History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

Als Delion siebzehn Tage nach der Schlacht genommen war und der Herold der Athener, der noch nichts davon wußte, bald nachher der Toten wegen wiederkam, beschieden

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ihn die Böotier nicht wie daS erstemal, sondern gaben die Toten heraus. Auf seiten der Böotier waren in der Schlacht nicht ganz fünfhundert gefallen, Athener nahezu tausend, darunter Hippokrates, ihr Feldherr, dazu eine große Zahl Leichtbewaff­ neter und Troßknechte.

Kurz nach dieser Schlacht fuhr Demosthenes, dem sein Plan, Siphai durch Verrat zu nehmen, damals mit der Flotte nicht gelungen war, mit Akarnaniern, Agraiern und vierhundert athenischen Hopliten an Bord nach Sikyon und versuchte im dortigen Gebiete eine Landung. Noch bevor alle Schiffe an­ gekommen waren, erschienen jedoch die Sikyoner auf dem Plan, schlugen die bereits Gelandeten in die Flucht und ver­ folgten sie an die Schiffe, wobei sie eine Anzahl töteten, andere gefangennahmen. Darauf errichteten sie ein Sieges­ zeichen und gaben die Toten unter Waffenstillstand heraus. In den Tagen der Kämpfe bei Delion erlitt auch der Odrysen- könig Sitalkes auf einem Zuge gegen die Triballer eine Niederlage und kam dabei ums Leben. Sein Neffe Seuthes, Sparadokos' Sohn, folgte ihm als König der Odrysen und seines thrakischen Reichs.

In demselben Winter zog Brasidas mit den vorder­ thrakischen Bundesgenossen gegen die athenische Kolonie Amphipolis am Strymon. Da, wo jetzt die Stadt steht, hatte schon Aristagoras von Milet nach seiner Flucht vor König Dareios eine Kolonie zu gründen versucht, wurde aber von den-Edonern vertrieben. Danach, zweiunddreißig Jahr später, hatten auch die Athener zehntausend Ansiedler, Bürger und andere, die sich anschließen wollten, dorthin geschickt, die jedoch bei Drabeskos von den Thrakern aufgerieben wurden. Und nach weiteren neunundzwanzig Jahren sandten die Athener dann unter Hagnon, Nikias' Sohn, abermals Kolonisten hin, welche die Edoner vertrieben und an dem Orte, der früher Neunwege hieß, die jetzige Stadt gründeten. Dabei kamen sie von Eion, dem athenischen Stapelplatze an der Mündung des Flusses, fünfundzwanzig Stadien unterhalb der jetzigen Stadt. Haynon aber gab ihr den Namen Amphipolis, weit

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der Strymon sie in einem Bogen auf zwei Seiten umfloß und er selbst, um sie ringsherum einzuschließen, von Fluß zu Fluß eine lange Mauer gezogen hatte, so daß sie zu einem von der Land- und Seeseite weithin sichtbaren Platze ge­ worden war.

Gegen diese Stadt zog Brasidas, der von Arnai in Chalkidike aufgebrochen war, also jetzt mit seinem Heere. Gegen Abend erreichte er Aulon und Bromiskos, wo der See Bolbe in die See mündet. Hier ließ er abkochen und setzte dann in der Nacht seinen Marsch fort. Es war stürmisches Wetter und schneite ein wenig. Um so mehr beeilte er sich, weil in Amphipolis außer den Verrätern, die ihm die Stadt übergeben wollten, niemand was von ihm merken sollte. In der Stadt gab es nämlich eine Anzahl Leute aus Argilos, einer Kolonie von Andros, und einige andere, die mit ihm durch- steckten und dazu teils von Perdikkas, teils von den Chalkidiern beredet waren. Besonders aber hatten die den Athenern von jeher verdächtigen Bewohner von Argilos dort in der Nähe, die es immer auf Amphipolis abgesehen hatten, als sich die Gelegenheit bot und Brasidas kam, schon länger mit ihren in Amphipolis ansässigen Landsleuten darüber unterhandelt, wie man ihm die Stadt in die Hände spielen könne. Auch nahmen sie ihn jetzt in ihre Stadt auf, fielen von den Athenern ab und brachten sein Heer in jener Nacht noch vor Tagesanbruch bis an die über den Fluß führende Brücke. Die Stadt selbst ist noch eine Strecke weit von der Brücke entfernt, und die Mauern waren damals noch nicht so weit herabgeführt wie jetzt, sondern es befand sich dort nur ein schwacher Posten. Nachdem Brasidas, dem auch hier Verrat und außerdem das herrschende Unwetter zustatten kam, diesen durch einen uner­ warteten Angriff überwältigt hatte, überschritt er die Brücke, womit alles, was die Einwohner von Amphipolis in der ganzen Gegend außerhalb der Stadt besaßen, ohne weiteres in seine Hände fiel.

Da sein Übergang über den Fluß den Städtern völlig unerwartet kam, draußen aber viele der Ihrigen dem Feinde

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in die Hände gefallen, andere von dort in die Stadt geflüchtet waren, so entstand in Amphipolis die größte Bestürzung, zu­ mal man sich dort untereinander nicht traute, und, wie es heißt, hätte Brasidas die Stadt wahrscheinlich nehmen können, wenn er sie, statt seine Leute plündern zu lassen, gleich angegriffen hätte. Statt dessen ließ er sein Heer ein Lager beziehen und die Umgegend abstreifen, und da seine Anhänger in der Stadt sich wider Erwarten nicht rührten, unternahm auch er vorerts nichts weiter. Die den Verrätern an Zahl überlegene Gegen­ partei aber verhinderte das sofortige Äffnen der Tore und schickte im Einvernehmen mit Eukles, dem zum Schutze des Platzes anwesenden athenischen Feldherrn, zu Thukydides, Oloros' Sohn, dem Verfasser dieser Geschichte, dem anderen Feldherrn an der thrakischen Küste, der sich damals bei der Insel Thasos befand, und ließ ihn bitten, der Stadt zu Hilfe zu kommen. Thasos ist eine Kolonie von Paros und Amphi­ polis von dort zu Schiff ungefähr in einem halben Tage zu erreichen. Der ging auch darauf sofort mit sieben grade zur Stelle beifndlichen Schiffen unter Segel, um womöglich, ehe es zur Übergabe käme, Amphipolis noch zu erreichen oder doch wenigstens Eion vorher noch zu besetzen.

Brasidas aber, welcher fürchtete, die Schiffe von Thasos könnten kommen, und überdies erfahren hatte, daß Thukydides an den thrakischen Goldbergwerken in jener Gegend beteiligt und infolgedessen dortzulande ein vielvermögender Mann sei, suchte sich indessen vorher womöglich in den Besitz von Amphi­ polis zu setzen, damit die Einwohner nicht nach seiner Ankunft in der Hoffnung auf den Beistand seiner Flotte und der von ihm in Thrakien aufgebotenen Streitkräfte die Übergabe der Stadt von der Hand wiesen. Er hielt es deshalb für geraten, ihnen die Sache durch glimpfliche Bedingungen schmackhaft zu machen, und ließ ihnen durch einen Herold ankündigen, daß es sowohl den Einheimischen wie den Athenern freistehen solle, unter voller Rechtsgleichheit im ungestörten Besitz ihreS Eigen­ tums in der Stadt zu bleiben oder binnen fünf Tagen von dort abzuziehen und ihre Habseligkeiten mitzunehmen.

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Infolge, dieser Ankündigung schlug die Stimmung der Menge um, zumal die Einwohnerschaft nur zum kleinsten Teil aus Athenern und in der Hauptsache aus einem bunten Völker­ gemisch bestand. Zudem wohnten in der Stadt zahlreiche An­ gehörige der draußen in Gefangenschaft Geratenen. Auch hielt man das Angebot im Vergleich mit dem, was man befürchtet hatte, immer noch für billig genug; die Athener waren froh, fortzukommen, überzeugt, daß sie dabei immer noch am besten fahren und auf Hilfe von auswärts so bald nicht würden rechnen können, die anderen, daß sie wie bisher im Besitz ihrer Rechte bleiben sollten und sich unverhofft aller Gefahr über­ hoben sahen. So traten denn die Anhänger des Brasidas, als sie merkten, daß die Menge anderes Sinnes geworden war und aus den athenischen Feldherrn in der Stadt nicht mehr hören wollten, nunmehr ganz offen für die Sache ein. Der Vertrag wurde dann auch abgeschlossen und Brasidas auf seine Bedingungen eingelassen. Auf diese Weise wurde ihm die Stadt überliefert. Thukydides aber kam noch an demselben Abend mit seinen Schiffen in Eion an. Brasidas hatte Amphi­ polis schon im Besitz, und nur eine Nacht noch, so hätte er auch Eion genommen; denn wären die Schiffe nicht so schnell zur Stelle gewesen, so hätte er es bei Tagesanbruch in Händen gehabt.

Thukydides ordnete in Eion das Nötige an, um den Platz sowohl gegen einen augenblicklichen Angriff des Brasidas, als auch für später zu sichern, und nahm dort alle auf, die sich auf Grund des Vertrags aus der oberen Stadt dahin be­ geben wollten. Da kam Brasidas plötzlich mit vielen Fahr­ zeugen den Fluß herab nach Eion, um sich womöglich der von der Mauer vorspringenden Landspitze zu bemächtigen und da­ durch die Einfahrt zu beherrschen. Indessen wurde er damit und ebenso mit einem gleichzeitig zu Lande unternommenen Ver­ suche abgewiesen. Seitdem richtete er sich bei Amphipolis ein. Auch Myrkinos, eine Stadt der Edoner, ging zu ihm über, nachdem Pittakos, der König der Edoner, von den Söhnen des Goaxis und seiner Gemahlin Breuro ermordet worden

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war, ebenso GalepsoS und bald nachher auch Oisyme, beides Kolonien von Thasos. Übrigens war auch Perdikkas, der sich gleich nach der Einnahme von Amphipolis dort eingestellt hatte, ihm dabei behilflich gewesen.

Der Fall von Amphipolis setzte die Athener sehr in Schrecken, schon weil ihnen die Stadt für die Zufuhr von Schiffsbauholz und der Steuern wegen von Wert war. Hatte den Lakedämoniern auch bisher im Gebiet der Thessaler der Weg zu ihren Bundesgenossen bis zum Strymon offen ge­ standen, so konnten sie doch, solange sie nicht im Besitz der Brücke waren, nickt weiter vorbringen; denn landeinwärts bildete der Fluß auf eine weite Strecke einen großen See, und auf der Seite nach Eion paßten ihnen die Kriegsschiffe auf; jetzt aber würde ihnen daS ein leichtes sein. Auch fürchteten sie, die Bundesgenossen würden von ihnen abfallen; denn Brasidas trat in jeder Beziehung mit großer Mäßigung auf und erklärte bei jeder Gelegenheit, daß er nur ausgesandt sei, um Griechenland zu befreien. Und in der Tat wurden die den Athenern untertänigen Städte, als sie von der Einnahme von Amphipolis, den milden Bedingungen und seinem Wohl­ wollen hörten, von einem wahren Freiheitstaumel ergriffen, ließen ihn heimlich auffordern, zu ihnen zu kommen, und jede wollte die erste sein, die sich von Athen lossagte. Sie hielten das nämlich jetzt nicht weiter für gefährlich, wobei sie sich freilich, wie sich später zeigen sollte, über die Macht der Athener gewaltig täuschten. Aber so sind die Menschen, statt sich dir Sache reiflich zu überlegen, lassen sie sich in der Regel von unklaren Wünschen leiten, immer geneigt, bei dem, wonach ihnen der Sinn steht, sich in blinden Hoffnungen zu wiegen, während sie von Dingen, die ihnen unerwünscht sind, nichts wissen wollen. Und da die Athener obendrein kürzlich in Böotien geschlagen waren und Brasidas ihnen zwar wahrheits­ widrig, aber doch sehr einleuchtend geschildert hatte, wie die Athener es bei seinem Zuge nach Nisaia mit ihm allein nicht aufzunehmen gewagt hätten, fühlten sie sich vollends sicher und glaubten, niemand könne ihnen waS anhaben. Hauptsächlich

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aber, weil ihnen die Sache in dem Augenblick angenehm war und sie erst mal sehen wollten, was denn die Lakedämonier könnten, scheuten sie sich nicht, leichtsinnig mit dem Feuer zu spielen. Als die Athener davon hörten, sandten sie, soweit es in der Eile und zur Winterszeit anging, Besatzungen in die Städte; Brasidas aber schickte ebenfalls nach Lakedämon und bat dringend um Verstärkungen, begann jedoch auch selbst am Strymon mit dem Bau von Kriegsschiffen. Die Lakedämonier aber taten ihm den Gefallen nicht, teils weil die ersten Männer neidisch auf ihn waren, teils weil ihnen mehr daran tag, die Gefangenen von der Insel wiederzubekommen und dem Kriege ein Ende zu machen.

In demselben Winter eroberten die Megarer ihre langen Mauern wieder und zerstörten sie bis auf den Grund, Brasidas aber zog nach der Einnahme von Amphipolis mit den Bundes­ genossen nach der Halbinsel Akte. Diese erstreckt sich vom Durchstich des Königs in südlicher Richtung und endet mit dem ins Ägäische Meer vorspringenden Athosgebirge. An Städten gibt eS dort Sane, eine Kolonie von Andros, un­ mittelbar am Durchstich auf der Euboia gegenüberliegenden Küste; außerdem noch Thyssos, Kleonai, Akrothooi, Olophyros und Dion, in denen ein barbarisches, zweisprachiges Mischvolk wohnt, das zum Teil auch aus Chalkidiern, in der Hauptsache aber aus Pelasgern, und zwar jenen vormals auf Lemnos und in Athen heimischen Thprsenen, und aus Bisaltern, Krestonern und Edonern besteht. Die von ihnen bewohnten Städte sind aber alle nur klein. Die meisten gingen zu Brasidas über, Widerstand leisteten nur Sane und Dion, weshalb er mit seinem Heere dort stehen blieb und ihr Gebiet verheerte.

Da sie sich aber nicht ergeben wollten, zog er flugs vor das chalkidische Torone, daS von den Athenern besetzt war. Ein paar Einwohner hatten ihn dazu eingeladen und sich er­ boten, ihm die Stadt in die Hände zu spielen. Er traf noch bei Nacht kurz vor Tagesanbruch ein und ließ sein Heer bei dem etwa drei Stadien von der Stadt entfernten Dioskuren­ tempel haltmachen, ohne daß die übrige Einwohnerschaft oder

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die athenische Besatzung etwas davon merkte. Von den Ver­ rätern aber, welche wußten, daß er kommen würde, waren einige hinausgezogen, um ihn zu erwarten, und als sie sahen, daß er da war, nahmen sie sieben seiner Leute, die nur mit Dolchen bewaffnet waren, mit in die Stadt. Ursprünglich sollten es zwanzig sein, aber nur die sieben hatten sich nicht gefürchtet, mit hineinzugehen. Ihr Anführer war Lysistratos aus Olynth. Durch eine Mauerlücke an der Seeseite gelangten sie hinein und hinauf bis an den höchsten Punkt der an einem Hügel gelegenen Stadt, ohne von der hier Wache haltenden Mannschaft bemerkt zu werden, stachen diese nieder und sprengten die kanastraiische Mauerpforte.

Brasidas, der inzwischen etwas nähergerückt war, hatte, während er mit dem übrigen Heere stehen blieb, hundert Pel­ tasten vorausgeschickt, welche, sobald ein Tor geöffnet und das verabredete Zeichen gegeben wäre, zuerst eindringen sollten. Diese waren, während zu ihrer Verwunderung darüber längere Zeit verging, nach und nach bis dicht an die Stadt gelangt. Unterdessen hatten auch jene Toroner und die mit ihnen Ein­ gedrungenen drinnen das Ihrige getan, die Pforte gesprengt und das Stadttor am Markte, dessen Querbalken sie zer­ schlugen, geöffnet. Zuerst führten sie einige um die Stadt herum durch die Pforte herein, damit die nichts ahnenden Einwohner durch das plötzliche Erscheinen des Feindes im Rücken und auf beiden Seiten in Schrecken versetzt würden. Darauf gaben sie das verabredete Feuerzeichen und ließen dann auch die übrigen Peltasten durch das Tor am Markte in die Stadt.

Sobald Brasidas das Zeichen sah, brach er mit dem ganzen Heere auf und ließ es im Lauftritt mit Geschrei gegen die Stadt vorgehen, die dadurch in die äußerste Bestürzung geriet. Seine Leute drangen zum Teil gradeswegs durch das Tor ein, zum Teil über viereckige Balken, welche an der Stadtmauer tagen und beim Ausbau der verfallenen Mauer zum Hinaufbringen von Steinen benutzt werden sollten. Er selbst wandte sich mit der Mehrzahl gleich gegen die oberen

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Teile der Stadt, um sie von dort völlig in seiner Gewalt zu haben, während die übrige Masse sich nach allen Richtungen durch die Stadt verbreitete.

Infolge dieser Überrumpelung geriet die Mehrzahl der Einwohner, welche um die Sache nicht wußte, gänzlich außer Fassung. Die Eingeweihten aber und alle, denen sie nach Sinne war, schlugen sich gleich auf die Seite der eingedrungenen Feinde. Von den durch den Lärm geweckten Athenern, - denn etwa fünfzig Hopliten hatten auf dem Markte im Schlafe ge­ legen, - fielen einige im Handgemenge; die übrigen retteten sich, teils zu Lande, teils auf zwei dort Wache haltende Schiffe und fanden Zuflucht in dem Kastell Lekythos, welches, an einer vorspringenden Spitze der Stadt belegen, nur durch eine schmale Landenge mit ihr zusammenhängt und allein von Athenern besetzt war. Ebendahin flüchteten sich auch die Toroner, die es mit den Athenern hielten.

Als es Tag geworden war und Brasidas die Stadt bereits vollständig in seiner Gewalt hatte, ließ er den mit den Athenern geflüchteten Toronern durch einen Herold sagen, wenn sie wollten, könnten sie alle wieder nach Hause kommen und unangefochten in der Stadt bleiben; zu den Athenern aber schickte er einen Herold mit der Aufforderung, aus Lekythos, das den Chalkidiern gehöre, unter Waffenstillstand mit Sack und Pack abzuziehen. Die erklärten indessen, sie würden bleiben, baten ihn jedoch, ihnen für einen Tag Waffenstillstand zu be­ willigen, um ihre Toten abholen zu können. Er aber be­ willigte ihnen zwei, die er dann dazu benutzte, um die Häuser in der Nähe zu befestigen, wie das die Athener auf ihrer Seite auch taten. Darauf berief er eine Versammlung der Toroner und hielt ihnen eine Rede, ähnlich wie in Akanthos: Sie dürften die Männer, die ihm zur Einnahme der Stadt die Hand geboten, nicht für Schurken oder Verräter halten; denn sie hätten das nicht getan, weil sie bestochen gewesen oder um die Stadt in Knechtschaft zu bringen, sondern in der löblichen Absicht, ihr zur Freiheit zu verhelfen; auch möchten sie nicht glauben, daß die anderen, die das nicht mitgemacht, deshalb

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schlechter behandelt werden würden; denn er sei nicht ge­ kommen, um der Stadt oder deren Einwohnern was zuleide zu tun. Deswegen habe er auch das Anerbieten an die zu den Athenern Geflüchteten gerichtet, weil er sie trotz ihrer Vorliebe für die Athener darum doch nicht für schlechtere Bürger halte. Auch sei er überzeugt, wenn sie die Lakedämonier erst kennen lernten, würden sie diese nicht minder, ja schon weil sie ehr­ licher zu Werkes gingen, erst recht lieb gewinnen, und nur weil sie sie noch nicht gekannt, hätten sie sich bisher vor ihnen gefürchtet. Allen aber mache er es zur Pflicht, sich von nun an als treue Bundesgenossen zu bewähren, dumme Streiche würden ihnen in Zukunft nicht geschenkt werden. Bis jetzt hätten sie selbst unter fremder Übermacht gelitten und sich gegen die Lakedämonier nichts zuschulden kommen lassen, und wäre das auch wirklich mal der Fall gewesen, so solle ihnen das nicht aufs Kerbholz kommen.

Nachdem er sie mit solchen Worten beruhigt hatte und der Waffenstillstand abgelaufen war, schritt er zum Angriff auf Lekythos; die Athener aber verteidigten sich dagegen aus ihren elenden Werken und den mit Schutzwehren versehenen Häusern, schlugen auch am ersten Tage alle Angriffe ab. Am folgenden Tage aber, als der Feind eine Maschine gegen sie vorführen und daraus in das Holzwerk der Umwallung Feuer werfen wollte und mit seinem Heere bereits zum Angriff vor­ ging, errichteten sie an der schwächsten Stelle, wo man die Maschine ihrer Meinung nach ansetzen würde, auf einem Unterbau einen hölzernen Turm und brachten viele Eimer und Fässer mit Wasser sowie eine Anzahl Leute hinauf. Der Bau war jedoch zu schwer belastet und brach plötzlich mit gewaltigem Krach zusammen. Die Athener in der Nähe, die das mit an­ sahen, erfüllte es mehr mit Bedauern als mit Schrecken; die aber, welche weiter, zumal sehr weit davon entfernt waren, glaubten nicht anders, als daß der Platz schon genommen sei, und flohen eiligst nach der See und den Schiffen.

Als Brasidas merkte, daß sie die Brustwehren verließen, und sah, was sich ereignet hatte, ließ er sein Heer gleich

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stürmen und eroberte den Platz, wobei alles, was ihm in die Hände fiel, niedergemacht wurde. Die Athener aber, welche so von dort auf die Kriegsschiffe und andere Fahrzeuge ent­ kommen waren, gelangten glücklich nach Pallene hinüber. Bei Beginn des Sturmes hatte Brasidas öffentlich ausrufen lassen, der erste auf der Mauer solle von ihm dreißig Silberminen zum Geschenk erhalten. Jetzt aber glaubte er, daß er die Ein­ nahme übermenschlicher Kraft verdanke, und ließ deshalb in dem in Lekythos befindlichen Tempel der Athena die dreißig Minen als Geschenk für die Göttin niederlegen, den Platz ab­ tragen und ausräumen und das Ganze zu Tempelland machen. Den Rest des Winters benutzte er, um die bereits gewonnenen Plätze instand zu setzen und sich auf weitere Unternehmungen vorzubereiten. Mit Ablauf dieses Winters endete das achte Jahr des Krieges.

Gleich im Beginn des nächsten Sommers schlossen die Lakedämonier und die Athener einen einjährigen Waffenstillstand. Die Athener, weil sie glaubten, Brasidas würde ihnen dann keine Städte mehr abtrünnig machen können, bevor sie Zeit gehabt, ihre Rüstungen zu vollenden, und außerdem darauf hofften, später in der Lage zu sein, unter günstigeren Ver­ hältnissen Frieden zu schließen. Die Lakedämonier aber, welche bei den Athenern Befürchtungen voraussetzten, wie sie bei ihnen in der Tat vorhanden waren, meinten, wenn Not und Sorgen des Krieges nur erst eine Zeitlang aufhörten und die Athener dessen froh geworden wären, so würden sie schon eher geneigt sein, die Hand zum Frieden zu bieten, die Gefangenen heraus­ zugeben und einen Vertrag auch auf längere Zeit einzugehen. Sie legten nämlich besonderen Wert darauf, ihre Gefangenen zurückzuerhalten, solange Brasidas noch neue Erfolge erzielte; denn hätte er schon so viel erreicht, um den Athenern völlig die Wage zu halten, so hätten sie ihre Leute schwerlich wieder­ gesehen und es immer noch mit ebenbürtigen Gegnern zu tun gehabt. So wurde denn zwischen ihnen und den Bundes­ genossen folgender Waffenstillstand geschlossen:

„Anlangend den Tempel und das Orakel deS pythischen

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Apollon schlagen wir vor, jedem freizustellen, dort wie von Alters her ungehindert zu verkehren. Die Lakedämonier und die anwesenden Bundesgenossen sind damit einverstanden und übernehmen es, dazu womöglich auch die Zustimmung der Böotier und der Phokier zu erwirken. Anlangend das Tempel­ gut werden wir zu ermitteln suchen, wer sich daran wider­ rechtlich vergriffen hat, und für die Herstellung des hergebrachten Zustandes sorgen, wir sowohl wie ihr und wer sich sonst dazu berufen fühlt.. In Ansehung des Besitzstandes schlagen die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen folgendes vor: Wenn die Athener den Waffenstillstand annehmen, so sollen beide Teile innerhalb der von ihnen besetzten Gebiete bleiben, die Athener also einerseits bei Koryphasion bis Buphras und Tomeus, anderseits auf Kythera, aber keinen Verkehr mit den Bundesgenossen unterhalten, sie so wenig mit unseren wie wir mit ihren; bei Nisaia und Minoa sollen sie die Straße, welche vom Tore beim Nisostempel nach dem Poseidontempel und von da grade auf die Brücke nach Minoa führt, nicht über­ schreiten, - ebensowenig sollen die Megarer und ihre Bundes­ genossen diese Straße überschreiten. Die von ihnen besetzte Insel sollen die Athener behalten, jedoch unter Ausschluß jedes Verkehrs zwischen hüben und drüben, und ebenso alles, was sie im Gebiet von Troizen auf Grund der darüber zwischen ihnen und den Troizenern getroffenen Vereinbarungen gegen­ wärtig besitzen. Der Verkehr zur See innerhalb der eigenen Gewässer und denen der Bundesgenossen soll unverwehrt, den Lakedämoniern und ihren Bundesgenossen aber nicht gestattet sein, die See mit Kriegsschiffen oder anderen Ruderfahrzeugen von mehr als fünfhundert Talenten zu befahren. Herolde und Gesandtschaften in Friedens- oder Rechtsangelegenheiten, mit Gefolge nach Belieben, sollen nach dem Peloponnes und nach Athen sowohl zu Lande wie zur See ungehindert hin und her reisen dürfen. Überläufer sollen während dieser Zeit nicht angenommen werden, weder Freie noch Sklaven, weder von uns noch von euch. Rechtshändel unter uns sollen in hergebrachter Weise vor Gericht ausgetragen, Streitigkeiten also
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nicht mit den Waffen, sondern im Wege Rechtens entschieden werden. Das sind die Vorschläge der Lakedämonier und ihrer Bundesgenossen. Glaubt ihr, waS Besseres vorschlagen zu können, so kommt nach Lakedämon und laßt es uns wissen. Allen berechtigten Wünschen, die ihr etwa vorbringt, werden sowohl wir Lakedämonier wie unsere Bundesgenossen gern entgegenkommen. Laßt eure Abgesandten Vollmacht mitbringen, wie ihr das ja auch von uns verlangt. Der Waffenstillstand soll ein Jahr dauern.

Beschluß des Volks.Prytanie Akamantis. Schriftführer Phainippos. Vorsitzender Nikiades.

Laches beantragte, den Waffenstillstand auf Grund der von den Lakedämoniern und ihren Bundesgenossen vorgeshclagenen Bedingungen abzuschließen, den Athenern zum Heil.

Das Volk genehmigte den Abschluß des Waffenstillstandes auf ein Jahr, zu beginnen vom heutigen Tage, dem vierzehnten des Monats Elaphebolion. Unterdessen sollen Gesandte und Herolde beider Teile zu Friedensverhandlungen zusammentreten, die Feldherren und Prytanep aber eine Versammlung berufen, um zunächst einen Beschluß der Athener über die den Gesandten zu dem Ende zu erteilenden Instruktionen herbeizuführen. Die anwesenden Gesandten sollen sich gleich vor dem Volke feierlich verpflichten, den Waffenstillstand ein Jahr lang unverbrüchlich zu halten."

Diesen Vertrag schlossen die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen mit den Athenern und deren Bundesgenossen, und die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen beshcworen ihn am Zwölften des lakedämonischen Monats Gerastios. Für Lakedämon beschlossen und beschworen ihn Tauros, Echetimidas' Sohn, Athenaios, Perikleidas' Sohn, und Philocharidas, Erp­ xidaidas' Sohn; für Korinth Aineas, OkyloS' Sohn, und Euphamidas, Aristonymos' Sohn; für Sikyon Damotimos, Neukrates' Sohn, und Euasimos, Megakles' Sohn; für Megara Nikasos, Kekalos' Sohn, und Menekrates, AmphidoroS' Sohn;

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für Epidauros Amphias, Eupaidas' Sohn; für Athen die Feldherren Nikostratos, Diitrephes' Sohn, Nikias, NikeratoS' Sohn, und Autokles, Tolmaios' Sohn.

So also kam der Waffenstillstand zustande, während dessen dann beständig über einen dauernden Frieden unter ihnen verhandelt wurde.

In den Tagen, wo die Gesandten zusammentraten, ging die Stadt Skione auf Pallene von den Athenern zu Brasidas über. Die Einwohner behaupten, Pallener aus dem Pelo­ ponnes zu sein, die vorzeiten bei dem Sturm, der die Achäer auf der Rückfahrt von Troja betroffen, an dies Land ver­ schlagen und dort sitzen geblieben seien. Als sie zu ihm über­ gehen wollten, fuhr Brasidas bei Nacht nach Skione hinüber. Er ließ dabei ein befreundetes Kriegsschiff vorausfahren, dem er selbst in einer Jolle in einiger Entfernung nachfolgte, da­ mit, falls ihm ein größeres Fahrzeug begegnen sollte, daS Kriegsschiff ihm zu Hilfe kommen könnte. Ein etwa auf­ kommendes anderes Kriegsschiff von gleicher Größe aber, meinte er, würde sich nicht an daS kleine Fahrzeug, sondern an das Kriegsschiff machen, und er unterdessen Zeit haben, das Weite zu suchen. In Skione angelangt, ließ er die Bewohner zu­ sammenrufen und sagte ihnen dasselbe, was er in Akanthos und Torone gesagt, dem er hinzufügte, ihr Verhalten sei des­ halb besonders rühmlich, weil sie hier auf der von den Athenern in Potidäa am Isthmus abgesperrten Halbinsel Pallene sozu­ sagen auf einer Insel wohnten und sich trotzdem von selbst für die Freiheit entschieden und damit nicht ängstlich gewartet hätten, bis man sie mit Gewalt zu ihrem Glück gezwungen. Das sei ein Beweis, daß sie unter allen Umständen mutig ihren Mann stehen würden, wenn die Sache nach Wunsch ginge. Er werde sie deshalb in der Tat als die treuesten Freunde der Lakedämonier ansehen und ihnen überhaupt alle Ehre erweisen.