History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

Unterdessen hatte die peloponnesische Flotte unter Min­ daros in Chios zwei Tage Lebensmittel eingenommen, auch

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jeder Mann an Bord von den Chiern drei chiische Vierzigste! erhalten. Am dritten Tage ging sie von Chios unter Segel, fuhr aber nicht durch die offene See, um nicht mit den Schiffen bei Eresos zusammenzutreffen, sondern, Lesbos zur Linken, an der Küste des Festlandes entlang. Im Hafen von Karterioi im Phokäischen wurde angelegt und gefrühstückt und auf der Fahrt an der kymeischen Küste bei dem festländischen Argen­ nusai, Mytilene gegenüber, zu Abend gegessen. Von da setzte man noch in tiefer Nacht die Fahrt an der Küste fort und kam, Methymna gegenüber, nach Harmatus am Festlande, wo wieder gefrühstückt wurde. Dann ging es schnell weiter an Lekton, Larissa, Hamaxitos und den anderen Orten dort vor­ über, bis man kurz vor Mitternacht das schon zum Hellespont gehörige Rhoiteion erreichte. Doch legten einige Schiffe schon bei Sigeion oder dort in der Nähe an.

Die damals mit achtzehn Schiffen bei Sestos liegenden Athener schlossen aus den Lärmzeichen, welche die Feuerwächter gaben, und der Menge der an der feindlichen Küste plötzlich aufleuchtenden Feuer, daß die peloponnestsche Flotte im An­ segeln sei, und fuhren noch in derselben Nacht hart an der Küste des Chersones entlang, so schnell sie konnten, nach Elaius, um aus dem Bereich der feindlichen Flotte in die offene See zu gelangen. Sie wurden auch von den sechzehn Schiffen in Abydos nicht bemerkt, obwohl diesen von ihren auf der Flotte kommenden Freunden besonders anbefohlen war, ein wachsames Auge auf sie zu haben, wenn sie wegfahren wollten. Bei Tagesanbruch sichteten sie die Flotte des Mindaros, die gleich Jagd auf sie machte und einige von ihnen auch einholte. Den meisten gelang es jedoch, nach Imbros und Lemnos zu ent­ kommen; die vier letzten Schiffe aber fielen bei Elaius den Feinden in die Hände, ein beim Protesilaostempel gestrandetes samt der Mannschaft, zwei andere ohne diese und ein viertes, leeres, das sie bei Imbros in Brand steckten.

Hierauf fuhren sie mit ihrer ganzen, jetzt, nachdem auch die Schiffe aus Abydos zu ihnen gestoßen waren, sechsund­ achtzig Segel starken Flotte nach Elaius und legten sich den

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Tag über vor die Stadt; da sie sich aber nicht ergab, zogen sie ab nach Abydos. Als die Athener bei Eresos, die sich in ihren Wachen geirrt hatten und in der Meinung, die feind­ liche Flotte würde nicht unbemerkt vorbeikommen können, ruhig fortfuhren, die Stadt zu berennen, hiervon Nachricht erhielten, brachen sie sogleich von dort auf, um ihren Landsleuten am Hellespont unverzüglich zu Hilfe zu kommen; auch nahmen sie zwei peloponnesische Schiffe, die sich bei der Verfolgung zu weit in die See hinausgewagt hatten und ihnen in den Wurf kamen. Am folgenden Tage gelangten sie nach Elaius, wo sie vor Anker gingen, die nach Imbros entkommenen Schiffe an sich zogen und sich fünf Tage auf eine Seeschlacht vorbereiteten.

Darauf kam es zur Schlacht, die also verlief. Die Athener fuhren, ihre Schiffe in Kiellinie, dicht am Lande auf Sestos zu. Als die Peloponnesier das bemerkten, liefen auch sie mit ihrer Flotte von Abydos gegen sie aus. Sobald sie sahen, daß es zur Schlacht kommen würde, entwickelten die Athener ihre Schlachtlinie mit sechsundsiebzig Schiffen an der Küste des Chersones von Idakos bis Arrhiana und die Pelo­ ponnesier gegenüber mit achtundachtzig Schiffen von Abydos bis Dardanos. Den rechten Flügel der Peloponnesier bildeten die Syrakuser, den anderen Mindaros selbst mit den schnellsten Schiffen der Flotte; bei den Athenern stand Thrasylos auf dem linken Flügel, auf dem rechten Thrasybulos, von den übrigen Feldherren jeder an dem ihm angewiesenen Platze. Die Peloponnesier beeilten sich, zuerst anzugreifen, und wollten den rechten Flügel der Athener mit ihrem linken umfassen, um ihnen womöglich den Ausweg in die offene See abzuschneiden, zugleich aber auch ihr Mitteltreffen auf den nahen Strand treiben. Die Athener, die das merkten, verlängerten auf der Seite, wo die Gegner ihnen den Weg verlegen wollten, auch ihre Linie und überholten sie in der Fahrt. Ihr linker Flügel aber reichte bereits über das Vorgebirge Kynos Sema hinaus. Unter diesen Umständen war ihre Stellung in der Mitte, wo die Schiffe weit voneinander tsanden, nur schwach, zumal sie schon an sich weniger Schiffe hatten nnd die Küste bei Kynos Sema

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in einem spitzen Winkel versprang, so daß man nicht sehen konnte, waS dahinter vorging.

Die Peloponnesier griffen also in der Mitte an, trieben die Schiffe der Athener auf den Strand, verfolgten sie ans Land und erfochten hier einen glänzenden Sieg. Der Mitte zu Hilfe kommen aber konnte wegen der Menge der ihm gegenüberstehenden Schiffe weder Thrasybulos vom rechten Flügel, noch Thrasylos mit seinen Schiffen vom linken. Denn . hier konnte man wegen des Vorgebirges Kynos Sema nicht sehen, was da vorging, zudem hatte man es selbst mit den Syra­ kusern und zahlreichen anderen Gegnern zu tun; bis dann die Peloponnesier, die im Hochgefühl des Sieges bald hier, bald da ein Schiff verfolgten, teilweise in Unordnung gerieten. Als Thrasybulos und die Seinen das bemerkten, gaben sie es auf, ihren Flügel weiter zu verlängern, sondern wandten sich gegen die ihnen gegenüberstehenden Schiffe, griffen sie an und brachten sie zum Weichen. Darauf nahmen sie den Kampf gegen den siegreichen Teil der peloponnesischen Flotte auf, warfen sich auf die einzeln herumschweifenden Schiffe und schlugen auch diese, die sich meist nicht einmal wehrten, in die Flucht. Die Syrakuser hatten vor den Schiffen des Thrasylos inzwischen ebenfalls bereits das Feld geräumt und sich vollends auf die Flucht gemacht, als sie sahen, daß die anderen es auch taten.

Die Peloponnesier hatten die Schlacht verloren. Da sie jedoch meist zuerst an den Fluß Meidios und dann nach Abydos geflohen waren, erbeuteten die Athener nur wenige Schiffe. Bei der Enge des Hellesponts bot sich ihren Feinden immer die Möglichkeit, bald irgendwo in Sicherheit zu kommen. Gleichwohl kam ihnen dieser Sieg mit der Flotte sehr gelegen. Denn bis dahin hatten sie infolge der mehrfach erlittenen kleineren Verluste und der furchtbaren Niederlage in Sizilien die Seemacht der Peloponnesier gefürchtet, jetzt aber, wo das wettgemacht, faßten sie wieder Selbstvertrauen und hielten die Peloponnesier zur See nicht länger für ebenbürtige Gegner. Immerhin hatten sie eine Anzahl feindlicher Schiffe genommen, acht chiische, fünf korinthische, zwei amprakische und zwei

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böotische und je ein lakedämonisches, syrakusisches und pelle­ nischeS Schiff. Sie selbst hatten fünfzehn Schiffe verloren. Bei Kynos Sema auf der Landspitze errichteten sie ein Sieges­ zeichen, bargen die Schiffstrümmer und gaben den Feinden ihre Toten unter Waffenstillstand heraus, schickten auch ein Kriegsschiff mit der Siegesnachricht nach Athen. Hier faßte man nach der Ankunft des Schiffes mit der unverhofften frohen Botschaft nach den eben erst bei Euboia und in den Partei­ kämpfen gemachten schmerzlichen Erfahrungen neuen Mut und glaubte wieder an die Möglichkeit, wenn man seinen Mann stände, den Krieg durchhalten und siegreich zu Ende führen zu können.

Am vierten Tage nach der Schlacht gingen die Athener, die ihre Schiffe eilig ausgebessert hatten, von SestoS unter Segel nach Kyzikos, das abgefallen war. Bei Harpagion und Priapos sahen sie die acht Schiffe aus Byzanz dort vor Anker liegen, liefen sie an, schlugen die am Lande befindliche Mann­ schaft in die Flucht und bemächtigten sich der Schiffe. Als sie dann auch nach Kyzikos kamen, trat die Stadt, unbefestigt wie sie war, wieder zu ihnen über, und den Einwohnern wurde eine Steuer auferlegt.

Unterdessen fuhren auch die Peloponnesier von Abydos nach Elaius und entführten von dort ihre von den Athenern er­ beuteten, noch brauchbaren Schiffe. Die übrigen hatten die Einwohner verbrannt. Hippokrates und Epikles aber schickten sie nach Euboia, um auch die Schiffe von dort zu holen.

Um dieselbe Zeit kam Alkibiades mit den dreizehn Schiffen von Phaselis und Kaunos wieder in Samos an und berichtete, daß es ihm gelungen sei, die Vereinigung der phönizischen Flotte mit den Peloponnesiern abzuwenden und Tissaphernes noch mehr als bisher auf die Seite der Athener zu bringen. Auch bemannte er zu seinen vorigen Schiffen noch neun andere, trieb damit von den Halikarnasiern eine schwere Kriegssteuer ein und befestigte Kos. Nachdem er das erledigt und in Kos einen Vogt eingesetzt hatte, kehrte er, als es bereits auf den Herbst ging, mit seinen Schiffen nach Samos zurück.

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Als Tissaphernes hörte, daß die peloponnesische Flotte von Milet nach dem Hellespont gefahren sei, brach er von Aspendos auf und reiste nach Ionien. Während der Anwesenheit der Peloponnesier am Hellespont ließen sich die dem äolischen Stamme angehörenden Bewohner von Antandros aus Abydos zu Lande über das Ida-Gebirge Truppen von ihnen schicken und nahmen sie in die Stadt auf, weil der Perser Arsakes, Tissaphernes' Unterstatthalter, sie niederträchtig behandelte. Auch die im Atramyttion angesiedelten, von den Athenern bei der Reinigung von Delos ausgewiesenen Delier hatte er ja, scheinbar in aller Freundschaft, vorgeblich um einen geheimen Feind zu bekämpfen, zu einem Feldzuge eingeladen und sich ihre besten Leute dazu ausgebeten, diese dann aber, als sie grade beim Frühstück waren, von seinen Truppen umstellen und niederschießen lassen. Weil er es schon einmal so gemacht, befürchteten sie, er könnte auch ihnen einen solchen Streich spielen, und da er sie überhaupt unerträglich bedrückte, ver­ trieben sie seine Besatzung aus der Burg.

Als Tissaphernes nach den Erfahrungen in Milet und Knidos, wo man seine Besatzuug ebenfalls vertrieben hatte, nun auch noch die Nachricht von diesem neuesten Vorgehen der Peloponnesier erhielt, glaubte er, es jetzt völlig mit ihnen ver­ dorben zu haben, und fürchtete, sie könnten ihm noch weitere Ungelegenheiten bereiten. Zudem wäre es ihm sehr wider­ wärtig gewesen, wenn Pharnabazos, der sie weit schneller und mit geringeren Kosten auf seine Seite gebracht, den Athenern gegenüber mehr erreichen würde als er selbst. Er entschloß sich deshalb, zu ihnen nach dem Hellespont zu reisen, um sich über ihr Verfahren bei Antandros zu beschweren und sich gegen die ihm wegen der phönizischen Flotte und anderweit gemachten Vorwürfe so gut wie möglich zu verteidigen. Auch begab er sich zunächst nach Ephesos und opferte der Artemis. Mit Ablauf des auf diesen Sommer folgenden Winters wird das einundzwanzigste Jahr zu Ende gehen.)

Ende.