem Vorwand, daß sie nichts Gutes im Sinne haben könnten, wenn sie sich so mißtrauisch weigerten, mitzusegeln. Sie nahmen ihnen ihre eigenen Waffen aus den Hänsern weg, und würden auch Einige von

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ihnen, die ihnen grade unterkamen, getödtet haben, hätte nicht Niko- [*]( 427 v. Chr. ) stratos dem gewehrt. Da nun me Uebrigen sahen, was geschah, so nahmen sie ihre Zuflucht zum Tempel der Hera als Schutzflehende, und eS waren deren nicht weniger als vierhundert. Das Volk fürchtete aber, sie möchten irgend ein Unheil anrichten, brachte sie durch glückliches Zureden aus dem Tempel und schaffte sie auf die Insel, welche vor dem Heratempel liegt, wohin ihnen auch alles Nöthige geschickt wurde.

Bis zu diesem Grade war der Bürgerzwist gestiegen, da erschienen am vierten oder fünften Tage, nachdem jene Männer auf die Insel gebracht worden waren, die Schiffe der Peloponnesier von Kyllene, welche seit ihrer Abfahrt von Jonien daselbst vor Anker gelegen waren, drei und fünfzig an der Zahl. Alkidas befehligte dieselben, wie auch früher, und Brasidas schiffte als Rathgeber mit. Im Hafen von Sybota am Festlande legten sie bei und segelten dann mit Tagesanbruch auf Kerkyra los.

Dort nun waren Alle in der größten Bestürzung, da sie ebenso sehr die Gegenpartei in der Stadt, wie auch den ansegelnden Feind zu fürchten hatten. Gleichwohl machten sie sechzig Schiffe seefertig und ließen sie gegen den Feind auslaufen, so wie immer eines nach dem andern bemannt war, obgleich die Athener ihnen riethen, sie selbst zuerst auslaufen zu lassen und dann mit allen Schiffen zusammen nachzukommen. So wie nun ihre Schiffe sich dem Feinde vereinzelt näherten, gingen sogleich zwei zu ihm über, auf andern ge-rieth die Bemannung unter einander in Streit, und nirgends geschah etwas nach der Ordnung. Da nun die Peloponnesier die Verwirrung sahen, so stellten sie zwanzig von ihren Schiffen gegen die Kerkyräer aus und wandten sich mit den übrigen gegen die zwölf Schiffe der Athener, unter denen auch die „Salaminia" und die „Paralos" waren.

Die Kerkyrärer nun, welche ungeschickt und in kleinen Abtheilungen angriffen, geriethen auf ihrer Seite sehr in's Gedränge. Die Athener aber, welche die Ueberzahl und Umzingelung fürchteten, griffen nicht in geschlossenem Geschwader an, noch auch faßten sie die feindliche Lchiffsaufstellung in der Mitte, sondern fielen den Flügel an und versenkten ein Schiff. Und als dann jene einen Kreis geschlos-

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[*]( 427 v. Chr). sen hatten, umruderten sie denselben und suchten ihn in Verwirrung zu bringen. Da dieß diejenigen gewahr wurden, die den Kerkyräern gegenüberstanden, so fürchteten sie, es möchte gehen wie bei Naupaktos, und eilten zur Hülfe herbei, und so ruderte nun die gesammte Flotte auf die Atheuer los. Diese ruderten nun rückwärts ohne umzuwenden ^ >) und waren zugleich bedacht, daß die Schiffe der Kerkyräer auf ihrer Flucht einen möglichst großen Vorsprung gewännen, während sie selbst langsam zurückwichen und sämmtliche Gegner gegen sie gewendet wären.

Mit diesem Verlaufe endete die Seeschlacht gegen Sonnenuntergang. Die Kerkyräer nun, aus Furcht, die Feinde möchten als Sieger gegen die Stadt heransegeln und die Leute von der Insel aufnehmen oder ihnen sonst einen Streich spielen, brachten jene von der Insel wieder in das Heraheiligthum und bewachten ihre Stadt wohl. Der Feind wagte es jedoch nicht, gegen die Stadt anzurudern, sondern begnügte sich mit den dreizehn kerkyräischen Schiffen und fuhr nach der Gegend des Festlands zurück, woher sie ausgelaufen waren ^Sybota). Am folgenden Tage wagten sie eben so wenig die Fahrt gegen die Stadt, obgleich dort große Verwirrung und Furcht herrschte und auch Brasidas, wie erzählt wird, dazu aufforderte. Seine Stimme hatte jedoch nicht gleiche Geltung mit der des Alkidas ^). Sie machten dafür eine Landung beim Vorgebirge Leukimne und verwüsteten das Land.