History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Wahrmund, Adolf, translator. Stuttgart: Krais and Hoffmann, 1864.

Desselbigen Winters litten die Platäer sehr durch Mangel an Nahrung-Mitteln, denn sie wurden immer noch von den Peloponnesiern und Böotiern belagert. Nun war auf Hülfe von Athen keine Hoffnung, noch zeigte sich sonst eine Rettung, und darum beschlossen sie selbst und die, welche von den Athenern mit ihnen die Belagerung aushielten, zuerst in Gesammtheit die Stadt zu verlassen [*]( l5) Sonst waren die Ruderer, die von den Matrosen wohl zu unterscheiden sind, Bürger niederer Klassen, Sklaven oder Söldner, bei den Spartanern Heloten. Den Bürgern, deren Sklaven zur Flotte gepreßt wurden, zahlte der Staat eine Vergütung. )

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[*]( 427 v. Chr. ) und die Mauer der Feinde zu übersteigen, wenn sie es zwingen könnten. Den Anschlag dazu gaben ihnen Theänetos, des Telmides Sohn, ein Wahrsager, und Eumolpides, Sohn des Daimachos, der auch den Oberbefehl bei ihnen führte. Später aber wurde die Hälfte von ihnen wieder unentschlossen, weil sie die Gefahr für zu groß hielten, und es blieben nur ungefähr zweihundertnndzwanzig Mann freiwillig bei dem Entschlüsse und führten denselben also aus. Sie machten Leitern von gleicher Höhe mit der Mauer der Feinde. Das Maß dazu nahmen sie an den aufeinanderliegenden Schichten der Ziegelsteine, an einer Stelle, wo die ihnen zugewandte Mauer nicht überkleidet war. Es zählten nämlich mehrere von ihnen zugleich diese Schichten, und hätte auch der Eine oder Andere sich geirrt, so konnte sich doch die Mehrzahl in der richtigen Zählung nicht täuschen, zumal sie auch öfter zählten und die Mauer überdies; nicht weit entfernt war, sondern die Stelle derselben, die sie brauchten, ziemlich genau gesehen werden konnte. Auf diese Weise nahmen sie das Maß zu den Leitern, indem sie nach der Dicke der einzelnen Steine die nöthige Länge bestimmten.

Die Mauer der Peloponnesier war aber auf folgende Weise gebaut. Sie bestand aus zwei Ringmauern, deren eine gegen Platäa gerichtet und die andere für den Fall berechnet war, wenn allenfalls von Athen aus aus die äußere Seite ein Angriff geschähe. Diese beiden Ringmauern waren ungefähr sechszehn Fuß von einander entfernt. Der Zwishcenraum war zu Hütten für die Besatzung vertheilt und ganz ausgebaut. Das ganze Werk war nirgends unterbrochen , so daß es wie eine einzige dicke Mauer ershcien, die nach beiden Seiten Brustwehren hatte. Jedesmal nach der zehnten Brustwehr kam ein großer Thurm, von gleicher Breite wie das Werk, so daß dieselben auf der einen Seite bis an die innere, und auf der ander« Seite bis an die äußere Ringmauer reichten und man nicht an ihnen vorüberkommen konnte, sondern durch sie hindurch gehen mußte. Ju Nächten nun, wenn das Wetter stürmisch und feucht war, ließeu sie die Brustwehren unbesetzt und versahen die Wache von den Thürmen herab, die nicht weit von einander abstanden und oben überdacht waren. So war die Mauer eingerichtet, mit der sie die Platäer umschlossen hielten.

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Diese nun, nachdem sie mit ihren Vorbereitungen zu Ende [*]( 427 v. Chr. ) gekommen, nahmen einer mondlosen Nacht wahr, da es unter Stürmen regnete, und verließen die Stadt. Anführer dabei waren dieselben, die auch zu dem Versuche gerathen hatten. Zuerst überschritten sie den Graben, der die Stadt umschloß, dann kamen sie bis an die Mauer der Feinde, unbemerkt von den Wachen, die in der Dunkelheit weder weit vor sich hin sahen, noch auch das Geräusch der Herankommenden hören konnten, da der Sturm ihnen in's Gesicht schlug. Auch hielten sich jene weit auseinander entfernt, damit nicht ihre Waffen an einander anklirren und sie verrathen möchten. Sie waren auch nur leicht gerüstet und nur am linken Fuße beschuht, um in dem Kothe sicher auftreten zu können, Sie näherten sich nun in dein Zwishcenranme zwischen zwei Thürmen den Brustwehren, weil sie dieselben unbesetzt wußten. Zuerst kamen die Leiterträger und legten diese an; dann stiegen zwölf Leichtbewaffnete mit Dolch und Brustpanzer hinauf, welche Ammeias, des Koröbos Sohn, führte, der anch als der Erste die Mauer erstieg. Von denen, welche nach ihm hinaufkamen, wandten sich je sechs gegen einen der beiden Thürme. Dann nach diesen kamen andere Leichtbewaffnete mit kurzen Spießen, hinter denen drein Andere die Schilde nachtrugen, damit sie um so leichter hinaufkämen. Die Schilde sollten sie dann an jene abgeben, wann sie nah an den Feind gekommen wären. Als aber schon eine größere Zahl hinaufgekommen war, bekamen die Wachen auf den Thürmen Wind; denn Einer von den Platäern hatte beim Festhalten an der Brustwehr einen Stein losgelassen, der beim Herunterfallen Geräusch machte, worauf die Wache sogleich rief. Die Besatzung eilte nach der Mauer, ohne in der finsteren, stürmischen Nacht zu wissen, was der Lärm bedeute, und gleichzeitig machten auch die in der Stadt zurückgebliebenen Platäer einen Ausfall gegen eine Stelle der feindlichen Mauer, gerade entgegengesetzt derjenigen, wo ihre Leute dieselbe überstiegen, um die Aufmerksamkeit der Feinde ganz von derselben abzuziehen. Diese blieben nun aus Verwirrung jeder auf seinem Platze stehen uud Keiner wagte von seinem Posten aus den Andern zu Hülfe zu eilen, sondern Alle standen unschlüssig, wie sie sich den Vorfall deuten sollten. Die dreihundert Mann von ihren,. [*]( Thukydides. III. ) [*]( 14 )

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[*]( 427 v. Chr. ) welche vorkommenden Falls für eine nöthige Hülfeleistung bestimmt waren, eilten auf den Ruf der Wache außerhalb der Ringmauer, und nach der Seite von Theben hin wurden Lärmfeuer angezündet. Nun zündeten aber auch die Platäer in der Stadt auf ihrer Mauer Lärmfeuer in Menge dagegen an, die schön früher zu diesem Zweck in Bereitschaft gesetzt worden waren, damit die Feinde sin Thebens in Verlegenheit wären, was sie aus den Feuerzeichen machen sollten und auf eine andere Vermuthung, als den wirklichen Vorfall kämen, während unterdessen ihre eigenen Leute aus der Stadt sich durchschlügen und einen sicheren Vorsprung gewännen.

Unterdessen erstieg ein Theil der Platäer die Mauer, und so wie die Vordersten hinaufgekommen waren, bemächtigten sie sich der beiden ^nächsten) Thürme, indem sie die Wachen daselbst tödteten, und besetzten dann selbst die Durchgänge unter den Thürmen, um zu verhindern, daß da Keiner zu Hülfe kommen könne. Dann legten sie von der Mauerhöhe Leitern an die Thürme, hießen eine Zahl Männer hinaufsteigen und konnten nun vom Fuß der Thürme wie von oben herab heranrückende Feinde durch Schießen abwehren. Unterdeß hatte aber auch der große Haufe der Platäer viele Leitern zugleich angelegt, rissen die Brustwehren ab und setzten zwischen den beiden Thürmen über die Mauer. War einer glücklich hinübergekommen, so stellte er sich am Rand des Grabens auf, und so schossen und schleuderten sie von dort aus, wenn Einer etwa längs der säußeren) Mauer herankäme, das Uebersteigen zu hindern. Als nun auch die von den Thürmen alle herabgekommen waren, gelangten die, welche zuletzt nieder- stiegen, nur noch mit Mühe bis an den Graben, denn jetzt stießen die dreihundert auf sie mit Fackeln. Die Platäer nun, die am Rand des Grabens im Dunkeln standen, konnten jene viel besser sehen und zielten mit Pfeilen und Wurfspießen nach den unbedeckten Körpertheilen; sie selbst aber, wie sie im Finstern standen, konnten wegen des Fackelscheins nicht so leicht gesehen werden. So kamen denn auch die Letz« ten der Platäer rechtzeitig über den Graben, wenn auch mit Mühe nnd Gefahr; denn es hatte zwar Eis drüber gefroren, aber nicht stark genug, um Menschen zu tragen, sondern mehr wässerig,. da grade Nord- oder Nord-Ost-Wind blies. Dieser Wind hatte in der Nacht auch Schnee gebracht und das Wasser im Graben so geschwellt, daß

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beim Uebersetzen kaum noch die Köpfe hervorragten. Doch wurde [*]( 427 v. Chr. ) ihnen auch die Flucht um so leichter bei so stürmischem Wetter. l

Nun wandten sich die Platäer von dem Graben weg und schlugen alle zu Haus den Weg ein, der nach Theben führt, rechter Hand lassend die Kapelle des Heros Androkrates denn sie glaubten , daß jene am allerwenigsten vermuthen würden, sie hätten diese Richtung nach dem feindlichen Land hinein genommen; auch sahen sie sogleich, wie die Peloponnesier mit Fackeln zu ihrer Verfolgung die Straße einschlugen, die zum Kithäron und nach Dryoskephalä und so nach Athen führt. Bei sechs oder sieben Stadien weit hielten sich die Platäer auf der Straße nach Theben, dann schlugen sie sich seitwärts nach dem Gebirge zu, auf die Straße nach Erythrä und Hysiä, und gewannen so den Kamm des Gebirgs und entkamen nach Athen, ihrer zweihundertundzwölf Mann von den Ausgefallenen; denn einige von diesen waren wieder umgekehrt in ihre Stadt hinein, noch vor der Mauer, und Einer, ein Bogenschütze, war bei dem auswendigen Graben von den Feinden gefangen worden. Unterdessen waren die Peloponnesier wieder in ihre Lagerung zurückgezogen, absehend vom Nachsetzen. Die Platäer in der Stadt aber wußten von dem Ausgang der Sache nichts, weil die Zurückgekehrten gemeldet hatten, Niemand wäre am Leben geblieben; drum schickten sie, da der Tag angebrochen, einen Herold hinaus und verlangten Waffenruhe, ihre Todten zu begraben. Als sie aber die Wahrheit erfuhren, ließen sie es dabei. So haben die platäifchen Männer die Mauer überstiegen und sich gerettet.

Aus Lakedämon aber wurde zu Ende desselben Winters Saläthos, ein Lakedämonier, mit einem Dreiruderer gen Mitylene geschickt. Der fuhr denn auch bei Pyrrha an, schlich sich von da zu Lande weiter und durch das Bett eines Waldstroms über die Verschanznng (der Athener), die an dieser Stelle zu passiren war, und gelangte so nach Mytilene und sagte den Häuptern der Stadt, daß ein Einfall auf das Gebiet von Attika unternommen werde und zugleich auch die vierzig Schiffe ershceinen sollten, die zu ihrem Entsatz bestimmt seien. Er selbst aber sei eben dieser Dinge wegen voraus­ [*]( 16) Landes- und Schutz-Hering der Platäer. ) [*]( 14* )

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[*]( 427 v. Chr. ) gesandt und zugleich auch um sonst Nöthiges vorzukehren. Da gewannen nun die Mytilenäer frischen Muth und waren jetzt weniger bedacht, sich mit den Athenern zu vergleichen. So ging dieser Winter zu Ende und damit das vierte Jahr dieses Kriegs, den Thukydides beschrieben hat.

Des folgenden Sommers, nachdem die Peloponnesier die zweiundvierzig Schiffe nach Mytilene gesandt hatten, unter Führung des Alkidas, der bei ihnen Flottenführer war und den sie nun zum Befehlshaber setzten, fielen sie selbst und ihre Bundesgenossen in Attika ein, damit die Athener ans zwei Seiten zu wehren hätten und um so weniger gegen die Schiffe ausziehen sollten, die gen Mytilene fuhren. Bei diesem Einfall befehligte Kleomenes in Vertretung des unmündigen Königs Panfanias, des Pleistoanax Sohn '?), dem er Vatersbruder war. Sie verheerten die auch früher schon verwüsteten Striche von Attika, was etwa wieder aufgeschossen und was bei den früheren Einfällen vershcont geblieben war, und dieser Einfall wurde nächst dem zweiten den Athenern der empfindlichste; denn die Feinde, immer in Erwartung, etwas von Lesbos zu hören, daß ihre Schiffe nämlich glücklich gelandet und etwas ausgeführt hätten, verblieben im Lande und zogen sengend bald hier- bald dorthin. Da es ihnen aber nicht nach Wunsche ausging und zuletzt die Lebensmittel fehlten, . so zogen sie wieder ab und zerstreuten sich in ihre Städte.

In Mytilene inzwischen, da die Schiffe vom Peloponnes noch nicht gekommen waren und immer noch säumten, und auch das Getreide schon fehlte, wurden die Bürger gezwungen, sich mit den Athenern zu vergleichen, und zwar aus solche Veranlassung. Saläthos, der jetzt auch selbst schon die Schiffe nicht mehr erwartete, gab dem Volk, das früher nur leicht bewaffnet war, schwere Rüstung, weil er einen Ausfall gegen die Athener thun wollte. Da diese nun solche Bewaffnung hatten, so hörten sie nicht mehr auf ihre Oberen, rotteten sich zusammen und verlangten, die Reichen sollten ihre Getreidevorräthe herausgeben und unter die gesammte Bürgerschaft vertheilen, [*]( 17) Die hier genannten Kleomenes und Pleistoanax sind Söhne des Pau- fanias, des Siegers von Platäa. Pleistoanax, des jüngeren Pausanias Vater, war verbannt. )

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oder sonst, so sagten sie, wollten sie selbst sich mit den Athenern ver- [*](427 v. Chr. ) gleichen und ihnen die Stadt übergeben.

Da nun die am Ruder waren wohl sahen, daß sie nicht im Stande wären jenes zu hindern, und daß sie große Gefahr liefen, wenn sie von dem Vergleiche ausgeschlossen würden, so schlossen sie im Namen des ganzen Gemeinwesens einen Vertrag mit Paches und dem Heere unter solchen Bedingungen, daß es den Athenern anheimgestellt sein sollte, über die Mytilenäer zu verfügen, wie es ihnen gutdünkc. Inzwischen wollten sie das Heer in die Stadt aufnehmen und eine Gesandtschaft nach Athen schicken, dort ihre eigene Sache zu vertreten. Bis diese wieder zurückgekommen, dürfe Paches keinen Mytilenäer weder in das Gefängniß werfen, noch in die Knechtschaft verkaufen, noch tödten. Also lautete der Vergleich. Die aber von den Mytilenäern am meisten zu den Lakedämoniern gehalten hatten, waren nun sehr in Furcht, und als das Heer einzog, trauten sie nicht, sondern flüchteten gleichwohl noch vorher zu den Altären. Paches aber bewog sie, herauszutreten, indem er versprach, sie nicht zu kränken, und verwahrte sie auf Tenedos, bis die Athener Beschluß gefaßt hätten. Er schickte aber auch nach Antissa Dreiruderer und erzwang die Uebergabe, und schaltete auch im Uebrigen mit der Flotte, wie es ihm gutdünkte.

Die Peloponnesier aber auf den vierzig Schiffen, die in aller Eile hätten herankommen sollen, säumten sich schon in den Peloponnesischen Gewässern, und auch aus der weiteren Fahrt rückten sie nur langsam vorwärts. Die Athener in der Stadt erhielten nicht eher Kenntniß von ihnen, als bis sie sich bei Delos zeigten. Als sie von da weiter nach Ikaros und Mykonos kamen, erhielten sie zuerst die Nachricht, Mytilene sei genommen. Da sie aber Gewißheit haben wollten, so segelten sie nach Embaton im Erythräischen ^am Vorgebirge Kara Burun vor dem Busen von Smyrna^. Sieben Tage ungefähr waren seit der Einnahme Mytilene? verflossen, als sie bei Embaton landeten. Da erhielten sie denn Gewißheit und beriethen nun, was unter diesen Umständen zu thun sei, und Teutiaplos, ein Mann aus Elis, sprach zu ihnen also:

„Alkidas und ihr andern Heerführer der Peloponnesier, soviel unserer hier sind! Mir scheint, wir sollten ungesäumt auf Mytilene lossegeln, bevor wir noch ausgekundschaftet werden. Wir wer-

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[*]( 427 v. Chr. ) den gewiß die Feinde, die eben erst die Stadt eingenommen haben, in großer Sorglosigseit überraschen, zumal auf der See, von woher jene am allerwenigsten das Erscheinen des Feindes erwarten, und aus der wir ihnen jetzt grade überlegen sind. Gewiß sind auch ihre Landtruppen , wie es beim Sieger natürlich ist, sorglos durch die Häuser zerstreut. Wenn wir also unversehens und zur Nachtzeit über sie herfallen, so ist Hoffnung, daß wir mit Hülfe derer in der Stadt, wenn überhaupt noch Einer von unserer Partei übrig ist, das Ganze wieder an uns reißen. Zaudern wir also nicht vor der Gefahr, sondern glauben wir, daß dieß eben ein solcher Ueberrashcungssall im Kriege ist, wie ihn ein Feldherr wohl bei sich selbst verhüten soll, den er aber, am Feinde bemerkt, allsogleich benutzen muß, will er anders großen Erfolg haben."

So redete dieser, gewann jedoch den Alkidas nicht. Da forderten ihn denn einige Andere von den Ionischen Flüchtlingen und mitsegelnden Lesbiern auf, wenn er schon diese Gefahr fürchte, so möge er eine der Ionischen Städte wegnehmen oder das Aeolische Kyme, damit sie an einer solchen Stadt einen Ausgangspunkt hätten, um Jonien zum Abfall zu bringen. Dazu sei Hoffnung vorhanden; denn sie seien keinem unerwünscht hierher gekommen. Sie sollten also diese bedeutendste Einnahmsquelle der Athener ihnen wegnehmen, und wenn dieselben dann zu einer Blokade schritten, so würde ihnen dadurch noch obendrein Aufwand abgenöthigt. Auch seien sie der Meinung, man könne den Pissuthnes sden persischen Satrapen^ wohl überreden, sich ihrer Kriegführung anzuschließen. Alkidas aber ging auch darauf nicht ein, sondern dachte nur, da er bei Mytilene schon einmal zu spät gekommen war, so bald als möglich den Peloponnes wieder zu gewinnen.

Er ging also von Embaton wieder unter Segel, schiffte an der Küste hin und landete bei Myonnesos, das den Tejern gehört, und ließ die Mehrzahl der Kriegsgefangenen, die er unterwegs gemacht hatte, abschlachten. Als er darauf bei Ephesos vor Anker ging, kamen Gesandte der Samier aus Auäa und sagten ihm, das sei nicht die Art, wie man Hellas frei mache, wenn er [*]( 18) Diese Samier waren von der den Athenern feindlichen Partei ihrer Insel und lebten als Flüchtlinge in Anäa auf der lleinasiatischcn Küste. )

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Leute todte, die keine Hand zur Gegenwehr aufgehoben und nicht ein- [*]( 427 v. Chr. ) mal feindlich gesinnt' seien, sondern nur gezwungen auf Selten der Athener stünden. Wenn er so fortfahre, so werde er wenige von der feindlichen Seite zu Freunden gewinnen, wohl aber viel mehr von den freunden zu feinden machen. Er ließ sich denn auch überzeugen und entließ Leute der Chier, die er noch mitschleppte, und auch einige Andere. Wann nämlich die Leute der Schiffe ansichtig geworden waren, liefen sie gar nicht davon, sondern näherten sich vielmehr, in der Meinung, es seien Attische Fahrzeuge; denn sie hatten auch nicht die mindeste Hoffnung, daß sich bei der Obmacht der Athener zur See Peloponnesische Schiffe nach Jonien hcrüberwagen würden.

Von Ephesos aber machte sich Alkidas mit der Flotte in aller Eile auf und davon. Er war nämlich, als er noch bei Klaros vor Anker lag, von der „Salamina" und der „Paralos" '^) entdeckt worden, die gerade von Athen aus ansegelnd in Sicht kamen, und aus Furcht verfolgt zu werden, suchte er nun die offene See, in der Absicht, ohne Noth nirgends anders zu landen, als im Peloponnes. - Nun kam dem Paches und den Athenern auch von Erythräa und sonst überallher Botschaft; denn da Jonien unbefestigt war, so war die Besorgniß sehr groß, die Peloponnesier möchten aus ihrer Kreuzung, wenn sie auch nicht gerade sich festzusetzen im Sinne hätten, so doch gelegentlich landen und die Städte plündern. Dazu meldeten nun die „Paralos" und die „Salamina", daß sie selbst den Feind bei Klaros in Sicht gehabt hätten. Paches lief nun mit vollen Segeln zur Verfolgung aus und setzte sie auch bis auf die Höhe der Insel Patmos fort; da er aber dann sah, daß er sie nicht mehr einholen könne, so kehrte er wiederum und erachtete es nun, da er sie schon einmal auf hoher See nicht mehr getroffen, für Gewinn, ihnen nirgendwo ^an der Küste) begegnet zu sein, wodurch jene zur Ver­ [*]( 19) So hießen die beiden Staatsschiffe, zugleich die besten Segler, die immer zum Dienste bereit sein mußten; die Mannschaft erhielt deßhalb auch im Frieden täglich 4 Obolen Löhnung. Nach dem Scholiasten zu AristophaneS, Vögel, us, wurde die Salaminia besonders zur Herbeiholnng von Verbrechern oder Angeklagten, die ParaloS mehr im Religionsdienst gebraucht. )

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[*]( 427 v. Chr. ) schanzung in einem Schiffslager und er selbst zur Ueberwachung und Blokade gezwungen worden wäre

Als er nach der Umkehr an der Küste hinfuhr, landete er auch bei Nation, der Stadt der Kolophonier ^'), wo sich Kolophonier aus der weiter landeinwärts gelegenen Stadt angebaut hatten, nachdem diese von Jtamenes und den Barbaren genommen war, die eine aufständische Partei in der Stadt selbst herbeigerufen hatte. Diese Wegnahme war ungefähr um dieselbe Zeit vorgefallen, als die Peloponnesier das zweite Mal in Attika einfielen. In Notion nun waren die dorthin geflüchteten Ansiedler auch hier wiederum unter sich zerfallen, und die Einen hatten sich vom Pissuthnes Arkadische und Barbarische Hülfsvölker geben lassen und hielten sich in einem besonders ummauerten Stadttheil. Die medisch Gesinnten aus der landeinwärts gelegenen Stadt der Kolophonier vereinigten sich hier mit ihnen und hatten da ihr Wesen; die andere Partei aber, die hatte weichen müssen und flüchtig geworden war, sührte nun den Paches herbei. Dieser lud den Hippias, den Befehlshaber der Arkader in der Befestigung, zu einem Zwiegespräch mit dem Versprechen, ihn wieder heil und gesund in die Festung zu bringen, wenn seine Vorschläge nicht annehmlich sein sollten. Der kam nun auch heraus, Paches aber gab ihn zur Ueberwachung, ließ selbst ganz unvermuthet gegen die Festung Sturm laufen und nahm sie auch, da jene ganz unvorbereitet waren. Die Arkader und Barbaren von der Besatzung [*]( 20) D. h. vor Paches als dem Neberlegenen hätten sich die Lakedämonier mit ihren Schiffen aus das Land flüchten und dieselben durch ein verschanztes Lager decken müssen (vergl. Thuk. l, 117 Anm.), wodurch er selbst zur Blockirung genöthigt worden wäre. ) [*]( 21)Nation war der Hasen des weiter landeinwärts gelegenen ionischen Kolophon. Diese Stadt hatte früher eine aristokratische Regierung; die Anzahl der reichen Familien soll die der ärmeren überwogen haben, weßhalb eben Aristoteles (Politik. IV, 3, 8) meint, daß die Herrschaft derselben, obwohl eine Herrschaft der Mehrzahl, nicht eine Volksherrschaft (Demokratie) genannt werden könne, weil sie eine Herrschaft der Reichen gewesen sei. Seit ihrer Eroberung durch die Barbaren d. i. die Lydier nach 716 v. v. Chr. waren ihre Zustände zerrüttet. Sie soll zuerst von den ionischen Städten lydische Weichlichkeit und Ver- derbthcit angenommen haben. Die Flotte war bedeutend, die Reiterei als sehr h )

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ließ er niederhauen; den Hippias selbst ließ er seinem Versprechen [*]( 427 v. Chr. ) gemäß später in die Festung führen, als er aber innerhalb der Mauern war, ihn wieder ergreifen und mit Pfeilen niedershcießen. Notion gab er den Kolophoniern, mit Ausschluß der medisch Gesinnten, zurück. Später schickten die Athener neue Stadtvorstände hin und richteten Notion nach ihren Gesetzen ein, nachdem sie dort alle Kolophonier zusammengezogen hatten, wie sie irgendwo in den Städten zerstreut waren.

Da Paches nach Mytilene zurückgekommen war, eroberte er noch Pyrrha und Eresos, bekam auch Saläthos, den Lakedämonier, gefangen, der sich in der Stadt versteckt gehalten hatte, und sandte ihn nach Athen, wie auch diejenigen der Mytilenäer, die er auf Tenedos verwahrt hatte, und wenn ihm sonst Einer an dem Abfall Mitschuld zu haben schien. Auch den größeren Theil des Heeres entließ er; mit den Uebrigen blieb er und traf für Mytilene und das übrige Lesbos Verfügungen, wie es ihm gutdünkte.

Als diese Männer und Saläthos angekommen waren, ließen die Athener den Saläthos sogleich hinrichten, obwohl er manche Versprechungen machte, neben Anderem auch, daß er die Peloponnesier zum Abzug von Platäa bewegen wolle; denn diese Stadt wurde immer noch belagert. Wegen der Mytilenäer aber berathschlagten sie erst, und in ihrer Erbitterung faßten sie Beschluß, nicht nur die nach Athen Gebrachten, sondern Alles in Mytilene, was die mann- baren Jahre erreicht habe, hinzurichten, Weiber und Kinder aber zu Sklaven zu machen. Dabei machten sie ihnen nicht nur zum besondern Vorwurf, daß sie überhaupt abgefallen, obfchon sie die Herrschaft der Athener nicht in der Art wie die Uebrigen zu ertragen hatten ^), sondern es war besonders das Erscheinen der peloponnesischen Schiffe in den Ionischen Gewässern, was ihre Aufregung vermehrte, die auf eigene Gefahr es gewagt hätten, jenen zu Hülfe zu kommen 23). Denn daraus schien hervorzugehen, daß der Abfall von [*]( 22) Weil sie eben nur Steuern zu zahlen hatten, ohne ihre Autonomie eingebüßt zu haben. Vgl. Anm. 8. ) [*]( 23) Das Erscheinen der peloponnesischen Flotte in den ionischen Gewässern war für die Athener ein höchst überraschender Wink, daß ihre Seeherrschast nicht gerade unerschütterlich fest begründet sei; ind dieß mußte einen ähnlichen Ein-)

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[*]( 427 v. Chr. ) langer Hand vorbereitet sei. Zur Uebermachung des Beschlusses schickten sie dann einen Dreiruderer an den Paches und befahlen ihm, mit den Mytilenäern so rasch wie möglich ein Ende zu machen. Am folgenden Tage schon faßte sie indeß eine gewisse Reue, und sie besannen sich, es sei doch ein unmenschlicher Beschluß und es wolle viel heißen, eine ganze Stadt zu verderben und nicht die Schuldigen allein. Als dieß die anwesenden Gesandten der Mytilenäer und ihre Freunde unter den Athenern merkten, so bearbeiteten sie die Staats- beamten, die Sache nochmals zur Abstimmung bringen zu lassen, und sie überredeten sie dazu um so leichter, da es auch ihnen selbst deutlich geworden war, daß es die Mehrzahl der Bürger gern sehe, wenn ihnen jemand die Möglichkeit biete, die Sache nochmals zu berathen. Als nun die Volksversammlung allsogleich zusammenberufen worden und Verschiedene, ein Jeder seine Meinung darlegten, so trat auch Kleon, des Kleänetos Sohn, wieder auf, der schon das erste Mal das Todesurtheil durchgesetzt hatte, übrigens auch sonst der Gewaltthätigste unter den Bürgern war und das Vertrauen des Volks wie kein Anderer damals besaß, und redete also:

„Schon oft habe ich auch bei andern Gelegenheiten einen demokratishcen Staat als unfähig erkannt, über Andere zu herrschen, nie aber deutlicher als heute, wo euch der Mytilenäer wegen Reue ergriffen hat. Weil ihr euch nämlich im täglichen Verkehr unter einander selbst furcht- und arglos benehmt ^), so zeigt ihr euch euren Bundesgenossen gegenüber ebenso, und wenn ihr hierin irgend eine Thorheit begeht, sei es nun, daß ihr euch von ihnen beschwatzen laßt, oder daß ihr eurem eigenen Mitleiden den Gesallen thut, so bedenkt ihr nicht, daß eure Weichmüthigleit weder für euch selbst gefahrlos sei, noch euch den Dank der Bundesgenossen erwerben könne. Ihr [*]( druck auf sie machen, wie heutzutage die Hebung der französischen Flotte aus die Engländer. Diese können ebensowenig einen Nebenbuhler zur See dulden, wie die Athener eS konnten. Weil es sich hierbei um Sein oder Nichtsein handelt, so heutzutage die Anstrengungen der Engländer, und damals die furchtbare Erbitterung der Athener gegen die Mytilenäer, die als die nächste Veranlassung erschienen. ) [*]( 2') Hierauf thaten sich die Athener viel zu Gute. Vergl. II. 37, wo ihnen PerikleS dieselbe Schmeichelei sagt. )

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bedenkt nicht, daß eure Herrschaft eine Gewaltherrschaft ist, daß eure [*]( 427 v. Chr. ) Unterthanen Ränke gegen euch schmieden und euer Joch widerwillig tragen. Sie werden euch nicht etwa in dem Maße lieber gehorchen, als ihr euch zu eurem eigenen Schaden ihnen gefällig erzeiget, sondern in dem Maße, als ihr eure Herrschaft über sie mehr ans eure Uebermacht, als auf ihr Wohlwollen gründet. Das Unglückseligste aber ist es, wenn Nichts von dem, was wir einmal beschlossen haben, in Kraft verbleibt, und wenn wir nicht lernen wollen, daß ein Staat, der zwar schlechtere, aber unwandelbare Gesetze beobachtet, mächtiger ist, als wenn er bei vortrefflichen Gesetzen sie nicht zur Ausführung bringt; daß geringer Verstand bei Selbstbeschcidung nützlicher wirkt als große Geschicklichkeit bei zügellosem Wankelmuth, und daß ungebildetere Leute mit ihrem Gemeinwesen meist besser zurechtkommen als gebildetere 22). Denn diese wollen weiser ershceinen als die Gesetze und immer noch Klügeres missen als das, was zum Besten des Gemeinwesens bereits gesagt worden ist, als ob es keine trefflichere Gelegenheit gäbe, ihr Licht leuchten zu lassen, und grade durch solches Benehmen bringen sie die Staaten in's Unglück. Die Andern aber in ihrem Mißtrauen in die eigene Einsicht bescheiden sich, nicht so weise zu sein wie die Gesetze und unfähig, an der Rede eines Mannes Ausstellungen zu machen, der Treffliches vorgebracht hat, und grade weil sie mehr unparteiische Richter als Parteikämpfer sind, so treffen sie meist das Richtige. So müssen auch wir es machen und nicht im Eifer, gegen Andere unsere Redetüchtigkeit und unsern Scharfsinn geltend zu machen, uns hinreißen lassen, gegen die eigene Ueberlegung euch zu irgend etwas zu bereden." '

,Ich meines Theils bleibe bei meiner Meinung, und kann [*]( 25) Dieser Grundsatz war gewiß ein Paradepferd des selbst ungebildeten Kleon. Daher AristophaneS in den Rittern, ihn verspottend: Regieren ist kein Ding für Leute Von Charakter und Erziehung! Niederträchtig, Unwissend muß man sein! Drum folge du Dem Ruf. den dir der Götterspruch verkündet! Worte, an den Wursthändler gerichtet, dem ein Orakel verheißt, daß er Kleon stürzen werde, und der sich als unfähig zum Regieren erklärt, weil er nichts gelernt habe. )

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[*]( 427 v. Chr. ) mich nur wundern über die, welche die Angelegenheit der Mytilenäer noch einmal zur Sprache bringen und damit einen Zeitverlust herbeiführen, der nur den Schuldigen zu Gute kommt. Denn dadurch wird nur der Zorneifer abgeschwächt, mit welchem der Beschädigte gegen den Schädiger vorgehen sollte, während doch nur die Rache, die der Beleidigung aus dem Fuße folgt, mit gleicher Wage die gerechte Wiedervergeltung übt. Es soll mich aber auch wundern, wer mir hierin zu widersprechen sich herausnehmen wird, und zu beweisen, daß die Verbrechen der Mytilenäer für-uns nutzbringend seien, unser Vortheil aber für die Bundesgenossen Nachtheil einschließe. Ein solcher müßte doch im Vertrauen auf seine Rednergabe den Gegenbeweis zu führen streben, nicht das Allgemein Anerkannte sei zum Beschlusse erhoben worden, oder er müßte durch Geld bestochen sein, euch durch Redekunst, die den Schein der Wahrheit borgt, hinter's Licht zu führen. Der Staat aber läßt die Siegespreise solcher Wettkämpfe Andern zukommen ; er selbst behält nur die Gefahren für sich. Und die Schuld hiervon tragt ihr, als schlechte Kampfrichter, denn euer Augenmerk richtet ihr nur auf die Reden, die Thatsachen aber hört ihr nur so nebenher mit an, und künftige Unternehmungen beurtheilt ihr nach denen, die schöne Worte darüber machen, wie leicht sie auszuführen seien, — was aber bereits geschehen ist, nach denen, die mit schönen Worten Ausstellungen zu machen wissen: nnd ihr solltet doch bedenken, daß man sich bei geschehenen Dingen besser auf seine eigenen Augen verläßt , als auf fremdes Gerede. Durch unerwartete Neuheit der Rede euch hinter's Licht führen zu lassen, versteht ihr vortrefflich, und ebenso auch, der überzeugenden Bewährtheit eines Vorschlags eure Ohren zu verschließen; denn ihr seid Sklaven des Außerordentlichen und Verächter des Gewöhnlichen. Jeder will nur selbst zum Reden kommen, und wenn nicht das, so doch mit denen, die solcherlei vortragen, wie im Wettkampf ringen, um den Schein zu vermeiden, als käme seine eigene Einsicht nur so hinterdrein, oder auch um schnell noch die eigene Ansicht auszusprechen, bevor jener noch geredet. Ihr seid ebenso flink, voraus zu errathen, was gesagt werden wird, als schwerfällig, die Folgen desselben vorauszusehen. Ihr sucht, so zu sagen, ganz andere Dinge herbeizuführen als die Zustände, in denen wir leben, und seid doch nicht einmal im Stande, die gegenwärtige
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Lage vernünftig zn beurtheilen, und kurz, ihr seid immer Sklaven [*]( 427 v. Chr. ) des Ohrenkitzels, und ihr gleicht eher den müsftgen Gaffern auf den Bänken der Sophisten 26), als Männern, die über das Staatswohl berathen."

„Davon nun möchte ich euch abbringen, und deßhalb weise ich euch nach, wie sehr diese Eine Stadt der Mitylenäer sich an euch versündigt hat. Für solche, die nicht im Stande waren, die Forderungen eurer Herrschaft zu befriedigen, oder die von den Feinden gezwungen wurden, und so abgefallen sind, für die habe auch ich Verzeihung. Bewohner einer Insel aber, und zwar einer befestigten Insel, die nur von der Seeseite her einen Angriff unserer Feinde'zu fürchten gehabt hätten — und selbst für diesen Fall waren sie durch eine Zahl ausgerüsteter Dreiruderer nicht ohne Schutz — Leute, die nach ihren eigenen Gesetzen lebten und von uns auf's Höchste geehrt wurden, — wenn die solches thaten, haben sie damit etwas Anderes gethan, als aus uns einen Angriff gemacht? Und ist das nicht eher ein Anfall als ein Abfall zu nennen? Denn Abfall findet doch nur bei denen Statt, die vergewältigt worden. Und haben sie nicht im Bunde mit unseren ärgsten Feinden uns zu verderben gesucht? Und [*]( 26) Bezieht sich besonders auf Protagoras, ProdikoS und Gorgias, welcher' letztere damals grade mit der leontinischen Gesandtschaft nach Athen gekommen war (vergl. Thuk. Ill, SK). Trotz des außerordentlich hohen Honorars — Gorgias und ProtagoraS forderten 100 Minen (die Mine — 22 Flur. 22 Ggr.) für den Lchrkurs! — strömte ihnen die Jugend zahlreich zu. Auf ihre Leichtigkeit und Spitzfindigkeit, die allerdings dem ernsten, wahrhaften Sinn nicht minder schadeten, als Kleons rohe Oberflächlichkeit, spielt hier Kleon nicht an, denn ihm, dem Ungebildeten, erscheinen sie als Vertreter der Bildung, die er haßt. Sokrates ist hier vielleicht auch schon mitgemeint. Nur fünf Jahre später fällt die Abfassung der Wolken des Aristophanes, die ihn als Sophisten verspotten. Ganz ähnlich wie Kleon hier über die Sophisten, so später sein Gegner Aristophanes in den Fröschen (405 v. Chr.), freilich von ganz andern Gesichtspunkten aus, über SokrateS: Schande, wer bei Sokrates ' Sitzen mag und schwatzen mag — In gespreizten leeren Phrasen, Düsteleien, Quäckeleien, , Faulgeschäftig sich zu üben Ist für hohle Köpfe nur!. )

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[*]( 427 v. Chr. ) das ist doch viel verbrecherischer, als wenn sie mit eigener Macht, dafern sie diese besessen hätten, kriegführend gegen uns ausgetreten wären. Weder haben sie sich das Unglück der Andern zum warnenden Beispiel dienen lassen, die bereits früher ihren Abfall von uns mit der Niederlage gebüßt haben, noch auch gab ihnen ihr gegenwärtiger Wohlstand Grund zur Besinnung, daß sie sich nicht in'S Verderben stürzten, vielmehr forderten sie die Zukunft mit großer Keckheit heraus, und geschwellt von Hoffnungen, die eben so weit über ihre Kräfte hinausgingen, wie sie noch hinter ihren Wünschen zurückblieben, haben sie den Krieg gewählt und sich nicht besonnen, Gewalt vor Recht gehen zu lassen; denn unter Umständen, wo sie glaubten, mit uns fertig werden zu können, haben sie uns angegriffen, ohne beleidigt worden zu sein. So pflegen sich ja meist die Staaten zum Uebermuth zu wenden, welchen in kurzer Zeit und unerwartet großer Wohlstand zu Theil geworden ist. Gewöhnlich ist aber das Glück, wenn es dem Menschen nach dem gemeinen Gang der Dinge zu Theil wird, beständiger, als wenn es unerwartet.gekommen ist; und man darf wohl auch sagen, daß es leichter ist, ein Unglück fern zu halten, als das Glück sich auf die Dauer zuzugesellen. Wir hätten aber den Mytilenäern schon längst nicht vor allen Andern solche Ehre erweisen sollen, so hätte ihr Uebermuth nicht so ausgeartet; denn der Mensch ist nun-einmal von solcher Art, daß er den verachtet, der ihm den Hof macht, und sich vor dem beugt, der feste Haltung zeigt. So sollen sie denn nun auch bestraft werden, wie sie es verdienen, und nicht etwa dürft ihr nur der Minderzahl die Schuld beimessen, und den großen Haufen laufen lassen. Denn Alle mit einander haben sie uns angegriffen. Hätten die Andern zu uns gehalten, so könnten sie jetzt weiter ihren Staat in Unabhängigkeit regieren; aber sie haben eben das Wagestück der Minderzahl für weniger bedenklich gehalten und sind mitabgefallen. Und wenn ihr von euren Bundesgenossen diejenigen, die freiwillig abgefallen sind, nur mit derselben Strafe belegt, wie diejenigen, die vom Feinde dazu gezwungen wurden, wer, glaubt ihr, werde dann nicht die Gelegenheit zum Abfall vom Zaun brechen, da ihm im Fall des Gelingens die Freiheit winkt, und wenn die Sache schief geht, ihn eben keine sonderliche Strafe trifft? Da wird sofort unser Vermögen und Leben von jeder einzelnen Stadt be
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droht sein. Und wenn ihr im günstigen Fall eine Stadt zu Grunde [*]( 427 v. Chr. ) gerichtet habt, wo bleiben da für die Zukunft die Steuern und Einkünfte, auf denen unsere Macht beruht? Bleiben wir aber im Nachtheil, so haben wir uns zu unsern dermaligen Feinden noch neue aus den Hals gezogen, und die Zeit über, da wir unsern jetzigen Feinden Widerstand leisten sollten, werden wir uns mit unseren eigenen Bundesgenossen herumzuschlagen haben."