History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Wahrmund, Adolf, translator. Stuttgart: Krais and Hoffmann, 1864.

Unterdessen schwebten die Korinther, weil Potidäa abgefallen war und die Athenischen Schiffe sich in den makedonishcen Gewässern befanden, wegen jenes Platzes in Furcht, und da sie die Gefahr als ihre eigene betrachteten, so schickten sie aus ihrer Stadt Freiwillige und Söldlinge aus dem übrigen Peloponnes, im Ganzen sechzehnhundert Schwerbewaffnete und vierhundert Leichtbewaffnete, ab. Anführer war Aristeus, des Adeimantos Sohn, und vorzüglich aus Freundschaft für diesen hatten sich die meisten korinthischen Freiwilligen angeschlossen, denn er stand von jeher mit den Potidäern in genauer Verbindung. Vierzig Tage nach dem Abfall Potidäa's landeten diese an der Küste des Thrakischen Gränzgebietes.

Auch den Athenern kam schnell Nachricht vom Abfall der Städte zu, und als sie hörten, daß auch die Truppe des Aristeus zu jenen gestoßen sei, so schickten sie zweitausend Schwerbewaffnete und vierzig Schiffe gegen die Abgefallenen. Anführer war Kallias, des Kalliades Sohn, mit noch vier Anderen. Bei der Ankunft in Makedonien trafen sie die ihnen vorangegangenen tausend Mann schon im Besitze des eben eroberten Therme ^Thessalonich^ und Pydna belagernd; sie lagerten also auch vor Pydna und halfen die Stadt einschließen. Bald aber gingen sie nothgedrungen einen Vergleich und Bundesgenossenschast mit dem Perdikkas ein, wie denn die Rücksicht aus Potidäa und des Aristeus Ankunft sie wirklich dazu zwangen. Nunmehr räumten sie Makedonien und zogen gegen Beröa s^Veria oder Karaveria^ und von da gegen Strepsa ; nachdem ihr Versuch diese Stadt zu nehmen mißlungen war, richteten sie ihren Zug mit dreitausend Schwerbewaffneten aus der eigenen Bürgerschaft, ungerechnet die Menge der Hilfstruppen, und mit sechshundert makedonischen Reitern unter Philippos und Pausanias zu Lande gegen Poti­ [*]( 101) Uebersetzt ist die LeSart Ins anstatt was heißen würde- „nachdem sie sich lostwärteZ gewendet." ) [*]( 102) Dieser PausaniaS ist höchst wahrscheinlich einer der in Kap. 59 ge» nannten Brüder des Derdas. )

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däa, während die Flotte, siebzig Segel stark sie begleitend an der Küste hinfuhr. In kurzen Märschen gelangten sie am dritten Tage nach Gigonos ^nächst Potidäa^ und schlugen daselbst ein Lager.

Die Potidäer aber und die Peloponnesier unter Aristeus lagerten in Erwartung der Athener auf der Seite ^ihrer eigenen Stadt^ gegen Olynthos zu auf der Landenge und hatten deßhalb auch einen Markt für die Lebensmittel errichtet ^). Zum Anführer sämtlicher Fußtruppen hatten die Verbündeten den Aristeus gewählt und für die Reiterei den Perdikkas; denn dieser war sogleich wieder vom Bündniß mit den Athenern abgefallen und focht auf Seiten der Potidäer, nachdem er den Jolaos zu seinem Stellvertreter in der Regierung gemacht hatte. Es war nun der Plan des Aristeus, mit seiner eigenen Abtheilung einen Angriff der Athener auf der Landenge abzuwarten, während die Chalkidier und die Bundesgenossen außerhalb der Landenge mit den zweihundert Pferden des Perdikkas bei Olynthos stehen bleiben, und wenn die Athener ihn selbst angreifen würden, denselben zu seiner Unterstützung in den Rücken fallen und so die Feinde in die Mitte nehmen sollten. Auf der andern Seite schickte Kallias, der Anführer der Athener, und seine Mitfeldherrn die Makedonischen Reiter und eine kleine Zahl Bundesgenossen gegen Olynthos, um es jenen unmöglich zu machen, von dort aus zu Hilfe zu kommen; sie selbst aber brachen aus dem Lager auf und marfhcirten aus Potidäa los. Als sie nun bei der Landenge anlangten und die Feinde in Schlachtordnung aufgestellt sahen, nahmen auch sie ihre Aufstellung, und es dauerte nicht lange, so kam es zum Handgemenge. Der Flügel des Aristeus selbst, und was an auserlesener Mannschaft der Korinther und der Andern bei ihm stand, schlugen die ihnen Gegenüberstehenden in die Flucht und verfolgten sie ein gutes Stück; das übrige Heer der Potidäer und Peloponnesier aber wurde von den Athenern geschlagen und flüchtete in die Stadt. [*]( 103)) Zu den 4t1 des Kallias die 30 des Archestratos I, 57. (Kr.) ) [*]( 105) Der Markt gilt von den zum Einkauf herausgeschafften LebenSmitteln, damit die Soldaten sie nicht aus der Stadt holen durften und nicht etwa ein Theil bei einem Angriffe von Seiten des Feindes fehle (Arnold bei Kr.) )

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Als sich nun Aristeus von der Verfolgung zurückwendete und das übrige Heer geschlagen war, so war er verlegen, nach welcher Seite er es wagen solle sich durchzuschlagen, gegen OlynthoS oder gegen Potidäa, entschloß sich jedoch, seine Truppen so eng als möglich zusammenzuziehen und im Eilschritt den Durchmarsch auf Potidäa zu erzwingen, und wirklich gelangte er über den steinernen vom Meere überflutheten Schutzdamm dahin, beschossen zwar und unter vieler Mühseligkeit und auch einigem Verluste, doch war die Mehrzahl gerettet. Die aber von Olynthos aus den Potidäern zu Hilfe kommen sollten — Olynthos ist ungefähr sechzig Stadien entfernt und kann noch gesehen werden — , rückten beim Beginn des Kampfes, und als die Feldzeichen sichtbar wurden, eine kleine Strecke vor, um Hilfe zu leisten, und die makedonishcen Reiter stellten stch gegenüber auf, um sie daran zu hindern. Als sich aber der Sieg so schnell für die Athener entschied und die Zeichen wieder verschwanden, kehrten sie wieder nach der Stadt zurück und die makedonishcen Reiter zum Heere der Athener, und so war auf keiner von beiden Seiten die Reiterei zum Treffen gekommen. Nach der Schlacht stellten die Athener ein Siegeszeichen auf und gaben unter sicherem Geleit den Potidäern ihre Todten heraus Es waren aber von diesen und ihren Bundesgenossen etwas unter dreihundert Mann gefallen, auf Seiten der Athener von ihren eigenen Bürgern hundert und fünfzig und darunter ihr Anführer KalliaS. [*]( 105) Die Partei, welche zur Bestattung ihrer Gebliebenen den Waffenstillstand nachsuchte, erklärte sich dadurch snr besiegt (Kr.), weil eben der Sieger im Besitz des Schlachtfeldes war, aus dem die Gefallenen lagen , er selbst also, um die Seinigen bestatten zu können, keines Waffenstillstands bedürfte. Welcher Werth auf die Bestattung der Todten gelegt wurde, ist bekannt. ) [*]( 106) Also nur die Zahl der von den Athenern selbst <d. i. aus der Athenischen Bürgerschaft, nicht aus den Bundesgenossen) Gebliebenen war dem Geschichtschreiber bekannt, lieber daS ihnen errichtete, theilweise erhaltene Denkmal vgl. ist-erlitt. Lorp. inscript. I. p. Zvv s. tKr) — Siegeszeichen. Auf dein Schlachtfelde ward vom Sieger ein Siegeszeichen (trop»ion, daher Trophäe statt Tropäc) errichtet und den Göttern geweiht. Dies war entweder eine Säule von Holz, oder auch nur ein Baumstamm, mit erbeuteten Waffen behängt und mit einer weihenden Inschrift versehen. ES wird als allgemeine Sitte angegeben, Tropäen nicht von Stein oder Erz zu errichten, damit )

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Allsogleich führten nun die Athener gegenüber der Stadt- seite, welche der Erdenge zugekehrt war, eine Mauer zur Sperre auf und bewachten dieselbe; die Seite gegen Pallene hin blieb jedoch ohne eine solche Mauer; denn sie hielten sich nicht für stark genug, die Landenge durch eine Besatzung zu decken und zugleich nach Pallene überzusetzen, um sich auch dort zu vershcanzen, da sie fürchteten, die Potidäer und Bundesgenossen möchten eine solche Theilung ihrer Truppen zu einem Ueberfall benutzen. Als aber die Athener zu Hause vernahmen, daß Pallene nicht durch eine Mauer gesperrt sei, schickten sie bald darauf sechzehnhundert eigene Schwerbewaffnete ab. Anführer war Phormion, deS Afopios Sohn. Da dieser auf Pallene gelandet war, ließ er von Aphytos aus sein Heer langsam gegen Potidäa vorrücken, indem er zugleich die Gegend verheerte, und als sich Niemand zeigte, um eine Schlacht anzunehmen, so sperrte er die Stadt- seite gegen Pallene hin durch eine Mauer, und so war also Potidäa von beiden Seiten streng eingeschlossen, während die Seeseite durch die Flotte gesperrt wurde.

Als nun Aristeus nach Einschließung der Stadt keine Hofsnung auf Rettung mehr hatte, außer wenn vom Peloponnes oder sonst woher wider Erwarten Hilfe käme, so rieth er, daß Alle bis auf Fünfhundert einen günstigen Wind zum Auslaufen benutzen sollten, damit die Lebensmittel um so länger ausreichen könnten, und er selbst erbot sich unter den Bleibenden zu sein. Da er aber kein Gehör fand und doch das zur Erhaltung des Platzes Erforderliche vorzukehren und zugleich auch die Dinge auswärts möglichst günstig zu gestalten bedacht war, so ging er in See, als er es unbemerkt von den Wach­ [*]( sie nicht als dauernde Denkmale der Feindschaft auf lange Zeit dastünden. Dieb. XIII, 24. Schkmann, Griech. Alt. II, S. 13 f. Der Gegner, wenn er sich als geschlagen bekennen wollte, respektirte das Siegeszeichen, weil eS den Göttern geweiht war; im andern Fall stellte er selbst gleichfalls ein solches auf <1, S4, los. IV, IZ4), oder hinderte den Gegner an der Aufstellung, oder riß eS später nieder Will, 24). Es kam auch vor, daß er den Gegner herausforderte, um das von diesem aufgestellte Siegeszeichen von Neuem zu kämpfen. ) [*]( 106) Bei Belagerungen wurde der einzuschließende Ort oft theilweise durch eine vom Belagerer aufgeführte Mauer abgesperrt, oder auch gänzlich durch eine solche abgeschlossen. III, 94. )

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Posten der Athener thun konnte, landete auf Chalkidike und führte im Verein mit den dortigen Bundesgenossen verschiedene Kriegsthaten aus, wie er denn unter andern den Sermyliern durch einen bei ihrer Stadt gelegten Hinterhalt viele Leute tödtete. Zugleich verkehrte er wegen Hilfeleistung mit dem Peloponnes. Phormion aber verheerte nach der Einschließung Potidäa's mit seinen sechzehnhundert Mann Chalkidike und Bottiäa und nahm auch einige kleine Städte.

Das also waren die noch hinzugekommenen gegenseitigen Klagpunkte zwischen Athenern und Peloponnesiern: seitens der Korinther, daß jene ihre Pflanzstadt Potidäa und in derselben korinthische und peloponnesische Männer belagerten; seitens der Athener gegen die Peloponnesier, daß sie eine verbündete und zinspflichtige Stadt zum Abfall verleitet und mit den Potidäern ganz offen gegen sie zu Felde gezogen seien. Doch war hiemit der Krieg noch nicht förmlich ansgebrochen, sondern man hielt von beiden Seiten noch zurück, da die Korinther bis jetzt nur auf eigene Faust gehandelt hatten.

Da aber nun Potidäa belagert wurde, so hatten sie nicht Ruhe und Rast, weil von ihren Leuten dort lagen und sie auch den Verlust des Platzes befürchteten. Deßhalb beriefen sie sogleich die Bundesgenossen nach Lakedämon und verklagten dort die Athener mit großem Geschrei, daß sie die Verträge gebrochen hätten und gegen den Peloponnes Ungerechtigkeit verübten. Auch die Aegineten halfen den Krieg eifrigst betreiben, zwar nicht in offener Gesandtschaft, [*]( 108) Zu dem Zerwürfnisse wegen Kerkyra'S (Kr.); vgl. Kap. 56 am Anfang. ) [*]( 109) Aegina ist eine kleine Insel von ungefähr Pf, Meilen Umfang und unfruchtbarem Boden. Die Einwohner, dorischer Abkunft. legten sich deßhalb auf Seeraub und später auf Handel, den sie sehr lebhaft betrieben. Auch sandten sie Kolonien ans. so Kydone auf Kreta, AeginetiS in Paphlagonien, eine in Umbrien. Die Insel zählte gegen 5000 Bürger, viele Fremde und fast eine halbe Million Sklaven. Vor den Perserkriegen war ihre Flotte der Athenischen überlegen, und auch noch bei Salamis zeichnete sie sich vorzüglich aus. Später aber, als Athen ausschließlich zur Seemacht geworden war, ließ seine Eifersucht die Unabhängigkeit Aegina's nicht mehr zu, und «57 v. Chr. unterwarf es die Insel. Die Verfassung war früher eine aristokratische gewesen. )

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sondern aus Furcht vor den Athenern heimlich, indem sie klagten, daß man sie den Verträgen zuwider sich nicht ihrer eigenen Gesetze bedienen lasse. Die Lakedämonier nun beriefen auch die übrigen Bundesgenossen und wer sonst von den Athenern Unrecht zu leiden glaubte, und nachdem sie ihre gewöhnliche Volksversammlung I veranstaltet hatten, hießen sie jene reden. Da traten außer den Andern, welche der Reihe nach ihre Beschwerden erhoben, auch die Megarer [*]( 110) Beide Versammlungen — diese und die später nach Sparta berufene — müssen ln unmittelbarer Aufeinanderfolge gleich nach der Schlacht bei Potidäa Ot. 87, I (43l v. Chr.) zu Anfang des November stattgefunden haben, vgl. I, 87, t!S, !2S. lllllrich, Beitr. zur Erkärl. d. Thuk. S. 46, ez bei Kr., Krüger, histor. philol. Sind. I, S. 2lS.) — Versammlungen der pelo« ponnesischen Verbündeten wurden entweder durch den Vorort Sparta berufen, oder fanden, wie hier, auf Antrag der Verbündeten Statt, und zwar gewöhnlich zu Sparta, ausnahmsweise auch anderswo MI, 8 zu Olympici. Jeder Staat schickte Sendbote». Alle hatten gleiches Stimmrccht (I, I2S. litt. V, 30), der Beschluß der Mehrheit war bindend für die Andern, nur nicht für Sparta selbst, was aus den oben erzählten Verhandlungen hcrvorgchr, ebenso, wie weder Oestreich noch Preußen sich in einigermaßen wichtigen Dingen durch die Abstimmung des deutschen Bundes würden majorisiren lassen. Sparta konnte aber einem Staate, der sich von einem gemeinschaftlich beschlossenes Kriege ausschloß, eine Geldbuße auserlegen. Für gemeinschaftlich galt der Beschluß nur, wenn Sparta beistimmte. Rechtsgleichheit Verbündeter bei ungleichen Machtverhältnissen kann wohl auf dem Papier stehen, ist aber in der That ein Unding. Gegenstände der Verhandlungen waren: Krieg, Frieden. Verträge. Die Contingente der einzelnen Staaten waren vertragsmäßig festgesetzt, und Sparta bestimmte, ob das Ganze oder nur ein Theil zu stellen sei. Ebenso die Geldbeiträge. Vgl. Schvmann, G. A. II, S. S» ff. ) [*]( 111) Megara gehörte in der ältesten Zeit zu Attika, mußte aber, seiner Lage auf dem JsthmoS wegen, der Zankapfel zwischen dem Peloponnes und Attika werden. Nach dem Einfall der Oorier kam es an den Peloponnes und zwar an Korinth, von wo auS eS wie eine Kolonie behandelt wurde, wie eS sich denn auch an Korinthischen Kolonien, z. B. SyrakuS auf Sicilien, be, theiligte. Später riß es sich im offenen Kampfe von Korinth loS und trat alS selbständiges Glied in die Reihe der Dorischen Staaten. Nun sandte es selbst Kolonien auS, nach Osten AstakoS in BIthynien, Chalkedvn am BosporoS, Mesembria, Selymbria und besonders Byzanz; nach Sicilien TrogiloS, Tha« psoS und Hybla oder Megara. Unter Spärca'S Hegemonie trat es dem Peloponncsischen Bunde bei, blieb aber doch merkantilisch von Athen abhängig, weßhalb dieses eS immer wieder an sich ziehen konnte, was ihm hinwiederum ) [*]( Thukydidet. l. ) [*]( 5 )
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auf und brachten neben vielen andern Klagepunkten vorzüglich den vor, daß sie gegen die Verträge von den Häscn auf athenischem Gebiet und von dem attischen Markte ausgeschlossen seien Zuletzt traten die Korinther aus, und nachdem sie die Andern erst die Lakedämonier hatten aufreizen lassen, machten sie mit folgender Rede den Schluß:

Eure Rechtlichkeit in den eigenen StaatSgeschäften und in eurem Verkehr unter einander macht euch, ihr Lakedämonier, mißtrauisch gegen uns Andere, wenn wir einmal etwas vorzubringen haben, und ihr könnt euch darum zwar eurer Mäßigung rühmen, aber ihr seid dafür auch über auswärtige Angelegenheiten sehr schlecht unter- [*]( Einfälle von Seiten der Korinther zuzog. Wie Korinth hatte auch Megara zwei Häfen, Nisäa am Aegäischen, und Pegä am Korinthischen Meer. ) [*]( "2) Das vielberufene Megarische PsephiSma (Krüger, Sind. I, S. lSS. Ulrich, das Megar. Pseph.. S. ZI ff) war den Megarern, die zum nicht geringen Theil von ihrem Naturalienabsatz auf dem Attischen Markte lebten, höchst empfindlich. Kaum weniger bitter empfanden später aber auch die kom sumirenden Athener den Abgang manches Artikels. Schmuggel fand natürlich Statt, aber gewiß nicht ohne Preiserhöhung. Sykophaiiten (falsche Ankläger, Spitzel), eine damals in Athen sehr zahlreiche Menschensorte, paßten den Schmugglern und Käufern auf. ArlstophaneS, Acharn. >57 ff. Hier, sag' ich, gab eS Bursche — schlechte Münze, Verrufnes Lumpengeld, hier eingeschwärzt: Durchschnüffelt haben die ten Megarern Die Jacken; wo sie eine Gurke sah'n, Ein Häschen, Ferkel, Knoblauch oder Salz, Gleich war'S, „aus Megara" und konfiScirt. Der Bauer DikaiopoliS, der die schmalen Nationen satt hat, macht sich in der Komödie seinen eigenen Markt. Ach. 7lS. Das wären denn die Gränzen meines Markt«! Und freien Handel haben hier mit mir Die Peloponnesier, Megarer, Böotier, Mit mir, versteht sich, nicht mir LamachoS, (der im Krieg lebt und webt) Als Marktaufseher stell' ich an, durch'« LooS Gewählt, drei tüchtige NindSlederpeitschen (für die Aufpasser). Kein Sykophant betrete diesen Platz, Kein Spürhund, der nach fremden Waaren schnüffelt. )

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richtet ' Wir haben euch oft vorausgesagt, was uns von den Athenern Schlimmes drohe, aber ihr habt euch in keinem einzigen Falle über die Wahrheit dessen, was wir vorbrachten, unterrichten mögen, sondern hattet uns im Verdacht, als ob wir nur unseres eigenen Vortheils wegen redeten, und so habt ihr denn auch jetzt die Bundesgenossen hier versammelt, nicht vor erlittenem Schaden, sondern da wir schon tief darin stecken. Unter den Bundesgenossen steht es aber vor Allen uns zu, das Wort zu führen, da wir durch der Athener Uebermuth und eure Vernachlässigung das Schwerste zu leiden haben. Wenn nun die Ungerechtigkeiten der Athener gegen das gesammte Hellas im Verborgenen geschähen, so bedürstet ihr als dessen Unkundige der Belehrung; was braucht's aber jetzt einer langen Rede, da von denen, die ihr vor euch seht, die Einen ' schon unterjocht sind, den Andern aber und vorzüglich unseren Bundesgenossen dasselbe Schicksal bereitet wird, und da ihr jene seit langer Zeit gerüstet wisset für den Fall, daß sie ja einmal ^von euch^ wirklich bekriegt werden sollten. Denn wie hätten sie uns Kerkyra mit Gewalt wegnehmen und Potidäa belagern können, von denen dieses zur Benutzung gegen Thrakien die günstigste Lage hat, nnd jenes den Peloponnesiern leicht eine sehr starke Flotte hätte stellen können?

Und dafür trifft die Verantwortung euch, denn ihr habt sie nach dem persischen Kriege zuerst ihre Stadt befestigen und dann die langen Mauern aufführen lassen, und so habt ihr bis auf den heutigen Tag nicht nur die jenen Unterworfenen ihrer Freiheit beraubt gehalten, sondern sogar auch eure eigenen Bundesgenossen: denn nicht [*]( 113) ES wird den Spartanern zuerst geschmeichelt, um dann Vorwürfe darauf setzen zu können, welche jene eben so wenig > treffen, wie ihnen das Lob gebührt. Aber geredet muß werden. Die Spartaner wollten ja den Krieg, wie sich aus der Abstimmung ergibt, und das Ganze sieht so auS, wie wenn sich Einer bitten läßt, das zu thun, was er thun will und muß. Nur eine kleine Partei (Kap, 87) war sürerst noch gegen den Krieg, und deren Vertreter, alS welcher König ArchidamoS Kap. 80 — 85 spricht, nimmt denn auch die Vorwürfe der Korinther auf und beantwortet sie. — Eure Rechtlichkeit. Die Spartaner spielten gern die Einfachen und Redlichen, waS denen sehr leicht wird, welche das Heft in der-Hand haben, auch sonst.wissen, was sie wollen, und. ihre Leute tranen. ) [*]( 114) Die Aegineten. ) [*]( 5* )

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der, welcher knechtet, sondern der, welcher dem wehren könnte und es unterläßt, wird mit mehr Recht als der eigentliche Thäter betrachtet, zumal wenn er den Ehrennamen des Befreiers von Hellas trägt ' Kaum haben wir es selbst jetzt zu einer Versammlung bringen können, und selbst jetzt noch nicht so, als ob wir bereits im Klaren wären' Denn man sollte jetzt nicht mehr untersuchen, ob uns Unrecht geschieht, sondern wie wir das Unrecht von uns abwehren; denn die Angreisenden gehen rasch und entschlossen gegen die Unentschlossenen vor und werden sich nicht erst lange besinnen. Wir wissen ja, mit welchen Mitteln und wie die Athener Schritt für Schritt gegen die Andern vorgeben. So lange eure stumpfe Gleichgiltigkeit sie in dem Glauben erhält, daß ihre Handlungen unbemerkt bleiben, sind sie weniger kühn und schnell; sehen sie aber erst, daß ihr sie durchschaut und doch zu ihrem Vorgehen schweiget, so werden sie uns ganz anders zusetzen. Denn von allen Hellenen, ihr Lakedämonier, überlaßt ihr allein euch der Ruhe, gleich als ob ihr durch Unentschlossenheit den Feind abwehren könntet, anstatt durch Kraftanstrengung, und ihr allein denkt die Macht des Feindes nicht in ihrem Beginnen zu unterdrücken, sondern wenn sie ihre Kräfte bereits verdoppelt hat'Man rühmt zwar [*]( 115) Seit der Vertreibung der Tyrannen, welche im eigenen Interesse der Spartaner lag (vgl. Anm. 52, S. ?7), nannten sie sich die Befreier von Hellas. ) [*]( 116) Indem wir auch jetzt noch nicht alt ausgemacht annehmen, daß uns Unrecht gethan worden (Schol. bei Kr.). ) [*]( 117)Die einfachste politische Regel, die aber immer von denen übersehen wird, welche Machtverhältnisse mit persönlichen Beziehungen verwechseln, die Geschicke ganzer Nationen von den Regungen ihres (sehr unausgebildetem persönlichen Gewissens abhängig machen, oder an abgestorbenen Principien festhalten, die einst zu ganz andern Machtverhäirnissen paßten, — während sie Nichts anders zu thun hätten, als das Zünglein an der Wage des (wirklichen) politischen Gleichgewichts zu beobachten und dasselbe zum Barometer für ihre Handlungen zu machen, in allem Uebrigen aber den Geist frei walten lassen, der die Nationen auf den Bahnen deS Fortschritts weiter führt. Die zahlreichen kleinen hellenischen Staaten waren schon durch den Instinkt der Selbsterhalning darauf hingewiesen, die gegenseitigen Machtverhältnisse genau zu beobachten. Sie thaten dies aber auch mit Bewußtsein, denn bei ihnen war jeder Denkende ein Politiker, und sie kannten hier kein anderes Gesetz, als daß jeder Staat wie jeder Einzelne seine Unabhängigkeit vertheidigen muß und daß man jedes mit Aussicht auf Erfolg höchstens noch gegen Gleichstarke kann. Wrund, anschauung ist dabei der Soethe'sche Spruch: )
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daß ihr verläßlich seiet, aber hierin bleibt euer Thun hinter dem Rufe zurück; denn wir wissen ja noch selbst, daß der Meder sAerxes^, der doch von den Gränzen der Erde herkam, damals viel früher gegen den Peloponnes im Anmarsch ershcien, als ihr nnterdeß Zeit gefunden hattet, euch gegen ihn geziemend in Bereitschaft zu sehen; und grade so sorglos seid ihr auch jetzt den Athenern gegenüber, die nicht fern wohnen wie jene, sondern ganz in der Nähe, und anstatt sie anzugreifen, wollt ihr sie lieber herankommen lassen und euch nur abwehrend verhalten. Einem viel mächtigeren Feind gegenüber wollt ihr eure Sache der Gunst des Glücks anheimstellen, obfchon ihr wohl wisset, daß, gleichwie der mächtige Barbar selbst meist nur durch seine eigenen Fehler zu Schaden kam, so auch wir über die Athener fast immer mehr durch ihre eigenen Versehen Vortheile gewinnen konnten, als durch Hilfe, die von euch kam. Fürwahr, das Vertrauen auf euch hat schon Manchen zu Grunde gerichtet, der sich eben deshalb nicht selbst gehörig vorsah, weil er sich auf euch verließ. Und glaube Keiner von euch, daß wir dies mehr aus Feindseligkeit gegen Euch sagen, als aus gegründeter Ursache zur Beschwerde; denn gegen befreundete Männer, wenn etwas versehen worden ist, findet Beschwerde Statt, Anklage nur gegen Feinde und Unterdrücker.

Einen Andern zu tadeln glauben wir aber so gut berechtigt zu sein, wie irgend Jemand, denn die Dinge, um die es sich handelt, sind von der größten Wichtigkeit. Ihr jedoch scheint davon gar nichts [*]( DaS ist der Weisheit höchster Schluß: Nur der verdient sich Freiheit und das Leben, Der täglich es erobern muß. ) [*]( « Heutzutage gibt eS Nationen, welche (beeinflußt durch übelverstandene Frömmigkeit) von diesem Kampf um'S Dasein (der doch durch alle Reihen der Geschöpfe geht) Nichte wissen wollen, und Staaten und Genossenschaften, in denen man viel zu geisteSträg ist, um sich nur die Bedingungen zu verschaffen. welche ein Beobachten der Gleichgewichtsschwankungen in den Machtverhältnissen ermöglichen. Diese Bedingungen sind heutzutage: Viele Kennt, nisse; denn man muß zu unsern Zeiten im Stande sein, ebenso die materiellen und geistigen Verhältnisse der ganzen Erde zu übersehen, wie etwa ein damaliger Hellene die Verhältnisse der östlichen Mittelmeerläiider. Der indu. strielle und Handelsverkehr erleichtert die Anschaffung solcher Kenntnisse ungemein, so daß See. und HandelSstaaten auch hierin im Vortheil sind. )

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zu merken und niemals überlegt zu haben, was für Leute ihr in den Athenern zu bekämpfen habt, und wie sehr und wie ganz und gar sie euch überlegen sind. Denn sie sinnen immer auf Neues und sind rasch bei der Hand, Pläne zu entwerfen und dem Entschluß die That folgen zu lassen; ihr aber denkt nur daran, das Bestehende zu erhalten und nichts Neues hinzuzuthun, und führt nicht einmal das Nothwendige durch die That aus. Hinwieder sind jene über Vermögen unternehmend, und ihre Tollkühnheit geht noch über ihre eigenen ersten Entschlüsse hinaus, und grade im Unglück sind sie erst recht voller Hoffnung; euch hingegen zeichnet es aus, daß eure Thaten hinter den Kräften zurückbleiben, daß ihr nicht einmal a'üs die zuverlässigsten Umstände einen Entschluß bauet, und niemals glaubt ein Unglück zu überstehen. Jene sind rastlos thätig, ihr seid Zauderer; sie sind immer außer Landes, ihr sitzt immer sein zu Hause; denn sie glauben durch Abwesenheit von der Heimath ihren Besitz zu mehren, ihr fürchtet durch Unternehmungen gegen Außen euren Besitz zu schädigen Wenn jene über ihre Feinde einen Sieg errungen haben, so beuten sie ihn aus's Gründlichste aus; werden sie aber besiegt, so machen sie sich sehr wenig daraus. Ihre Leiber geben sie für den Staat dahin, als wenn deren Besitz das Gleichgiltigste wäre; den Geist aber, insofern sie mit ihm für jenen wirken, halten sie für ihr eigentlichstes Besitztum, und wenn sie einen Plan nicht durchführen können, so glauben sie an ihrem Vermögen Schaden zu leiden; was sie aber durch eine Unternehmung gewonnen haben, dünkt ihnen gering gegen das, was sie noch durch ihre Thätigkeit zu erreichen hoffen. Und wenn ihnen [*]( 117*)Weil die Sicherheit des ganzen Spartanischen Staatswesens daraus beruhte, daß die Zahl der edlen Spartiaten möglichst groß sei gegenüber der lleberzahl der feindselig gesinnten Lakedämonischen Bauern und Heloten. Feld: züge in'S Ausland verminderten aber die Zahl der Spartiaten. War man durchaus z» solchen Feldzügen genöthigt, was in diesem Jahrhundert oft genug eintrat, so wurden Heloten und Periöken bewaffnet und mehr Heloten hinaus, geschickt, als Spartiaten. Bei Platää kamen sieben Heloten auf Einen Spartiaten. BrasidaS führte nach Thrakien nur Heloten. Je mehr dieser Waffenkncchte neten, desto besser für die Spartiatrn. Für sie selbst waren ihnen unblutige Siege lieber, als blutige. Waren ihrer viele gefallen, so erhielt Ares nur einen Hahn zum Opfer, wenn aber der Sieg mehr durch List und Klugheit errungen war, ein Nind. )
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einmal ein Anschlag mißlingt, so richten sie ihre Hoffnung auf etwas Anderes und thun sich damit ein Genüge; denn sie sind die einzigen Menshcen, bei denen die Hoffnung schon so viel wie der wirkliche Besitz dessen ist, worauf sie sinnen, weil ihrem Entschluß rasch die Ausführung folgt. Und so zerarbeiten sie sich ihr ganzes Leben hindurch unter Mühsal und Gefahren und genießen ihres Besitzes sehr wenig, da sie immer nur auf neuen Erwerb sinnen, und sie kennen kein anderes Fest, als thätige Erfüllung ihrer Pflicht, und unthätige Ruhe halten sie für kein geringeres Uebel als mühselige Arbeit, so daß Einer, der sie mit wenigen Worten schildern wollte, in Wahrheit von ihnen sagen könnte, sie seien da, um weder selbst Ruhe zu haben, noch auch Andere in Ruhe zu lassen."

„Obwohl euch also ein solcher Staat feindlich gegenübersteht, ihr Lakedämonier, so zaudert ihr noch und wollt nicht glauben, daß nur diejenigen auf die Dauer sich der Ruhe erfreuen, welche zur Abwehr gerüstet zwar Gerechtigkeit üben, aber auch sich sichtlich entschlossen zeigen, kein Unrecht gegen sich zuzulassen; aber ihr glaubt das Rechte zu thun, wenn ihr Andern kein Leids zufügt und euch nur dann vertheidigt, wenn es ohne jede Gefahr für euch geschehen kann. Das möchte euch jedoch selbst dann kaum zu Theil werden, wenn ihr einen gleichgesinnten Staat zum Nachbar hättet. Für die jetzigen Verhältnisse aber sind eure Grundsätze gegenüber jenen ganz veraltet, wie wir bereits gezeigt haben. Wie aber in Künsten und Gewerben immer das Neue den Sieg davon trägt, so ist es auch hier. Zwar ist es einem Staate in den Zeiten der Ruhe das Beste, an seine Gesetze nicht zu rühren; wenn aber die Umstände zu allerlei Unternehmungen zwingen, so muß man sich auch in der Gesetzgebung zu manchen Neuerungen bequemen, weßhalb denn auch die Verfassung der Athener, die so Manches versucht haben, weit mehr als die eurige abgeändert wurde. So laßt es jetzt einmal eurer Langsamkeit genug sein, und kommt, wie den Andern, so auch den Potidäern, wie ihr versprochen habt, schleunigst zu Hilfe, indem ihr in Attika einfallet, damit ihr nicht schuldig werdet, befreundete und stammverwandte Männer ihren erbittertsten Feinden preisgegeben zu haben, und damit ihr uns Uebrige nicht nöthiget, in Mutlosigkeit unS einer anderen Bundesgenossenschaft zuzuwenden. Und damit würden wir fürwahr weder vor den eidbewachen

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den Göttern, noch vor verständigen Menschen Unrecht begehen; denn nicht die brechen den Bund, welche aus Verlassenheit sich Andern zuwenden, sondern die den Bundesgenossen die zugeschworne Hilfe nicht leisten. Wollt ihr uns aber Gehör geben, so bleiben wir bei euch; denn dann würden wir nichts den Göttern Wohlgefälliges thun, wenn wir die Bundesfreunde wechseln, und könnten auch keine anderen finden, die in der Gesinnung mehr zu uns stimmten. Darüber nun berathet wohl und seid bedacht, daß ihr den Peloponnes unter eurer Anführung nicht schwächer werden lasset, als die Väter ihn euch übergeben haben."

So redeten die Korinther. Es waren aber schon vorher auch Athenische Gesandte anderer Geschäfte halber nach Lakedämon gekommen, und als diese von jenen Reden hörten, glaubten sie auch vor den Lakedämoniern auftreten zu müssen, nicht um sich gegen die Beschwerden zu rechtfertigen, welche die Städte erhoben hatten, sondern um im Allgemeinen ihre Meinung dahin abzugeben, daß die Lakedämonier nickt vorschnell einen Entschluß fassen, sondern reiflichen Einblick in die Verhältnisse nehmen möchten, und zugleich wollten sie ihnen einen Begriff von der Macht ihres Staates geben und die Aelteren unter ihnen an das erinnern, was sie selbst noch erlebt hätten, die Jüngeren aber über das belehren, wovon sie noch keine Kenntniß hatten, in der Meinung, die Lakedämonier würden sich durch solche Reden eher bewegen lassen, Frieden zu halten, als den Krieg zu beschließen. Sie kamen also und erklärten den Lakedämoniern, daß auch sie vor dem Volke zu reden wünschten, wenn dem Nichts im Wege stehe. Diese hießen sie auftreten, und so hielten die Athener folgende Rede:

„Der Zweck unserer Gesandtschaft ist nicht, dem zu wider- sprechen, was eure Bundesgenossen vorgebracht haben, sondern die Besorgung der Angelegenheiten unseres Staates, mit denen wir betraut sind; da wir aber gehört haben, daß kein kleines Geschrei gegen uns erhoben worden sei, so sind wir hiemit aufgetreten, nicht um die Beschwerden der Städte zu widerlegen, — denn ihr wäret ja auch nicht die Richter, vor welchen in diesem Falle wir und jene zu reden hätten, — sondern damit ihr in so wichtigen Dingen euren Bundesgenossen nicht allzuleicht Glauben schenken und etwas Nachtheiliges beschließen möget. Zugleich wollen wir aber auch gegenüber all dem

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Gerede, das ihr angehört habt, zeigen, daß unser. Besitz nicht unrechtmäßig erworben ist, und daß unser Staat seinerseits wohl auch Berücksichtigung verdient. Von den ältesten Zeiten reden wir gar nicht, denn wir müßten uns dabei mehr auf die Zeugenschaft der Sage berufen, als ans die eigene Anschauung unserer Zuhörer; von den Perserkriegen aber und von dem, was ihr selbst noch miterlebt habt, müssen wir wohl reden, wenn es vielleicht auch lästig sein sollte, da ihr es euch bei jeder Gelegenheit müßt vorrücken lassen. Als wir jene Thaten ausführten, unterzogen wir uns der Gefahr des allgemeinen Vortheils halber, und da auch ihr von diesem thatsächlich mitgenvssen habt, so wollen wir uns wenigstens nicht die Erlaubniß nehmen lassen, davon zu reden, wenn es Vortheil bringen kann. Wir werden aber das nicht vorbringen, um uns in ein günstiges Licht zu stellen, sondern mehr um euch ein Beispiel und einen Beweis zu geben, mit wem ihr es zu thun haben werdet, wenn ihr nicht den rechten Entschluß faßt. Wir sagen also, daß bei Marathon wir allein US) es waren, die für die Andern gegen den Barbaren gekämpft haben; und als er zum zweiten Male kam, und wir nicht stark genug waren, ihm zu Lande entgegenzutreten, so sind wir bis auf den letzten Mann zu Schiffe gegangen, um bei Salamis mitzukämpfen, und das allein war eS, was die Perser gehindert hat, von einer Stadt zur andern zu schissen und den Peloponnes zu verwüsten; denn ihr wäret dann nicht im Stande gewesen, gegen so viele Schiffe euch einander zu Hilfe zu kommen. Den deutlichsten Beweis davon aber hat der Barbar selbst gegeben, denn als er in der Seeschlacht besiegt war, hat er, als ob er nun nicht mehr gleich mächtig sei, mit dem größeren Theile seines Heeres den Rückzug angetreten."

„Dieser Verlauf der Ereignisse zeigt aber deutlich, daß die Rettung für Hellas in der Flotte lag, und dabei sind wir selbst mit den drei wichtigsten Dingen eingestanden: mit der größten Zahl der Schiffe, dem einsichtigsten Feldherrn und mit der entschlossensten Hingebung. Denn von den vierhundert Schiffen ' haben wir nicht [*]( 118) Denn die wenigen Manier kamen kaum in Betracht. (Kr.) ) [*]( 119) Schlechtere Handschriften lesen 300. Die Athener hatten aber 200 gestellt (Hervd. 8, 44. 46), und sie machen hier übertreibend aus. ter Hälfte zwei Drittel. )

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viel weniger als zwei Drittel gestellt, und den ThemistokleS als Anführer, der am meisten daraufdrang, daß die Seeschlacht in der Meerenge ^bei Salamis^ geliefert werde, was eben den glücklichen AuSgang herbeigeführt hat. Auch habt ja ihr selbst von allen Fremden, die je zu euch kamen, ihn am meisten geehrt Aber wir haben auch die entschlossenste Aufopferung gezeigt. Denn da uns zu Lande Niemand zu Hilfe kam, weil alle bis auf euch schon unterworfen waren, so haben wir nicht angestanden, unsere Stadt zu verlassen und unsern Besitz dem Verderben preiszugeben, um die gemeinsame Sache der Bundesgenossen nicht im Stich zu lassen; und um durch unsere Zerstreuung nicht nutzlos zu werden, haben wir uns aus die See gewagt, ohne auf euch erzürnt zu sein, daß ihr uns nicht rechtzeitig zu Hilft gekommen wäret. Wir behaupten daher, euch nicht weniger genützt zu haben, als ihr uns. Denn ihr zogt damals aus euren bewohnten Städten aus, und zwar eben nur, um auch ferner noch darin wohnen zu können, weil ihr euretwegen, weniger unsertwegen besorgt wäret. Denn so lange Athen noch unbeschädigt stand, wäret ihr nicht zu sehen. Wir aber sind aus einer Stadt ausgezogen, die nicht mehr war, und haben den Kampf gewagt um sie, obgleich ihre Wiedergewinnung nur auf schwacher Hoffnung beruhte, und doch haben wir, wie uns selbst, so zum Theil auch Euch mit gerettet. Wären wir aber aus Furcht um unser Land zu den Persern übergetreten, wie die Andern, oder hätten wir uns später verloren gegeben und nicht mehr gewagt die Schiffe zu besteigen, so konntet ihr euren Seekampf nur bleiben lassen, denn ihr hattet ja zu wenig Schiffe, und der Barbar hätte dann in aller Bequemlichkeit die Dinge nach Wunsch durchgeführt."

„Verdienten es also, ihr Lakedämonier, unsere Hingebung und unsere einsichtigen Anschläge nicht, daß die Herrschaft, welche wir jetzt besitzen, für die Hellenen kein Gegenstand solchen Neides wäre? Wir haben sie ja nicht mit Gewalt an uns gerissen, sondern sie nur übernommen, da ihr, was gegen den Barbaren noch zu thun übrig [*]( 120). Herod. Vlll, Ha. Plutarch. Themist. 17 (Poppo.) — Da an dem späteren Unrecht gegen ThemistokleS Sparta nicht weniger betheiligt war, als Athen lvgl. I, 135), so brauchten die Athener hier keine Einwürfe zu befürchten. )

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blieb, nicht zu Ende führen wolltet, und weil die Bundesgenossen uns von freien Stücken angingen und baten, die Anführung zu übernehmen. Weiterhin sind wir aber durch die Umstände selbst gezwungen worden, diese erst überkommene Macht auf den jetzigen Stand zu bringen, vornehmlich aus Besorgniß um unsere eigene Sicherheit, dann auch, um unsere Ehre zu wahren, und endlich, weil es unser Vortheil erheischte. Denn da wir den Meisten verhaßt, Einige auch schon von uns abgefallen und mit Gewalt zur Unterwerfung gebracht waren, so schien es nicht mehr mit unserer Sicherheit verträglich, durch Aufgeben der Herrschaft über sie uns neue Gefahren zu erwecken '), da auch ihr gegen uns nicht mehr gleich freundliche Gesinnung trüget, sondern bereits Mißtrauen und Zwist zwischen uns getreten war; denn es wären dann Alle euch zugefallen. Es sollte aber gegen Niemanden Neid erwecken, wenn er im Angesicht der größten Gefahren seinen Vortheil zu sichern sucht."

„Ihr Lakedämonier führt ja auch die Oberleitung so, daß ihr den peloponnesischen Städten Verfassungen gebet, wie sie eurem Vortheil entsprechen Wäret ihr nun damals in der Oberansührung geblieben und dabei verhaßt geworden, wie wir, so wissen wir wohl, daß ihr den Bundesgenossen nicht weniger lästig gefallen wäret und auch nur die Wahl gehabt hättet, entweder die Herrschaft kräftig zu handhaben, oder selbst Gefahr zu laufen. So haben denn auch wir nichts Verwunderliches noch Unmenschliches gethan, da wir die angebotene Herrschaft annahmen und im Zwang der mächtigsten Triebfedern, der Ehre, der Sicherheit und des Vortheils, die Zügel nicht erschlaffen ließen. Auch sind wir ja nicht die Ersten, die ein solches Betragen einführen, sondern es war immer die Ordnung, daß der Schwächere von dem Stärkeren eingeschränkt wurde UND. Auch [*]( 121) Vgl. II, es. VI. 18 (Kr.). ) [*]( 122) Nämlich oligarchische. Bill. I, IS, last. ) [*]( 122*).Vgd v, 89 (Arnold). — „Der Stärkere schränkt den- Schwächeren ein." Es wäre eine Täuschung, zu glauben, daß dieS Gesetz selbst innerhalb des Staates in keiner Weise mehr gelte. Denkt man sich den Staat alS noch nicht entstanden, so gilt dies Gesetz zwischen den einzelnen Individuen ganz unumschränkt und wird »ur von Seiten des Stärkeren freiwillig beschränkt, insofern er sich durch gemüthliche Gründe (Mitleid, Lieben. dgl) bestimmen )

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schienen wir unS selbst dieser Stellung würdig, und euch ebenfalls, bis ihr jetzt, euren Vortheil bedenkend, das Wort Gerechtigkeit in den Mund nehmt, welcher doch noch Niemand den Vorzug gegeben und sich von der Erweiterung seines Besitzes hat abhalten lassen, wenn die Gelegenheit eS gestattete, durch Gewalt etwas zu erwerben. Lob verdienen diejenigen, welche der menschlichen Natur gemäß sich der Herrschaft über Andere erfreuen und sich dabei gerechter zeigen, als es bei ihrer Macht nothwendig wäre. Wir glauben, wenn Andere an unserer Stelle wären, so würden diese selbst den besten Beweis liefern, ob wir [*]( läßt, von seinem Recht, welches die Stärke ihm gibt, zu Gunsten eines Andern abzulassen. Der Familienvater beschränkt das Recht der Stärke innerhalb seiner Familie, aber nnr insofern er selbst eine überlegene Stärke (ei» Produkt phy« sifcher und moralischer Eigenschaften) besitzt. Im Staate wird dies Recht der Stärke noch mehr beschränkt, und zwar im Fortschritt der Zeit mehr und mehr. DaS Christenthum hat diese Beschränkung bedeutend gefördert, aber das alte Gesetz nicht aufgehoben, wie Jeden die eigene Erfahrung lehren kann. I» dem Verhältnisse zwischen Staat nnd Staat scheint das Christenthum dem Recht der Stärke allerdings auch schon etwas Boden entzogen zu haben, aber mehr in der Theorie, als in der Praxis. Unser Völkerrecht beruht in der Praxis annoch auf den Friedensshclüssen; der Wortlaut der Friedensschlüsse aber hängt von kriegerischen Erfolgen ab, und dir Erfolge im Krieg hängen von der Macht oder Stärke ab — sofern sie nämlich überhaupt vom Menschen abhängen. Und dies wird so lange währen, als nicht alle Staaten der Erde in einen solchen Verband unter einander getreten sind, wie der Staatöverband eS für die Individuen ist. Dahin Hat'S aber offenbar noch gute Weile. Das heilige römische Reich deutscher Nation, in seinem Grundgedanken, war ein solcher Versuch lür die Christenheit. Dabei wurden gewiß viele schöne Erfolge erreicht, aber nicht die Verwirklichung deS Grundgedankens, wie unsere Gegen, wart einem Jeden deutlich macht. — Besonders den Deutschen kann eS nicht oft genug gesagt werden, daß zwischen inneren Rechts, und äußeren Machtfragen auf'S Strengste zu unterscheiden ist: denn der Deutsche ist nur allzusehr geneigt, Machtfragen nach den Grundsätzen deS Rechtes oder gar nach seinem persönlichen Gewissen enrfcheiden zu wollen und sich einzubilden, daß Andere ebenso denken wie er nnd nach gleichen Grundsätzen handeln. Dadurch seht er die Existenz seiner eigenen Nation auf'S Spiel- Zwischen Nation und Nation entscheidet das Gesetz der Stärke, nnd eS ist dieS—sittlich genommen — ganz in der Ordnung: denn alle Nationen (und Genossenschaften), welche sich ans ein eingebildetes Recht (d. i. Vorrecht) stützten, sind in Unthätiqkeit versumpft, zur Schwäche herabgesunken und die Beute deS Rührigen, d. i. deS Starken geworden, was den sittlichen Forderungen ganz entsprechend ist. Vgl. die Verse Goerhe'S in Ann. t I 7. )
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mit Maß zu Werke gehen; uns selbst aber ist aus unserer Mäßigung ungerechter Weise mehr Verläumdung erwahcsen, als Lob

„Obgleich wir unserer Machtstellung schon etwas vergeben, wenn wir die Streitsachen mit unseren Bundesgenossen vor dieSchiedsgerichte bringen lassen, und obgleich wir ihnen in unseren eigenen Gerichten völlige Rechtsgleichheit mit uns zu Theil werden lassen, so wird doch behauptet, daß wir streitsüchtig seien. Es fällt aber Keinem ein, daran zu denken, warum denn Andere nicht getadelt werden, die auch auswärtige Besitzungen haben und sich gegen ihre Unterthanen mit viel weniger Mäßigung benehmen, als wir. Wer Gewalt brauchen kann, dürfte nicht erst vor Gericht gehen. Jene aber sind gewohnt, mit uns unter völliger Rechtsgleichheit zu verkehren, und wenn ihnen durch einen Rechtsspruch oder in Folge einer Regierungsmaßregel durch Zwang etwas noch so Geringfügiges entzogen wird, was ihnen nicht in den Kopf will, so wissen sie uns gar keinen Dank, daß wir ihnen immer noch viel mehr gelassen haben, sondern sie erbittern sich über den kleinen Verlust mehr, als wenn wir uns von vorn herein über alles Gesetz hinausgesetzt und der Habgier ganz offen gestöhnt hätten. Und wären wir so verfahren, so würden sie wohl auch selbst nicht die Einrede gebraucht haben, daß der Schwächere dem Stärkeren nicht nachgeben müsse. Denn es scheint, als ob die Menschen sich mehr erzürnen, wenn ihrem Recht ein geringer Abbruch geschieht, als wenn sie mit Gewalt ganz darnieder gehalten werden. Das erste nennt man: von seines Gleichen betrogen werden, das andere: dem Mächtigeren nachgeben IV). Da sie von dem Perser ganz andere Dinge erdulden mußten, ertrugen sie es ruhig; unsere Herrschaft scheint ihnen drückend. Ganz natürlich: denn immer ist dem Unterworfenen die Gegenwart eine Bürde. Was nun euch betrifft, so möchtet ihr, wenn es euch gelingen sollte, uns zu stürzen und an unser Statt zu herrschen, wohl sehr bald die Gunst wieder verloren haben, die man jetzt [*]( 123) 1 Wird im folgenden Kapitel erläutert; vgl. die folgende Anmerkung. ) [*]( 124) Hiejv paßt der Satz Machiavell't «Fürst, Kap. Z): „Tt ist wohl zu merken, daß man die Menschen entweder liebzukosen, oder sie aufzureiben hat, weil sie sich wegen leichter Kränkungen rächen, wegen der schweren aber nicht rächen können. Drum muß die Kränkung, die man den Menschen erweist, von der Art sein, daß sie die Nacht nicht fürchten darf." )

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aus Furcht vor uns euch zuwendet, wenn ihr anders noch ähnliche Grundsätze habt, wie ihr damals während eurer kurzen Oberanfnhrung gegen die Meder IV sie zeigtet. Denn was bei euch Gesetz und Sitte ist, ist es nicht bei den Andern, und noch schlimmer wird dies dadurch, daß Jeder von Euch, wenn er hinaus kommt VI sich so wenig nach Jenem richtet, wie nach dem, was bei den andern Hellenen Brauch ist."

„Ueberleget also wohlbedächtig, wie es die Wichtigkeit der Dinge erfordert, und laßt euch nicht durch Anderer Meinungen und Beschwerden verführen, euch selbst eine große Last aufzuhalsen. Bedenkt auch, wie unberechenbar der Verlauf eines Krieges ist, bevor ihr euch noch in denselben einlasset. Wenn er sich in die Länge zieht, so pflegt er den Stand der Dinge durch zufällige Ereignisse oft ganz umzukehren, und davon sind dann beide Parteien gleich weit und gleich nah; und wie es sich auch wenden mag, immer setzt man sich auf's Ungewisse hin der Gefahr aus. Auch pflegen die Menshcen, wenn sie zum Krieg gehen, sogleich mit Thätlichkeiten den Anfang zu machen, zu denen sie erst später schreiten sollten, und nur erst, wenn sie Widerwärtigkeiten erfahren, wenden sie sich der Ueberlegung zu. Wir aber, die noch keinen dieser Fehler begangen haben und auch euch noch nicht darein verfallen sehen, reden euch, so lange es noch Jedem von uns beiden freisteht, das bessere Theil zu wählen, ernstlich zu, den Vertrag nicht zu lösen, noch auch die Eidschwüre zu brechen, sondern die MißHelligkeiten vertragsgemäß durch ein Schiedsgericht schlichten zu lassen. Im andern Fall rufen wir die eidbewachenden Götter zu [*]( 125) Vom Einfall der Perser bis zur Vertreibung des PausaniaS aus Byzanz (Kr.). ) [*]( 126) DieS ist ganz richtig. Die ausgesandten Spartaner glaubten in der Fremde einen Jeden, weil er eben kein Spartaner, kein Homve, war, wie ihre Perivkcn behandeln zu können, und achteten fremdes Gesetz nicht, weil sie gelehrt worden waren, ausschließlich nur die heimische OiScipün zu achten. Die heimische Einfachheit und Härte vergaßen die Meisten aber auch sehr bald, ließen sich zur Ueppigkeit hinreißen und kehrten verderbt zurück. DieS war mit ein Grund, daß meist nur altere und schon ganz gesetzte Männer ausgeschickt wurden, denen man die nöthige Selbstbeherrschung zutraute: denn Jüngere benahmen sich drutal, machten also Sparta verhaßt, und brachten überdies den Keim der Zersetzung in die Heimat zurück. Vgl. I,95.)

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Zeugen an, und wollen euch, wenn ihr den Krieg beginnen solltet, in derselben Art zurückweisen, wie ihr uns dazu das Beispiel geben werdet."

So sprachen die Athener. Nachdem nun die Lakedämonier sowohl die Beschwerden der Bundesgenossen gegen die Athener angehört hatten, als auch was die Athener dagegen gesprochen, hießen sie Alle abtreten, um sich über die Sache unter einander selbst zu berathen. Und die meisten einigten ihre Stimmen dahin, daß die Unbill der Athener schon offenkundig sei, und man müsse so bald als möglich den Krieg erklären. Da trat aber Archidamos auf, ihr König, der für einen klugen und gemäßigten Mann bekannt war, und redete also: