History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Wahrmund, Adolf, translator. Stuttgart: Krais and Hoffmann, 1864.

Das ist's, was ich über die älteren Zeiten gefunden habe. Man darf aber den einzelnen Zeugnissen, wie sie sich der Reihe nach darbieten, nur schwer Glauben schenken; denn die Menschen nehmen die Erzählungen von dem, was sich früher ereignet hat, ohne alle Prüfung von einander an, auch wenn es ihr eigenes Vaterland betrifft^). So ist z. B. unter dem Volke zu Athen der Glaube verbreitet, daß Hipparchos in der Eigenschaft als Tyrann durch Harmodios und Aristogeiton ermordet worden sei, und sie wissen nicht, daß die Herrschaft in den Händen des Hippias lag, als des ältesten unter den Söhnen des Peifistratos, und daß Hipparchos und Theffalos nur dessen Brüder waren. Da aber an jenem Tage und im entscheidenden Augenblick Harmodios und Aristogeiton vermutheten, Hippias sei durch einen Mitverfchwornen gewarnt, so legten sie nicht Hand an diesen, weil sie ihn eben schon für unterrichtet hielten; sie wollten aber vor ihrer Gefangennehmung doch auch etwas gethan haben, und da sie zufällig auf den Hipparchos trafen, welcher in der Nähe des sogenannten Leokorions den Festzug der Panathenäen ordnete, so ermordeten sie diesen^). Aber auch über viele andere Dinge und auch solche, die noch in der Gegenwart bestehen und nicht durch die Länge der Zeit in Vergessenheit gerathen sein können, haben auch die übrigen Griechen unrichtige Vorstellungen, wie z. B. daß jeder der beiden Lakedämonischen Könige nicht Eine Stimme abgebe, sondern zwei, und daß sie dort eine gewisse Schaar, genannt die Pitanaten, hätten, die es doch gar nie gegeben hat ^). So fahr- [*]( 55) Ueber die historische Unzuverlässigkeit der Griechen vgl. Krüger, histor. philol. Studien, I, p. 7S ff. 11ö ff. ) [*]( 56) Das Leokorion war ein Tempel im KerameikoZ, erbaut zu Ehren der Töchter des Leos: Praxithea, Theope und Eubule. Bei einer Hungersnoth hatte das delphische Orakel erklärt, daß die Opferung dieser drei Jungfrauen dieselbe beenden würde, und der Vater hatte sie zugelassen. Ueber die Panathenäen vgl. V, 47. ) [*]( 57) Diese Episode ist überflüssig, da sie VI, 53 ff. ausführlich erzählt wird, ist also geschrieben, als Thukydides letztere noch nicht beabsichtigte. (Kr.) ) [*]( 58) Pitana war eine der Gemeinden oder Ortschaften, aus welchen die Stadt Sparta zusammengesetzt war. (Anm. 35.) Sie hatte ihre eigenen gym­ )

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ässig sind die Menschen, die Wahrheit zu untersuchen, und sie nehmen viel lieber das an, was ihnen gerade zu Gehör kommt.

Trotzdem möchte Einer nicht seht gehen, wenn er zumeist das für wahr hält, was ich nach den angeführten Beweisgründen mitgetheilt habe, und weder dem mehr Glauben schenkt, was die Dichter in's Großartige ausschmückend davon gesungen haben, noch auch dem, was die Sagenschreiber 5 9) darüber aufgezeichnet, mehr mit Rücksicht auf das der Einbildungskrast Schmeichelnde als aus die Wahrheit, Unerweisliches nämlich und unter dem Einfluß der Zeit in's Unglaubliche und Fabelhafte Umgebildetes; er soll vielmehr glauben, daß mein Befund den glaubwürdigsten Zeugnissen entspreche und so treu sei, wie es bei Dingen aus so alter Zeit eben möglich ist. Was aber den hier erzählten Krieg selbst betrifft, so wird man finden, daß er sich durch die Thatsachen selbst als viel bedeutender erweist als alle früher geführten, obwohl die Menschen immer den für den wichtigsten ansehen, in welchem sie gerade begriffen sind, nach seiner Beendigung aber wieder zur Bewunderung des Alten zurückkehren.

Was die Reden angeht, welche die Betreffenden theils noch vor dem Kriege gehalten haben, theils auch während der Führung desselben, so wäre es mir unmöglich gewesen, die wirklich gesprochenen Worte mit Genauigkeit wiederzugeben, und zwar betrifft dies nicht weniger die, welche ich selbst mit angehört habe, als auch die mir von anderer Seite mitgetheilt worden sind. Es wird aber in meinem Buche so geredet, wie mir die Einzelnen den Umständen gemäß am passendsten zu sprechen schienen, indem ich mich dabei so eng als möglich an die Hauptgedanken der wirklich gehaltenen Reden anschloß. Was aber die im Kriege vorgefallenen Thatsachen betrifft, so hielt ich nicht für erlaubt, sie so auszuzeichnen, wie ich sie vom Ersten Besten erzählen hörte, und auch nicht nach meinem eigenen Gutdünken, sondern wie ich theils durch eigene Anshcauung, theils durch möglichst genaue Erkundigung bei Anderen über jedes Einzelne mich unterrichtet habe. [*]( nastischen Kampsspiele und, wie Herodot IX, 53, erzählt, bildete sie allerdings auch eine eigene militärische Abtheilung, ) [*]( 59) Griech. Logographei, d. h. eigentlich Redeschreiber, d. i. Prosaiker, namentlich Historiker, die aber bis auf Herodot nnd Thukydides und noch später eben nur Sagenschreiber waren. )

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Doch war es schwierig, die Wahrheit auszufinden, weil diejenigen, welche den einzelnen Begebenheiten als Augenzeugen beigewohnt hatten, sie doch nicht auf dieselbe Weise erzählten, sondern wie grade einen Jeden sein Wohlwollen für den einen oder andern Theil oder fein Gedächtnis; anleitete. Dem Ohre nun wird diese Geschichte, weil sie nichts Sagenhaftes erzählt, zwar weniger vergnüglich erscheinen, wenn aber diejenigen dies Werk nützlich finden, welche die geschehenen Dinge kennen lernen wollen, wie sie wirklich waren, und wie auch die Zukunft sie immer auf dieselbe oder auf ähnliche Weise wiederholen wird, weil es eben die menschliche Natur so mit sich bringt, so wird das genug sein. Es ist mehr geschrieben, um ein Besitzthum für alle Zeiten zu sein, und buhlt nicht als Redeprunkstück dem Augenblick zu gefallen.

Von den früheren Ereignissen ist der Perserkrieg das bedeutendste, und doch fand auch dieser in zwei See- und zwei Landschlachten eine schnelle Entscheidung^*)! der gegenwärtige Krieg aber hat sich sehr in die Länge gezogen und über Hellas Leiden gebracht, wie solche in einem gleichen Zeiträume sich sonst nie gehäuft haben; denn es wurden früher weder so viele Städte eingenommen und verwüstet, sei es nun durch die Barbaren 6") oder durch die kriegführenden Parteien selbst ° >), und viele wurden auch nach ihrer Einnahme mit andern Einwohnern besetzt^). Nie mußten so viele Menschen ihr Vaterland verlassen, und nie haben so viele ihr Leben verloren, sei es durch den Krieg selbst, sei es durch inneren Aufruhr. Was in früherer Zeit nur vom Hörensagen bekannt war, in der Wirklichkeit selbst aber nur selten erfahren wurde, fand nun thatsächliche Bestätigung, so z. B. Erdbeben, welche sich über einen großen Theil der Erde erstreckten und zugleich von außerordentlicher Heftigkeit waren, ferner Sonnenfinsternisse, welche häufiger stattfanden, als es von [*]( 59) Bei Salamis und Platää, sowie durch die Doppelschlacht bei Mykale. Der Ausdruck Entscheidung nöthigt, auch an die letztere, und hindert, an Thermopylä und Artemision zu denken. (Kr.) ) [*]( 60) Erzählt ist nur die Katastrophe von Mykalessos VII, 2S. vgl. jedoch III, 34. (Kr.) ) [*]( 61) Platää III, 6S und Thyrea IV, 57. (Kr.) ) [*]( 62) So Aegina II, 27; Potidäa II, 70; Skione V, 32-, Melos V, 116. (Kr.) )

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früheren Zeiten erzählt wird, dann auch häufige Dürre und in ihrer Folge Hungersnoth 6 2), und endlich, was nicht am wenigsten Schaden gethan und eine große Zahl von Menschen getödtet hat, die Pest. Das Alles kam während dieses Krieges vereint vor. — Es begannen ihn aber die Athener und Peloponnesier, nachdem sie den dreißigjährigen Vertrag gebrochen hatten, welcher nach der Einnahme Euböa's zwischen ihnen geschlossen worden war^).

Damit aber künftighin Niemand fragen dürfe, aus welchen Ursachen sich ein so bedeutender Krieg zwischen den Hellenen entspannen habe, so erzähle ich zuerst seine Veranlassung und die Zerwürfnisse, welche die Lösung jenes Waffenstillstandes herbeiführten. Für die eigentliche, in den Urtheilen der Menschen aber am wenigsten hervorgezogene Ursache halte ich, daß die Athener in ihrer Macht- entwickelung den Lakedämoniern Furcht einflößten und sie auf diese Weise zum Kriege nöthigten6°). Die Ursachen aber, welche jede der beiden Parteien als Grund anführte, daß sie den Waffenstillstand lösten und zum Kriege schritten, sind die folgenden.

Epidamnos ist eine Stadt, welche zur Rechten liegen bleibt, wenn man in den Ionischen sadriatischen^ Meerbusen einfährt. Sie ist rings von Taulantiern umwohnt, Barbaren Jllyrischer Abkunft, und ist eine Pflanzstadt der Kerkyräer. Ihr Gründer war Phalios, des Eratokleides Sohn, ein Korinther aus dem Stamm der Herakliden, welcher der alten Sitte gemäß aus der Mutterstadt berufen worden war 66). Es waren auch einige Korinther und Andere [*]( 63) Für Griechenland sichtbare Sonnenfinsternisse kommen vor II, 28. IV, 52. Tenoph. Hellen II, 3, 4. Fast zu wenige für das „häufiger". Auffallend ist, daß Thukydides hier nicht auch von Mondfinsternissen spricht, vgl. VII, 50. Tenoph. Hellen. I, 6, I. Nicht erwähnt hat er die am S. Oktober 425 stattgefundene Mondfinsterniß. Schol. zu Aristoph. Wolken 53 4. — Von Dürre wird speziell Nichts erwähnt. (Kr.) 64) Vgl. I, 115. ) [*]( 65) Vgl. hierüber die Anm. am Schlüsse dieses Buches. ) [*]( 66) Korinth hieß früher Ephyra und war von Aeolern bewohnt. Als die Herakliden mit den Doriern im I. IIV4 in den Peloponnes einfielen, eroberten sie die Stadt, gaben ihr den neuen Namen und einige dorische Familien )

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Dorischer Abkunft mit ausgewandert. Im Verlaufe der Zeit nun wurde die Stadt der Epidamnier groß und volkreich; sie lebten aber dann, wie erzählt wird, viele Jahre lang in inneren Zwistigkeiten und erlitten in deren Folge durch einen Krieg mit den benachbarten Barbaren große Verluste, und ihre Macht gerieth in Verfall. Zuletzt, unmittelbar vor dem Beginn dieses Krieges, jagte das Volk die Aristokraten aus der Stadt. Diese schlossen sich an die Barbaren an und übten mit deren Hilfe an denen in der Stadt Räubereien zu Land und zn Wasser. Da nun die in Epidamnos in die Enge geriethen, so schickten sie Gesandte nach Kerkyra, ihrem Mutterstaat, mit der Bitte, doch ihrem Verderben nicht zusehen zu wollen, sondern zwischen ihnen und den Ausgetriebenen zu vermitteln und dem.Krieg mit den Barbaren ein Ende zu machen. Dies Anliegen trugen sie sitzend im Tempel der Hera als Schutzflehende vor ^); die Kerkyräer aber gaben ihrer Bitte nicht Statt, sondern ließen sie nnverrichteter Sache wieder abziehen.

Die Epidamnier sahen nun, daß ihnen von Kerkyra aus keine Hilfe werde, und waren sehr in Bedrängniß, wie sie ihre Lage bessern sollten. Sie schickten nach Delphi, den Gott zu fragen, ob sie ihre Stadt nicht den Korinthern als den ersten Gründern übergeben und versuchen sollten, diese zur Hilfe zu bewegen. Der Gott befahl ihnen, sich den Korinthern zu ergeben und sie zu Anführern zu machen. Die Epidamnier kamen nun nach Korinth und übergaben dem Orakelspruch gemäß ihre Pslanzstadt, indem sie erinnerten, daß ihr [*]( als Adel. Unter diesen war wiederum die Heraklidensamilie der Bakchiaden die mächtigste. Aus ihr wurden die Prytanen, d. i. leitende Magistrate, alljährlich gewählt und zugleich die Anführer auswandernder Kolonisten. Eine ihrer ältesten Kolonien war Kerkyra (bei Homer Scheria und Sitz der Phäaken, sonst auch ihrer sichelförmigen Gestalt wegen Drepane genannt, jetzt Korsu), ausgesandt um 7 00 v. Chr. unter Anführung des Bakchiaden Chresikrates. Die Auswandernden nahmen zugleich das heilige Feuer aus dem Prytaneum der Hauptstadt mit, wodurch vorzüglich diese zur eigentlichen Mutterstadt wurde. Wenn nun ein Staat wie Kerkyra seinerseits wieder Kolonien aussandte, so erbat er sich dazu aus seiner Mutterstadt einen Anführer, und so wird hier der Bakchiade Phalios aus Korinth als Gründer der Kerkyräischen Pflanzstadt Epidamnos (627 v. Chr.) genannt. ) [*]( Vgl. III. 7 5. ) [*]( Thukydides I. ) [*]( 3 )

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Gründer aus Korinth gewesen sei, und den Spruch des Gottes mittheilten. Sie baten auch, man möge ihrem Verderben nicht ruhig zusehen, sondern helfen. Die Korinther übernahmen, wie es Recht war, die Hilfeleistung, da sie glaubten, daß die Pflanzstadt nicht weniger ihnen gehöre als den Kerkyräern, zugleich aber auch aus Haß gegen die Kerkyräer, weil diese, obgleich eine Korinthische Pflanzstadt, ihnen doch keinerlei Aufmerksamkeit erwiesen. Denn sie ließen ihnen weder bei allgemeinen Versammlungen die gewöhnlichen Ehrenbezmgungen zu Theil werden, noch auch gestatteten sie den Vortritt bei den Opfern einem Korinther, wie es die Sitte der Pflanzstädte war 6 6), sondern behandelten sie übermüthig. Auch konnten sich in der That die Ker- [*]( 68) Um das I. 650 v. Chr. verdrängte in Korinth Kypfelos, ein Nicht- dorier, aber mütterlicher Seits mit den Bakchiaden verwandt, mit Hilfe der unteren Stände den alten dorischen Adel und machte sich selbst zum Tyrannen (Anm. 50*). Ihm folgte sein Sohn Periander und diesem sein Sohn Pfammetichos, welcher durch die Lakedämonier gestürzt wurde. Diese Kypseliben hatten sich vorzüglich am jonischen Meere auszubreiten gesucht und auch mit den festländischen Barbaren Verbindungen angeknüpft, wodurch sie in Zwist mit Kerkyra geriethen, welches sich schon frühzeitig in denselben Gewässern zum Nebenbuhler Korinths aufgeworfen hatte. Der Krieg mit Periander ist oben schon erwähnt (?lnm. 42). Dessen Nachfolger unterivars die Insel wieder förmlich, bis sie sich zum zweiten Male los-riß und, indem sie von nun an in offener Feindseligkeit gegen Korinth handelte, dessen Macht bedeutend schwächte. ) [*]( Die Kolonien befanden sich in keiner anderen Abhängigkeit vom Mutter- staate , als daß sie sich mit demselben als blutsverwandt zu betrachten und ihm die Ehrerbietung zu erweisen hatten, welche den Vätern ihre Nachkommen schulden. Sie hatten dieselben Gottheiten und Kulte, dieselben Embleme auf ihren Münzen u. dgl. Gesandten und anderen Bürgern der Mutterstadt wurden bei feierlichen Gelegenheiten Ehrenplätze angewiesen, und die hauptsähclichsten Feste des Mutter- staates wurden durch Gesandtschaften mit Festgaben beschickt. Die Kerkyräer, welche sich überhaupt durch Brutalität und betrügerischen Geist unbeliebt gemacht hatten, vernachlässigten den Korinthern gegenüber diese Aufmerksamkeiten. Diodor XII, 30 erwähnt als Grund des Hasses, daß sie der Mutterstadt die üblichen Opferthiere nicht geschickt. — Wie konnten aber die Kerkyräer den Korinthern z. B. den Vorsitz bei den Jsthmien verweigern? Eher ließe sich dies aus Festspiele beziehen, die zu Kerkyra gefeiert wurden (Poppo). Besonders ist wohl an Theoren (gottesdienstl. Sendboten) zu denken, welche die Kerkyräer nicht zu Korinthischen Festen gesandt- vgl. VI, s. (Kr.) — Vortritt bei den Opfern; es heißt eigentlich: sie theilten nicht einem Korinther die Erstlinge des Opfers zu, damit er sie auf dem Altar den Göttern verbrenne. (Kr.) )
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kyräer sowohl an Geldmacht mit denen messen, welche damals unter den Hellenen die reichsten waren, als sie auch an Kriegsmacht unter den Uebrigen vorragten und sich zu gewissen Zeiten sogar rühmen durften, durch ihre Flotte alle Andern weit zu übertreffen. Im Seewesen war nämlich Kerkyra noch von den Zeiten der Phäaken her berühmt, welche früher dort gewohnt hatten. Deshalb verlegten sich die Kerkyräer auch vorzüglich aus den Schiffsbau, und ihre Seemacht war nicht gering, denn als sie den Krieg begannen, besaßen sie hundert und zwanzig Dreiruderer

In all diesen Umständen lagen für die Korinther Gründe zu Beschwerden, und deshalb waren sie gern bereit, den Epidamniern Hilfe zu senden, hießen auch Jeden, der wollte, als Ansiedler mitgehen und schickten Amprakiotische, Leukadische^) und eigene Truppen mit. Diese nahmen ihren Marsch zu Lande über Apollonia, eine Korinthische Pflanzstadt, aus Furcht, die Kerkyräer könnten ihre Ueberfahrt zur See verhindern. Diese aber, als sie die Ankunft der neuen Ansiedler und der Truppen in Epidamnos erfuhren und zugleich die Uebergabe ihrer Kolonie an die Korinther, waren sehr erbittert. Schnell erschienen sie mit fünfundzwanzig Schiffen, denen später noch ein zweites Geschwader folgte 7"), und stellten unter übermüthigen Drohungen die Forderung, daß man die Vertriebenen wieder aufnehme, — die Epidamnifchen Flüchtlinge waren nämlich nach Kerkyra gekommen und hatten sie bei den Gräbern der Vorfahren ^ und bei der Stammesverwandtschaft beschworen, sie zurückzuführen, — die Korinthische Besatzung aber und die neuen Ansiedler müßten weggeschickt werden. Die Epidamnier gaben jedoch in keinem Punkte nach. [*]( 69) Schon 480 v. Chr., wo sie nächst Athen die größte Seemacht hatten, sind 60 Schiffe nur ein Theil ihrer Flotte, Herod. VII, IK3. (Kr.) Die erste Veranlassung zu einer so bedeutenden Kriegsflotte waren wohl die Kämpfe, die sie anfangs mit den liburnifchen Seeräubern zu bestehen hatten, die sich von den dalmatinischen Küsten her bereits auf den jonischen Inseln festgesetzt hatten und erst aus diesen Gewässern wieder verjagt werden mußten. ) [*]( 69*) Wie Epidamnos, waren auch Apollonia, Leukas, Anaktorion und Amprakia korinthische Kolonien am Ionischen Meere. ) [*]( 70) Noch mit fünfzehn Schiffen, nach dem Schluß dieses Kap. (Poppo.) ) [*]( 71) Gräber ihrer Vorsahren zu Kerkyra. (Kr.) ) [*]( 3* )

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Nun kamen die Kerkyräer mit vierzig Schiffen und den Vertriebenen, welche sie zurückführen wollten, nachdem sie sich vorher auch die Jllyrier verbündet hatten. Sie blokirten die Stadt, indem sie es den Epidamniern und den Fremden frei stellten, dieselbe zu verlassen; wollten sie das nicht, so würden sie als Feinde behandelt werden. Da jene nicht nachgaben, so begannen die Kerkyräer die Stadt, die aus einer Landenge liegt, zu belagern.

Die Korinther, als zu ihnen aus Epidamnos Boten mit der Nachricht von der Belagerung kamen, rüsteten zu einem Heereszuge und ließen zugleich eine Ansiedelung für Epidamnos ausrufen. Jeder, wer wolle, könne sich unter gleichem Recht für Alle anschließen^), und wenn Einer für den Augenblick nicht mitzuschisfen gesonnen sei und doch bei der Ansiedelung sich betheiligen wolle, der könne in Korinth zurückbleiben gegen Erlegung von fünfzig Drachmen ^). Sowohl der Mitschiffenden, als auch derer, welche die Summe einzahlten, sanden sich Viele. Sie baten auch die Megarer, sie mit ihrem Schiffsgeleit zu verstärken, sür den Fall daß sie von den Kerkyräern zur See behindert werden sollten. Diese machten sich bereit, sie mit acht Schiffen zu begleiten, ebenso die Paleer aus Kephallene mit vieren. Auch an die Epidaurier wandten sie sich, und diese stellten fünf Schiffe, ferner die Hermioneer eines, die Trözener zwei, die Leukadier zehn und die Amprakioten acht. Die Thebaner und Phliafier ersuchten sie um Geldbeiträge, die Eleer um leere Schiffe und Geld. Aus eigenen Mitteln aber rüsteten die Korinther dreißig Schiffe und dreitausend Schwerbewaffnete.

Als die Kerkyräer von diesen Rüstungen erfuhren, kamen sie im Geleit Lakedämonischer und Sikyonischer Gesandten nach Korinth und forderten, die Korinther sollten ihre Tnlppen und die neuen Ansiedler aus Epidamnos wegziehen, da sie auf diese Kolonie kein Recht hätten. Glaubten sie aber doch Gegenansprüche machen zu dür- [*]( 72) Gemeint ist die Gleichheit mit den Epidamniern (Schol.), denn die unter einander verstand sich wohl von selbst. (Kr.) ) [*]( 72) Die korinthische Drachme betrug 9^/s gute Groshcen, nach Böckh, Staatshaushalt der Athen. I. S. 17. Genauere? in der 2. Ausl. I. S. 26. Vgl. dessen metrolog. Untersuch. S. 96. )

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fen, so seien sie bereit, die Angelegenheit denjenigen peloponnefischen Städten zur Entscheidung vorzulegen, über welche sich beide Theile vorher geeinigt haben würden. Wem von ihnen beiden die Kolonie dann zugesprochen werde, der solle Sieger sein. Auch dem Delphischen Orakel wollten sie die Entscheidung anheimstellen^*), nnr möge man keinen Krieg anfangen; denn sonst seien auch sie gezwungen, zu ihrer Unterstützung sich andere Bundesgenossen zu erwerben als die, welche sie jetzt hätten, und zwar solche, welche den Korinthern nicht angenehm wären, obgleich sie selbst dazu nöthigten Die Korinther gaben zur Antwort: wenn jene erst ihre Schiffe und die Barbaren von Epidamnos zurückgezogen hätten, seien sie zu Unterhandlungen bereit, vorher aber wolle es ihnen nicht wohl anstehei, daß die in Epidamnos belagert würden, und sie hier Verhandlungen Pflögen. Hieraus erwiderten die Kerkyräer, sie wären damit einverstanden, wenn auch jene ihre Leute Epidamnos wollten räumen lassen; auch wäre es ihnen Recht, wenn beide Parteien in ihren gegenwärtigen Stellungen verblieben und einen Waffenstillstand schlößen, bis der Rechtsspruch erfolgt sei.

Hierin aber gaben die Korinther in keinem Punkte nach, sondern als ihre Schiffe gerüstet und ihre Bundesgenossen bereit waren, schickten sie vorher einen Herold ab, um den Kerkyräern den Krieg anzusagen, und segelten dann mit fünfundsiebenzig Schiffen und zwei Tausend Schwerbewaffneten nach Epidamnos, um gegen die Kerkyräer den Kampf entscheiden zu lassen Anführer der Schiffe waren Aristeus, Sohn des Pellichas, Kallikrates, des Kallias, und Timanor, des Timanthes Sohn; die Landtruppen befehligten Archetimos, Sohn des Enrytimos, und Jsarchidas, Sohn des Jsarchos. Als sie bei Aktion auf Anaktorifchem Gebiete, dort wo der Tempel des Apollo [*]( 73*) Streitigkeiten einzelner Städte wurden nicht vor das Bundesoberhaupt, die Spartaner, gebracht, um diese nicht allzu mächtig werden zu lassen, fondern vor ein Schiedsgericht anderer Städte oder das delphische Orakel. ) [*]( 74) Bezeichnet werden die Athener und die Trennung von den stammverwandten Peloponnesiern. (Kr.) ) [*]( 75) Diese Unternehmungen und die Schlacht bei Leukimme fallen in den Frühling von Ol. 36, 2 (43 4 v. Chr.), vgl. Krüger, histor. philol. Stab. S. 219 ff. )

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steht, nahe an der Mündung des Amprakischen Meerbusens angekommen waren, schickten ihnen die Kerkyräer ein Boot mit einem Herold entgegen, der sie aufforderte, nicht weiter gegen sie vorzurücken. Zu gleicher Zeit bemannten sie ihre Schiffe, gaben den alten neue Querdecke, so daß sie die See halten konnten, und machten die andern segelfertig. Der Herold brachte von den Korinthern keine friedliche Antwort, und da ihre Schiffe die Besatzung aufgenommen hatten, — es waren deren achtzig: vierzig andere nämlich hielten Epidamnos blokirt^), — so fuhren sie auf die hohe See jenen entgegen, stellten sich in Schlachtordnung auf, und die Seeschlacht begann. Es trugen aber die Kerkyräer einen entschiedenen Sieg davon und vernichteten den Korinthern fünfzehn Schiffe. An demselben Tage hatten auch die, welche Epidamnos entschlossen, das Glück, die Stadt durch Uebergabe in ihre Hand zu bekommen, unter der Bedingung, daß die Fremden verkauft, die Korinther aber gefangen gehalten werden sollten, bis anders entschieden sei.

Nach der Seeschlacht errichteten die Kerkyräer auf Leukimme [Lefkimo], dem Vorgebirge von Kerkyra, ein Siegeszeichen und tödteten die [znr See] gemachten Gefangenen mit Ausnahme der Korinther, welche sie in Fesseln behielten; und als die Korinther und ihre Bundesgenossen nach der Niederlage mit ihren Schiffen nach Hause zurückgekehrt waren, blieben die Kerkyräer Herren aller jener Gewässer. Sie segelten gen Lenkas, eine Pflanzstadt Korinths^), und verheerten das Land; auch steckten sie Kyllene, die Schiffswerft der Eleer, in Brand, weil diese den Korinthern Schiffe und Geld geliefert hatten. Die längste Zeit nach jener Seeschlacht blieben sie Herren des Meeres 7 s), suchten die Bundesgenossen der Korinther heim und fügten ihnen Schaden zu, bis die Korinther gegen Ende des Sommers Schiffe und Truppen aus-schicken, da ihre Bundesgenossen zu sehr litten. Sie lagerten bei Aktion nnd in der Nähe von Cheimerion im [*]( 76) Dies gibt den Grund an, weshalb nicht alle 12V beinannt wurden, vgl. Kap. 2S. ) [*]( 77) Bei Gründung der Kolonie Leukas war auch Kerkyra betheiligt. Blut. Themist. 2 4. (Kr.) ) [*]( 78) Etwa fünf bis sechs Monate; die Schlacht fiel in den Frühling OI. 86, 2. v. Chr. 43 4. Krüger, histor. philol. Sind. I. S. 220. )

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Gebiete der Thefproter, um Leukas und die andern befreundeten Städte zu schützen. Die Kerkyräer hingegen nahmen mit der Flotte und den Landtruppen Stellung bei Leukimme. Zur Seeschlacht kam es jedoch nicht, sondern sie blieben den ganzen Sommer ruhig einander gegenüber stehen, und als der Winter bereits hereingebrochen war, kehrten beide Theile nach Hause zurück.

Die Korinther, durch den Verlauf des Krieges mit den Kerkyräern auf's Höchste gereizt, beschäftigten sich das ganze Jahr nach der Seeschlacht und das darauf folgende mit dem Schiffsbau und rüsteten mit aller möglichen Anstrengung eine Flotte^). Ruderer verschafften sie sich um hohen Lohn aus dem Peloponnes selbst und aus dem übrigen Hellas. Als die Kerkyräer von diesen Rüstungen .hörten, geriethen sie in Furcht, und da sie mit keinem der Hellenischen Staaten verbündet waren und sich auch weder in den Athenischen, noch in den Lakedämonischen Bund eingeschrieben hatten, so beschlossen sie nach Athen zu schicken und sich diesen als Bundesgenossen anzutragen, um zu versuchen, ob sie hier Unterstützung fänden. Die Korinther nun, als sie dies erfuhren, schickten auch ihrerseits Gesandte nach Athen, damit nicht die Vereinigung der Kerkyräifchen und der Attischen Flotte es ihnen unmöglich mache, den Krieg nach Wunsch zu beendigen. Eine Volksversammlung wurde anberaumt, und beide Theile kamen zur Rede und Gegenrede. Die Kerkyräer nun sprachen folgendermaßen So): [*]( Die beiden Jahre sind Frühling Ol. se, 2 bis se, 4. 434 — 432 v. Chr. Krüger Ebend. S. 219 ff. ) [*]( IV) Einen künstlichen Plan nnd rhetorische Ausführung haben die philippischen Reden des Demosthenes so wenig als die thnkydideischen. (Niebuhr, kleine hist. und phil. Schriften, II, S. 153.) Doch fehlt eS beiden nicht an psychologischer Berechnung des Eindrucks und einer dieser gemäßen Anordnung, die sich freilich über pedantische Technik hinwegsetzt. (Kr.) Künstlicher Plan und rhetorische Ausführung, können nur auf müßige und schale Köpfe einen Eindruck hervorbringen. Wem es um die Sache zu thun ist, der gibt und verlangt dergleichen nicht. Thnk. war kein Gorgias. Wer aber als Historiker Reden Anderer abfaßt, wäre viel eher veranlaßt, sie technisch möglichst schul- gerecht zu disponiren, als wer in re auf eigene Verantwortung redet. Hierin zeigt sich eben wieder des That Geistesgröße. Aber er hatte auch keine Redeschule durchzumachen, wie wir Modernen, deren Gesetze aus der griech. Sophisten-)

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„Von denjenigen, ihr Athener, die Andere um Hilfe angehen, ohne sich auf früher geleistete Dienste oder vorangegangene Bundesgenossenschaft berufen zu können, wie eben wir jetzt in dem Falle sind, von denen wird billig der Beweis verlangt, vor Allem, daß ihr Gesuch ein vortheilbringendes, oder, wenn das nicht, doch wenigstens nicht mit Nachtheil verknüpft sei, und dann, daß man bei ihnen auf Dankbarkeit sicher rechnen dürfe. Gelingt es ihnen nicht, diese Punkte außer Zweifel zu stellen, so sollen sie sich nicht beschweren, wenn sie keinen Erfolg haben. Die Kerkyräer nun haben uns mit der Bitte um Bundesgenossenschaft an Euch abgesandt, und sie vertrauten, Euch hierüber alle Sicherheit geben zu können. Unser bisheriges Gebahren freilich ist wohl der Art gewesen, daß es uns weder euch gegenüber zur Sache empfehlend ist, noch auch uns selbst in unserer jetzigen Lage irgendwie Vortheil bringt. Denn wir sind früher niemals gern eines Andern Bundesgenosse geworden, und kommen nun doch zu Fremden, um die Bundesgenossenschaft nachzusuchen, und zugleich stehen wir für diesen Krieg mit den Korinthern ganz verlassen da, und was an uns früher Klugheit schien: nie durch fremde Bundesgenossenschaft die Gefahren fremden Beginnens theilen zu wollen, erscheint jetzt umgekehrt als Unberathenheit und Schwäche. In der Seeschlacht, die vorgefallen ist, haben wir uns zwar allein der Korinther erwehrt, jetzt aber, da sie mit größerer Rüstung vom Peloponnes und dem übrigen Hellas gegen uns heranziehen, und wir uns zu schwach fühlen, um mit der eigenen Macht allein obzusiegen, und da auch die Gefahr groß ist, wenn wir unterliegen sollten, so sind wir gezwungen, euch und jeden Andern um Hilfe zu bitten; und wenn wir jetzt etwas unternehmen, was zu unserer früheren Unthätigkeit nicht stimmt, so möge uns zur Entschuldigung dienen, daß wir nicht aus böser Absicht, sondern aus irriger Einsicht gehandelt haben."

„Euch aber, wenn ihr uns willfahrt, wird der Zufall, der uns als Hilfsbedürftige zu euch führt, in mancher Hinsicht Vortheil bringen. Für's Erste werdet ihr Unrechtleidenden Hilfe leisten und [*]( rhetorik durch den Kanal der christl. Homiletik bis in die Lehrbücher des Curial- Styles und in unsere Schul-Chrien geflossen sind. )

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nicht solchen, welche Anderen Schaden zufügen; dann bietet ihr eure Hand solchen, die um ihre höchsten Güter kämpfen, und werdet sie euch in unauslöschlicher Dankbarkeit verbinden, und endlich besitzen wir eine Flotte, die außer der eurigen jede andere übertrifft. Ueberleget, ob es einen selteneren und euren Feinden unerwünschteren Glücksfall geben kann, als wenn eine Macht, die ihr gern mit viel Geld und Gunst auf eure Seite gezogen hättet, ganz aus eigenem Antrieb und ohne alle Gefahren und Kosten euerseits sich anbietet, die noch dazu vor der Welt eure edle Gesinnung in's Licht stellt, euch die Dankbarkeit derer sichert, denen eure Hilfe wird, und eure eigene Macht vergrößert. So viel Gutes vereint ist zu jeder Zeit nur Wenigen zu Theil geworden, und selten bringen die, welche um Bundesgenossenschaften bitten, denen, welche sie darum angehen, die gleiche Sicherung ihrer Macht und des guten Rufes zu, die sie selbst von jenen zu empfangen gekommen sind. Wenn aber Jemand glaubt, daß der Kriegsfall nicht eintreten werde, für welchen wir euch von Nutzen sein könnten, so irrt er sich und merkt nicht, wie die Lakedämonier aus Furcht vor Ench bereits auf Krieg sinnen, und daß die Korinther, die eure Feinde sind, bei jenen aber viel vermögen, vorerst mit uns fertig zu werden wünschen, um dann gegen euch loszugehen, damit wir nicht in gemeinsamer Feindschaft gegen sie zusammenstehen, und damit sie von Zweien wenigstens Eins erreichen, nämlich entweder uns Schaden zuzufügen, oder ihre eigene Macht zu vermehren. Unsere ^gemeinsames Sache nun ist es, ihnen den Vorsprung abzugewinnen, indem wir euch die Kampfgenossenschaft antragen, und ihr sie annehmt, um dann selbst mit dem Angriff zuvorzukommen, anstatt hinterher auf Vertheidigung zu denken."

„Wenn sie aber behaupten, daß ihr Unrecht thnt, eine ihrer Pflanzstädte aufzunehmen, so mögen sie erst lernen, daß jede Pflanzstadt ihre Mutterstadt ehrt, so lange sie gut behandelt wird, daß sie sich aber abwendet, wenn sie Ungerechtigkeiten zu erdulden hat. Denn Kolonisten werden nicht ausgesandt, um der Zurückbleibenden Knechte zu werden, sondern um ihres Gleichen zu bleiben. Daß sie uns aber Unrecht zugefügt haben, ist deutlich; denn als sie von uns wegen der Epidamnischen Sache zur Ausgleichung aufgefordert wurden, wollten sie die Beschwerden lieber durch Krieg zur Entscheidung bringen, als

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sie nach dem Recht beilegen lassen. Und wie sie gegen uns, ihre Blutsverwandten, handeln, das möge Euch zur Warnung sein, daß ihr euch weder durch ihre Hinterlist täuschen lasset, noch auch dem, was sie offen verlangen, willfahret. Denn der steht wohl am sichersten, der es am wenigsten bereuen muß, seinen Feinden gefällig gewesen zu sein."

„Auch brecht ihr nicht die Verträge mit den Lakedämoniern ^ durch unsere Aufnahme, denn wir gehören noch zu keiner der beiden Bundesgenossenschasten, und es heißt ja in jenem Vertrag, daß es den Hellenischen Staaten, die noch auf keiner Seite mitkämpfen, frei stehe, sich nach Gefallen an einen der beiden Theile anzuschließen. Und es stünde auch sehr schlimm, wenn es jenen erlaubt sein sollte, ihre Schiffe nicht nur mit Bundesgenossen zu bemannen, sondern auch aus den andern snicht verbündeten^ griechischen Staaten und sogar aus solchen, die euch Unterthan sind, und wenn sie uns von der bestehenden Bundesgenossenschaft ausschließen und verbieten wollten, auch anderswo uns Hilfe zu suchen, und wenn sie auch euch ein Verbrechen daraus machen wollten, unsere Bitte zu gewähren. Viel mehr Ursache hätten wir, uns über euch zu beklagen, wenn ihr uns kein Gehör schenken wolltet, denn damit würdet ihr Solche von euch stoßen, die in Noth nnd Gefahr schweben und eure Feinde nicht sind; jene aber, die eure Feinde sind und euch zu Leibe gehen, hindert ihr nicht nur auf keine Weise, sondern laßt sie auch aus eurem eigenen Gebiet ihre Kriegskraft verstärken, und das ist nicht Recht, sondern entweder müßt ihr in eurem Gebiete die Werbungen jener untersagen, oder auch uns Hilfe schicken, unter welchen Bedingungen es euch nun am besten dünken mag. Ein offenes Bündnis; und der Beistand eurer Waffen wäre aber das Entsprechendste. Für diesen Fall gewähren wir große Vortheile, wie wir schon Anfangs gesagt haben. Der bedeutendste liegt darin, daß wir beide dieselben Feinde haben, was ja das stärkste Band treuen Zusammenhaltens ist, und zwar keine schwachen, sondern die wohl im Stande sind, euch zu züchtigen, wenn ihr von uns zurücktretet ^Auch [*](81) Der dreißigjährige Vertrag mit den Lakcdämoniern I, 115. ) [*](82) Ich übersetze μετασιάντας auf die Athener bezogen, gleich μετανα- σιάντας von uns, den jetzt Bittenden, wegtretend. )

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ist es nicht gleichviel, das Bündnis; mit einer Seemacht von der Hand weisen, oder das mit einer Landmacht, was wir nicht sind. Eigentlich solltet ihr nach Kräften verhindern, daß ein Anderer überhaupt eine Flotte besitze; wenn aber das schon einmal unmöglich ist, solltet ihr wenigstens danach streben, die mächtigste Seemacht auf eurer Seite zn haben."

„Und wenn Einer in dem Vorgebrachten zwar wirklich: Vortheile erkennt, aber doch ihretwegen die Verträge zu lösen fürchtet, der möge wissen, daß, wenn er bei seiner Scheu auch Macht besitzt, er beim Gegner noch größere Scheu erwecken wird, — daß es aber als Schwäche erscheint, wenn er sein Vertrauen darauf setzt, uns nicht ausgenommen zu haben, und daß er deshalb einem mächtigen Feind um so weniger Furcht einflößen wird. Und es handelt sich ja auch zugleich nicht in höherem Grade um das Wohl Kerkyra's als um das Athens, und es heißt nicht das Beste dieses Staates im Auge haben, wenn man bei einem bevorstehenden Kriege, der schon so gut als wirklich da ist, nicht über den Augenblick hinausdenkt und noch lange ansteht, sich einen Staat zu verbinden, dessen Freundschaft oder Feindschaft sehr schwer in die Wagschale fällt. Denn Kerkyra hat eine höchst günstige Lage für die Ueberfahrt nach Italien und Sicilien, und es vermag ebensowohl eine von dort ansegelnde Flotte zu verhindern, daß sie gegen den Peloponnes darbringe, als es Schiffe von hier dorthin geleiten kann, und noch in vielen anderen Beziehungen bietet es große Vortheile. Um uns aber ganz kurz zu fassen und Alles samt und sonders nur in der Hauptsache auszusprechen, so erfahrt denn, warum ihr uns nicht ohne Hilfe lassen dürfet. Es gibt unter den Hellenen drei nennenswerthe Seemächte, die einige, die unsere und die der Korinther. Wenn ihr es nun geschehen lasset, daß zwei davon in Eine zusammenschmelzen, indem die Korinther uns vorwegnehmen, so habt ihr nachher mit der vereinigten Seemacht der Kerkyräer und der Peloponnesier zu kämpfen. Nehmet ihr hingegen uns zu Verbündeten an, so werdet ihr den Kampf gegen jene führen, euerseits um die Zahl unserer Schiffe verstärkt."

So redeten die Kerkyräer. Nach ihnen aber die Korinther, wie folgt:

„Da die Kerkyräer in ihrer Rede nicht bei dem Ansuchen

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um eure Bundesgenossenschaft stehen geblieben sind, sondern auch behauptet haben, daß wir hart und ungerecht gegen sie verfahren, und daß sie selbst gegen alles Recht mit Krieg überzogen werden, so müssen auch wir uns zuerst über diese beiden Punkte auslassen, ehe wir zum eigentlichen Zweck unserer Rede kommen, damit ihr von vorn herein deutlich seht, was wir wollen, und damit wir euch triftige Gründe an die Hand geben. Dieser Ansuchen zurückzuweisen. Wie sie sagen, hätte sie die Klugheit bewogen, sich mit Niemanden in ein Bündniß einzulassen, aber das ist nur aus bösem Willen, nicht aus rühmenswerther Gesinnung geshcehen. Sie konnten zu ihren Schändlichkeiten keine Gehilfen und keine Zeugen brauchen und wollten sich durch Zuziehung Anderer keiner Beschämung aussetzen. Auch gibt ihnen die Lage ihres Inselstaates eine unabhängige Stellung und gestattet ihnen, in eigener Person über Diejenigen Richter zu sein, denen sie selbst Unrecht zufügen, ohne sich an Verträge binden zu müssen. Denn sie selbst besuchen mit ihren Schiffen Niemanden, wohl aber sind Andere oft genöthigt, bei ihnen Zuflucht zu suchen ^). Das ist der Grund ihrer gerühmten Zurückhaltung von fremder Bundesgenoffenschast. Sie wollen nicht, wie sie vorschützen, an fremdem Unrecht unbetheiligt bleiben, sondern auf eigene Rechnung Unrecht ausüben und, wo sie die Macht dazu in Händen haben, Gewalt brauchen, wo es aber heimlich geschehen kann. Andere Übervortheilen; in jedem Fall aber wollen sie keiner Beschämung ausgesetzt sein, wenn sie irgendwo Raub verübt haben. Wären sie rechtliche Leute, wie sie sich rühmen, so könnten sie durch Rechtgeben und Nehmen ihre Tugend um so Heller leuchten lassen, je unangreifbarer ihre Stellung nach Außen ist.

„Aber sie haben sich gegen Andere so wenig, wie gegen uns so gezeigt. Obgleich sie ein Pflanzvolk von uns sind, haben sie sich gänzlich von uns losgesagt, und jetzt führen sie Krieg gegen uns und sagen, sie seien nicht deshalb als Ansiedler ausgesandt worden, um sich Unrecht gefallen zu lassen. Wir aber sagen: wir haben sie nicht ausgesandt, um von ihnen eine übermüthige Behandlung zu erfahren. [*]( 83) Eliva durch Stürme genöthigt, wo sie wahrscheinlich bedeutende Abgaben erhoben. (Kr.) )

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sondern um als ihr Oberhaupt betrachtet und nach Gebühr geehrt zu werden. Auch schätzen uns ja die übrigen Kolonien, und wir erfahren von unseren Ansiedlern die größte Anhänglichkeit. Wenn nun die Mehrzahl mit uns zufrieden ist, so ist es klar, daß diese allein keinen genügenden Grund zur Unzufriedenheit haben, und wir selbst führen auch keinen so auffälligen Krieg, ohne auffällig beleidigt worden zu sein. Aber selbst wenn wir gefehlt hätten, wäre es für sie schicklich gewesen, unserer Gereiztheit nachzugehen, und uns würde es dann zur Schande gereicht haben, ihrer Mäßigung gegenüber mit Anwendung von Gewalt zu verfahren. Sie haben aber in ihrem Uebermuthe und im Trotz auf die Macht ihres Geldes sich auch noch anderweitig viel an uns vergangen, und auch Epidamnos, das uns gehört, und wonach sie nie Verlangen getragen haben, so lange die Stadt in Noth war, haben sie mit Gewalt in Besitz genommen, als wir zur Hilfeleistung unterwegs waren."

„Sie behaupten zwar auch, vorher ein Schiedsgericht vorgeschlagen zu haben. Aber ein solches Anerbieten darf doch nicht von Seiten Desjenigen als redlich gemeint angesehen werden, der sich bereits im Vortheil befindet ^)und aus seiner sicheren Stellung heraus eine Entscheidung verlangt, sondern nur von denen, welche sich in Wort und That mit den Andern auf gleichen Fuß stellen, bevor sie es noch zum Kampfe kommen lassen. Diese aber sind mit dem berufenen Vorschlag des Schiedsgerichtes nicht etwa ausgetreten, bevor sie noch jenen Platz belagerten, sondern als sie schon sicher waren, daß wir nicht mehr ruhig zusehen würden. Und nun kommen sie daher und haben noch nicht genug daran, daß sie dort Unrecht gethan, sondern wollen auch euch noch zu Bundesgenossen, d. h. zu Genossen ihres Frevels, und wünshcen, daß ihr sie bei ihrer Feindschaft mit uns in euren Schutz nehmet. Damals hätten sie kommen sollen, als sie noch Nichts zu fürchten hatten, nicht aber jetzt, da wir von ihnen beleidigt sind, und sie eben deshalb Gefahr lausen, so daß ihr ihnen also jetzt eure Hilfe würdet zu Theil werden lassen, ohne früher ans ihrer Macht Vortheil gezogen zu haben. Ohne an ihren Vergehungen betheiligt [*]( 84) Wie die Kerkyräer durch den Sieg und die Unterwerfung der Epidamnier I, 29. (Kr.) )

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zu sein, würdet ihr euch damit doch dieselben Vorwürfe unserer Seits zuziehen; aber nur, wenn ihr früher den Mitgenuß ihrer Macht gehabt hättet, wäret ihr jetzt verbunden, die Folgen gemeinsam zu tragen."