History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

Gylippos und Pythen fuhren, nachdem sie ihre Schiffe ausgebessert, von Tarent nach Lokroi-Egizephyrioi und erhielten hier die bestimmte Nachricht, daß Syrakus noch nicht gänzlich eingeschlossen sei, sondern daß man über Epipolai immer noch mit einem Heere in die Stadt gelangen könne. Nun überlegten sie, ob sie Sizilien rechts lassen und es darauf wagen sollten, Syrakus zu Schiff zu erreichen, oder besser täten, die Insel zur Linken, erst nach Himera zu fahren, dort und womöglich auch noch von anderen Seiten Verstärkungen an sich zu ziehen und den Landweg zu wählen. Sie entschieden sich für die Fahrt nach Himera, namentlich auch deshalb, weil die vier attischen Schiffe noch nicht bei Rhegion ein­ getroffen waren, welche Nikias auf die Nachricht von ihrer Ankunft in Lokroi dann doch abgeschickt hatte. Auch kamen sie, noch bevor diese dort eintrafen, glücklich durch die Meer­ enge und, nachdem sie unterwegs bei Rhegion und Messene angelegt, nach Himera. Während ihres Aufenthalts dort be­ wogen sie die Einwohner, sich am Kriege zu beteiligen und nicht nur selbst mit ihnen zu ziehen, sondern auch die Leute von ihren Schiffen, welche keine Waffen hatten, damit zu versehen. Ihre Schiffe hatten sie nämlich in Himera ans Land gezogen. Nach Selinus sandten sie die Aufforderung, die gesamte dortige Mannschaft an einem bestimmten Orte zu ihnen stoßen zu lassen. Auch Gela versprach, eine wenn auch geringe Anzahl Truppen zu schicken, und das taten auch verschiedene Sikeler, die jetzt weit mehr Neigung zeigten, sich ihnen anzuschließen, seitdem Archonides, ein dortzulande mächtiger sikelischer König und Athenerfreund, vor kurzem gestorben war und Gylippos' Ankunft aus Lakedämon darauf schließen ließ, daß man dort jetzt mit dem Kriege Ernst machen wollte. Gylippos, der nunmehr außer den eigenen etwa sieben­ hundert, inzwischen mit Waffen versehene Matrosen und See­ soldaten, im ganzen ungefähr tausend Mann schweres und leichtes Fußvolk und hundert Reiter aus Himera, eine Anzahl [*]( II )

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leichter Truppen und Reiter aus Selinus, ein paar Leute aus Gela und alles in allem gegen tausend Sikeler beisammen hatte, trat damit denn auch den Marsch nach Syrakus an.

Auch die Korinther bei Leukas setzten ihre Fahrt von dort, so schnell sie konnten, mit den übrigen Schiffen fort, und Gongylos, einer der korinthischen Befehlshaber, der zuletzt mit nur einem Schiffe unter Segel gegangen war, kam zuerst, kurz vor Gylippos, in Syrakus an. Grade bei seiner Ankunft sollte dort in einer Volksversammlung darüber beraten werden, wie der Krieg beizulegen sei. Er verhinderte daS und sprach den Syrakusern Mut ein, indem er ihnen ankündigte, daß noch mehr Schiffe nachkämen und auch Gylippos, Kleandridas' Sohn, den ihnen die Lakedämonier als Feldherrn geschickt, bald eintreffen würde. Nun faßten sie wieder Vertrauen zu ihrer Sache und rückten sogleich mit dem ganzen Heere aus der Stadt, um Gylippos entgegen zu ziehen. Denn inzwischen hatten sie auch die Nachricht erhalten, daß er schon ganz in der Nähe sei. Gylippos aber hatte, nachdem er unterwegs die sikelische Festung Geta erobert, seine Truppen zum Gefecht geordnet, Epipolai erreicht und; wie früher die Athener, bei Euryelos die Höhe gewonnen und drang nunmehr mit den Syrakusern gegen die Mauer der Athener vor. Er war grade zu der Zeit angekommen, wo diese den Bau ihrer doppelten Mauer nach dem großen Hafen auf einer Strecke von sieben bis acht Stadien vollendet hatten, und nur an der Seeseite ein kurzes Stück fehlte, woran sie noch arbeiteten. Für den nach dem Hafen Trogylos auf der anderen Seite gerichteten Teil ihrer Ringmauer waren die Steine meist schon herbei­ geschafft und teils halb, teils auch schon ganz bearbeitet, dort liegen geblieben. Die Sache stand also für die Syrakuser bereits in hohem Grade bedenklich.

Die Athener waren zwar anfangs vor Schreck in Ver­ wirrung geraten, als Gylippos und die Syrakuser so plötzlich auf sie eindrangen, stellten sich dann aber doch ihnen gegen­ über in Schlachtordnung. In ihrer Nähe ließ Gylippos halt­ machen und ihnen durch einen Herold sagen, wenn sie binnen

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fünf Tagen mit Sack und Pack aus Sizilien abziehen wollten, so sei er bereit, einen Waffenstillstand zu schließen. Sie wiesen jedoch den Herold ab, ohne ihn einer Antwort zu würdigen. Darauf machten sich beide zum Gefecht bereit. Da Gylippos sah, daß die Syrakuser in Unordnung gerieten und die Ord­ nung so leicht nicht wieder herzustellen sein würde, zog er sich mit dem Heere wieder auf den breiten Kamm zurück. Nikias aber ließ die Athener nicht nachrücken, sondern'blieb mit ihnen an ihrer Mauer tsehen. Als Gylippos erkannte, daß man ihn nicht angreifen wollte, führte er sein Heer nach dem Temenites hinauf und blieb dort mit ihm die Nacht unter freiem Himmel. Am folgenden Tage ließ er den größten Teil seiner Mannschaft gegen die Mauer der Athener.vor­ gehen, um sie dort festzuhalten, einen kleineren Teil aber ver­ wandte er gegen die Feste Labdalon, nahm sie auch ein und ließ alles niedermachen, was ihm dort in die Hände fiel. Die Athener konnten nämlich da nicht hinsehen. An demselben Tage wurde auch ein athenisches Kriegsschiff, welches im großen Hafen vor Anker lag, von den Syrakusern genommen.

Hierauf begannen die Syrakuser und ihre Verbündeten von der Stadt her aufwärts durch Epipolai neben der früheren Quermauer eine neue einfache Mauer zu bauen, damit die Athener, falls es ihnen nicht gelänge, das zu verhindern, außer­ stande wären, ihre Mauer zu schließen. Die Athener waren damit, nachdem das Stück unten an der See fertig geworden, schon bis nach oben gekommen. An einer Stelle war sie jedoch nur schwach, und hier versuchte nun Gylippos in der Nacht mit seinem Heere einen Angriff auf sie auszuführen. Aber die Athener, welche diese Nacht im Freien lagerten, merkten daS und rückten gegen ihn vor, worauf er mit seinen Leuten schleunig wieder abzog. Die Athener erhöhten darauf die Mauer an dieser Stelle und übernahmen dort selbst die Bewachung, während sie diese im übrigen ihren Bundesge­ nossen überlassen und ihnen zu dem Ende die einzelnen Ab­ schnitte bereits zugeteilt hatten.

Nikias beschloß nunmehr das Plemmyrion zu befestigen. Es

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ist das eine Landspitze gegenüber der Stadt, welche vor dem großen Hafen vorspringt und dessen Einfahrt verengt. Wenn man sie befestigt, vermeinte er, würde die Zufuhr der nötigen Lebensmittel leichter sein; denn dann könne die Flotte näher bei dem Hafen der Syrakuser vor Anker gehen und, wenn diese etwa mit ihren Schiffen herauskämen, so brauche sie, um ihnen gegenüber am Platze zu sein, nicht wie jetzt erst die ganze Strecke aus dem inneren Hafen zurückzulegen. Überhaupt glaubte er sich bereits mehr auf den Seekrieg ein­ richten zu sollen, da er sah, wie seit Gylippos' Ankunft die Aussichten zu Lande für die Athener immer ungünstiger ge­ worden waren. Auch die Flotte und einen Teil des Heeres ver­ legte er nach dem Plemmyrion und errichtete dort drei Schanzen, worin das Gepäck und die sonstigen Vorräte größtenteils untergebracht wurden. Die großen Lastschiffe und die schnellen Schiffe lagen seitdem ebenfalls dort vor Anker. Damit aber gingen die Leiden der Mannschaft erst recht an. Denn Wasser war wenig zu haben und mußte weit hergeholt werden, und wenn das Schiffsvolk dazu oder zum Holzholen an Land ging, lief es beständig Gefahr, von den syrakusischen Reitern, welche die Umgegend beherrschten, niedergehauen zu werden. Die Syrakuser hatten nämlich den dritten Teil ihrer Reiterei zum Schutz gegen Streifzüge der Besatzung des Plemmyrions bei dem Städtchen am Olympieion aufgestellt. Inzwischen er­ hielt Nikias die Nachricht, daß auch die übrigen Schiffe der Korinther im Ansegeln seien; er schickte deshalb zwanzig Schiffe aus, um sie zu beobachten und sowohl bei Lokroi und Rhegion als auch an der Küste Siziliens Jagd auf sie zu machen.

Unterdessen ließ Gylippos an der Mauer durch Epipolai arbeiten, wobei man die Steine benutzte, welche die Athener für sich herbeigeschafft hatten, gleichzeitig aber auch die Syra­ kuser draußen an der Mauer immer in Schlachtordnung an­ treten. Als er glaubte, daß es an der Zeit sei, ging er seiner­ seits zum Angriff über, und es kam zwischen den Mauern zum Handgemenge, wobei die Syrakuser von ihrer Reiterei

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keinen Gebrauch machen konnten. Sie wurden besiegt, ihre Toten wurden ihnen unter Waffenstillstand herausgegeben, und die Athener errichteten ein Siegeszeichen. Gylippos aber versammelte seine Truppen um sich und erklärte, die Schuld liege nicht an ihnen, sondern an ihm; denn in der allzu engen Stellung zwischen den Mauern, die er gewählt, sei eine nütz­ liche Verwendung der Reiterei nicht möglich gewesen. Jetzt aber werde er sie von neuem gegen den Feind führen; an Kräften würden sie ja dem Gegner sicher gewachsen sein, und was den Mut anlange, so wäre es doch unerhört, wenn sie als Peloponnesier und Dorier sich nicht zutrauen sollten, mit Joniern und solchem Inselvolk und zusammengelaufenem Ge­ sinde! fertigzuwerden und sie aus dem Lande zu jagen. Dar­ auf führte er sie auch bei erster Gelegenheit wieder gegen den Feind.

Nikias und die Athener aber glaubten, daß sie die Gegner, auch wenn diese nicht zuerst angriffen, doch an ihrer neuen Mauer nicht ungestört weiterarbeiten lassen dürften; denn sie reichte über das Ende der athenischen Mauer beinah schon hinaus und hätte ihnen, falls sie noch weiter vorrückte, auch wenn sie sich auf kein Gefecht einließen, gleichen Vorteil ver­ schafft wie eine Reihe glücklicher Gefechte. Sie gingen also gegen die Syrakuser vor. Gylippos führte sein schweres Fuß­ volk weiter über die Mauern hinaus als das vorige Mal und begann das Gefecht. Die Reiterei und die Speerschützen hatte er in der Flanke der Athener aufgestellt, wo sie Platz genug hatten, da, wo die Arbeit an den beiden Mauern liegen geblieben war. Im Verlauf der Schlacht warfen sich die Reiter auf den linken Flügel der Athener, der ihnen gegenüberstand, und schlugen ihn in die Flucht. Infolgedessen wurde auch das übrige Heer der Athener von den Syrakusern besiegt und in die Verschanzungen zurückgeworfen. In der folgenden Nacht arbeiteten diese geschwind an ihrer Mauer weiter und ge­ langten damit über den Bau der Athener hinaus, so daß sie nicht nur selbst von ihnen daran nicht mehr verhindert werden konnten, sondern auch den Athenern selbst im Fall eines

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Sieges die Möglichkeit völlig abgeschnitten war, sie mit ihrer Mauer noch weiter einzuschließen.

Bald nachher kamen auch die übrigen zwölf korinthischen, amprakischen und leukadischen Schiffe unter Befehl des Ko­ rinthers Erosinides, welche den ihnen auflauernden athenischen Schiffen entwischt waren, in Syrakus an, und die Mannschaft half nun den Syrakusern, ihren Bau bis an die Quermauer zu führen. Gylippos aber begab sich auf Reisen, um in Sizilien Mannschaften für die Flotte und das Landheer auf­ zutreiben und solche Städte, die sich bisher am Kriege nicht eifrig genug oder überhaupt nicht beteiligt hatten, auf die Beine zu bringen. Auch nach Lakedämon und Korinth wandte man sich, durch syrakusische und korinthische Abgesandte mit der Bitte, noch mehr Truppen zu schicken und auf Lastschiffen oder anderen Fahrzeugen, wie es irgend anginge, hinüber zu schaffen, zumal auch die Athener sich Verstärkungen kommen ließen. Zugleich bemannten die Syrakuser ihre Flotte und übten sie ein, um es auch damit zu versuchen, und strengten auch im übrigen alle Kräfte an.

Als Nikias das erfuhr und sah, wie die Macht der Feinde täglich größer, die Lage der Athener aber immer schwieriger wurde, sandte auch er nach Athen. Er hatte schon bisher häufig dahin berichtet und hielt das jetzt um so mehr für ge­ boten, weit er seine Lage für äußerst bedenklich ansah und sich für verloren hielt, wenn man das Heer nicht unverzüglich aus Sizilien zurückzöge oder ihm ansehnliche Verstärkungen schickte. Da er aber fürchtete, seine Abgesandten könnten, etwa weil sie nicht redegewandt genug wären, oder aus Vergeßlichkeit oder auch um den Leuten nach dem Munde zu reden, die Sache vielleicht nicht richtig darstellen, so verfaßte er einen schrift­ lichen Bericht in der Meinung, die Athener auf diese Weise am besten in den Stand zu setzen, seine wahre, durch den Boten nicht entstellte Auffassung kennen zu lernen und bei ihren Beratungen nicht von falschen Voraussetzungen auszugehen. Darauf machten sich seine Abgesandten mit dem Schreiben und den ihnen erteilten mündlichen Aufträgen auf den Weg.

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Er aber war jetzt schon mehr darauf bedacht, sich im Lager gegen feindliche Angriffe zu behaupten als selbst angriffsweise vorzugehen.

Gegen Ende dieses Sommers unternahm auch der athenische Feldherr Euetion mit Perdikkas und zahlreichen Thrakern einen Zug gegen AmphipoliS. Er konnte die Stadt zwar nicht nehmen, fuhr aber mit seinen Trieren auf dem Strymon um sie herum und schloß sie von der Stromseite ein, wobei er Himereion zu seinem Stützpunkte machte. Damit endete der Sommer.

Im folgenden Winter kamen Nikias' Abgesandte in Athen an, wobei sie ihre mündlichen Aufträge ausrichteten, weitere Fragen beantworteten und sein Schreiben übergaben. Nun trat der Staatsschreiber auf die Rednerbühne und las es den Athenern vor. Es lautete:

„Die bisherigen Ereignisse sind euch aus zahlreichen früheren Berichten bekannt, Athener. Augenblicklich aber ist es für eure weiteren Entschließungen vollends von Bedeutung, zu erfahren, in welcher Lage wir hier sind. Nachdem wir die Syrakuser, gegen die wir ausgesandt waren, in einer Reihe von Gefechten besiegt und die Festungswerke, in denen wir uns gegenwärtig befinden, erbaut hatten, kam der Lakedämonier Gylippos mit Truppen auS dem Peloponnes und einigen sizi­ lischen Städten hier an. In der ersten Schlacht wurde er von uns besiegt, in der am folgenden Tage aber konnten wir gegen seine zahlreichen Reiter und Scharfschützen nicht aufkommen und mußten uns in unsere Werke zurückziehen. Jetzt haben wir infolge der Menge unserer Feinde die Arbeit an unserer Ringmauer eingestellt und seitdem nichts weiter unternommen. Denn unser ganzes Heer würden wir dabei doch nicht ver­ wenden können, da ein Teil des schweren Fußvolks durch den Wachdienst an der Mauer in Anspruch genommen wird. Auch haben sie gegen uns eine neue einfache Mauer gebaut, so daß wir nicht mehr imstande sind, sie ganz einzuschließen, eS sei denn, daß man diese ihre Mauer mit überlegenen Kräften an­ greifen und erobern könnte. Anstatt, wie wir dachten, sie zu

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belagern, müssen wir nun erleben, daß es uns, wenigstens auf der Landseite, selbst so geht. Denn wegen ihrer Reiterei dürfen wir uns nicht weit ins Land hinauswagen.

„Sie haben auch nach dem Peloponnes geschickt und um Verstärkungen gebeten, und Gylippos hat sich in Sizilien auf Reisen begeben, um eine Anzahl bisher neutral gebliebener Städte zur Teilnahme am Kriege zu bewegen und in anderen womöglich noch Soldaten und Matrosen anfzntreiben. Denn wie ich höre, beabsichtigen sie nicht nur mit dem Landheere, sondern gleichzeitig auch von der See mit der Flotte einen Angriff gegen unsere Werke zu unternehmen. Daß auch von der See, darf euch nicht wundern. Denn wie sie recht gut wissen, war unsere Flotte anfangs in vortrefflichem Zustande, die Schiffe trocken, die Mannschaft reichlich; jetzt aber haben die Schiffe, nachdem sie so lange zu Wasser gewesen sind, von der Nässe gelitten, und die Mannschaft an Bord ist einge­ schmolzen. Denn wir können unsere Schiffe nicht an Land ziehen, um sie zu trocknen, weil wir bei der gleichen, ja über­ legenen Zahl der Schiffe der Feinde immer auf einen Angriff ihrer Flotte gefaßt sein müssen. Offenbar haben sie es darauf auch abgesehen; sie haben es ihrerseits in der Hand, uns jederzeit anzugreifen, auch eher Gelegenheit, ihre Schiffe zu trocknen, weil sie niemand damit aufzupassen brauchen.

„Wir aber würden dazu selbst bei großer Überzahl an Schiffen nicht imstande sein, auch weuu wir nicht wie jetzt alle unsere Schiffe zur Bewachung verwenden müßten. Denn wenn wir unsere Wachsamkeit auch nur etwas einshcränken, haben wir keine Lebensmittel mehr, deren Zufuhr an ihrer Stadt vorbei auch jetzt schon schwierig ist. Unser Bestand an Mannschaft aber ist sehr zurückgegangen und nimmt immer noch ab, und zwar aus folgenden Gründen. Wenn die Matrosen ans Land gehen, um zu plündern, oder Holz und Wasser weit herholen müssen, so werden sie von den Reitern niedergehauen. Die Diener laufen weg, seit es mit uns auf der Kippe steht, die Söldner, die man zum Dienst auf der Flotte gezwungen, suchen baldmöglichst wieder nach Hause zu kommen, und manhc

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einer, der anfangs durch hohen Lohn gelockt und mehr aufs Geld als aufs Fechten gesteuert war und sich nun unverhofft zur See und überall einem mächtigen Feind gegenüber sieht, reißt aus, um zum Feinde überzulaufen, oder macht sich sonst bei erster Gelegenheit aus dem Staube. Sizilien ist ja groß. Einige haben sogar auf eigene Hand Geschäfte gemacht und die Befehlshaber der Kriegsschiffe überredet, statt ihrer hykka­ rische Sklaven einzustellen, und dadurch hat die Maunszucht auf der Flotte gelitten.

„Ich schreibe euch, was ihr ja selbst wißt, daß der Stamm unserer ausgebildeten Seeleute klein ist und nur wenige daS Ruder beim Vorstoß oder Hemmen des Schiffes richtig zu brauchen verstehen. Das schlimmste für mich dabei aber ist, daß ich als Feldherr das nicht ändern kann, da mit euch Querköpfen nicht leicht fertigzuwerden ist, und daß wir nicht wissen, woher wir den Ersatz an Mannschaft nehmen sollen, wozu die Gegner reichlich Gelegenheit haben, während wir so­ wohl für den augenblicklichen Bedarf wie für weiteren Verlust auf den gleich anfangs mitgebrachten Bestand angewiesen sind. Denn die Städte, die jetzt noch zu uns halten, Naxos und Katana, sind nicht imstande, dem abzuhelfet. Sollte es gar dazu kommen, daß die italischen Orte, die uns bisher mit Lebensmitteln versorgt, zum Feinde übergingen, wenn sie uns hier in der Klemme nnd von Athen im Stich gelassen sehen, so sind wir hier eingeschlossen und gezwungen, unS zu ergeben, und die Gegner machen, ohne nochmals das Schwert zu ziehen, dein Kriege ein Ende.

Nun hätte ich euch vielleicht einen schmackhafteren Bericht er­ statten können, aber damit wäre euch schlecht gedient gewesen, wenn ihr bei euren Beratungen über unsere Lage hier zu­ treffend unterrichtet sein solltet. Zudem kenne ich euch, Athener; erst wollt ihr immer gute Nachrichten haben, und wenn es nachher dann doch anders kommt, so geht das Tadeln und Schelten los. Darum habe ich es für sicherer gehalten, euch reinen Wein einzuschenken.

„Darauf aber könnt ihr euch verlassen, daß, soweit es

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sich um die uns hier ursprünglich gestellte Aufgabe handelt, sowohl die Offiziere wie die Leute ihre volle Schuldigkeit getan haben. Da aber jetzt ganz Sizilien zusammenhält und weitere Streitkräfte aus dem Peloponnes erwartet werden, wir aber mit unseren Kräften hier nicht einmal den uns schon jetzt gegenüberstehenden Feinden gewachsen sind, so werdet ihr euch selbst sagen, daß ihr entweder euer Heer von hier zurückziehen oder ihm für den Land- und Seekrieg ein neues, mindestens ebenso starkes und dazu viel Geld nachschicken müßt. Für mich aber bitte ich einen Nachfolger zu senden, da ich eines Nierenleidens wegen nicht imstande bin, länger hierzubleiben. Ich rechne dabei auf eure Nachsicht; denn solange ich gesund war, habe ich euch im Felde manchen guten Dienst geleistet. Was ihr aber auch tun wollt, tut bald, gleich bei Beginn des Frühlings, und schiebt es nicht auf die lange Bank. Denn hier in Sizilien kann sich der Feind binnen kurzem alles ver­ schaffen, und wenn eure Gegner aus dem Peloponnes auch nicht so schnell kommen, so werden sie doch., wenn ihr nicht aufpaßt, wie das erste Mal unversehens oder früher hier sein als ihr."

So also lautete das Schreiben. Nachdem es vorgelesen war, nahmen die Athener Nikias den Oberbefehl zwar nicht ab, stellten ihm aber bis zur Ankunft neu gewählter Feldherren zwei . dortige Anführer, Menandros und Euthydemos, darin zur Seite, damit er bei seiner Krankheit die Last nicht allein zu tragen habe. Auch beschlossen sie, Verstärkungen für die Flotte und das Land­ heer hinzuschicken und dazu Athener aus der Stammrolle und Bundesgenossen einzustellen. Zu seinen Mitfeldherren aber wählten sie Demotshenes, Alkistheneö' Sohn, und Eurymedon, Thukles' Sohn. Eurymedon ließen sie sogleich um die Zeit der Winter- sonnenwende mit zehn Schiffen und hundertzwanzig Talenten nach Sizilien abgehen, um denen dort zugleich anzukündigen, daß Verstärkung kommen und für sie gesorgt werden würde.

Demosthenes blieb einstweilen in Athen und richtete sich zum Frühjahr auf die Fahrt ein, wozu er bei den Bundes­ genossen Truppen aufbot und sich in Athen mit Geld, Schiffen

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und Hopliten versehen ließ. Auch schickten die Athener zwanzig Schiffe in die peloponnesischen Gewässer, um dort aufzupassen, daß aus Korinth und dem Peloponnes nach Sizilien nichts hinüberkäme. Denn da die Gesandten aus Sizilien den Ko­ rinthern die Nachricht gebracht hatten, daß die Sachen dort jetzt besser ständen, waren diese überzeugt, schon das erste Mal die Schiffe grade zur rechten Zeit hingeschickt zu haben, und wollten nun noch höher hinaus. Sie machten also nicht nur selbst Anstalt, schweres Fußvolk auf Lastschiffen nach Sizilien zu senden, sondern lagen auch den Lakedämoniern an, aus dem übrigen Peloponnes ebenfalls Truppen hinüberzuschicken. Auch bemannten sie fünfundzwanzig Schiffe, um damit gegen daS athenische Geschwader bei Naupaktos einen Schlag zu führen, damit die Athener dort sich vor ihren Trieren in acht nähmen und die Abfahrt ihrer Lastschiffe nicht verhinderten.

Nun aber rüsteten sich auch die Lakedämonier zum Einfall nach Attika, wozu sie sich vorher schon entschlossen hatten und jetzt auch von den Syrakusern und Korinthern gedrängt wurden, da sie erfahren, daß die Athener Verstärkungen nach Sizilien schickten, und sie dieS durch den Einfall verhindern wollten. Auch Alkibiades empfahl ihnen dringend, Dekeleia zu befestigen und den Krieg auf der Stelle zu beginnen. Die Lakedämonier aber entschlossen sich dazu um so unbedenklicher, weil sie glaubten, die Athener, welche den doppelten Krieg gegen sie und die sizilischen Griechen führen mußten, jetzt leichter be­ siegen zu können, und überzeugt waren, daß die Athener den Frieden zuerst gebrochen hätten, während sie in dem vorigen Kriege eigentlich selbst im Unrecht gewesen seien. Hatten doch damals die Thebaner Platää mitten im Frieden überfallen und sie sich auf die von den Athenern verlangte richterliche Entscheidung nicht eingelassen, obgleich nach den früheren Ver­ trägen niemand mit Krieg überzogen werden durfte, der sich richterlicher Entscheidung unterwerfen wollte. Dadurch meinten sie, ihr damaliges Mißgeschick verdient zu haben, und dachten dabei an die bei Pylos und anderswo erlittenen Niederlagen. Nachdem jedoch die Athener auf den dreißig Schiffen aus

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Argos bei Epidauros, Prasiai und an anderen Orten gelandet waren, dort gebrandschatzt und von Pylos Streifzüge unter­ nommen, auch sich auf die von ihnen verlangte richterliche Ent­ scheidung einer über die Auslegung des Vertrags entstandenen Meinungsverschiedenheit niemals eingelassen hatten, glaubten die Lakedämonier, wenn das Unrecht früher auch auf ihrer Seite gewesen, so sei es jetzt auf Seite der Athener, und gingen deshalb um so zuversichtlicher in den Krieg. In diesem Winter ließen sie sich von ihren Bundesgenossen Eisen kommen und versahen sich auch sonst mit Gerätschaften für den Festungs­ ban. Zugleich richteten sie sich darauf ein, selbst Truppen auf Lastschiffen nach Sizilien zu schicken, und hielten auch die übrigen Peloponnesier dazu an. Damit endete der Winter und das achtzehnte Jahr des Krieges, den Thukydides be­ schrieben hat.

Gleich im Beginn des nächsten Frühjahrs fielen die Lake­ dämonier und ihre Verbündeten so früh wie möglich nach Attika ein. Den Oberbefehl führte der lakedämonische König Agis, Archidamos' Sohn. Zuerst verheerten sie das platte Land, dar­ nach befestigten sie Dekeleia, wobei sie die Arbeit nach Städten unter sich verteilten. Dekeleia ist ungefähr hundertzwanzig Stadien von der Stadt Athen entfernt und etwa ebenso weit oder doch nicht viel weiter von Böotien. Die Festung wurde auf einer ebenen Fläche, an einer zu Streifzügen ins Land be­ sonders geeigneten Stelle angelegt, und man konnte sie von der Stadt Athen aus noch sehen. Während die Peloponnesier und ihre Verbündeten an der Festung arbeiteten, sandte man gleich­ zeitig aus dem Peloponnes Hopliten auf Lastschiffen nach Si­ zilien, wozu die Lakedämonier aus den Heloten und den schon früher Freigelassenen die tüchtigsten ausgewählt und sie, zu­ sammen gegen sechshundert Hopliten, dem Spartiaten Ekkritos unterstellt, die Böotier aber dreihundert Hopliten geschickt hatten, welche Senon und Nikon aus Theben und Hegesandros aus Thespiai befehligten. Diese brachen zuerst auf und gingen von Tainaron in Lakonien in See. Bald nachher schickten die Korinther fünfhundert Hopliten, teils aus Korinth selbst,

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teils geworbene Arkadier, unter dem Korinther Alerarchos ihnen nach. Zu gleicher Zeit mit den Korinthern wurden auch aus Sikyon zweihundertHopliten hinausgesandt, welche Sargeus auS Sikyon anführte. Die im Laufe des Winters in Dienst gestellten fünfundzwanzig Schiffe der Korinther aber blieben den zwanzig athenischen Schiffen bei Naupaktos gegenüber liegen, bis ihre Lastschiffe mit den Hopliten vom PeloponneS abgefahren waren. Man hatte sie ja auch von vornherein nur eingestellt, um die Athener zu zwingen, ihre Aufmerksamkeit auf die Kriegsschiffe und nicht auf die Lastschiffe zu richten.

Unterdessen schickten die Athener auch noch im Beginn des Frühjahrs, während Dekeleia befestigt wurde, gleich dreißig Schiffe unter Charikles, Apolodoros' Sohn, nach dem Pelo­ ponnes mit dem Befehl, Argos anzulaufen und dort dem Bundesvertrage gemäß argeiisches Fußvolk an Bord zu nehmen. Demosthenes aber sandten sie, wie man das ja schon vorher beschlossen hatte, nach Sizilien mit sechzig athenischen und fünf chiischen Schiffen, zwölfhundert Hopliten aus der Bürger­ stammrolle und allem, waS auf den Inseln und bei den übrigen untertänigen Bundesgenossen an brauchbarer Mannschaft irgend zu haben gewesen war. Zunächst jedoch sollte er sich mit Charikles vereinigen, um ihn bei seinen Unternehmungen an der Küste Lakoniens zu untertsützen. Demotshenes fuhr dann auch mit seiner Flotte nach Agina ab und wartete dort auf etwa zurückgebliebene Schiffe und die Nachricht, daß Charikles die Argeier an Bord genommen.