History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

„Vielleicht meint man, bei unserer Überlegenheit an schwerem Fußvolk könnten wir unbedenklich einen Einfall nach Attika wagen und ihr Land verwüsten. Aber sie haben auch anderswo noch Land genug und können alle ihre Bedürfnisse über See beziehen. Wollten wir dann etwa noch versuchen, ihre Bundes­ genossen zum Abfall zu bewegen, so würden wir diesen, die ja meist auf Inseln wohnen, auch mit der Flotte unter die Arme greifen müssen. Was wird also aus dem Kriege werden? So­ lange wir ihnen nicht zur See überlegen sind und Mittel und Wege zur Unterhaltung ihrer Flotte abschneiden können, werden wir ihnen gegenüber regelmäßig den kürzeren ziehen. Solchen- falls aber würden wir schon Schimpfs halber die Hand zum Frieden nicht bieten dürfen, zumal wenn es hieße, daß wir es im Grunde doch gewesen, die den Streit angefangen. Denn wir dürfen uns nicht einbilden, daß der Krieg bald zu Ende sein würde, wenn wir ihnen ihr Land verwüsten. Im Gegen­ teil, ich fürchte, wir werden ihn auch noch unseren Kindern hinterlassen. So viel ist gewiß, die Athener sind viel zu stolz, als daß sie ihrer Scholle zuliebe klein beigeben sollten, und haben der Gefahr schon zu oft ins Auge gesehen, um sich durch ein bißchen Krieg gleich ins Bockshorn jagen zu lassen.

„Nun ist es ja keineswegs meine Meinung, den Übergriffen der Athener gegen unsere Bundesgenossen ruhig zuzusehen oder ihnen nicht auf den Dienst zu passen, wo sie Böses im Schilde führen; wohl aber halte ich es für besser, nicht gleich zu den Waffen zu greifen, sondern zunächst mal Gesandte an sie zu schicken, um mit ihnen zu verhandeln, ohne schon mit dem Säbel zu rasseln, aber auch ohne den Schein zu erwecken, daß man den Krieg unbedingt zu vermeiden wünsche. Unter­ dessen müssen wir selbst rüsten und uns nach Bundesgenossen ) umsehen, seien es Griechen oder Barbaren, um womöglich irgend-woher Hilfe an Schiffen oder an Geld zu erhalten. In einer Lage wie der unserigen, wo es sich um einen Kampf auf Leben und Tod mit den Athenern handelt, kann uns niemand

52
verdenken, wenn wir nicht nur Griechen, sondern auch Bar­ baren zu Hilfe nehmen. Inzwischen können wir dann auch unsere eigenen Rüstungen vollenden. Geben sie unseren Ge­ sandten Gehör, um so besser! Wenn nicht, so können wir immer noch zwei oder drei Jahre darüber hingehen lassen, um alsdann, wenn es sein muß, besser gerüstet den Kampf mit ihnen aufzunehmen. Wenn sie sich überzeugen, daß wir fertig und bereit sind, jeden Augenblick loszuschlagen, und auch die Reden hier alsdann denselben Geist atmen, werden sie vielleicht schon eher geneigt sein, andere Saiten aufzuziehen, und sich dazu entschließen, bevor ihr Land verwüstet wird und sie ihre Habseligkeiten in Rauch aufgehen sehen. Immer aber würdet ihr ihr Land nur als Pfand in Besitz nehmen dürfen, grade weil es so gut angebaut ist; denn wenn wir es nicht möglichst schonen und sie dadurch zur Verzweiflung bringen, werden wir erst recht nicht mit ihnen fertig werden. Lassen wir uns jetzt durch die Klagen der Bundesgenossen dazu drängen, nngerüstet wie wir sind, ihr Land zu verwüsten, so sollt ihr mal sehen, wie es uns erst im Peloponnes gehen würde. Beschwerden einzelner Städte lassen sich noch beilegen; kommt es aber solcher Sonderinteressen wegen zu einem allgemeinen Kriege, dessen Ausgang nicht abzusehen ist, so wird man ihn mit Anstand so leicht nicht wieder los.

„Hattet es nicht für Feigheit, wenn so viele eine einzelne Stadt nicht gleich angreifen wollen; denn auch dort haben sie Bundesgenossen, und zwar solche, die ihnen Steuern zahlen, und dadurch Geld die Menge. Im Kriege aber kommt es schließlich weniger auf die Waffen als darauf an, wer den letzten Taler hat, zumal im Kriege einer Landmacht gegen eine Seemacht. Sorgen wir also erst mal für Geld, statt uns von unseren Bundesgenossen vorschnell zum Kriege überreden zu lassen. Uns trifft denn doch ganz überwiegend die Verant­ wortung für den Ausgang der Sache, und darum wollen wir sie uns vorher in aller Ruhe überlegen.

„Den Vorwurf der Schwerfälligkeit und übermäßiger Be­ dächtigkeit, den man uns immer macht, könnt ihr euch gern

53
gefallen lassen. Wolltet ihr die Sache jetzt hastig und unvor­ bereitet angreifen, so würdet ihr damit nur um so später zu Ende kommen. Wir sind immer ein freier und hochangesehener Staat gewesen, und jene Schwerfälligkeit bedeutet in der Tat nichts weiter als eine vorsichtige und besonnene Politik. Denn ihr verdanken wir, daß nur wir im Glück nicht übermütig werden und im Unglück nicht so leicht wie andere verzagen. Will man uns durch Schmeichelei zu gefährlichen Unternehmungen ver­ locken, so lassen wir uns nicht aus Eitelkeit gegen unsere bessere Überzeugung fortreißen, und wenn man uns durch spöttische Bemerkungen dazu reizen wollte, so würde uns das ebensowenig rühren, und wir würden auch damit nicht zu haben sein. Wir stehen unseren Mann im Kriege wie im Rate, und das verdanken wir unserer strengen Mannszucht. Jenes, weil Ehrgefühl mit guter Zucht, Ehrgefühl aber mit Tapferkeit aufs engste zusammenhängt, dieses, weil man uns nicht durch Überbildung dazu erzieht, die Gesetze zu verachten, sondern uns durch strenge Zucht von Jugend auf daran ge­ wöhnt, ihnen zu gehorchen. Wir verstehen uns nicht genug aufbrot­ lose Künste, um erst in wohlgesetzten Reden über die verkehrten Maßregeln des Feindes den Stab zu brechen und dann doch, wenn es zum Klappen kommt, nicht draufzugehen. Wir halten andere auch nicht für dümmer als uns und glauben nicht, daß man sich den Verlauf der Dinge im voraus an den Fingern abzählen könne. Bei unseren Vorbereitungen zum Kriege müssen wir immer davon ausgehen, daß wir es mit einem Gegner zu tun haben, der seine Sache versteht. Man darf seine Rechnung nie auf die Fehler des Gegners machen, sondern sich nur auf seine eigene Schlagfertigkeit verlassen. Glaubt nur, die Menschen sind an sich nicht so sehr voneinander ver­ schieden; die aber bringen es am weitesten, in denen man die notwendigsten Fähigkeiten ausgebildet hat.

„Das sind die Grundsätze, die wir von unseren Vätern überkommen und bisher auch selbst zu unserem Besten stets befolgt haben, und ihnen laßt uns treu bleiben. Hüten wir uns, hier in ein paar Stunden einen Beschluß zu fassen, an

54
dem das Leben so vieler Menschen, das Schicksal vieler Städte, so viel Geld und Gut und schließlich auch unser guter Name hängt, sondern laßt uns die Sache erst ruhig überlegen. Wir können uns das bei unserer Macht ja eher als andere gestatten. Schickt also zunächst mal Gesandte an die Athener, um mit ihnen über Potidäa und die übrigen Beshcwerden der Bundes­ genossen zu verhandeln. Sie sind ja bereit, sich einem Schieds­ gerichte zu unterwerfen, und wer das ist, dem darf man nicht ohne weiteres als Friedensbrecher den Krieg erklären. Zu gleicher Zeit rüstet euch zum Kriege. Das ist der beste Beschluß, den ihr fassen könnt, und er wird seinen Eindruck auf die Gegner nicht verfehlen."

So Archidamos. Zuletzt trat Stenela'idas auf, der damals Ephor war, und ließ sich unter den Lakedämoniern also ver­ nehmen:

„Das lange Geschwätz der Athener verstehe ich nicht. Erst eine lange Selbstberäucherung, dann aber nicht ein Wort, um die ihnen schuldgegebenen Übergriffe gegen unsere peloponne­ sischen Bundesgenossen auch nur in Abrede zu stellen. Wenn sie sich damals gegen die Perser gut gemacht haben und sich jetzt gegen uns so nichtswürdig benehmen, so sind sie doppelt strafbar, weil sie aus ehrenhaften Leuten zu Halunken ge­ worden sind. Wir sind noch dieselben, jetzt wie damals, und müßten den Verstand verloren haben, wollten wir unsere Bundesgenossen, denen es bereits an den Kragen geht, jetzt im Stich lassen, statt ihnen sofort zu Hilfe zu kommen. Haben andere Geld, Schiffe und Pferde die Menge, so haben wir wackere Bundesgenossen, und die dürfen wir den Athenern nicht ausliefern. Mit Schiedsgerichten aber und mit Worten läßt sich das nicht abmachen. Wie man auch ihnen nicht bloß mit Worten zu Leibe geht, sondern mit den Waffen in der Hand, so müssen auch wir ihnen beistehen, und zwar schleunigst und mit aller Macht. Laßt euch nicht weismachen, daß es uns, den Beleidigten, zukäme, die Sache noch lange zu überlegen; nein, grade der Störenfried hätte sie sich erst drei­ mal überlegen sollen. Darum, Lakedämonier, beschließt, wie

55
eS Spartas würdig ist, den Krieg. Laßt die Athener nicht noch mächtiger werden, und liefert ihnen unsere Bundes­ genossen nicht aus, sondern mit den G.ötteru drauflos gegen die Spitzbuben!"

Nach diesen Worten ließ er, da er selbst Ephor war, in der Versammlung der Lakedämonier abstimmen. Nach der Ab­ stimmung, die bei ihnen nicht durch Marten, sondern mündlich erfolgt, aber sagte er, er sei zweifelhaft, wofür die Mehrheit gewesen sei, und um sie um so auffälliger Farbe bekennen zu lassen und dadurch erst recht zum Kriege zu Hetzen, fügte er hinzu: „Wer dafür stimmt, Lakedämonier, daß ein Friedens- bruch vorliegt und die Athener die Schuldigen sind, trete auf jene Seite," - indem er mit dem Finger dahin zeigte, - „wer dagegen stimmt, hier auf die andere." Hierauf standen sie alle auf und traten nach beiden Seiten auseinander, und eS ergab sich, daß die, welche den Frieden für gebrochen erklärten, die große Mehrheit bildeten. Darnach ließ man die Bundes­ genossen wieder vortreten und eröffnete ihnen, man habe sich dafür entschieden, daß die Athener im Unrecht seien, wolle aber auch sämtlichen Bundesgenossen Gelegenheit geben, dar­ über ebenfalls abzustimmen, um den Krieg gegebenenfalls in allseitigem Einverständnis führen zu können. Nachdem die Sache abgemacht, reisten die Bundesgenossen wieder ab, und darauf, nachdem sie das Geschäft, welches sie hergeführt, er­ ledigt hatten, auch die athenischen Gesandten. Diese Ent­ scheidung der Versammlung, wodurch der Friede für gebrochen erklärt wurde, erfolgte im vierzehnten Jahre des dreißig-'' jährigen Friedens, welcher nach dem Euböischen Kriege ge-j ^ schlossen war.

Den Beschluß, daß der Friede gebrochen und der Krieg unvermeidlich sei, faßten die Lakedämonier aber nicht sowohl ihren Bundesgenossen zu Gefallen, als vielmehr aus Furcht vor dem weiteren Anwachsen der Macht der Athener, die ja schon damals weitaus den größten Teil aller Griechen ihrer Herrschaft unterworfen hatten.

Daß aber die Athener mit der Zeit^zu solcher Macht ge­

56
langt waren, hing so zusammen. Nachdem die Perser, zu Wasser und zu Lande besiegt, aus Europa abgezogen und auch die zu Schiff entkommenen Reste ihres Heeres bei Mykale ver­ nichtet worden waren, ging Leotychides, der König der Lake­ dämonier, der bei Mykale den Oberbefehl über die Griechen geführt hatte, mit den Bundesgenoffen aus dem Peloponnes wieder nach Hause. Die Athener aber und die inzwischen vom Könige abgefallenen Bundesgenossen aus Jonien und vom Hellespont hielten aus und belagerten Sestos, wo sich die Perser noch behaupteten. Auch brachten sie, nachdem der Winter darüber hingegangen und die persische Besatzung schließlich abgezogen war, die Stadt in ihre Gewalt. Darauf kehrten sie mit ihren Schiffen vom Hellespont alle in ihre Heimat zurück.

Die athenische Regierung aber ließ, sobald der Feind das Land geräumt hatte, Weiber und Kinder und was an fahren­ der Habe noch vorhanden war, aus den Orten, wohin man sie in Sicherheit gebracht hatte, wieder in die Stadt schaffen und traf Anstalt, Stadt und Mauern wieder aufzubauen. Von der Ringmauer nämlich war nur wenig stehen geblieben, und auch die Häuser lagen meist in Trümmern bis auf einige wenige, die den vornehmen Persern selbst als Wohnung ge­ dient hatten.

Als die Lakedämonier davon hörten, schickten sie Gesandte nach Athen, um die Sache zu hintertreiben; denn auch sie selbst hätten es lieber gesehen, wenn es in Athen und an anderen Orten keine Mauern gegeben hätte; hauptsächlich aber wurden sie dazu gedrängt durch die Furcht ihrer Bundesgenossen vor der neuerdings entstandenen Seemacht und der im Perserkriege bewiesenen Tatkraft der Athener. Sie ersuchten sie deshalb, ihre Stadt nicht zu befestigen und ihnen auch zur Beseitigung der in anderen Städten außerhalb des Peloponnes vorhandenen Mauern die Hand zu bieten. Ihre eigentliche Absicht aber und ihre Hintergedanken ließen sie dabei nicht durchblicken. Wenn die Perser mal wiederkämen, sagten sie, dürften sie keinen festen Platz finden, auf den sie sich stützen könnten, wie diesmal auf

57
Theben, den Griechen aber werde der Peloponnes als Zufluchts­ ort und als Stützpunkt für ihre Unternehmungen genügen. Die Athener erwiderten ihnen auf Rat des Themistokles, sie würden dieserhalb selbst eine Gesandtschaft an sie schicken, und -ließen sie damit wieder abziehen. Nun aber riet Themistokles weiter dazu, ihn selbst unverzüglich als Gesandten nach Lake­ dämon abzufertigen, die übrigen Mitglieder der Gesandtschaft aber nicht gleich mitreisen zu lassen, sondern in Athen zurück­ zuhalten, bis die Mauer so weit fertig sei, daß man sie im Notfall verteidigen könne. Unterdessen müsse die ganze Stadt Hand anlegen, alles, Männer, Weiber und Kinder, mauern helfen; weder Privathäuser noch öffentliche Gebäude solle man schonen, sendet? einfach alles niederreißen, wenn der Bau dadurch gefördert werden könnte. Nachdem er das in die Wege geleitet und ihnen dann noch angedeutet hatte, daß er das Weitere dort schon selbst besorgen werde, reiste er ab. Nach seiner Ankunft in Lakedämon machte er bei den Herren der Regierung zunächst keinen Besuch, sondern wußte das unter allerlei Vorwänden zu verschieben, und wenn ihn einer von der Regierung darauf anredete, weshalb er sich denn bei ihnen nicht sehen ließe, sagte er, die übrigen Gesandten, die zufällig verhindert gewesen seien, gleich mitzureisen, seien immer noch nicht angekommen, er erwarte sie aber jeden Augenblick und könne nicht begreifen, weshalb sie so lange ausblieben.

Die Lakedämonier trugen kein Bedenken, Themistokles das alles aufs Wort zu glauben. Als dann aber Reisende aus Athen kamen und aufs bestimmteste versicherten, daß die Mauer gebaut würde und bereits eine ziemliche Höhe erreicht habe, konnten sie im Grunde nicht länger zweifelhaft sein. Themistokles, aber, der auch davon hörte, bat sie, auf bloße Gerüchte nichts zu geben, sondern zunächst selbst mal einige zuverlässige Leute nach Athen zu schicken, um sich die Sache anzusehen und ihnen darüber auf Glauben zu berichten. Das taten sie auch. Themi­ stokles aber ließ die Athener insgeheim verständigen, sie möchten sie, ohne viel Aufsehen davon zu machen, dort festhalten, bis sie selbst aus Lakedämon zurück sein würden; denn inzwischen

58
waren auch die übrigen Gesandten, Abronichos, Lysikles' Sohn, und Aristeides, Lysimachos' Sohn, mit der Nachricht, daß die Mauer schon hoch genug sei, bei ihm eingetroffen. Er fürchtete nämlich, wenn die Lakedämonier die Wahrheit erführen, würden sie auch sie nicht abreisen lassen; die Athener hielten denn auch seiner Anheimgabe gemäß die Gesandten fest.. Und nun kam Themistokles den Lakedämoniern gegenüber endlich mit der Sprache heraus und erklärte ihnen unverhohlen, die Mauer sei bereits fertig und Athen hinlänglich befestigt, um den Ein­ wohnern den nötigen Schutz zu gewähren. Für den Fall aber, daß die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen mal wieder Gesandte nach Athen schicken wollten, möchten sie sich merken, daß sie dort Leute finden würden, die man nicht erst darüber zu belehren brauche, was für sie und Griechenland das Beste sei. Auch damals hätten sie den Beschluß, daß es für sie das Beste sei, ihre Stadt aufzugeben und zu Schiff zu gehen, auf . eigene Gefahr ohne fremde Hilfe gefaßt und auch nahcher bei den gemeinsamen Beratungen mit ihnen wieder gezeigt, daß . sie nicht dümmer seien als andere Leute. So seien sie auch jetzt der Meinung, daß es für sie das Beste sei, ihre Stadt zu befestigen, und allen Bundesgenossen damit nicht minder gedient sein würde wie ihren eigenen Bürgern. Wenn es nicht allen Bundesgliedern freistehen solle, gleichmäßig für ihre Sicherheit zu sorgen, sei eine gesunde Bundesverfassung über­ haupt unmöglich; entweder also müßte man allen Bundes­ genossen verbieten, ihre Städte zu befestigen, oder den Athenern gestatten, es auch zu tun.

Äußerlich ließen die Lakedämonier es sich den Athenern gegenüber nicht merken, wie sie diese Erklärung verschnupft hatte. Natürlich war es ja doch auch bei der Gesandtschaft nicht auf einen Einspruch gegen den Bau, sondern nur auf einen wohlgemeinten Rat an eine befreundete Regierung ab­ gesehen gewesen, wie sie denn damals mit den Athenern wegen ihres im Perserkriege bewiesenen Eifers überhaupt noch auf gutem Fuße standen. Im Grunde aber war es ihnen doch sehr ärgerlich, daß sie ihren Zweck nicht erreicht hatten. Die

59
Gesandten aber ließ man beiderteils unbehelligt wieder ab­ reisen.

Auf diese Weise gelang es den Athenern, ihre Stadtmauer in kurzer Zeit wiederherzustellen. Noch jetzt sieht man dem Bau die Eile an, mit der er ausgeführt wurde. Der Unter­ kau besteht aus Steinen aller Art, wie und wo sie grade zu haben gewesen waren. Zahlreiche Grabsteine und halbfertige Gildwerke wurden mit eingemauert, und da der Umfang der Stadt allenthalben erweitert wurde, schleppte man, was irgend brauchhax war, von allen Seiten zusammen. Auch setzte Themi­ stokles jetzt durch, daß die Bauten im Peiraieus wieder auf­ genommen wurden, womit schon im Jahre seines Archontats der Anfang gemacht worden war. Denn nach seiner Ansicht bot der Ort mit seinen drei natürlichen Häfen den Athenern, nachdem sie sich auf die See geworfen, zu weiterer Entwick­ lung ihrer Macht die beste Gelegenheit. Er zuerst hatte den großen Gedanken gefaßt, ihren Blick auf die See zu lenken, und so hatte er auch den Beginn jener Bauten gleich selbst mit in die Hand genommen. Auf seinen Rat machte man die Mauer um den Peiraieus so dick, wie es jetzt noch zu sehen ist, so daß zwei Wagen, welche Steine herauffuhren und sich darauf begegneten, einander ausweichen konnten. Inwendig war weder Kalk noch Mörtel. Mächtige Steine, an den Schnittflächen winkelrecht behauen, wurden aufeinander ge­ packt und auf der Außenseite durch eiserne Klammern und Blei verbunden. Fertig freilich wurde sie nur halb so hoch, wie sie nach seiner Absicht werden sollte. Er wollte sie nämlich hoch und dick genug machen, um beim Feinde den Gedanken an einen Angriff auf die Mauer gar nicht aufkommen zu lassen, indem seiner Meinung nach dann schon wenige, ja selbst Invaliden zu ihrer Bewachung genügen, alle übrigen aber auf der Flotte verwendbar sein würden. Denn die Flotte lag ihm immer zuerst am Herzen, und doch wohl deshalb, weil er sich sagte, daß es für ein persisches Heer leichter sein würde, zur See nach Griechenland zu kommen als zu Lande. Darum war auch in seinen Augen der Peiraieus wichtiger als die

60
obere Stadt, und immer wieder empfahl er den Athenern, sich im Fall einer Niederlage zu Lande dahin zurückzuziehen, um von dort auf ihren Schiffen einer Welt in Waffen Trotz zu bieten. So befestigten die Athener gleich nach dem Abzüge der Perser ihre Stadt und richteten sich auch sonst für alle Fälle ein.

Nun aber wurde Pausanias, Kleombrotos' Sohn, aus Lakedämon als Oberbefehlshaber der Griechen vom Peloponnes mit zwanzig Schiffen ausgesandt, und auch die Athener mit dreißig Schiffen und viele andere Bundesgenossen schlossen sich dem Zuge an. Es ging zunächst nach Cypern, das man größtenteils unterwarf, und darauf nach Byzanz, das damals noch im Besitz der Perser war und nun noch unter seinem Oberbefehl belagert und erobert wurde.

Schon längst aber waren die Griechen über sein herrisches Wesen empört und niemand mehr als die Jonier und alle, die eben erst von der Herrschaft des Königs befreit worden waren. Sie wandten sich deshalb an die Athener und baten sie, als ihre alten Landsleute, den Oberbefehl über sie zu über­ nehmen und die Übergriffe des Pausanias nicht länger zu dulden. Die Athener ließen sich das nicht zweimal sagen und nahmen gern die Gelegenheit wahr, auf diese Weise das Heft überhaupt in die Hand zu bekommen. Inzwischen wurde Pau­ sanias von den Lakedämoniern abberufen und mit Rücksicht auf die Dinge, die ihnen zu Ohren gekommen waren, in Unter­ suchung gezogen. Mehrfach nämlich hatten sich Griechen, die nach Sparta gekommen, über den Mißbrauch seiner Gewalt beklagt, und er war darnach offenbar eher wie ein Tyrann als wie ein Feldherr aufgetreten. Die Abberufung erfolgte grade in dem Augenblick, wo die Bundesgenossen, mit Aus­ nahme der Mannschaften aus dem Peloponnes, aus Erbitterung über ihn zu den Athenern übergingen. In Lakedämon an­ gekommen, wurde er auch wegen verschiedener Vergehen, die er sich gegen diesen und jenen hatte zuschulden kommen lassen, verurteilt, in der Hauptsache dagegen freigesprochen. Der Hautvorwurf aber, den man ihm machte, war der, daß er mit

61
den Persern durchgesteckt habe, und nach der allgemeinen Meinung unterlag das auch keinem Zweifel. Auch schickte man ihn als Oberbefehlshaber dann auch nicht wieder hinaus, sondern statt seiner Dorkis und ein paar andere mit nur wenig Mannschaft, welche die Bundesgenossen sich jedoch als Ober­ befehlshaber nicht mehr gefallen lassen wollten und die dann auch, als sie das merkten, wieder abzogen. Nachher schickten die Lakedämonier niemand mehr hinaus aus Furcht, ihre Leute könnten draußen auf schlechte Wege kommen, wie sie das ja an Pausanias erlebt hatten. Überhaupt beteiligten sie sich von nun an nicht weiter am Kriege gegen die Perser, weil sie annahmen, daß die Athener damit schon fertig werden würden und einstweilen mit ihnen noch auf gutem Fuße ständen.

Nachdem die Athener den ihnen von den Bundesgenossen aus Haß gegen Pausanias angetragenen Oberbefehl übernommen hatten, bestimmten sie, welche Orte zum Kriege gegen die Perser Geld tseuern und welche Schiffe stellen sollten, um, wie es hieß, die ausgestandenen Leiden durch Verheerung der Länder des Königs zu vergelten. Damals wurde auch das Bundes­ schatzmeisteramt von den Athenern zuerst eingerichtet, welches den Phoros, so nannte man die Steuer, zu erheben hatte. Als diese zum erstenmal umgelegt wurde, betrug sie vierhundert­ sechzig Talente. Schatzkammer war Delos, und in dem Tempel dort fanden auch die Versammlungen statt.

Ich erwähne nun zunächst, was die Athener in der Zeit dieser ihrer Hegemonie über die anfangs noch unabhängigen und auf den Versammlungen stimmberechtigten Bundesgenossen zwischen diesem und dem Perserkriege durch ihre Politik und durch Kriege gegen Perser, unbotmäßige Bundesgenossen und die überall mit dazwischentseckenden Peloponnesier zuwege ge­ bracht haben. Ich habe das hier mit aufgenommen und mir diese Abschweifung gestattet, weil sich über diesen Zeitraum bei allen meinen Vorgängern nichts findet, da sie entweder nur die griechische Geschichte vor den Perserkriegen oder die Perser­ kriege selbst behandelt haben. Auch Hellanikos, der in seinem

62
Werke über Attika diese Dinge allerdings berührt, geht nur kurz darüber hinweg und ist in den Zeitangaben ungenau. Zugleich gewährt es einen Überblick über die Entstehung der athenischen Macht.

Zuerst belagerten und eroberten sie unter Kimon, dem Sohne des Miltiades, das noch von den Persern besetzte E'ion am Strymon und verkauften die Einwohner als Sklaven. Darauf eroberten sie die von Dolopern bewohnte Insel Skyros im Agäischen Meere, verkauften auch hier die Einwohner und besetzten sie mit eigenen Kolonisten. Dann führten sie einen Krieg gegen die Karystier auf Euboia, an dem sich jedoch die übrigen Euboier nicht beteiligten, und nötigten sie schließ­ lich auch, sich auf gewisse Bedingungen zu ergeben. Hierauf folgte ein Krieg gegen Naxos, welches von ihnen abgefallen war, das sie belagerten und zur Unterwerfung zwangen, der erste Fall, wo einem ihrer Bundesstaaten gegen das bis­ herige Bundesrecht seine Selbständigkeit entzogen wurde. Später sind andere dann freilich auch an die Reihe ge­ kommen.

Den Anlaß zu solchen Abfällen gaben hauptsächlich Rück­ stände bei Entrichtung der Steuern und der Stellung von Schiffen, auch etwa vorkommende Verweigerungen des Kriegs­ dienstes; denn die Athener trieben die Abgaben streng ein und ließen mit Zwangsmaßregeln nicht lange auf sich warten; da- durch aber wurden sie den Bundesgenossen, die solche Plackereien nicht gewohnt waren und verwünschten, in hohem Grade un­ bequem. Überhaupt war der Oberbefehl der Athener nicht mehr so beliebt wie zuerst; sie behandelten die Bundesgenossen im Felde wie Untertanen, und wenn ja einer von ihnen ab­ fiel, so unterwarfen sie ihn mit Leichtigkeit wieder. Daran aber waren die Bundesgenossen selbst schuld. Denn aus Ab­ neigung gegen den Kriegsdienst hatten sich die meisten, um nur nicht mit zu müssen, zur Steuer einschätzen lassen und zahlten, statt selbst Schiffe zu stellen, lieber den dafür auf sie entfallenden Betrag. Durch das Geld aber, das sie den Athenern zahlten, setzten sie diese in den Stand, ihre Flotte zu vergrößern,

63
während sie selbst, wenn sie abfielen, völlig wehrlos und im Kriege unerfahren waren.

Dann aber kam es zwischen den Persern und den Athenern und ihren Bundesgenossen zu jener Land- und Seeschlacht am Flusse Eurymedon in Pamphylien, wo die Athener unter Kimon, Miltiades' Sohn, einen Doppelsieg erfochten und den Phöniziern im ganzen an die zweihundert Trieren wegnahmen und zer­ störten. Bald nachher fielen die Thasier von ihnen ab, die wegen der Handelsplätze gegenüber in Thrakien und der dort von ihnen betriebenen Bergwerke mit den Athenern in Streit geraten waren. Die Athener schickten eine Flotte nach Thasos) gewannen eine Schlacht und landeten auf der Insel. Um die­ selbe Zeit schickten sie zehntausend Kolonisten, teils aus Athen selbst, teils aus den anderen Bundesstaaten, nach dem Strymon, um sich bei den Neun-Wegen, wie es damals hieß, dem jetzigen Amphipolis, anzusiedeln. Diese bemächtigten sich auch der im Besitz der Edoner befindlichen Neun-Wege, wurden dann aber bei weiterem Vordringen ins Innere bei Drabeskos im Lande der Edoner von den Thrakern, die in der Gründung der Kolonie eine Feindseligkeit sahen, gänzlich aufgerieben.