History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Wahrmund, Adolf, translator. Stuttgart: Krais and Hoffmann, 1864.

„Wir dürfen ihnen also weder Hoffnung machen, daß sie durch Ueberredung, noch auch, daß sie durch Geld sich Verzeihung erwirken werden und Nachsicht, als hätten sie nur "menschlich gefehlt. Denn es war ihr eigener Wille, uns zu schaden, und mit Wissen haben sie zu unserem Verderben gearbeitet. Verzeihung verdient aber nur, was ohne böse Absicht geschah. Was ich also das erste Mal verfochten habe, dafür stehe ich auch jetzt ein und sage, daß ihr den bereits gefaßten Beschluß nicht abändern dürft, und daß euch die drei Dinge, die für jede Herrschaft das Gefährlichste sind, Erbarmung, Reiz der Rede und glimpfliche Nachsicht, uicht zu einem Mißgriff verleiten sollen. Mit mitleidigem Erbarmen soll man die Gesinnung Gleichfühlender belohnen und es nicht gegen die verschwenden, die kein Gegenerbarmen fühlen, sondern nothwendig immer uns feindselig sein werden. Und die Redner, die euch durchaus mit schönen Worten eine Freude machen wollen, mögen sich bei minder erheblichen Dingen eine Gelegenheit zum Wettkampf suchen, und nicht da, wo die Stadt einen kurzen Ohrenkitzel schwer wird büßen müssen, während ihnen selbst ihre schönen Worte schöne Summen einbringen^). Glimps- [*]( 27) Wenn hier Kleon von Bestechung der Gegner redet, so kehrt ArlstophaneZ in den Rittern dieselbe Anklage der Bestechung in derselben Sache der Mytilenäer- gegen Aleon. Dort sagt der Wursthändler: So abscheulich, wie du, hat am Volk von Athen Sich noch Keiner versündigt; Belege sind da, Und so wahr ich leb'; ich beweise dir gleich, Daß mit vierzig Minen und mehr du dich ließ'st Von den Mytilenäern bestechen! An andern Stellen Heißt'S: Von Potidäa, läugne mir's, bekamst du zehn Talente! und: WaS iss'st du gern? — Pasteten, galt-gefüllt. )

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[*]( 427 v. Chr. ) liche Nachsicht aber ist mehr gegenüber Solchen am Platz, die sich uns auch in der Zukunft voraussichtlich ergeben bezeigen werden, als gegen solche, die nichts destoweniger unsere Freunde bleiben. Kurz, wenn ihr mir folgt, so handelt ihr gerecht gegen die Mytilenäer und zugleich zu eurem Vortheil; beschließt ihr aber anders, so werdet ihr euch nicht nur den Dank Jener nicht verdienen, sondern auch euch selbst das Verdammungsurtheil sprechen. Denn thaten jene Recht, abzufallen, so käme es euch ja nicht zu, die Herrschaft zu führen. Wollt ihr diese aber, auch wenn sie ungebührlich ist, trotzdem festhalten, so müßt ihr natürlich entweder euren Vortheil wahren und jene bestrafen, oder eure Herrschaft niederlegen und in Frieden und Ruhe die Biedermänner spielen. Entschließt euch also, das euch Zugedachte als Wiedervergeltung gegen sie zu wenden, und zeigt euch, an denen die Gefahr vorübergegangen ist, nicht weniger empfindlich als die, die euch so Schlimmes zugedacht. Bedenkt doch, wie sie ganz gewiß gegen euch verfahren hätten, wenn sie Sieger geblieben wären, zumal sie selbst mit dem Unrecht begonnen haben. Denn wer ohne gerechte Ursache einem Andern Böses anthut, der ruht erst mit dessen Vernichtung, weil er wohl sieht, welche Gefahr ihm droht, [*]( Die später bei PyloS gemachten spartanischen Gefangenen hebt er auf, heißt es, um bei der Auslösung einen Profit für sich zu machen; „Äafsendieb" und „krummfingerig" wird er auch genannt. Bestechlich und unehrlich war er also jedenfalls; doch wäre das Stück mit den Mytilenäern ein sehr starkes: er müßte das Geld bereits in der Tasche gehabt und sich gedacht haben, wenn Alle todt seien, könne kein Kläger auftreten. Dergleichen ist allerdings schon vorgekommen. — Dem Volke zu Gefallen reden und handeln konnte er auch, und wohl besser als diejenigen, denen er es hier zum Vorwurf machte. Aristophanes, Ritter: Er merkt sich gleich des DemoS (Volk) schwache Seiten, Der Hund von einem paphlagonischen Gerber! Duckt sich vor ihm; mit Lecken, Schwänzeln, Schmeicheln Und Lederstückchen fängt er ihn und spricht: „Geh baden, lieber Demos; wohl verdient „Als Richter hast du diese drei Obolen; lGcshcwornen-Sold, den Kleon von 2 auf 3 Obolen erhöht hatteZ „Komm, thu' dir gütlich, iß und trink! Soll ich „Den Imbiß bringen?" — Und dann rapst er weg, Was wir gekocht, u. s. w. )
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so lange der Feind noch auf den Füßen steht, und mit Recht, denn [*]( 427 v. Chr. ) wer nur aus Uebermuth unnöthigerweise mißhandelt wurde, ist, wenn er der Gefahr entgangen ist, viel erbitterter als der Feind gegenüber dem offenen Feinde. Werdet also nicht Verräther an euch selbst! Bringt euch die Vorstellung möglichst nahe, was ihr hättet zu leiden gehabt, und wie ihr eure letzten Kräfte aufgeboten haben würdet, ihrer Meister zu werden. Uebt nun die Wiedervergeltung, laßt euch nicht von diesem Augenblicke weich machen, und vergeßt nichts wie nahe das Unheil über euren Häuptern schwebte. Züchtiget diese nach Verdienst und stellt sie den andern Bundesgenossen als deutliches Beispiel vor Augen, daß, wer immer abfällt, den Tod leiden muß. Wissen sie das einmal, so werdet ihr euch nicht mehr so oft mit den eigenen Bundesgenossen herumshclagen müssen, während eure Feinde gute Ruhe haben" A). [*]( 28) Diese Rede charakterisirt allerdings den Demagogen Kleon einigermaßen, doch hat die Feder des Thukydides zu viel Feinheit einfließen lassen, so daß die Fassung der Gedanken kaum für den Mann paßt, der auf der Rednerbllhne polterte, die Kleider aufriß, sich auf den Schenkel schlug und während des Redens hin und herlief (Plutarch. Nik.), oder für „den Brüllochsen mit der Donnerstimme", wie ihn Aristophanes nennt. Doch enthält die Rede Anhaltspunkte genug, den tückischen, unverschämten, seiner eigenen Schlechtigkeit sich bewußten Volks- betrüger erkennen zu lassen, dessen entschlossene Bosheit Alles fürchtet. Aristophanes wagte Vieles, als er ihn in den (verlorenen) Babyloniern und in den Rittern dem Gelächter preisgab. Kein MaSkenmacher wollte zur Aufführung der Ritter eine Kleons-MaSke für den Schauspieler, der ihn darstellen sollte, verfertigen: — Sein Kopf ist nicht der feine, Kein MaSkenmacher wollt' ihn porträtiren, oAus Angst vor ihm — Der Dichter selbst spielte ohne Maske die Rolle, und rechnete sich feine Kühnheit selbst hoch an. In den Wolken rühmt er sich, daß er dem „großmächtigsten Kleon", dem, „bei dessen Anblick Sonne und Mond sich verfinsterte," muthig einen „Bauchtritt" gegeben habe. Auch später noch, und sogar nach seinem Tode ließ er ihn nicht ruhen. Hier mögen noch Worte des ChorS aus den Rittern stehen: O du verworfener, Scheußlicher Schreier! Sind Voll deines UebermuthS Länder und Meere nicht? ) [*]( Thukydides. III. ) [*]( 15 )
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[*]( 427 v. Chr. ) So redete Kleon. Nach ihm aber trat Diodotos, des Eukrates Sohn auf, der auch bei der ersten Versammlung am stärksten dafür gesprochen hatte, die Mytilenäer lieber nicht hinzurichten und redete also:

„Gegen die, welche die Sache der Mytilenäer zu einer zweiten Abstimmung gebracht haben, kann ich ebensowenig einen Tadel finden, wie Lob für die, welche es rügen, daß über so außerordentlich wichtige Dinge mehrmals berathschlagt werde. Vielmehr muß ich glauben, daß Eile und leidenshcaftliche Stimmung die größten Feinde eines klugen Beschlusses seien; denn die eine pflegt aus Unverstand, die andere aus Ungezogenheit und Kurzsichtigkeit zu entstehen. Und wer gar dafür einsteht, daß die Rede nicht die Lehrerin des Handelns sei, der besitzt entweder keine Vernunft, oder er hat irgend einen eigennützigen Hintergedanken. Unvernünftig ist er, wenn er sich einbildet, auf irgend eine andere Weise über das belehren zu können, was noch in der Zukunft und im Dunkel liegt. Seinem Eigennutz aber dient er, wenn er im Bewußtsein der Absicht, zu Schmählichem überreden zu wollen, sich nicht zutraut, über Unschönes schön reden zu können, und dafür nun durch dick aufgetragene Verleumdung die Gegner auf der Rednerbühne und die Zuhörer zu verwirren sucht. Die Gefährlichsten aber nun sind die, welche auch noch die Beschuldigung hinzufügen, als ob die Andern durch Geld bestochen schöne Reden hielten. Denn wenn sie nur die Anklage des Unverstandes erheben möchten, so würde Einer, wenn er mit seiner Ansicht nicht durchdringt, zwar den Ruf der Unverständigkeit, aber doch nicht den der Ungerechtigkeit davontragen. Wird ihm aber Un- [*]( Nicht der Gemeindeplatz, Zollhaus, GerichtSkanzlei? Riihrer in jedem Dreck, Hast du die ganze Stadt Säuisch nicht abgewiihlt? ) [*]( 29) Vertritt in seinen Ansichten die gemäßigte Demokratie. Er ist vielleicht Sohn des FlachShändlerS EukrateS, der unmittelbar nach des großen PeriileS Tod neben LysikleS, dem Viehhändler, dem sich Aspasia vermählt hatte, eine vorübergehende Rolle spielte. — Im ersten Theil der Rede wird Kleon scharf getroffen. )

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ehrlichkeit vorgeworfen, so wird er auch, wenn er seine Ansicht durch­ [*]( 427 v. Chr. ) setzt, verdächtig, nnd setzt er sie nicht durch, so scheint er unverständig' und unehrlich zugleich. Mit dergleichen wird aber dem Staat schlecht gedient, denn die Furcht beraubt ihn seiner Rathgeber. Aber sehr wohl würde er sich befinden, wenn er solche Bürger von der Rednerbühne ausschließen möchte, denn dann wäre die mindeste Gefahr vorhanden, sich zu Schlechtem verleiten zu lassen. Der gute Bürger muß sich nicht durch Abschrecken seiner Gegner als den besseren Redner zeigen wollen, sondern dadurch, daß er sie sich selbst gleichstellt. Auch soll ein Staat, in dem es vernünftig hergeht, demjenigen, der die meisten guten Rathschläge gibt, deßhalb zwar nichts an Ehre zulegen, ihm jedoch auch nicht die Ehre kürzen, und den, der mit seiner Meinung nicht durchdringt, soll er nicht nur nicht strafen, sondern nicht einmal seine Ehre antasten. Dann würde, wer Erfolg hat, gewiß nicht, um größerer Auszeichnung gewürdigt zu werden, manches auch gegen bessere Einsicht und nach Gunst reden, und wer durchgefallen ist, würde ebenso wenig, um derselben Ehre theilhaftig zu werden, die Menge zu gewinnen streben."

„Von dem aber thun wir das Gegentheil; ja sogar noch mehr: wenn Einer im Verdacht steht, durch Geld bestochen gleichwohl das Beste zu rathen, so lassen wir aus Neid wegen dieses Geldgewinns, von dem doch nur eine unsichere Vermuthung besteht, den offenbaren Vortheil des Staates dahinsahren. Es ist nun einmal so: das Gute ohne Umschweife gerade heraus gesagt wird nicht weniger verdächtigt, als das Schlechte; die Folge davon ist: wie der schlimmste Rathgeber die Menge durch Betrügereien gewinnen muß, ebenso muß der, welcher zum Besseren räth, sich erst durch Flunkern Vertrauen gewinnen. Und so ist es denn bei uns, in Folge der Ueberklugheit, unmöglich, dem Staate durch grades Vorgehen und ohne Schliche einen Nutzen zu erweisen. Denn wer offenkundig dem Staate Gutes thut, dem wird mit dem Verdachte gelohnt, daß er im Geheimen irgendwie einen noch größeren Gewinn dabei in Aussicht habe. Gleichwohl müssen wir, trotz diesen Zuständen, wo es sich um die höchsten Dinge handelt, in dem, was wir reden, weiter sehen, als ihr Kurzsichtigen, zumal wir für unsere Vorschläge verantwortlich sind, ihr aber als Zuhörer unverantwortlich. Wenn der Ueberredende und der Zustim- [*]( 15*)

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[*]( 427 v. Chr. ) mende gleicher Gefahr ausgesetzt wären, so möchtet ihr in eurem Urtheil wohl bedächtiger sein. So aber straft ihr in eurer Hitze beim ersten besten Mißlingen einzig und allein die eine Abstimmung dessen, der euch überredet hat, und nicht eure eigenen, wenn sie auch in großer Zahl mitgesündigt haben."

„Ich bin aber jetzt weder aufgetreten, um der Mytilenäer wegen irgend Jemandem zu widersprechen, noch auch um sie anzuklagen. Denn uns, wenn wir anders klug sind, handelt es sich nicht darum, ob jene Unrecht gethan haben, sondern darum, daß wir einen klugen Entschluß sassen. Denn selbst wenn ich nachgewiesen hätte, daß sie uns tödtlich beleidigt haben, würde ich deßhalb noch nicht auch für die Hinrichtung stimmen, wenn diese uns nicht vortheilhast wäre, und ebenso wenig würde ich, wenn sie irgendwie Nachsicht verdienten, diese gewähren, wenn es mir nicht vortheilhaft für den Staat schiene. Ich meine, wir sollten unsern Beschluß mehr mit Berücksichtigung der Zukunft als der Gegenwart fassen; und hier bin ich grade in dem Punkte, worauf Kleon das meiste Gewicht legt, daß nämlich das Verhängen der Todesstrafe uns für die Zukunft von Vortheil sei, weil Abfall so leichter verhütet werde, grade der entgegengesetzten Meinung, obgleich ich eben so gut wie er dabei unser künftiges Wohl im Auge habe. Ich wünschte nicht, daß ihr zu Liebe der scheinbaren Richtigkeit seines Vorschlags den Nutzen von euch stießet, den der meinige bietet. Denn da eurer leidenschaftlichen Erregtheit gegen die Mytilenäer seine Meinung auf Gerechtigkeit gegründet scheint, so kann sie euch wohl leicht mitreißen. Aber wir haben ja keinen Rechtshandel gegen sie durchzufechten, wobei es sich um Recht oder Unrecht handelte, sondern wir berathen uns, auf welche Art wir ihre Sache am meisten zu unserm Vortheil austragen können."

„In den Staatsverfassungen ist ans vielerlei Dinge die Todesstrafe gesetzt, auch auf solche, die dem vorliegenden Verbrechen nicht gleichkommen, sondern dahinter zurückbleiben. Gleichwohl lassen sich die Menschen durch die Hoffnung anreizen, es immerhin zu wagen ; und nie hat sich Einer in diese Gefahr begeben, der sich nicht getraut hätte, mit seinem schlimmen Wagniß durchzudringen. Und ist jemals eine abtrünnige Stadt an die Ausführung gegangen, welche die Zurüstung, sei es nun eigene oder durch Anderer Kampfgenossenis

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schaft dargebotene, nach eigener Schätzung für unzureichend hielt? Es [*]( 427 v. Chr. ) liegt in aller Menschen Natur, daß sie sowohl in Privatverhältnissen, als auch gegen den Staat sündigen, und es gibt kein Gesetz, das sie davon zurückhalten kann. Sind ja die Menschen bereits durch alle Abstufungen der Strafen, sie immer steigernd, hindurchgegangen, um so vielleicht die Zahl der Verbrechen und die Menge des Uebels zu mindern. Denn gewiß standen vormals auf den größten Verbrechen mildere Strafen; da aber immerfort Uebertretungen Statt fanden, so verschärften sich die meisten im Laufe der Zeit bis zur Todesstrafe, und trotzdem achtet man auch dieser nicht. Entweder also muß man etwas noch Abschreckenderes ausfindig machen als diese, oder es gibt überhaupt nichts, was da Einhalt thun kann. Und so ist es in der That; denn einmal ist's die Armuth, 5ie durch Noth Kühnheit gebiert und zum Wagniß treibt, das andere Mal der Reichthum, der in Uebermuth und Hochmuth Habsucht erzeugt, und so auch die andern durch Leidenschaft herbeigeführten menschlichen Zustände, die alle unter dem Einfluß irgend einer unwiderstehlichen höhern Macht stehen, überall aber die Hoffnung, die Begierde. Diese macht die Führerin, jene geht mit. Diese sinnt den Anschlag aus, jene spiegelt den Beistand eines freundlichen Glückes vor, und so richten beide den größten Schaden an, und obwohl unsichtbar, sind sie doch mächtiger als Martern, die mit Augen zu sehen sind. Dazu kommt noch das Glück, das auch nicht weniger aufmunternd mitwirkt. Denn wider Erwarten gesellt es sich manchmal zu der geringeren Kraft und verleitet Einen zum Wagniß, und mehr noch ganze Staaten, da es sich da ja um die größten Dinge handelt, um Freiheit und Herrschaft über Andere, und weil jeder Einzelne, wenn er im großen Haufen mitläuft, seine eigene Kraft blindlings überschätzt. Kurz, wer mit der Gewalt der Gesetze oder durch sonst ein anderes Schreckmittel die Menschen hindern zu können glaubt, wenn die eigene Natur sie zu irgend einer That fortreißt, der glaubt das Unmögliche und beweist große Einfalt."

„Wir dürfen also nicht im Vertrauen darauf, daß die Todesstrafe jede Bürgschaft gewähre, einen nachtheiligen Entschluß fassen, noch auch den Abtrünnigen jede Hoffnung benehmen, daß es eine Möglichkeit gibt, von ihrem Fehl wieder umzukehren und ihn in möglichst kurzer Frist wieder vergessen zu machen. Ueberlegt doch, daß bei

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[*]( 427 v. Chr. ) solchem Verfahren eine abtrünnige Stadt, wenn sie die Aussicht auf Erfolg geshcwunden sieht, gewiß zu einem Vergleiche bereit sein wird, so lange sie noch im Stande ist, die Kriegskosten zu erstatten und sonst ihre Steuern zu zahlen. Welche Stadt aber, glaubt ihr wohl, werde sich bei jenem andern Verfahren nicht noch viel stärker rüsten als sonst und eine Belagerung bis zum Aeußersten aushalten, wenn es für sie ganz dieselben Folgen hat, ob sie sich vorher oder nachher ergibt? Wie aber soll für uns kein Schaden daraus erwachsen, wenn wir die Kosten einer langen Belagerung tragen müssen, weil wir jede Aussöhnung zurückweisen, und wenn wir im Fall der Einnahme eine zerstörte Stadt in die Hände bekommen und für die Zukunft ihrer Steuerzahlungen verlustig sind? Und auf diesen beruht doch unsere Kraft gegenüber dem Feinde! Wir dürfen also nicht uns selbst den größern Schaden zufügen, indem wir als Richter über die Verbrecher die Sache zu genau nehmen, sondern vielmehr darans sehen, daß wir bei mäßiger Ahndung für die Zukunft in der Lage bleiben, Städte unter uns zu haben, die zahlen können, und müssen uns selbst nicht mit der Strenge der Gesetze, sondern durch Sorgfalt unserer Vorkehrungen Sicherheit zu schaffen suchen. Thun wir aber davon nicht das Gegentheil, wenn wir einen sonst freien und mit Gewalt bezwungenen Staat, der einem natürlichen Zuge folgend durch Abfall seine Unabhängigkeit herzustellen strebt, wieder unterworfen haben und dann meinen, wir müßten ihn streng bestrafen? Freie Männer muß man nicht, wenn sie abgefallen sind, scharf züchtigen, sondern bevor sie noch abfallen , muß man scharfes Augenmerk haben und seine Vorsichtsmaßregeln ergreisen, daß sie nicht einmal auf den Gedanken kommen; hat man sie aber wieder einmal durch Waffen zum Gehorsam bringen müssen, so soll man sie die Schuld so wenig als möglich empfinden lassen."

„Nun bedenkt aber auch, wie sehr ihr euch in folgender Rücksicht verfehlen möchtet, wenn ihr dem Kleon folgt. Jetzt noch ist euch in allen Städten die Volkspartei freundlich gesinnt und betheiligt sich entweder nicht an dem Abfall der vornehmen Minderzahl, oder, wenn sie dazu gezwungen wird, verharrt sie gegen die Abtrünnigen in offener Feindschaft, und kommt es dann eurerseits zum Kriege, so habt ihr in der feindlichen Stadt die große Menge zum Bundes

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genossen. Wenn ihr nun aber das Volk der Mytilenäer hinrichtet, [*]( 427 v. Chr. ) das nicht nur keinen Antheil am Abfall genommen hat, sondern, so- i bald es nur gerüstet und bewaffnet war, allsogleich die Uebergabe der Stadt bewirkte, so vergeht ihr euch einmal, weil ihr eure Wohlthäter tödtet, und dann gebt ihr ja den Vornehmen grade die Waffe in die Hände, die sie am heißesten wünschen; dein wenn sie eine Stadt zum Abfall bringen wollen, so werden sie sogleich das Volk aus ihrer Seite haben, da ihr bereits ein Beispiel gegeben habt, wie ihr Schuldig und Unschuldig mit gleicher Strafe belegt. Aber selbst wenn das Volk euch beleidigt hätte, dürftet ihr euch nichts merken lassen, damit die einzige Partei, die noch zu euch steht, nicht in einen Feind verwandelt werde. Und ich halte es überhaupt zur Behauptung der Herrschaft für viel nützlicher, wenn wir eine Beleidigung ertragen, als wenn wir nach dem Buchstaben des Gesetzes die vernichten, die wir nicht vernichten dürfen. Und was Kleon meint, daß bei dieser Strafart dem Recht und dem Vortheil gleiche Rechnung getragen sei, das sieht Jeder ein, kann man nicht bei einander haben."

„Ihr also seid überzeugt, daß meine Ansichten richtiger sind, und gebt weder dem Mitleiden noch auch der Nachsicht zu viel Raum; denn auch ich will nicht, daß ihr euch durch sie bestimmen lasset; sondern den Gründen zu Liebe, die ich vorgebracht, folget mir: diejenigen Mytilenäer, welche Paches als die Gefährlichen hieher geschickt hat, die richtet in aller Ruhe, und die übrigen lasset im Besitze ihrer Stadt. Das verbürgt Nutzen für die Zukunft und ist abschreckend genug für unsere Feinde. Denn wer vernünftig zu Rathe geht, ist stärker dem Feind gegenüber, als wer zwar mit kräftiger That, jedoch ohne alle Vernunft auf ihn losgeht."

So sprach Diodotos. Da diese Vorschläge so ziemlich mit gleicher Stärke unterstützt, sich einander die Wage hielten, so geriethen die Athener gleichwohl noch in einen Meinungskampf, und bei der Abstimmung waren beide Parteien nahezu gleich stark; doch siegte die des Diodotos. Sie sandten nun sogleich einen zweiten Dreiruderer ab mit dem Befehl zur Eile, damit der erste nicht früher ankomme und sie die Stadt bereits vernichtet fänden, denn jener hatte einen Vorsprung von nahezu einem Tag und einer Nacht. Da nuu die Mytilenäischen Gesandten das Schiff mit Wein und Mehl versahen und

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[*]( 427 v. Chr. ) große Versprechungen machten, wenn sie jene überhalten, so wurde diese Fahrt mit solchem Eifer beschleunigt, daß die Mannschaft aß, ohne das Ruder ruhen zu lassen, Brod nämlich mit Wein und Oel eingerührt, und während eine Abtheilung der Ruhe genoß ruderten die Andern. Da nun glücklicher Weise kein widriger Wind blies und das erste Schiff mit seinem empörenden Austrage sich nicht beeilte, das andere jedoch sich also sputete, so war jenes nur um so viel srüher angekommen, daß Paches eben erst den Volksbeschluß gelesen hatte und im Begriffe war, an die Ausführung zu schreiten, als das spätere Schiff danach einlief und die Vernichtung der Stadt verhinderte. So nahe ist die höchste Gefahr an Mytilene vorübergegangen.

Die übrigen Männer indessen, welche Paches, als am Abfalle zumeist schuldig, geschickt hatte, ließen die Athener auf Kleon's Vorschlag hinrichten; es waren ihrer aber einige über tausend. Auch rissen sie der Mytilenäer Mauern nieder und nahmen ihre Schiffe weg. Späterhin legten sie zwar den Lesbiern keine weiteren Steuern auf, theilten aber all ihr Land, nur das Gebiet der Methymnäer ausgenommen , in dreitausend Ackerloose. Davon schieden sie dreihundert aus und heiligten sie den Göttern, aus die übrigen aber schickten sie als Loosherren diejenigen aus ihrer Mitte, die das Loos getroffen hatte Diesen mußten die Lesbier, die das Land selbst zu bebauen [*]( 30) Vor den Perserkrieg«n wurde der Doppelzweck der Versorgung ärmerer Bürger und Gewinnung oder Sicherung der Herrschaft über irgend einen gelegenen Punkt durch Kolonien (Apoikien) erreicht. Deren Gelingen hing aber vom Glück ab? es war eine Art Auszug auf Abenteuer zur gefahrvollen Gründung neuer Städte und zur mühsamen Ueberwachung jungsräulichen Bodens. Jetzt aber, nachdem Athen bereits zu großer Macht gelangt war, bot sich ein viel bequemeres Mittel, beide Zwecke zu erreichen, die Kleruchien, d. i. AckerlooSvertheilungen. Erobertes Land wurde, besonders häufig seit Perikles, an athenische Bürger durchs Loos vertheilt, und so wurde bereits bebautes Land und ein schon geordneter Besitzstand ohne alle Mühe rechtskräftig erworben. Der neue Loosherr oder Kleruch blieb dabei athenischer Bürger und konnte auf dem neuerworbenen Gute leben oder auch in der Stadt. Doch ist anzunehmen, daß diejenigen Kleruchen, welche in Athen kein liegendes Vermögen zurückließen, und das muß wohl bei der größeren Zahl der Fall gewesen sein, den blei. benden Aufenthalt auf ihrem neuen Ackerloose nahmen, ohn- welchen Umstand wohl auch der Zweck der politischen Unterwerfung und Behauptung der treuen Eroberung )

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hatten, für jedes Ackerloos einen jährlichen Zins von zwei Minen [zu­ [*]( 427 v. Chr.) sammen 48 Thlr. 6 Ggr.^ entrichten. Auch die kleinen Städte nahmen die Athener weg, welche die Mytilenäer auf dem Festlande besessen hatten, und dieselben gehorchten seitdem den Athenern. Diesen Ausgang nahmen die Sachen mit Lesbos.

Desselbigen Sommers nach der Einnahme von Lesbos unternahmen die Athener unter Führung des Nikias, des Sohnes des Nikeratos', einen Zug wegen der Insel Minoa, welche vor Megara liegt. Auf derselben hatten die Megarenser einen Thurm gebaut und bedienten sich ihrer anstatt eines Vorwerks. Nikias dachte aber, die Athener könnten auf derselben einen Wachposten halten, der ihnen näher gelegen sei als Budoron und Salamis, damit die Peloponnesier nicht mehr, wie früher geschehen war, mit ihren Dreiruderern oder Kaperschiffen von dort unbemerkt auslaufen könnten , und ihnen auch die Zufahrt nach Megara abgeschnitten wäre. Er warf also zuerst mit seinem Sturmzeug vom Meere aus zwei vorspringende Thürme von Nisäa nieder, machte darauf die Einfahrt in den Raum zwischen der Insel und dem Festlande frei , und sperrte dann die dem Festlande gegenüberliegende Seite der Insel durch eine Mauer ab, da man hier der vom Lande nicht weit abliegenden Insel vermittelst einer über die Untiefen geschlagenen Brücke zu Hülse kommen konnte. Nachdem er dieß in wenigen Tagen ausgeführt und auf der Insel noch eine Verschanzung sammt Besatzung zurückgelassen hatte, zog er mit dem Heere wieder ab.

Um dieselbe Zeit in diesem Sommer gaben sich auch die Platäer, die keine Nahrungsmittel mehr hatten und der Belagerung [*]( kaum erreicht worden wäre. Die alten Bewohner wurden theils ganz auSgetrieben, wie auf Slegina, Thuk. II, 27, theils blieben sie als zinspflichtige Pachtbauern, wie in diesem Falle. Die Zahl der Kleruchen war oft sehr groß. So gingen 4000 Kleruchen nach Euböa, um die Ländereien der chalkidischen Hippoboten in Besitz zu nehmen (Herodot V, 77), 2000 sandte PerikleS nach Histiäa. Platon's Vater und Aristophanes waren Kleruchen aus Aegina, Epikur's Vater aus SamoS. — Diese besonders von PerikleS in demokratischem Sinne ausgebeutete Maßregel hob allerdings für den Augenblick die Macht Athens sehr, war aber auch einer der Hauptgründe zum Haß der Bundesgenossen, wie der Gegner. )

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[*]( 427 v. Chr. ) nicht mehr widerstehen konnten, in die Hände der Peloponnesier. Dabei war es so zugegangen. Diese machten einen Sturm auf die Mauer und jene konnten sich nicht mehr vertheidigen. Da nun der Lakedämonische Feldherr ihre Entkräftung sah, so wollte er die Stadt nicht mit Gewalt nehmen, denn es war ihm von Lakedämon aus befohlen worden, so zu verfahren, daß, wenn einmal mit den Athenern Friede geschlossen würde nnd beide Theile dahin übereinkämen, die im Kriege eroberten Plätze beiderseits herauszugeben, Platäa als freiwillig übergetreten nicht zurückgegeben werden dürfe. Deßhalb schickt er einen Herold zu ihnen und läßt verkünden, wenn sie ihre Stadt freiwillig den Lakedämoniern übergeben wollten und diese als Richter anerkennen, so werde er die Schuldigen zwar strafen, Niemanden aber gegen Recht und Gesetz. Das richtete der Herold aus, und jene, die schon im Zustand der äußersten Schwäche waren, übergaben ihre Stadt. Die Peloponnesier nun reichten den Platäern einige Tage lang Speise, bis dann die fünf Richter aus Lakedämon ankamen. Als diese aber angelangt waren, wurde keine förmliche Anklage gegen sie aufgestellt, sondern man forderte sie vor und fragte nur, ob sie in diesem gegenwärtigen Kriege den Lakedämoniern oder deren Bundesgenossen sich irgendwie dienstlich erwiesen hätten. Diese aber verlangten, sich eines Weiteren anslassen zu dürfen, und stellten aus ihrer Mitte den Astyemachos, Sohn des Afopolaos, und den Lakon, des Aeimnestos Sohn, der ein Gastfreund der Lakedämonier war, als ihre Fürsprecher ans, und diese traten hin und redeten also:

„Unsere Stadt haben wir euch übergeben, ihr Lakedämonier, weil wir auf euer Wort hin vertrauten, nicht vor einem solchen Gerichte stehen zu müssen, sondern daß es gesetzlicher ausfallen werde, und wir nahmen eure Bedingungen an, um vor keinen anderen Richter gestellt zu werden, als vor euch selbst, wie dieß jetzt auch wirklich der Fall ist, weil wir glaubten, bei euch das billigste Urtheil zu finden. Nun aber fürchten wir, daß wir uns in Beidem betrogen haben, denn wir müssen mit Recht argwöhnen, daß es sich hier um das Schrecklichste handle, und daß ihr nicht den Ruhm billiger Richter davontragen werdet. Wir schließen das, weil von euch keine Voranklage gestellt worden ist, gegen die wir uns zu rechtfertigen hätten, sondern wir selbst haben um die Erlaubniß zum Reden bitten müssen, und

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eure Frage ist so kurz, daß unsere Antwort, wenn sie der Wahrheit [*]( 427 v. Chr. ) gemäß ist, uns verurtheilt, und wenn sie unwahr ist,- leicht widerlegt, werden kann. So sehen wir nach keiner Seite einen Ausweg und sind genöthigt, von einer Rede unsere Rettung zu hoffen, was auch das Geziemendste zu sein scheint; denn wer in einer solchen Lage zu reden unterläßt, zieht sich wohl den Vorwurf zu, daß eine Rede ihn hätte retten können. Zu dem Andern, was uns bedrückt, fühlen wir aber nun auch,- wie schwer es uns fallen wird, euch zu überreden. Denn wären wir einander unbekannt, so könnten wir Beweisgründe beibringen, die euch fremd wären, und so vielleicht Rettung finden; nun aber wird Alles, was wir vorbringen, euch bereits bekannt sein, und wir fürchten nicht sowohl, daß ihr schon im Voraus das Urtheil gefällt habet, unsere Verdienste seien geringer als die eurigen, und daß ihr uns eben daraus ein Verbrechen machet, sondern vielmehr, daß ihr uns andern zu Gefallen vor ein Gericht stellt, welches sein Urtheil schon gesprochen hat."

„Gleichwohl wollen wir vorbringen, was wir an Rechts- gründen in Betreff unserer MißHelligkeiten mit den Thebanern haben, und die Erinnerung an das wachrufen, was wir euch und den andern Hellenen Gutes gethan, und eben damit wollen wir euch zu überreden versuchen. Auf eure kurze Frage, ob wir in dem gegenwärtigen Kriege um die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen uns ein Verdienst erworben, geben wir zur Antwort: Fragt ihr uns als Feinde, so ist euch von uns kein Unrecht geschehen, wenn ihr nichts Gutes von uns empfangen habt; laßt ihr uns aber als Freunde gelten, so habt ihr das größere Unrecht begangen, da ihr uns mit Krieg überzöget. Sowohl im Frieden als auch im Kampfe gegen die Meder haben wir uns als wackere Männer erzeigt, denn den Frieden haben wir jetzt nicht zuerst gebrochen, und damals haben wir allein von allen Böotiern zur Befreiung von Hellas die Waffen mit euch vereinigt. Denn obwohl wir Festlandsbewohner sind, haben wir doch zur See bei Artemision mitgekämpft, und in der Schlacht, die hier auf unserem eigenen Boden geliefert wurde, haben wir bei euch und dem Pausanias gestanden, und wenn damals noch sonst etwas Anderes sich ereignete, woher den Hellenen Gefahr drohte, so haben wir über Vermögen an Allem uns betheiligt, und euch insbesondere, ihr Lakedämonier, als damals die

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[*]( 427 v. Chr. ) größte Gefahr Sparta umdrohte, da nach dem Erdbeben die Heloten aufstanden und sich nach Jthome warfen, haben wir den dritten Theil unserer eigenen Bürgermannschaft zur Hülfe gesandt ^'). Unrecht ist es, das zu vergessen."

„In den großen Ereignissen der alten Zeit haben wir uns also als solche Männer zu zeigen getrachtet; eure Feinde aber sind wir erst später geworden, und davon trüget ihr die Schuld; denn da wir um eure Bundesgenossenschast nachsuchten, weil uns die Thebaner zu vergewaltigen trachteten, habt ihr uns zurückgewiesen und gerathen, uns an die Athener zu wenden, da diese näher bei uns, ihr aber zu weit entfernt wohntet. In diesem Kriege aber habt ihr von uns nichts Sonderliches zu leiden gehabt, noch durftet ihr es überhaupt erwarten. Wenn wir trotz eures Befehles von den Athenern nicht abfallen wollten, so haben wir damit kein Unrecht gethan, denn auch jene haben uns gegen die Thebaner beigestanden, als ihr uns von der Hand wieset. Sie zu verrathen wäre nicht schön gewesen, zumal wir von ihnen nur Gutes empfangen und sie durch unsere eigenen Bitten zu Bundesgenossen gewonnen und an ihrem Bürgerrecht Theil erlangt haben. Vielmehr war es selbstverständlich, daß wir ihren Befehlen eifrig nachkamen. Was aber ihr beiden ^Lakedämonier und Atheners als Führer euren Bundesgenossen vorshcriebet, davon fällt keine Schuld [*]( 31) Zugleich mit den Athenern. Vergl. l, 102. ) [*]( 32) Dieß ist ein Beispiel der Einbürgervng in Masse zur Belohnung der Anhänglichkeit, das den Athenern viel Lob eintrug. Der Volksbeschluß lst aus demselben Jahre 427 (Ol. SS, 1.). Die Platäer sollten alle Rechte athenischer Vollbürger haben, mit Ausnahme der Zulassung zu Familienopfern und zur Arhcontenwürde; denn hiezu war Vollbürgerthum im dritten Gliede erforderlich. Der Name Platäer blieb jetzt in Athen Bezeichnung für Neu bürg er. Aristophanes, Frösche (als die Sklaven, die bei den Arginusen mitgefochten hatten, das Bürgerrecht erhielten: Schande wär's, wenn Jeder, der nur eine Seeschlacht mitgemacht, Gleich Platäer würd', und ehmalS Sklave, nun ein freier Herr. Später wurden die Platäer als Kleruchen nach dem entvölkerten Skione versetzt (im Jahr 421. That. V, 32). Nach dem antalkidischen Frieden wurde die Stadt- wieder aufgebaut (3S7?), 373 aber zum zweiten Mal zerstört, woraus die Vertriebenen abermals in Athen Wohnort und Bürger-recht fanden. )

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auf die, welche euch folgten, wenn ihr irgend ein Unrecht beginget, [*]( 427 v. Chr. ) sondern auf euch selbst, die ihr zum Unrecht Anleitung gabt." <

„Die Thebaner haben uns aber gar viele Beleidigungen zugefügt, und die letzte kennt ihr selbst, in deren Folge wir eben dieß jetzige Unglück leiden. Denn sie haben unsere Stadt mitten im Frieden und dazu noch am Neumondsfeste überrumpelt, und wir haben sie nach gutem Rechte dafür gestraft und nach dem Gesetze, das für Alle gilt, daß es erlaubt und Pflicht ist, sich des angreifenden Feindes zu erwehren; und es wäre Ungebühr, sollten wir jetzt dafür büßen: denn wenn ihr zu eurem und jener augenblicklichem Vortheil das Recht nach eurer feindseligen Gesinnung schöpfen wollt, so werdet ihr nicht als wahrhafte Richter nach Recht und Billigkeit dastehen, sondern als Diener eures Vortheils. Und wenn ihr nun wirklich denkt, daß die Thebaner euch nützlich sind, so waren wir und die andern Hellenen es doch in höherem Grade damals, als ihr in größerer Gefahr schwebtet. Denn jetzt seid ihr Andern furchtbar, gegen die ihr zu Felde zieht, damals aber, als der Barbar Allen die Knechtschaft brachte, standen diese auf seiner Seite. Und wenn nun schon von uns gefehlt sein soll, so ist es billig, daß ihr diesen Fehl mit unserem damaligen Eifer aufwägt, und ihr werdet finden, daß dieser überwiegt, zumal in Anbetracht der Zeit, wo es unter den Hellenen ein großes Ding war, wenn Einer seine Tapferkeit der Macht des Xerxes entgegenstellte, und die noch höheres Lob gewannen, welche beim Anzug der Barbaren nicht für sich selbst Vortheil und Sicherheit erseilschten, sondern lieber unter Gefahren die edelsten Güter daran setzen wollten. Unter diesen waren auch wir, und damals auf's Höchste geehrt, müssen wir nun wegen derselben Denkart unsern Untergang fürchten, weil wir es vorzogen, lieber nach Recht und Billigkeit zu den Athenern, als um unseres Vortheils willen zu euch zu stehen. Und doch sollte man sich als solcher zeigen, der über dieselben Dinge auch immer dasselbe Urtheil fällt. Und man sollte doch nichts Anderes für wahrhaft nützlich erachten, als wenn man einen Vortheil, den die Gelegenheit bietet, mit treuer Dankbarkeit gegen rechtschaffen Bundesgenossen vereinigen kann."

„Bedenket auch, daß ihr jetzt bei der Mehrzahl der Hellenen als Muster der Bravheit geltet, wenn ihr aber entscheidet über uns, was sich nicht gebührt, — und eure Entscheidung kann nicht unbe-

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[*]( 427 v. Chr. ) kannt bleiben, denn euer Lob ist in Aller Munde und auch uns nennt man nicht mit Tadel, — so seht zu, wie es nicht Mißbilligung finden soll, daß über brave Männer ihr, die Braveren, Ungebührliches beschlossen habet, und daß in die gemeinsamen Heiligthümer Raub von uns, den Wohlthätern Griechenlands geweiht werde. Erschrecklich wird es scheinen, das; Lakedämonier Platäa zerstört, daß die Vorfahren den Namen unserer Stadt ihrer Tapferkeit zum Preis aus den Dreifuß in Delphi-gesetzt haben, ihr aber sie aus dieser Gemeinschaft des ganzen Hellenenthums zu Lieb den Thebanern austilgen wolltet. So hoch ist unser Unglück gestiegen! Damals haben uns die Meder zu Grunde gerichtet, als sie unser Land in der Hand hatten, und nun unterliegen wir um der Thebaner willen durch euch, die ihr sonst uns so freundlich gesinnt wäret. Und zweimal sind wir vor dem Aeußersten gestanden: vor kurzem drohte uns Hungertod, wenn wir die Stadt nicht übergeben, und jetzt werden wir auf den Tod gerichtet. Aus Allen sind wir Platäer allein ausgestoßen, die doch über Vermögen für die Hellenen eingetreten sind, jetzt verlassen und ohne Freund. Denn von unsern damaligen Bundesgenossen steht keiner zu uns, und von euch Lakedämoniern, unserer einzigen Hoffnung, besorgen wir, das; ihr nicht standhaft bleibt."

„Doch bitten wir euch bei den Göttern, bei denen wir einst unseren Waffenbund beshcwuren, und bei unserem Verdienst um die Hellenen: lasset euch bewegen und ändert euren Entschluß, wenn ihr den Thebanern bereits schon ein Versprechen gegeben habt. Wir fordern als Belohnung unseres Verdienstes, daß ihr nicht solche tödtet, die zu tödten sich nicht geziemet, und daß ihr lieber um einen Dank werbt, der mit der Ehre besteht, als um einen, der Schimpf bringt. Wollet nicht Andern ein Vergnügen machen, indem ihr selbst Unehre auf euch nehmet! Unsere Leiber sind wohl schnell abgethan, schwer aber ist es, Schande vergessen zu machen. Denn ihr werdet an uns keine Feinde bestrafen, was ganz nach Recht geschähe, sondern freundlich Gesinnte, die nur die Noth zwang zu den Waffen zu greifen. Nach Recht also würdet ihr entscheiden, wenn ihr uns des Lebens sichertet und bedenken wollt, daß wir freiwillig und mit aufgehobenen Händen flehend zu euch gekommen sind — und die Hellenen haben unter sich das Gesetz, daß solche nicht getödtet werden dürfen — und

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bedenket, daß wir uns allerwege euch freundlich erwiesen haben. [*]( 427 v. Chr. ) Schauet her auf diese Gräber eurer Väter, die gegen die Meder gefallen sind und von uns begraben wurden. Wir haben sie Jahr um Jahr aus öffentlichem Wesen geehrt, mit schöner Gewandung und wie es sonst Sitte ist, und von Allem, was im Jahreslauf die Erde hervorbringt, haben wir ihnen die Erstlinge dargebracht, ihrer als Männer aus befreundetem Lande freundlich gedenkend, wie Bundesgenossen der Waffenbrüder. Davon würdet ihr nun das Gegentheil thun, wenn ihr jetzt nicht nach Gebühr entschiedet. Denkt doch, Pausanias hat diese hier begraben, weil er sie in freundlicher Erde und neben freundlich gesinnten Männern zu betten glaubte. Wenn ihr aber nun uns tödten und das Platäifche Land zu Thebanischem machen wollt, was thut ihr da anders, als daß ihr eure Väter und Blutsverwandte in feindlichem Boden und bei ihren eigenen Mördern und beraubt der Ehrengaben zurücklaßt, die sie jetzt noch genießen? Zudem gebt ihr die Erde, auf welcher die hellenische Freiheitsschlacht geschlagen wurde, in die Knechtschaft, und die Heiligthümer der Götter, zu denen betend jene über die Meder gesiegt haben, laßt ihr wüst und öde, und die Gründer und Stifter beraubt ihr der Opfer, die unsere Väter brachten."

„Es will sich zu eurem Ruhme nicht schicken, ihr Lakedämonier, weder daß ihr so am hellenischen Recht und an euren Vorfahren sündigt, noch daß ihr eure Wohlthäter fremdem Haß zu Liebe, und ohne daß ihr selbst beleidigt wäret, dem Verderben übergebt. Ihr solltet uns schonen und die Härte eure? Herzens brechen, indem ihr mitleidig, wie es geziemt, nicht nur die Furchtbarkeit des Schicksals bedenkt, das wir leiden sollen, sondern auch, Männer welcher Art es sind, die solches dulden müssen, und wie unberechenbar es ist, wie viele das Verderben unschuldig trifft. Und wir, wie es uns geziemt und die Noth uns zwingt, nahen euch als Bittende, indem wir aufrufen zu den Göttern, die auf gleichen Altären von allen Hellenen verehrt werden , daß sie euren Sinn uns gnädig stimmen ; wir halten euch die Eide vor, die eure Väter geschworen, und bitten euch flehentlich, nicht zu vergessen der Gräber eurer Väter, und bei diesen Todten rufen wir euch an: gebt uns nicht in die Hände der Thebaner und überliefert die euch so freundlich Gesinnten nicht ihren bittersten Feinden! An

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[*]( 427 v. Chr. ) jenen Tag, da wir mit diesen Todten die glänzendsten Thaten ausführten , erinnern wir euch an dem Tag, da wir in Gefahr sind, das Schrecklichste zu erleiden. Was nun fein muß und doch sehr schwer fällt für Leute in unserer Lage, der Rede nämlich ein Ende zu machen, weil mit ihm auch die Gefahr des Todes herantritt, das thun wir jetzt und erinnern euch nur noch, daß wir nicht den Thebanern die Stadt übergeben haben, denn dem hätten wir den schmählichsten Tod, Hungers zu sterben, vorgezogen, — sondern euch haben wir uns mit Vertrauen überliefert. Es ist also gerecht, wenn ihr euch schon nicht erbitten laßt, daß ihr uns in unsere vorige Lage zurückversetzt und es uns überlastet, welche Gefahr wir vorziehen. Und zugleich beshcwören wir euch, daß ihr uns Platäer, die aus's eifrigste für die hellenische Sache gekämpft und jetzt als Schutzflehende zu euch gekommen sind, ihr Lakedämonier, nicht aus euren Händen und eurem Schutze den Thebanern, unsern ärgsten Feinden, überliefert. Werdet unsere Retter, und während ihr die andern Hellenen frei macht, wollet uns nicht vernichten!"