History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Wahrmund, Adolf, translator. Stuttgart: Krais and Hoffmann, 1864.

' In demselben Sommer, sogleich nach diesen Ereignissen^ entschlossen sich die Peloponnesier, — da sie sich der vereinigten Schiffsmacht der Feinde nicht gewachsen fühlten, auch nicht gegen dieselbe ausgelaufen waren, um die angebotene Schlacht anzunehmen, und sich nun in Verlegenheit fanden, woher für so viele Schiffe das Geld« nehmen, zumal auch Tissaphernes den Sold nur ungenügend auszahlte, — den Klearchos, des RhamphiaS Sohn, mit vierzig Schiffen an den PharnabazoS zu senden, wie ihnen auch von vornherein vom Peloponnes befohlen war. PharnabazoS nämlich hatte sie aufgefordert zu kommen und war bereit, ihnen Sold zu zahlen; und zugleich hatte auch Byzanz durch Gesandte erklärt, daß es bereit sei, von Athen abzufallen. Diese vierzig peloponnesischen Schiffe steuerten nun, um auf ihrer Fahrt von den Athenern nicht bemerkt zu werden, auf die hohe See hinaus und wurden hier vom Sturm überfallen, der die meisten derselben mit Klearchos nach der Insel Delos trieb, von wo sie später wieder nach Milet zurückkehrten — Klearchos reiste dann zu Lande- nach dem Hellespont und übernahm daselbst den Oberbefehl — während die zehn übrigen unter Helixos, dem Feldherrn der Megarenser, glücklich nach dem Hellespont kamen und den Abfall von Byzanz bewirkten. Als die Athener auf Samos hievon Kenntniß erhielten, schickten sie eine Anzahl Schiffe zur Abwehr und Beobachtung nach dem Hellespont, und es-fand auch

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[*]( 4ll v. Chr. ) vor Byzanz ein unbedeutendes Seetreffen Statt, acht Schiffe gegen acht.

Die Vorsteher auf Samos aber und vor Allen Thrasybulos hielten seit dem bewirkten Umschwung der Dinge immer-noch dafür, daß man den Alkibiades zurückrufen solle, und zuletzt gewann denn auch ThrasybuloS in einer Versammlung die große Masse der Soldaten durch seine Ueberredung, und als diese den Beschluß gefaßt hatten, Alkibiades könne sicher zurückkehren, so fuhr er selbst zu Tissaphernes und brachte den Alkibiades nach Samos herüber; denn er hielt eS für den einzigen Weg zur Rettung, wenn dieser den TissapherneS von den Peloponnesiern auf ihre Seite herüberziehe.. Als nun eine Versammlung abgehalten wurde, machte ihnen Alkibiades Vorwürfe wegen seiner Verbannung und bejammerte dieß Unglück, sprach viel über die politischen Verhältnisse, erregte bei ihnen nicht geringe Hoffnungen für die Zukunft und stellte prahlerisch übertrieben seinen Einfluß auf den Tissaphernes dar. damit die oligarchischen Machthaber zu Hause sich vor ihm fürchten nnd die Ve " vörungen auslösen möchten, und die auf Samos ihn mehr in Ehren hielten und auch für sich selbst mehr Muth faßten, die Peloponnefier aber mit dem Tissaphernes möglichst verfeindet und so um ihre Hoffnungen betrogen würden. Mit der größten Prahlerei gab nun Alkibiades die Versicherung, Tissaphernes habe sich gegen ihn verpflichtet: so lange er nur selbst noch etwas besitze, und wenn er nur erst Vertrauen zu den Athenern fassen könne, sollte es ihnen ganz gewiß an Nichts fehlen, und wenn er zuletzt sein Bettzeug versilbern müsse; und die Schiffe der Phöniker, die schon vor Aspendos stünden, werde er den Athenern und nicht den Peloponnesiern zuführen. Vertrauen dürfe er aber den Athenern erst dann, wenn Alkibiades zurückgerufen würde und ihm Bürgschaft leisten könne.

Jene, nachdem sie dieß und vieles Andere angehört hatten, wählten ihn sogleich zum Feldherrn zu den schon vorhandenen und übertrugen ihm die oberste Leitung des Ganzen. In diesem Augenblick würde wohl Keiner von ihnen seine Hoffnung auf Rettung und Rache an den Vierhundert um irgend etwas in der Welt verkauft haben, und sie gingen für den Augenblick schon so weit, die nahen Feinde in Folge jener Reden zu verachten, und wollten gegen den

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PiräeuS. schiffen. Alkibiades aber setzte sich mit aller Kraft dawider, [*]( 411 v.. Chr. ) daß man an einen Angriff auf den Piräeus denke und die näheren Feinde sich im Rücken lasse, obgleich Viele darauf drangen. Zuerst, sagte er, lägen ihm die Erfordernisse des Krieges ob, da man ihn einmal zum Feldherrn erwählt habe, und deßhalb müsse er zu TissapherneS fahren, um mit diesem hierüber zu unterhandeln. Auch reiste er unmittelbar nach dieser Versammlung ab, damit es den Anschein gewinne, als ob er Alles in Gemeinschaft mit jenem betreibe, und zugleich auch, um demselben mehr Achtung vor seiner Persönlichkeit einzuflößen und ihm zu zeigen, daß er bereits zum Feldherrn gewählt sei und die Mittel besitze, ihm zu nützen und zu schaden. So hatte es also Alkibiades einzurichten gewußt, daß er die Athener mit dem Tissaphernes, und den Tissaphernes mit den Athenern schrecken konnte.

Als nun aber die Peloponnesier bei Milet die Zurückberufung des Alkibiades erfuhren, so mußten sie jetzt, wenn sie dem TissapherneS schon früher.mißtraut hatten, mit demselben jetzt noch viel mehr zerfallen. Dazu war noch gekommen, daß seit dem Erscheinen der Athener vor Milet, damals, als sie selbst nicht gegen sie auSlaufen wollten, um die Seeschlacht anzunehmen, Tissaphernes im Auszahlen des SoldeS sich noch viel unzuverlässiger zeigte und ihnen demnach schon vor diesem Ereigniß mit Alkibiades noch mehr Grund zum Haß gegeben hatte. Die Soldaten traten, wie auch früher schon, unter sich zusammen, und sonst Einige der angesehenen Personen, und beschwerten sich, daß man ihnen niemals den Sold voll ausgezahlt habe, daß das, was sie an Geld erhielten, unzureichend sei und trotzdem nicht einmal ohne Unterbrechung bezahlt werde. Wenn man nicht entweder eine Seeschlacht liefere oder anderswohin gehe, von wo man sich verproviantiren könne, so würde die Mannschaft von ihren Schiffen davonlaufen; und an dem Allem sei Astvochos Schuld, der aus persönlichem Eigennutz um die Gunst des TissapherneS buhle.

Während nun dergleichen Reden durch das Heer gingen, ereignete sich auch mit AstyochoS noch folgender Lärm. Die Syrakusanische und Thurische Schiffsmannschaft bestand zum allergrößten Theil aus lauter freien Männern, und um so kecker gingen sie ihm zu Leibe und verlangten ihren Sold von ihm. Er aber geberdete sich

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[*]( 4ll v. Chr. ) in seiner Antwort herrisch, stieß Drohungen gegen sie auS, und gegen den DorieuS, der seinen Leuten das Wort redete, hob er sogar den Stock, auf. Als aber der große Haufe der Soldaten dieß sah, so drangen sie, wie schon Seeleute eS zu machen pflegen, mit Geschrei auf den AstyochoS ein und schlugen nach ihm; er aber war auf der Hut. und flüchtete sich zu einem Altar. Verwundet wurde er jedoch nicht, sondern beide Theile wurden auseinander gebracht.

Auch nahmen die Milesier die Zwingburg weg, welche TissapherneS in ihrer Stadt erbaut hatte, indem sie dieselbe unversehens überfielen. Die Besatzung derselben trieben sie auS. Den übrigen Bundesgenossen gefiel dieß, und vor Allen auch den Syrakusanern; LichaS aber wollte eS nicht gutheißen, sondern erklärte, die Milesier und die Andern in des Königs Land müßten in Allem, was billig sei, dem Tissaphernes dienen und ihm bis zu glücklicher Beendigung des Krieges behülslich sein. Die Milesier aber wurden sowohl deßwegen, als auch auS andern ähnlichen Ursachen gegen ihn erbittert, und als er später an einer Krankheit starb, ließen sie nicht zu, daß er da begraben wurde, wo die anwesenden Lakedämonier eS haben wollten..

Während nun ihre Angelegenheiten wegen des Zerwürfnisses mit dem Astyochos wie mit dem Tissaphernes also standen, kam von Lakedämon Mindaros als Nachfolger des Astyochos im Flottenkommando an und übernahm den Oberbefehl; AstyochoS aber schiffte sich.nach Hause ein. Mit ihm schickte Tissaphernes einen der Seinigen, den Karer GauliteS, der beide Sprachen redete, als Gesandten ab. Dieser sollte nämlich die Milesier deS Kastells wegen verklagen und zugleich ihn selbst vertheidigen, denn er wußte, daß auch die Milesier, um ihn zu verklagen, eine Gesandtschaft dorthin schickten, und mit dieser besonders den HermokrateS, welcher den wahren Sachverhalt darstellen sollte, wie nämlich Tissaphernes im Bunde mit AlkibiadeS die Macht der Peloponnesier zn Grunde richte und auf beiden Achseln trage. Diesem Manne war nämlich Tissaphernes von vorn herein Feind geworden wegen der Art und Weise der Soldzahlung, und als schließlich HermokrateS auch aus Syrakus verbannt wurde, und andere Feldherrn für die Syrakusischen Schiffe nach Milet kamen, PotamiS nämlich und Myskon und DemavchoS, so verfolgte Tissaphernes den HermokrateS als Verbannten erst recht, und brachte

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allerlei Beschuldigungen gegen ihn auf, und unter andern auch, der- [*]( 41l v. Chr. ) selbe habe einmal Geld von ihm verlangt, und weil er eS nicht bekommen, so habe er einen Haß auf ihn geworfen. Astyochos also und die Milesier mit HermokrateS gingen nach Lakedämon ab, AlkibiadeS aber war unterdessen vom Tissaphernes wieder nach Samos zurückgekommen.

Während der Anwesenheit des Alkibiades kamen auch von Delos her die Abgesandten der Vierhundert, welche sie damals abgeschickt hatten, um die in Samos zu beruhigen und eines Bessern zu belehren, und versuchten in einer Versammlung, sich Gehör zu verschaffen. Die Soldaten aber wollten sie Anfangs nicht anhören, sondern schrieen, man solle die todten, welche die Volksregierung gestürzt hätten, und nur mit Mühe gaben sie sich endlich zur Ruhe und hörten sie an. Diese berichteten nun, daß der Verfassun'gSwechsel keineswegs zum Verderben des Staates, sondern zu dessen Rettung vorgenommen worden sei, und nicht um den Staat an die Feinde zu verrathen, — denn das hätten sie ja bereits thun können, da jener feindliche Angriff schon während ihrer neuen Regierung stattgefunden habe — und in die Zahl der Fünftausend würden der Reihe nach Alle aufgenommen werden; auch würden ihre eigenen Angehörigen keineswegs mißhandelt, wie ChaireaS böswillig berichtet hätte, vielmehr nicht im Geringsten belästigt, sondern Jeder wohne ruhig in seinem Besitzthum an Ort und Stelle. Dieß und noch vieles Andere brachten sie vor, aber man wollte trotz Allem nicht darauf hören; es zeigte sich die alte Erbitterung, und während der Eine dieß, der Andere jenes vorschlug, waren die Meisten darin Eins,-daß man gegen den Piräeus segeln solle. Hier nun erschien Alkibiades als der, welcher zuerst und nicht weniger als irgend ein Anderer als Ret-« ter des Staates auftrat; denn während die Athener auf Samos die Absicht hatten, zum Kampf gegen ihr eigenes Vaterland''auszuführen, in welchem Falle die Feinde ohne allen Zweifel sofort Jonien und den HelleSpont in Besitz genommen hätten, war er derjenige, welcher dieß verhinderte. Und in jenem Augenblicke wäre wohl auch kein Anderer fähig gewesen, die Masse zurückzuhalten; er aber hielt sie von der Abfahrt zurück und schreckte auch die Einzelnen, die sich in ihrem Zorn an den Gesandten vergreifen wollten, durch Scheltworte

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[*]( 411 v. Chr. ) davon ab. Er selbst entließ die Gesandten mit der Antwort, daß er Nichts dagegen habe, wenn die Fünftausend die Regierung führten, aber die Vierhundert müßten sie beseitigen und den alten Rath wieder einsetzen, den der Fünfhundert nämlich. Wenn übrigens durch sie Ersparungen erzielt worden wären, so daß die Soldaten im Feld ihre Verpflegung um so leichter erhielten, so lobe er das sehr. Uebrigens sollten sie tapfer Stand halten und den Feinden in Nichts nachgeben. Denn wenn die Stadt sich nur aufrecht erhalte, so sei schon große Hoffnung vorhanden, daß mit ihnen selbst eine Aussöhnung stattfinden werde; wenn aber einer von beiden Theilen unterliege, sei es nun der auf Samos oder jene zu HauS, so sei nicht einmal Einer mehr da, mit dem man sich aussöhnen könne.

ES erschienen aber auch Gesandte der Argiver, welche der Volkspartei der Athener auf Samos ihrerseits Hülfe ankündigten. Alkibiades lobte sie deßhalb, sagte ihnen, sie sollten erscheinen, wenn man sie rufe, und entließ sie damit. Die Argiver waren aber mit den Paraliern gekommern, welche damals von den Vierhundert aus ein Soldatenlastschiff versetzt und beauftragt worden waren, um Euböa zu kreuzen, und als sie dann die Abgesandten der Vierhundert nach Lakedämon, den LaiSpodias und Aristophon und Melesias, zu führen hatten, und eben auf Argos lossteuerten, ergriffen sie diese Gesandten und lieferten sie den Argivern aus als solche, die am Umsturz der Volksregierung vorzüglich mitschuldig seien; sie selbst aber kehrten nicht mehr nach Athen zurück, sondern kamen jetzt mit ihrem Dreiruderer nach Samos und brachten die Gesandten von Argos mit.

Um eben dieselbe Zeit in jenem Sommer, als die Peloponnesier sowohl aus den andern Gründen, als auch wegen der Rückkehr des Alkibiades aus den Tissaphernes sehr erzürnt waren, da er es bereits ganz offen mit den Athenern halte, so wollte dieser, wie eS wenigstens scheint, diese Anklagen zum Schweigen bringen und schickte sich an, zu den Phönikischen Schiffen nach Aspcndos zu gehen. Den Lichas erbat er sich als Begleiter. Dem Heere, sagte er, wolle er den TamoS beigeben, seinen Unterstatthalter, der ihnen während seiner eigenen Abwesenheit die Verpflegung liefern solle. ES wird nun über diese Sache nicht übereinstimmend berichtet, und

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man kann auch nicht leicht wissen, welche Absicht er dabei hatte, daß [*]( 411 v. Chr. ) er nach Aspendos ging und die Schiffe doch nicht mitbrachte. Denn daß hundert und siebenundvierzig Phönikische Schiffe wirklich bis nach Aspendos gekommen sind, daS ist gewiß; weßhalb sie aber nicht weiter gingen, darüber bestehen verschiedene Vermuthungen. Die Einen nämlich sagen, er habe durch seine Abwesenheit, wie denn dieß auch in seinem Plane lag, die Peloponnesier noch mehr schwächen wollen — und Tamos, dem die Sache aufgetragen war, lieferte dem Heere die Verpflegung allerdings um Nichts besser, sondern noch nachlässiger; — Andere sagen, er habe die Phöniker bis nach Aspendos kommen lassen, um für ihre Entlassung von ihnen Geld zu erpressen — denn benützt würde er sie in keinem Falle haben; — Andere wieder, er habe eS nur der Anklagen wegen gethan, die über sein Benehmen nach Lakedämon gedrungen seien, damit man sagen müsse, daß er doch seine Sache thue und sich wirklich zu der in der That kriegsbereiten Flotte begebe. Mir dünkt es am allerwahrscheinlichsten, daß er, um die Hellenen aufzureiben und hinzuhalten, eS unterlassen hat, jene Flotte herbeizuführen; denn geschwächt wurden sie, während er dort abwesend war und zögerte, und dadurch, daß er keinen von beiden Theilen durch seinen Beitritt zum überlegenen machte, erreichte er, daß zwischen beiden ein Gleichgewicht der Macht erhalten blieb; hätte er nämlich den Krieg zur Entscheidung führen wollen. so konnte gar kein Zweifel sein; denn wenn er die Schiffe den Lakedämoniern zuführte, so gab er ihnen damit unzweifelhaft den Sieg, da dieselben sogar unter den gegenwärtigen Umständen ihren Gegnern an SchiffSmacht eher gleichstanden, als nachstanden. Deutlich überführt ihn auch der Vorwand, mit welchem er das Nicht- mitbringen der Flotte zu entschuldigen suchte. Er sagte nämlich, die Schiffe seien in geringerer Zahl zusammengekommen, als der König eS befohlen hätte. In diesem Falle aber hätte er beim König eher noch Gunst erlangt, da er ihm Geld erspart und mit geringen Mitteln doch Dasselbe ausgerichtet hätte. Nach Aspendos indessen kam Tissaphernes wirklich, in welcher Absicht es auch immer geschah, und traf daselbst die Phöniker, und die Peloponnesier schickten auf seine Aufforderung den Philippos, einen Lakedämonier, jener Schiffe wegen mit zwei Dreiruderern mit.

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[*]( 411 v. Chr. ) Alkibiades aber, als er erfuhr, daß Tissaphernes nach AspendoS gehe, nahm dreizehn Schiffe und fuhr ebenfalls dahin, indem er denen auf Samos ganz sichere und große Vortheile verhieß — denn entweder werde er selbst die Phönikischen Schiffe den Athenern zuführen, oder doch verhindern, daß - sie zu den Peloponnesiern stießen — höchst wahrscheinlich wohl, weil er die Absicht des TissapherneS schon seit länger kannte, daß er die Schiffe nämlich in keinem Falle mitbringen werde, und weil er den Tissaphernes seiner Freundschaft zu ihm und den Athenern wegen mit den Peloponnesiern möglichst verfeinden wollte, damit er dadurch um so mehr genöthigt werde, sich ihnen anzuschließen. Er ging also in See und richtete seinen Lauf ostwärts gegen Phaselis und Kaunos.

Als nun die von Samos zurückkehrenden Abgesandten der Vierhundert den Bescheid des Alkibiades zu Athen meldeten, daß er sie ausfordere, den Krieg beharrlich fortzuführen und den Feinden in Nichts nachzugehen, und daß er große Hoffnung habe, das Heer mit ihnen auszusöhnen und die Peloponnesier zu besiegen, so wurde die Mehrzahl der an der Oligarchie Betheiligten, die schon seit einiger Zeit sehr gern auf irgend eine Weise der Sache los und ledig geworden wären, wenn es nur mit ihrer Sicherheit anginge, in dieser ihrer Absicht noch viel mehr bestärkt. Schon hielten sie Zusammenkünfte und beklagten und tadelten die Verhältnisse, und an der Spitze standen dabei die Angesehensten unter den Feldherrn und höheren Beamten, wie TherameneS, Sohn des Hagnon, und AristokrateS, des SkelliaS Sohn, und Andere, welche mit an der Spitze der Geschäfte standen, jetzt aber, wie sie sagten, das Heer auf Samos fürchteten und den Alkibiades, und diejenigen unter den Oligarchen, welche Gesandte nach Lakedämon schickten: daß dieselben nämlich ohne Zuziehung der Mehrzahl etwas zum Unheil der Stadt unternehmen möchten, und zwar nicht in dem Sinne, daß die allzuschars ausgesprochene Oligarchie aufgegeben werden solle. Aber man müsse jetzt die Fünftausend nicht nur dem Namen nach, sondern auch in der That einführen und die Regierungsgewalten mehr nach dem Recht der Gleichheit Aller vertheilen. Dieß war aber nur ein Deckmantel, den sie in > ihren Reden.brauchten, um die Bürger zu gewinnen; in der That aber gab sich die Mehrzahl unter ihnen aus persönlichem Ehrgeiz

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solchen Bestrebungen hin, durch welche fast jede Oligarchie, die aus [*]( 411 v. Chr. ) der Demokratie hervorgegangen ist, sich selbst zu Grunde richtet. Denn vom ersten Tag an will Keiner nicht nur nicht mehr den Andern gleich, sondern sogar vor allen Andern der Erste sein 5 bei Mahlen aber-, die nach.demokratischen Gesetzen stattfinden, erträgt Einer leichter das Ergebniß, da er ja von seines Gleichen nicht zurückgesetzt. werden kann. Am meisten beunruhigte sie aber offenbar die gesicherte Macht des Alkibiades auf Samos, und daß sie selbst keinen Glauben an den Bestand der Oligarchie hatten, und deßhalb eben suchte Jeder dem Andern den Rang abzulaufen, um nur ja der erste Vorsteher einer demokratischen Regierung zu werden.- " '

Hingegen hatten diejenigen unter den Vierhundert', welche einer solchen Gestaltung der Verhältnisse am meisten feindselig waren und jetzt die oberste Leitung in Händen hatten, — PhrynichoS nämlich, welcher damals als Feldherr aus Samos sich mit dem Alkibiades zerworfen hatte, und AristarchoS, einer der entschiedensten und erbittertsten Gegner der Demokratie, und Peisandros und Antiphon und Andere der Vornehmsten, —, schon früher unmittelbar nach ihrem Regierungsantritt und als die auf Samos zur Demokratie übertraten, Abgesandte nach Lakedämon geschickt und eifrig eine Aussöhnung erstrebt und auch , das Kastell in der sogenannten Eetioneiä gebaut,'—und jetzt, da ihre Gesandten von Samos zurückgekehrt waren und sie auch den größten Theil ihrer für treu ergeben gehaltenen Anhänger, umschlagen, sahen, betrieben sie daS Alles noch.viel entschlossener. Den.Antiphon und PhrynichoS mit noch zehn Andern schickten sie in ihrer Furcht vor den Zuständen in Athen.und auf Samos in aller Eile nach Sparta/und trugen ihnen auf, unter jeder nur irgendwie annehmbaren Bedingung mit den Lakedämoniern einen Vergleich abzuschließen, und betrieben unterdeß den Bau in der Eetiöneia noch viel eifriger. Ihre Absicht bei diesem Festungsbau war, wie Theramenes und seine Partei sagten, keineswegs die, im Stande zu sein, die von Samos, wenn sie einen gewaltsamen Angriff versuchen sollten, am Einlaufen in den Piräeus verhindern zu können, sondern vielmehr die Feinde, wenn eS ihnen beliebte, mit Land- und Seemacht aufzunehmen. Die Eetioneia ist nämlich der Hafendamm des Piräeus, und unmittelbar bei demselben ist die Einfahrt. Der

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[*]( 4ll v. Chr. ) Bau auf diesem Damm wurde nun mit der schon vorher auf dem Festlande gezogenen Mauer in der Art verbunden, daß man mit einer Besatzung von einer Handvoll Leuten die Einfahrt beherrschte. Denn bei dem einen der beiden Thürme an der engen Hafeneinfahrt endigte sich die alte Mauer nach dem Festland und zugleich auch die neue, innerhalb am Meer aufgebaute. Sie bauten daselbst auch ein gischlossenes Lagerhaus von sehr großem Umfang und unmittelbar bei dieser Befestigung im Piräeus, dessen Verwaltung sie selbst vorstanden. Sie nöthigten nämlich Jeden, alles vorhandene oder zugeführte Getreide in dasselbe zu bringen und eS beim Verkauf wieder aus demselben zu entnehmen.

Daß sie solche Absichten verfolgten, hatte Theramenes schon seit längerer Zeit zu verbreiten gewußt, und als nun die Gesandten aus Lakedämon zurückkehrten, ohne etwas ausgerichtet zu haben, was für Alle annehmbar gewesen wäre, so behauptete er, diese Befestigung könne sogar den Untergang der Stadt herbeiführen. Um eben dieselbe Zeit nämlich lagen zweiundvierzig Schiffe, welche sich die Euböer vom PeloponneS erbeten hatten, und unter denen auch Italische aus Tarent und Lokri und einige Sicilianische waren, bereits bei Las in Lakonien vor Anker und rüsteten sich zur Fahrt nach Euböa. ES befehligte dieselben der Spartiate AgesandridraS, deS Agesandros Sohn. Theramenes behauptete nun, diese Schiffe sollten nicht sowohl denen auf Euböa, als vielmehr denen, welche die Eetioneia befestigten, zu Hülfe kommen, und eS sei die höchste Zeit, daß man sich vorsehe, sonst werde man sich plötzlich vom Verderben überrascht sehen. Und in der That war auch von Seiten derer, welche diese Beschuldigung traf, etwas der Art im Werk, und die Anklage war nicht blos leeres Gerede. Denn freilich hätten sie von vorn herein am liebsten als Oligarchen auch über die Bundesgenossen geherrscht, und wenn schon das nicht, doch wenigstens im Besitz der Flotte und der Festungen nach eigenem Belieben regiert; war aber auch das nicht mehr möglich, so hätten sie, um nur nicht vor Andern die ersten Opfer der wiederhergestellten Demokratie zu werden, selbst auch die Feinde herbeigeführt und auch mit Preisgebung der Festungen und Flotte sich mit ihnen verglichen, um nur — auf welche Weise eS auch immer

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sei — die Stadt in ihrer Macht zu behalten, wenn sie nur für ihre [*]( 411 v.. Chr. ) eigene Person sicher blieben.

Aus diesen Gründen also bauten sie so eifrig an dieser Befestigung, welche auch kleine Pforten und Einlaßgänge für die Feinde hatte, und gedachten mit derselben noch rechtzeitig fertig zu werden. Anfangs nun ging jenes Gerede nur zwischen Wenigen hin und her und mehr im Geheimen; als aber Phrynichos, von der Gesandtschaft nach Sparta zurückgekehrt, von einem Manne aus der Landwehr bei vollem Markte und nicht weit vom Rathhause, aus dem er eben wegging, nach einem verabredeten Plane verwundet wurde und augenblicklich den Geist aufgab, entkam zwar der Mörder selbst, aber sein Mithelfer, ein Argiver, wurde ergriffen und auf Befehl der Vierhundert auf die Folter gelegt. Er gab jedoch weder den Namen eines Anstifters, noch sonst etwas an, sondern behauptete nur zu wissen, daß in der Wohnung des Anführers der Landwehr und in andern Häusern viele Leute Versammlungen zu halten pflegten.

Als nun auf diese Begebenheit die Vierhundert nichts Entscheidendes vornahmen, so gingen Theramenes und Aristokrates und wer sonst von den Vierhundert oder von den Andern zu ihrer Partei gehörte, bereits entschiedener an die That. Gleichzeitig waren nämlich auch die Schiffe von Las herumgesegelt, hatten sich bei EpidauroS vor Anker gelegt und bis vor Aegina gekreuzt, und Theramenes sagte: wenn diese Schiffe nach Euböa segeln sollten, so habe eS doch keinen Sinn, daß sie bis in die Bucht von Aegina hereinkämen und dann wieder bei Epidauros vor Anker gingen, wenn sie nicht vielmehr eben in der Absicht herbeigerufen seien, deren er jene immer beschuldige. Da dürfe man jetzt nicht mehr ruhig zusehen. Endlich, nachdem viele aufreizende und verdächtigende Reden gefallen, ging man an's Werk. Die Schwerbewaffneten im Piräeus, welche an dem Bau auf der Eetioneia arbeiteten, und unter denen auch Aristokrates als Hauptmann und Anführer seiner Stammabtheilung sich befand, ergriffen nämlich den AlexikleS, einen Feldherrn aus den Oligarchen, der seinen Genossen sehr ergeben war, brachten ihn in ein HauS und hielten ihn hier eingesperrt. Dabei half ihnen unter Andern auch [*]( 55) Peripolo». vergl. IV, K7 und Anm- 34. ) [*]( ThukydideS. VIN. ) [*]( 21 )

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[*]( 411 v. Chr. ) Hermon, Anführer der nach Munychia kommandirten Landwehr; und was das wichtigste ist, der große Haufe der Schwerbewaffneten war damit einverstanden. ' , "

Als dieß den Vierhundert gemeldet wurde — sie hatten eben zufällig Sitzung im Rathhaus — so waren sie mit Ausnahme derer, welche mit dem Stand der Dinge unzufrieden waren, augenblicklich bereit, zu den Waffen zu greifen, und stießen Drohungen aus gegen den Theramenes und seine Genossen. Der aber wies die Beschuldigungen von sich und erklärte: wie er dastehe, sei er ganz bereit, mit ihnen zu gehen und den Alexikles befreien zu helfen. Er nahm auch einen der Feldherren mit, der mit ihm einverstanden war,-und ging nach dem Piräeus. Auch Aristarchos und junge Leute von den Rittern eilten dahin. Es entstand nun ein großer und panischer Schrecken; denn die in der Stadt glaubten, der Piräeus sei schön besetzt und der Gefangene ermordet, und die im Piräeus meinten, daß man aus der Stadt jeden Augenblick gegen sie anrücken werde. Die älteren Leute indeß suchten die in der Stadt Umherläufenden und zu den Waffen Eilenden zurückzuhalten, und auch der Pharsalier Thukydides Staatsgastsreund der Athener, der grade anwesend war, rief voller Eifer den Einzelnen, wie sie ihm grade in den Weg kamen, zu, sie möchten doch nicht, während die Feinde in der Nähe lauerten, ihre Vaterstadt selbst in's Verderben stürzen;- und so beruhigten sie sich und ließen von einander ab. '

. Theramenes nun kam in den.PiräeuS — er war nämlich auch Feldherr — und schrie die Schwerbewaffneten laut an und thah als ob er ihnen zürnte; Aristarchos aber und die Gegner (des Volks) waren wirklich voll Zorn und Wuth. Doch der größte Theil der Schwerbewaffneten trat zusammen wie zum Kampf und zeigte'keineswegs Reue; und den Theramenes fragten sie, ob er denn glaube, daß die Befestigung in guter Absicht erbaut worden sei, und ob es nicht besser sei, sie niederzureißen. Da erklärte dieser: nun, wenn es ihnen gut dünke, sie einzureißen, so sei er auch der Meinung. Und nun erstiegen allsogleich die Schwerbewaffneten und viele von den Leuten im Piräeus die Mauern und rissen sie nieder. Dem Volks- Hausen rief man zu: wer wolle, daß die Fünftausend herrschten, anstatt ter Vierhundert, der solle-nur mit Hand anlegen. Demnach

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versteckte man sich hinter den Namen der Fünftausend, und wer die [*]( 411 V, Chr. ) Volksherrschaft wünschte, wagte es nicht geradezu herauszusagen, ans Furcht, die Fünftausend könnten wirklich schon erwählt sein, und man könne sich in Unkenntniß dessen leicht durch ein Wort verrathen Die Vierhundert hatten aber grade eben deßwegen weder gewollt, daß die Fünftausend erwählt würden, noch auch, daß es bekannt werde, sie seien noch nicht gewählt, da sie die Einsetzung so vieler Mitbeteiligten gradezu als eine Volksregierung betrachteten, und auf der andern Seite die Gewißheit von ihrem NichtVorhandensein unter den Bürgern Furcht erregen mußte.

Am folgenden Tage kamen die Vierhundert trotz ihrer Bestürzung gleichwohl im Rathhause zusammen, die Schwerbewaffneten im Piräeus aber ließen den Alexikles, den sie eingesperrt hatten, frei und zogen, nachdem sie die Befestigungen abgetragen hatten, nach dem Dionysos-Theater im Piräeus gegen Munychia hin und hielten hier, Gewehr bei Fuß, eine Berathung, in der beschlossen wurde, in die Stadt zu marschireu, was sie auch sofort thaten und im Anakeion 56) sich bewaffnet aufstellten. Hier kamen nun Einige aus den Vierhundert, die man dazu gewählt hatte, zu ihnen, gingen die Einzelnen an und beredeten diejenigen, die sie zugänglicher sahen, sich für ihre eigene Person ruhig zu verhalten und so auch die Uebrigen zu beschwichtigen. Sie sagten dabei: man werde die Fünftausend bezeichnen und aus diesen der Reihe nach, wie die Fünftausend selber beschließen würden, die Vierhundert auswählen: indeß solle man ja nicht den Staat in's Verderben stürzen und den Feinden in die Hände liefern. Auf dieß viele Zureden von vielen Seiten zeigte sich denn auch der ganze Haufe der Schwerbewaffneten milder als Anfangs, und es trat bei ihnen jetzt mehr die Beforgniß für die Erhaltung des ganzen Gemeinwesens in den Vordergrund, und so gaben sie denn nach, unter der Bedingung, daß zur Herstellung des gänzlichen Einvernehmens an einem bestimmten Tag eine VolkSverfamm-. lung im Dionysion gehalten werde.

Als nun der Tag für diese Versammlung gekommen, und im Heiligthum des Dionysos fast Alles schon beisammen war, [*]( 58) Tempel der Die-taten. ) [*]( 21 )

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[*]( 411 v. Chr. ) kam Plötzlich die Nachricht, daß Agesandndas mit den zweiundvierzig Schiffen von Megara her an Salamis vorübersegele, und nun glaubte Jeder von der Volkspartei, daß jetzt eben das eintreffe, was von Theramenes und seinen Genossen schon längst vorausgesagt worden war, daß nämlich die Schiffe zu der Befestigung heransegelten, und es erschien nun als sehr heilsam, daß man dieselbe niedergerissen habe. Vielleicht kreuzte nun auch Agesandndas wirklich in Folge einer Verabredung um Epidauros und in den dortigen Gewässern; es ist aber auch möglich, daß er sich wegen der augenblicklichen inneren Unruhen unter den Athenern dort aufhielt, in der Absicht, im günstigen Falle bei der Hand zu sein. Die Athener aber, sobald diese Botschaft ankam, rückten sogleich mit gesammter Macht im Laufschritt nach dem Piräeus, in der Meinung, daß eben jetzt ihr innerer Krieg stärker hervortrete, als der von den Feinden drohende, und daß er nicht in der Ferne seinen Sitz habe, sondern in-ihrem Hafen selbst. Die Einen stiegen auf die schon bereit liegenden Schiffe, Andere zogen die übrigen in's Wasser, und wieder Andere eilten zur Abwehr aus die Mauern und an die Mündung des Hafens.

Die Schiffe der Peloponnesier fuhren aber vorüber, umsegelten Sunion und gingen zwischen Thorikos und Prasia vor Anker; später gingen sie bis Oropos. Die Athener waren genöthigt, sich in der Eile auch ungeübter Schiffsmannschaft zu bedienen, da die Stadt in innerem Zwiespalt lag, und sie so rasch als möglich einer solchen Lebensfrage wegen sich zur Abwehr stellen wollten — denn bei der Absperrung Attika's war Euböa jetzt ihr Alles — und so schickten sie den ThymochareS als Anführer mit Schiffen nach Eretria, welche, mit dem schon früher bei Euböa stationirten Geschwader vereinigt, sechsunddreißig Segel ausmachten. Dieselben wurden auch sofort zu einem Seegefecht gezwungen. AgefandridaS nämlich ließ seine Leute das Frühmahl nehmen und kam dann von OropoS her angesegelt, welches von der Stadt der Eretrier ungefähr sechzig Seestadien entfernt liegt. Als er nun heransteuerte, befahlen auch die Athener sogleich ihre Schiffe zu bemannen, im Glau­ [*]( n) Ein Stt-Stadion — 2/,g des gewöhnlichen, also 450 grltch. Fuß, 44 Ruthen rhtinl. )

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ben, daß ihre Mannschaft sich in der Nähe der Fahrzeuge aufhalte. [*]( 411 v. Chr. ) Diese hatten aber, als sie nach Lebensmitteln ausgingen, auf dem Markte Nichts zu ihrer Mahlzeit gefunden — die Eretrier hatten es nämlich so veranstaltet, daß hier Nichts zum Kauf geboten wurde — sondern nur in den entlegensten Häusern der Stadt, damit die Athener ihre Schiffe nur langsam bemannen könnten, während die Feinde sie bereits anfielen und nöthigten, zum Kampfe anszulaufen, wie sie gerade waren. Den Feinden war auch von Eretria aus ein Zeichen nach OropoS gegeben worden, wann sie auslaufen sollten. So schlecht gerüstet also fuhren die Athener aus und nahmen den Seekampf vor dem Hafen der Eretrier an. Gleichwohl hielten sie eine ziemliche Zeit Stand, dann aber wurden sie zur Flucht gezwungen und gegen das Land hin verfolgt. Und die von ihnen, welche sich nach Eretria, als in eine befreundete Stadt, flüchteten, zogen sich das schmählichste Schicksal zu, denn sie wurden von den Eretriern ermordet. Die sich aber in das Kastell der Stadt warfen, welches die Athener besetzt hielten, retteten sich, und so auch diejenigen Schiffe, welche nach Chalkis entkamen. Die Peloponnesier hatten aber zweiundzwanzig Schiffe der Athener genommen und die Mannschaft theils getödtet, theils gefangen genommen und stellten dann ein Siegeszeichen auf. Und nicht lange danach hatten sie den Abfall von ganz Euböa, nur Oreos ausgenommen, bewirkt — diese Stadt nämlich hielten die Athener noch besetzt — und auch alles Umliegende unter sich gebracht.

Der Athener aber, als die Nachricht von diesen Ereignissen bei Euböa in die Stadt kam, bemächtigte sich die allergrößte Bestürzung, so wie sie früher nie dagewesen. Denn weder das Unglück auf Sicilien, obgleich es damals hoch genug angeschlagen wurde, noch sonst irgend ein anderer Unfall hatte sie so in Furcht und Schrecken gesetzt. Das Heer auf Samos war von ihnen abgefallen, andere Schiffe waren nicht mehr da, noch auch Leute zur Bemannung; sie selbst waren unter sich zwiespältig, und keinen Augenblick war man sicher, ob es nicht unter ihnen selbst zum Losschlagen käme; und nun war noch ein solches Unglück dazugekommen, durch welches sie ihre Schiffe und, was das Wichtigste war, Euböa verloren, woher sie mehr Nutzen gehabt hatten, als aus Attika; — wie hatten sie da

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[*]( 411 v. Chr. ) also nicht den Muth verlieren sollen? Am allermeisten beunruhigte sie aber die in nächster Nahe drohende Gefahr, wenn die siegreichen Feinde es wagen würden, sogleich gegen den Piräeus loszusegeln, der von Schiffen ganz entblößt war, und jeden Augenblick glaubte man, sie müßt«-« erscheinen. Und in der That hätten die Feinde dieß leicht durchgesetzt, wenn sie nur etwas kühner gewesen wären; und entweder hätten sie, wenn sie die Stadt blokirten, das Zerwürsniß in derselben noch erweitert, oder wenn sie sich festsetzten und dieselbe belagerten, die athenischen Schiffe von Jonien, trotz deren Feindschaft gegen die Oliga-rchie, herbeizukommen gezwungen, um den eigenen Angehörigen und dem Gesammtstaat Hülfe zu leisten; und in diesem Falle wäre der Hellespont und Jonien und die Inseln und alles Land bis Euböa hin, und sozusagen die ganze Herrschaft der Athener ihnen in die Hände gefallen. Aber nicht nur bei dieser Gelegenheit allein zeigten sich die Lakedämonier den Athenern als Feinde, deren Kriegführung den Vortheil auf ihrer Seite ließ, sondern auch in vielen anderen. Schon im Charakter beider Theile lag der größte Gegensatz; sie selbst waren rasch, jene langsam, — sie unternehmend, jene bedenklich; und hierin lag besonders für die Erhaltung ihrer Seeherrschaft der größte Nutzen. DaS haben besonders die Syrakusaner gezeigt, die dem Charakter nach den Athenern am nächsten standen und sie auch mit dem besten Glück zu bekämpfen wußten.

Auf jene Nachricht hin bemannten die Athener gleichwohl zwanzig Schiffe und beriefen eine Volksversammlung, und zwar jetzt zum ersten Male auf die sogenannte Pnyx, wo sie auch sonst zu tagen gewohnt waren, setzten die Vierhundert ab und beschlossen, die Staatsgeschäfte den Fünftausend zu übergeben — unter dieselben wählbar sollte Jeder sein, der als Schwerbewaffneter diente — und keinerlei Amt und Behörde sollte Gehalt empfangen; und falls Einer sich dem nicht fügen wollte, so legten sie den Fluch darauf. Es wurden auch noch weitere zahlreiche Versammlungen abgehalten, in deren Folge Gesetzgeber gewählt und auch sonst die nöthigen Beschlüsse für die Verwaltung gefaßt wurden. Und gewiß ist in der ersten Zeit Athen, soweit meines Lebens Erfahrung reicht, auf's Beste regiert worden; denn es fand eine maßvolle Mischung der oligarchischen und demokratischen Regierungsgrundsätze Statt, und das war es auch, waS

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den Staat aus dem Unglück zuerst wieder emporbrachte. Es wurde [*]( 411 v. Chr­ ) auch beschlossen, daß Alkibiades und Andere mit ihm zurückkehren durften, und an ihn selbst, sowie an das Heer aus Samos schickte man Botschaft, daß sie sich an der Staatsführung wieder betheiligen sollten.

Während dieser Umwandlung der Verfassung gingen gleich Anfangs die Genossen des Peisandros und AlexikleS, und wer sonst bei der Oligarchie zumeist betheiligt war, heimlich davon und nach Dekeleia über. Nur Aristarchos allein raffte schnell einige der wildesten Kerle unter den barbarischen Bogenschützen zusammen, denn zufällig war er auch Feldherr, und rückte vor Oenoe. Dieß war ein Kastell der Athener auf der Gränze gegen Böotien, welches damals die Korinther belagerten, weil sie durch die Besatzung desselben ein Unglück erlitten, die nämlich ihre von Dekeleia zurückmarschirende Mannschaft zusammengehauen hatte. Auf ihre Einladung hatten sich auch die Böotier freiwillig angeschlossen. Mit diesen Belagerern nun machte Aristarchos gemeinsame Sache und täuschte auch die in Oenoe, indem er ihnen vorlog, die Athener in der Stadt hätten sich mit den Lakedämoniern verglichen, und unter Andern sollten auch sie den Platz den Böotiern übergeben, denn das sei "auch in dem Vertrage bestimmt. Jene aber glaubten ihm, da er Feldherr war, und sie selbst der Belagerung wegen von Nichts Kenntniß hatten, und verließen den Platz gegen freien Abzug. Auf diese Weise nahmen die Böotier Oenoe in Besitz, und auf die erzählte Art fand die oligarchische Regierung und die Parteiung in Athen ihr Ende.

Um dieselbe Zeit in diesem Sommer geschah mit den Peloponnesiern vor Milet Folgendes. Von denen, welche Tissaphernes bei seiner Abreise nach Aspendos dazu eingesetzt hatte ^8), lieferte ihnen Keiner die Verpflegung, und weder die phönikischen Schifft, noch auch Tissaphernes wollten sich blicken lassen; Philippos aber, der mit jenem abgeschickt worden war, und ein anderer spartiatischer Mann, Namens Hippokrates, welcher sich damals zu PhaseliS aufhielt, hatten an Mindaros den Admiral, geschrieben, daß die Schiffe [*]( 58) Tamoö und seine Leute. VIII, 87. ) [*]( 59) Vergl. VIII, 85. 87. )

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[*]( 411 v. Chr. ) nicht erscheinen würden und daß Tissaphernes sie in Allem und Jeglichem zu ihrem Schaden betrüge. Gleichzeitig nun hatte sie auch Pharnabazos eingeladen, der sich eifrig darum bemühte, ihre Schiffe an sich zu ziehen und ebenfalls so, wie Tissaphernes, die noch übrigen Städte in seinem Gebiete zum Abfall von den Athenern zu bringen, in der Hoffnung, davon einigen Vortheil zu haben. So ging denn Mindaros in bester Ordnung, und nachdem er den Befehl dazu erst im letzten Augenblick ertheilt hatte, damit die Athener auf Samos Nichts merkten, mit dreiundsiebenzig Schiffen von Milet unter Segel nach dem Hellespont. Es waren aber in demselben Sommer schon früher sechzehn Schiffe dorthin gegangen, welche auch einen Theil der Küsten des Hellespont verheert hatten. Er selbst indeß wurde vom Sturm überfallen und genöthigt, bei Ikaros vor Anker zu gehen, wo er wegen der Unsee fünf oder sechs Tage liegen blieb und dann nach Chios ging.