History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Wahrmund, Adolf, translator. Stuttgart: Krais and Hoffmann, 1864.

„Auf diese Verwirrung nun und auf das an sich selbst verzweifelnde Glück unserer ärgsten Feinde laßt uns mit Zorn erfüllt den Angriff machen! Halten wir nur fest, daß vollkommen rechtmäßig handelt, wer zur Bestrafung des Angreifers den ganzen Grimm seines Muths an ihm ausläßt, und daß es uns so auch zu Theil werde, an den Feinden Rache zu nehmen, was ja dem Sprüche nach das süßeste ist. Daß sie aber unsere Feinde und erbittertsten Feinde sind, das wißt ihr Alle, sie, die ja in unser Land gekommen sind, um es zu knechten! Und wäre es ihnen gelungen, fürwahr, sie hätten den Männern das Schmerzlichste angethan, und den Namen der ganzen Stadt hätten sie unehrlich gemacht. Dafür aber darf auch Keiner sich erweichen lassen, oder eS schon für einen Gewinn halten, wenn wir sie, ohne weitere Gefahr zu wagen, entkommen lassen, denn das wird ihnen ohnehin zn Theil, wenn sie den Sieg davontragen. Ergeht es ihnen aber so, wie es zu erwarten ist und wir es wünshcen, daß sie nämlich gezüchtigt werden und SicilienS altgewohnte Freiheit durch uns noch fester begründet wird, so war der Kampf ein erhabener. Unter allen Wagnissen sind die die seltensten, aus welchen im Fall des Mißlingens nur geringer Schaden, im Fall des Gelingens aber so unendlicher Vortheil erwächst."

Nachdem also auch die Feldherren der Syrakusaner und Gylippos mit solchen Worten ihre Soldaten ermuthigt hatten, so bemannten sie auch ihrerseits rasch die Schiffe, als sie die Athener das Gleiche thun sahen. Nikias aber, wegen der Lage der Dinge verwirrt, und sehend, wie groß und nah die Gefahr bereits sei, da man eben fast schon im Begriff war auszukaufen, glaubte, wie es bei Kämpfen von so entscheidender Wichtigkeit meist der Fall zu sein pflegt, es fehle überall noch etwas und auch geredet sei noch nicht genug, und so berief er denn die einzelnen Schiffshauptleute, indem er Jeden mit seines Vaters und seinem eigenen Namen und nach seinem Stamme anredete, und forderte sie aus, daß Keiner, was er

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selbst an Ruhm erworben, heute in die Schanze schlagen, noch auch [*]( 413 v. . Chr. ) die Tugenden, durch welche ihre Vorfahren geglänzt, verdunkeln lassen sollte. Er erinnerte sie an das Vaterland, das selbst der herrlichsten Freiheit genieße und jedem Einzelnen schrankenlose Freiheit gewähre, seine Lebensweise zu gestalten. Dieß und Anderes sagte er, wie eS Menschen in solcher Lage eben vorzubringen pflegen, ohne sich daran zu stoßen, daß es Einem veraltet erscheinen könne,' da ja in allen Fällen immer dasselbe vorgebracht wird: Weib und Kind und: die vaterländischen Götter; aber man hält es in so verzweifelten Umständen eben für wirksam, und so ruft man sich's einander zu." Nikias nun, nachdem er nicht sowohl Genügendes, als vielmehr nur das Nothwendigste gesagt zu haben glaubte, ^brach auf und führte das Landheer an's Meer hinab und stellte es da in möglichst ausgedehnter Linie auf, um hieraus zur ErmuthigunK derer sauf den Schiff fen möglichsten Vortheil zu ziehen; Demosthenes aber und MenandroS und Euthydemos — denn diese hatten als Feldherren die Schiffe der Athener bestiegen — setzten.sich von ihrem Standlager aus in Bewegung und fuhren grade auf die Sperrung des Hafens und den noch offen gelassenen Raum los, um sich die Ausfahrt zu erzwingent

Die Syrakusaner aber und ihre Bundesgenossen.waren ungefähr mit der gleichen Schiffszahl wie früher bereits ausgelaufen und bewachten mit einem Theil derselben die Ausfahrt, sowie auch die übrigen Theile des Hafens rings herum, damit sie die Athener von'allen Seiten zugleich angreifen und auch ihre Landtruppen ihnen' zu Hilfe kommen könnten, wo immer ihre Schiffe an's Land getrieben würden. Auf der Flotte der Syrakusaner befehligten Sikanos und Agatharchos, Jeder auf einem Flügel; Pythen und die Korinther hatten die Mitte. Als nun die Athener auf die Verfperrung stießen, siegten sie beim ersten Anlauf über die dort aufgestellten Schiffe und suchten die Sperrung zu durchbrechen; als aber dann von allen Seiten die Syrakusaner und Bundesgenossen auf sie losstürzten, so kam eS nicht blos bei der Sperrung zum Gefecht, sondern auch im. ganzen Hafen selbst, und es wurde hitziger gekämpft, als je vorher. Denn auf beiden Seiten herrschte bei der Rudermannshcaft der größte Eifer zum Ansegeln, wenn der Befehl dazu ertheilt wurde; die Steuerleute wetteiferten gegenseitig, sich in ihrer Kunst überlegen zu zeigen, und [*]( 15* )

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[*]( 4l3 v. Chr. ) die Schiffssoldaten thäten ihre Sache; wenn Schiff auf Schiff stieß, damit die Leistungen vom Verdeck nicht hinter der Geschicklichkeit der^ Andern zurückblieben.' Jeder beeiserte sich, in dem, was ihm befohlen war, sich als der Erste zu zeigend Als aber nun auf dem engen Raum viele Schiffe zusammenstießen — denn es war dieS die größte Schiffszahl, die je auf so winzigem Raume gefochten hatte, da, beide Flotten zusammengenommen, wenige an zweihundert fehlten'^) — so fanden sehr wenig Angriffe mit den Vordertheilen statt, weil man stich weder zum Anlauf zurückziehen, noch zwischendurch fahren konnte; Enterangriffe von der Seite aber, wie grade zufällig ein Schiff im Fliehen oder beim Angriffe eines andern auf ein drittes stieß, kamen häufiger vor. So lange ein Schiff noch im Heranrudern war, schütteten die vom Verdecke Wurfspeere, Pfeile und Steine in Menge über dasselbe aus; waren aber beide Schiffe zusammengestoßen, so wurden' die Soldaten handgemein und suchten Jeder das Schiff des Gegners zu besteigen. Es traf sich auch an vielen Punkten, daß wegen des Gedränges die Einen ein Schiff enterten und auf der andern Seite selber geentert würden, sowie auch, daß zwei oder mehr Schiffe im Gewühle sich an eines anklammerten und so die Steuerleute die Aufgabe hatten, sich der Einen zu erwehren und die Andern anzugreifen, nicht Eines nach dem Andern, sondern Vieles zugleich und nach allen Seiten.. Zugleich erhob sich ein großes Getöse von so vielen zusammenstoßenden'Schiffen und hinderte, verbunden mit dem Schrecken, daß die Stimmen der Befehliger gehört werden konnten. Denn vielfältiger Zuruf und Geschrei erschallte beiderseits von den Befehlshabern, wie es theils ihre Amtspflicht erheischte, theils der augenblickliche Wetteifer hervorrief. Den Athenern riefen die Ihrigen zu, sie sollten die Durchfahrt erzwingen und jetzt oder nie die Rückkehr in das Vaterland mit aller Anstrengung sich erkämpfen, — den Syrakusanern und ihren Bundesgenossen, wie ruhmvoll es sei, wenn sie jene' am Entkommen verhindern und so Jeder seines Vaterlandes Ruhm durch den Sieg erhöhen würde. Und die Feldherren selbst auf beiden Seiten, wenn sie Einen rückwärts tseuern sahen ohne dringenden Grund, riefen den Schiffshauptmann mit Namen an, und [*]( 37) Etwa U0j athenische, VIl. 60, und 76 syralusische, VI. III. 70. (Kr.) )
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die Athener fragten dabei, ob sie sich vielleicht zurückzögen, weil sie [*]( 413 v. Chr. ) das Land ihrer erbittertsten Feinde für sicherer hielten, als das Meer, dessen Herrschaft sie mit so vieler Anstrengung sich erkämpft hätten — die Syrakusaner aber, ob sie denn vor den Athenern, von. denen sie so gewiß wüßten, daß sie nur auf jede Weise zu entfliehen suchten, selber feig fliehen wollten.

, 'Die Landtruppen am Ufer aber, während die Seeschlacht unentschieden schwankte, erlitten beiderseits gewaltigen Kampf und Aufregung des Gemüths. Die Einheimischen in schon wachsendem Ehrgeiz wünschten noch ruhmvollere Thaten, die Partei der Angreifer fürchtete,, daß die Dinge für sie noch schlechter kommen könnten. Denn da alle Hoffnung der Athener, nur auf ihren Schiffen beruhte, so konnte ihre Furcht wegen des Kommenden mit Nichts verglichen werden, und deßhalb waren die Blicke derer vom Lande an den Seekampf gefesselt, dessen Verlauf sehr ungleichartig'war. Denn da der Schauplatz unter ihren Augen lag und nicht Alle zugleich nach derselben Stelle blickten, so wuchs den Einen der Muth, wenn sie irgendwo die Ihrigen siegreich sahen, und wendeten sich zur Anrufung der Götter, sie möchten sie doch nicht der Heimkehr berauben; die aber, welche eine Niederlage erblickten, wehklagten nnd erhoben Jammergeschrei und wurden' durch den Anblick des Geschehenden mehr entmuthigt, als die, welche selbst am Kampf betheiligt waren. Andere hinwiederum, die nach einer Seite hinschauten, wo das Seegefecht unentschieden schwankte, erlitten die schmerzlichste Aufregung wegen der langen'entfcheidungslosen Dauer des^Kampfes, indem sie dazu mit dem ganzen Körper Zeichen und Winke gaben, wie die höchste Angst sie. nach ihrer Auffassung des Geschehenden ihnen eingab; denn immer lag nur Haares Breite zwischen Entrinnen oder Verderben.. So war im Heere der Athener, so lange der Kampf ohne Entfcheidung'währte, Alles zugleich zu hören: Klage, Geschrei, Siegesjubel, Wehruf der Geschlagenen und was sonst für vielgestaltige Laute ein' gewaltiger Kampf großen Heeren abzwingt. Fast ebenso ging es bei denen auf den Schiffen selbst, bis denn endlich die Syrakusaner und ihre Bundesgenossen, nachdem die Wage der Seeschlacht lange hin und her geschwankt, die Athener zum Fliehen brachten, schon mit der Gewißheit deS Sieges nachdrängten und unter lautem

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[*]( 413 v. Chr. ) Geschrei und Zuruf an's Land hin verfolgten. Da sprang denn die Schiffsmannschaft, so viel ihrer nicht bereits auf der See gefangen worden waren, der Eine hier, der Andere dort an s Land und liefen dem Lager zu; die Landtruppen aber, jetzt nicht mehr schwankend und getheilt in der Stimmung, sondern von gleichem Drang bewegt, jammernd .und wehklagend Alle, in Verzweiflung ob des Geschehenen, eilten die Einen.den Schiffen zu Hilfe, die Andern zur Vertheidigung der Schanzen/ was davon noch übrig war; noch Andere, und zwar die Meisten, schauten sich nur nach eigener Rettung um. In diesem Augenblick war die Verwirrung so entsetzlich, wie sonst niemals, und die Athener hatten nun Aehnliches erlitten, wie das, was sie selber den Feinden, in Pylos angethan. Denn nachdem dort die Schiffe der Lakedämonier vernichtet waren, gingen ihnen auch noch die Leute verloren, "welche auf die Insel übergesetzt hatten. Nun blieb auch den Athenern keine Hoffnung, sich zu Lande zu retten, wenn nicht ganz Unerwartetes eintrat.' . ' » .

Nach diesem gewaltigen'Seekampfe, in welchem beide Theile viele Schiffe^) und Menschen verloren hatten, sammelten die siegreichen.Syrakusaner und ihre Bundesgenossen die Schiffstrümmer ..und die Todten und segelten dann nach der Stadt und errichteten ein Siegeszeichen; die Athener aber dachten wegen der Größe der augenblicklichen Gefahr nicht einmal daran, um die Auslieferung ihrer Todten oder Schiffstrümmer zu bitten, sondern faßten den Beschluß, sogleich in" der folgenden Nacht abzuziehen. Demosthenes seinerseits kam zu Nikias und meinte/ise sollten die noch übrigen Schiffe bemannen und wo möglich mit Tagesanbruch die Durchfahrt erzwingen, denn', sagte er, sie selbst hätten mchr'seetüchtige Schiffe übrig behalten, als die Feinde. Es waren nämlich den Athenern deren gegen sechzig /übrig geblieben, den Gegnern'aber nicht einmal fünfzig. Nikias nun trat seiner Meinung bei; als sie aber die Schiffe bemannen wollten, so weigerten sich die Männschaften, sie zu besteigen; so entnmthi'gt waren sie durch die Niederlage und so sehr verzweifelten sie, je wieder einen Sieg zu gewinnen. Demnach also vereinigte sich Aller Meinung dahin, daß man. zu Lande abziehen wolle. [*]( 38) Attische fünfzig, syrakusische secht und zwanzig; siehe den Schluß diese! Kap. )

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Hermokrates aber, der Syrakusier, vermuthete ihre Ab- [*]( 4l3 v. Chr. ) ficht, und da er es für sehr gefährlich hielt, wenn ein so zahlreiches Heer zu Lande sich zurückziehe und, sich irgendwo auf Sieilien festsetzend, von Neuem den Krieg gegen sie beginne, so ging er zu den Behörden und hielt ihnen vor, daß man nicht ruhig zusehen dürfe, wenn jene zur Nachtzeit abzögen; vielmehr, sagte er in Darlegung feiner Ansicht, sollten sämmtliche Syrakusaner und die Bundesgenossen ausziehen und die Wege verbauen und die Engpässe noch vorher rechtzeitig besetzen und bewachen. Jene nun waren auch schon für sich derselben Meinung und hielten dafür, man sollte dieß Alles thun; aber, meinten sie, die Leute, die jetzt nach der großen Seeschlacht froh wären sich ausruhen zu können, würden nicht gern gehorchen wollen, zumal auch ein Festtag sei — es wurde nämlich am selben Tag ein Heraklesopser gefeiert.

In ihrer großen Freude über den Sieg hätten sich die Meisten an dem festlichen Tage zu Trinkgelagen gewendet und würden sich eher zu allem Andern verstehen, als augenblicklich die Waffen zu ergreifen und auszuziehen. Da nun den Behörden die Sache aus diesen Ueberlegungen unthunlich erschien, so redete ihnen Hermokrates nicht weiter zu, sondern setzte ans eigene Faust die folgende List in's Werk. Weil er fürchtete, die Athener möchten während der Nacht in aller Stille einen Vorsprung gewinnen und die schwierigsten Stellen hinter sich bringen, so schickte er einige seiner Genossen, von Reitern begleitet, als es anfing zu dunkeln, zum Lager der Athener. Diese ritten so nahe heran, daß man sie hören konnte, und riesen einige Leute an, als ob sie Freunde der Athener wären — denn Nikias hatte unter den Syrakusanern seine Zuträger — und befahlen ihnen, dem Nikias zu sagen, er solle das Heer nicht zur Nachtzeit abführen, da die Syrakusaner die Wege besetzt hielten, sondern ruhig seine Anstalten treffen und bei Tage abziehen. Jene, nachdem sie dieß ausgerichtet, ritten wieder davon, und die sie gehört hatten, meldeten es den Feldherrn der Athener, die denn auch auf diese Meldung hin die Nacht über stehen blieben, indem sie an einen Betrug nicht glaubten.

Da es aber auch so nicht so rasch zum Abzug kam, so beschlossen sie auch noch den nächsten Tag zu bleiben, damit die Soldaten das Nöthigste so gut wie möglich zusammenpacken und alles

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[*]( ,4l3 v. Chr. ) Andere zurücklassen könnten, indem sie nur mitnähmen, was für die leiblichen Bedürfnisse das Ersprießlichste sei, um dann aufzubrechen. Die Syrakusaner aber und Gylippos kamen ihnen mit dem Landheere zuvor und versperrten die Wege im Lande, welche die Athener nothwendig passtren mußten, besetzten die Furten der Bäche und Flüsse, und stellten sich, wo es ihnen passend schien, auf, um das Heer der Feinde zu empfangen und am Weitermarsch zu hindern. Ihre Schiffe aber fuhren heran und zogen die Fahrzeuge der Athener vom User herab; einige wenige hatten die Athener ihrem Vorhaben gemäß verbrannt, die übrigen nahmen sie in aller Ruhe, ohne daß Jemand sie hinderte, wo grade jedes an's Land getrieben war, in's Schlepptau und brachten sie nach der Stadt.

Danach, als dem Nikias und Demosthenes Alles hinreichend vorbereitet schien, erfolgte endlich der Aufbruch des Heeres am dritten Tag nach der Seeschlacht. Es war aber ein jammervoller Auftritt aus mehr als einer Ursache. Nicht nur zogen sie jetzt ab, nachdem sie alle ihre Schiffe verloren hatten, und anstatt der Erfüllung ihrer großartigen Hoffnungen schwebten jetzt sie selber und ihr ganzer Staat in größter Gefahr, sondern es bot sich auch beim Verlassen des Lagers dem Auge eines Jeden Schmerzliches und den Sinn Verwundendes. Denn die Todten lagen unbegraben, und wenn Einer einen Angehörigen daliegen sah, so ergriffen ihn Schmerz und Furcht zugleich, und die, welche lebend zurückgelassen wurden, verwundet oder krank, waren den Ueberlebenden ein noch schmerzlicherer Anblick, als die Todten, und weitunglükclicher, als die Gefallenen. Denn sie streckten flehend die Hände aus und wehklagten und brachten sie zur Verzweiflung, indem sie baten, man möge sie doch mitnehmen. Und wenn Einer wo einen Freund oder Angehörigen sah, so riefen sie Jeden beim Namen an, und wenn ihre Zeltgenossen sich in Marsch setzten, so klammerten sie sich fest an sie und folgten ihnen, so weit sie konnten, und wenn Einen dann die Kraft verließ und die Glieder ihnen versagten, so blieben sie unter Beshcwörungen und Wehgeheul liegen, so daß das ganze Heer in Thränen unter diesem Widerstreit der Gefühle nur schwer abzog, obgleich sie Feindes Land verließen und sie selber schon Unheil erlitten hatten, das mehr als beweinenswerth war, und von der ungewissen Zukunft solches noch befürchten

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mußten. Dazu herrschte unter ihnen auch Beschämung und Selbst- [*]( 413 v. Chr. ) anklage, denn ihr Zug glich ganz und gar der flüchtigen Bevölkerung einer eroberten Stadt, und zwar einer nicht kleinen, denn nicht weniger als vierzig tausend Mann war die gesammte Masse stark, die sich in Marsch setzte. Und von diesen trugen nicht nur die Andern, was Jeder Brauchbares mitnehmen konnte, sondern sogar auchdie Schwerbewaffneten und die Reiter trugen zu ihren Waffen auch ihre Lebensmittel, theils aus Mangel an Waffenknechten ^), theils auch aus Mißtrauen; denn die Meisten derselben waren schon früher oder eben jetzt zu den Feinden übergelaufen. Gleichwohl hatten sie auch so nicht das Genügende zum Mitnehmen, da kein Brod mehr im Lager war. Das übrige Elend und die gleiche Betheiligung Aller an dem Unglück, die doch sonst bei einer großen Zahl von Mittragenden Erleichterung gewährt, wurde in der gegenwärtigen Lage deßhalb doch um nichts leichter genommen, zumal man von solchem Glanz und so großartigen Versprechungen des Beginnens zu solchem Ende und solcher Erniedrigung herabgekommen war. Denn eS war dieß der größte Glücksumschlag, den je ein Hellenisches Heer erlitten. Gekommen, um Andern Knechtschaft zu bringen, mußten sie nun abziehen in der Furcht, daß ihnen selber dieß Schicksal bevorstehe; anstatt glückverheißender Wünsche und Kriegsgesänge, in deren Geleit sie von , der Heimath abgesegelt waren, brachen sie jetzt unter den entgegengesetzten Zurufungen auf; aus Seeleuten waren sie Landsoldaten geworden, und anstatt Schiffsdienst zu thun, marshcirten sie jetzt als Schwerbewaffnete. Und doch schien ihnen selbst dieß Alles noch erträglich gegen die Gefahr, die noch drohend über ihren Häuptern schwebte.

Als nun Nikias das Heer so muthlos und ganz umgewandelt sah, so durchschritt er die Reihen, um sie zu ermuthlgen und zu trösten, so gut es anging, und wie er von den Einen zu den Andern vorschritt, steigerte er die Gewalt seiner Stimme, theils im Eifer, theils um möglichst weithin gehört zu werden und zu nützen: ^

„Auch in dieser unserer Lage, ihr Athener und Bundesgenossen, dürfen wir die Hoffnung nicht sinken lassen.. Schon Manche find aus noch schlimmeren Lagen, als diese ist, gerettet worden! [*]( 39) Mal. III, 17 und Anm. )

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[*]( 4l3 Chr. ) Macht euch auch nicht allzuviel Vorwürfe wegen der Niederlagen und des jetzigen ganz unverdienten Unglücks. Ich selbst bin ja nicht kräftiger, als Einer von euch — denn ihr seht ja, wie mich die Krankheit zugerichtet hat; und obgleich ich in meinem Privatleben und in anderer Beziehung vom Glück nicht weniger begünstigt schien, als irgend Einer, so schwebe ich nun doch in derselben Gefahr, wie der Allerletzte. Und doch habe ich immer in frommer Verehrung der Götter ihrem Dienst eifrig obgelegen und gegen die Menschen gerecht und ohne Gehässigkeit gehandelt. Aber grad darum ist mein Blick in die Zukunft auch voller Zuverficht, und unser Unglück schreckt mich nicht, wie es sonst wohl könnte. Leicht dürste es jetzt bald fein Ende haben! Denn das Glück der Feinde hat schon sein Maß voll gemacht, und wenn unser Kriegszug vielleicht den Neid einer Gottheit erregt hat, so sind wir schon hinlänglich geschlagen. Es haben ja auch schon Andere solche Kriegszüge gegen Andere unternommen und find für ihr menschliches Thun nur erträglich gezüchtigt worden; und so dürfen auch wir hoffen, daß die Gottheit uns jetzt gnädiger sein werde, denn wir sind jetzt schon mehr ihres Mitleids würdig, als des Neides. Schaut doch nur auf euch selber, wie trefflich gerüstet und wie zahlreich ihr da in geschlossener Ordnung marschirt! So fürchtet euch also nicht zu sehr, und bedenket, daß ihr für euch schon eine Stadt bildet, wo immer ihr euch festsetzen werdet, und daß kein anderer Staat auf Sieilien weder euren Angriff leicht aushalten, noch auch, wenn ihr euch wo festgesetzt hättet, euch verjagen könnte. Daß der Marsch so sicher und geordnet als möglich sei, dafür müßt ihr selber sorgen, und Jeder soll denken, daß der Platz, auf dem er zu fechten gezwungen wird. nur durch seinen Sieg ihm Vaterland und Festung wird. Wir müssen aber eilen und Nacht wie Tag marschiren, denn wir haben nur wenige Lebensmittel, und erst wenn wir einen befreundeten Platz der Sikuler erreicht haben, die aus Furcht vor den Syrakufanern noch treu zu uns halten, dürft ihr glauben in Sicherheit zu fein. Es find schon Leute an sie vorausgeschickt, daß sie uns entgegenkommen und LebenSmittel mitführen sollen. Ueberhaupt aber, ihr Soldaten, müßt ihr bedenken, daß ihr euch als tapfere Männer erzeigen müsset, denn kein Platz ist in der Nähe, in den ihr in muthloser Flucht euch retten könntet; und wenn ihr euch jetzt durch die
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Feinde durchschlagt, so werdet ihr Andern das wiedersehen, wonach [*]( 4l3 v. Chr. ) eines Jeden Herz sich sehnt, und ihr Athener werdet die große Macht 'eurer Vaterstadt, wenn sie auch herabgesunken ist, wieder aufrichten; denn Männer sind der Staat, und nicht Mauern oder Schiffe ohne Männer." '

. Mit diesen ermunternden Worten schritt Nikias längs des Heeres hin, und wenn er irgendwo zerstreute Leute sah, die nicht in der Ordnung marshcirten, so stellte er sie an ihren Platz, und ebenso that Demosthenes, indem er zu den Seinigen eben Solches undAehnlicheS redete. Voran marschirte der Haufe des Nikias im länglichen Viereck; hinterdrein kam die Abtheilung des Demotshenes. Die Gepäckträger und den meisten Troß hatten die Schwerbewaffneten in die Mitte genommen. Als sie nun bei der Furt des Anaposflusses anlangten, so fanden sie daselbst Truppen der Syrakusaner und ihrer Bundesgenossen aufgestellt, jagten diese aber in die Flucht, bemächtigten sich der Furt und marshcirten weiter. Die Syrakusaner aber umshcwärmten sie mit ihren Reitern, und auch ihre Leichtbewaffneten setzten ihnen mit Speerschüssen zu. Nachdem sie an diesem Tage gegen vierzig Stadien vorgerückt waren, brachten die Athener die Nacht bei einem Hügel zu; des folgenden Tags in der Frühe brachen sie wieder auf und marshcirten gegen zwanzig Stadien und kamen dann in eine Ebene und lagerten daselbst, in der Absicht, aus den Gehöften daselbst Lebensmittel zu nehmen — denn die Gegend war bewohnt — und von hier auch Wasser mit sich zunehmen, denn weiterhin in der Gegend, durch die sie ziehen wollten, war es auf viele Stadien weit nicht reichlich genug vorhanden. Die Syrakusaner waren ihnen aber.unterdessen schon zuvorgekommen und hatten weiter vorwärts den Durchgang durch eine Mauer gesperrt. Es war dieß nämlich ein starker Hügel, der zu beiden Seiten abschüssige Schluchten hatte. Man nannte ihn den Akräischen Felsen.

Am folgenden Tag marschirten die Athener weiter; und die Reiter und Speerschützen der Syrakusaner und ihre Bundesgenossen in großer Zahl hinderten ihren Marsch auf beiden Seiten, indem sie sie umshcwärmten und Speere schossen Die Athener kämpften lange, 'dann zogen sie sich wieder in ihr alteS Lager zurück. Jetzt fanden sie

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[*]( 413 v. Chr. ) aber die nöthigen Bedürfnisse nicht mehr so, wie vorher, deim der Reiter wegen war es nicht möglich, von der Stelle zu gehen.

Mit Tagesanbruh csetzten sie sich wieder in Marsch, um den vershcanzten Berg mit Gewalt zu nehmen. Da fanden sie vor sich jenseits der Schanzmauer das Fußvolk in starker Tiefe aufgestellt, da der Raum sehr eng war. Die Athener stürmten an und kämpften um die Vershcanzung, aber vom steilen Abhang des Hügels herab von vielen Geschossen getroffen — denn die von oben trafen besser — konnten sie die Verschanzung nicht bezwingen und zogen sich wieder zurück und ruhten aus. Zufällig traten zu gleicher Zeit auch einige Donnerschläge ein und Regen, wie es eben um diese Jahreszeit — es war schon gegen den Spätherbst — zu geschehen pflegt; die Athener aber wurden darüber noch muthloser und glaubten, das Alles ziele aus ihr Verderben ab. Während sie nun ausruhten, schickten Gylippos und die Syrakusaner einen Theil ihres Heeres ab, um jene auch in ihrem Rücken, da wo sie hergekommen waren, durch eine Verschanzung abzuschneiden. Aber auch die Athener schickten einen Theil ihrer Leute dagegen aus und verhinderten es. Danach zogen sie sich mit ihrem ganzen Heer rückwärts noch mehr in die Ebene hinab und blieben daselbst die Nacht über. Am folgenden Tag marfchirten sie weiter, und die Syrakusaner fielen sie rings von allen Seiten an und verwundeten Viele ; und wenn die Athener angriffen, so wichen sie zurück; wenn jene sich aber zurückzogen, so setzten sie ihnen zu, indem sie besonders die Hintersten angriffen, um durch Niederlagen im Kleinen das ganze Heer in Verwirrung zu bringen. Auf diese Weise leisteten die Athener lange Zeit Widerstand, dann, nachdem sie fünf oder sechs Stadien weiter vorwärts gekommen waren, ruhten sie in der Ebene aus, und auch die Syrakusaner ließen von ihnen ab-und zögen sich in ihr Lager.

In der Nacht beschlossen Nikias und Demosthenes, da eS um ihr Heer bei dem Mangel an allen Dingen so schlecht stand und in den zahlreichen Angriffen der Feinde sehr viele Leute schwer ,verwundet worden waren, man solle möglichst viele Lagerfeuer anzünden und das Heer abmarsckiren lassen, aber nicht mehr denselben Weg, den sie Anfangs im Sinne hatten, sondern nach der entgegengesetzten Seite, als da, wo die Syrakusaner ihnen aufpaßten, nämlich

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gegen das Meer hin. Es führte aber dieser Weg das Heer nicht nach [*]( 413v Chr. ) Katana, sondern nach der andern Seite von Sieilien gegen Kamanna und Gela und die dortigen hellenischen und barbarischen Städte. Nachdem sie nun viele Feuer angezündet, marschirten sie ab. Wie eS nun bei allen, besonders aber bei den größten Heeren zu gehen pflegt, daß panische Furcht und Schrecken sie ergreift, zumal beim Marsch in der Nacht und in feindlichem Land, wo die Feinde selbst nicht weit entfernt find, so fiel auch über sie Schreck und Verwirrung. Das Heer des Nikias zwar, wie es an der Spitze marshcirte, blieb zusammen und gewann einen bedeutenden Vorsprung, von dem des Demotshenes aber kam ungefähr die Hälfte oder noch mehr außer Fühlung mit den Andern und zog in Unordnung einher. Gleichwohl erreichten sie mit Tagesanbruch das Meer und schlugen hier die Straße ein, welche die Elorinische heißt, und marschirten so weiter, um am Flusse Kakyparis, wenn sie denselben erreicht hätten, aufwärts gegen das Binnenland zu ziehen, denn sie hofften daselbst auf die Sikuler zu treffen, nach denen sie geschickt hatten. Als sie aber bei diesem Flusse ankamen, so fanden sie auch hier eine Truppe der Syrakusaner, welche im Begriff war, Vershcanzungen aufzuwerfen und die Furt durch Pallisaden zu sperren. Sie warfen dieselbe jedoch, überschritten den Fluß und marshcirten dann gegen einen andern Fluß, den Erineos; denn dazu riethen ihnen die Wegweiser.

Als es nun Tag geworden war und die Syrakusaner und ihre Bundesgenossen sahen, daß die Athener entwischt seien, so beschuldigten die Meisten von ihnen den GylippoS', er habe sie absichtlich entkommen lassen. Doch machten sie sich allsogleich zur Verfolgung auf, und da leicht zu sehen war, wo jene marschirt seien, so trafen sie um die Zeit des Frühmahls auf sie. Als sie nun mit den Leuten des Demosthenes zusammenstießen, welche die Nachhut hatten und langsamer und unordentlicher marschirten, da sie in der Nacht in Verwirrung gerathen waren, so fielen sie dieselben allsogleich mit den Waffen an, und die Reiterei der Syrakusaner schloß sie mit leichter Mühe ein, da sie von den Vorderen getrennt waren, und trieb sie auf einen Platz zusammen. Das Heer des Nikias indeß hatte einen Vorsprung von fünfzig Stadien (1Meile), denn Nikias führte sie in größerer Schnelle, indem er glaubte, ihre Rettung liege jetzt nicht

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[*]( 413 v. Chr. ) darin, freiwillig Stand zu halten und zu fechten, sondern darin, möglichst rasch weiter zu ziehen und sich nur so weit in Gefechte einzulassen, als man durchaus dazu gezwungen werde. Demostyenes aber hatte größere und ununterbrochene Anstrengungen gehabt, da er die Nachhut bildete und die Feinde über ihn zuerst herfielen, und als er jetzt sah, daß die Syrakusaner ihn verfolgten, so stellte er sich, anstatt weiter zu marshciren, in Schlachtordnung, bis er über diese Verzögerung von jenen ganz eingeschlossen wurde und nun mit sammt seinen Athenern in die größte Bestürzung gerieth. Sie sahen sich nämlich abgeschnitten und auf einen Platz zusammengedrängt, den ringsum eine Mauer einschloß, mit Ausgängen aus beiden Seiten, und der mit vielen Oelbäumen bepflanzt war, und von allen Seiten wurden sie beschossen. Solcher Angriffe nämlich bedienten sich die Syrakusaner anstatt des Kampfes Fuß an Fuß, und mit Recht, denn einen Nahkampf mit verzweifelten Menschen zu wagen, mußte eher zum Nutzen der Athener ausfallen, als zum ihrigen; und dann wollten sie auch, weil sie schon ganz entschieden im Glück waren, ihre Leute schonen und nicht noch zu guter Letzt aufreiben lassen, da sie ohnehin auf diese Art die Athener gänzlich aufreiben und in ihre Gewalt bringen würden.

Nachdem sie nun den ganzen Tag über die Athener und ihre Bundesgenossen von allen Seiten beschossen hatten und dieselben durch Wunden und die andern Uebel, bereits gänzlich erschöpft sahen, so ließen ihnen Gylippos und die Syrakusaner sammt Bundesgenossen durch den Herold zuerst kund thun, wer von den Sikeliöten zu ihnen übertreten wolle, der könne es frei und ohne Gefahr, thun. Auf dieß trat die Mannschaft einiger Städte zu ihnen über. Danach kam auch mit der gesammten übrigen Mannschaft des Demosthenes eiu Vergleich zu Stande, wonah csie die Waffen abliefern mußten, aber Keiner von ihnen getödtet werden dürfe, weder durch gewaltsame Hinrichtung, noch im Gefängniß, noch durch Entziehung der nöthigen Nahrung. So ergaben sich denn Alle, ihrer sechstausend an der Zahl. Das Geld, welches sie hatten, mußten sie abgeben, indem sie eS in umgekehrte Schilde warfen, deren vier davon angefüllt wurden. Diese nun brachten sie sogleich nach der Stadt, Nikias aber

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und die Seinigen kamen desselbigen Tages noch zum Erineosfluß, [*]( 413 v. Chr. ) den sie überschritten und dann aus einer Anhöhe sich lagerten.

Die Syrakusaner aber holten ihn TagS darauf ein und ließen ihm sagen, daß die unter Demosthenes sich ergeben hätten; auch er solle dasselbe thun. Da er ihnen aber nicht glauben wollte, so bedung er sich aus, einen Reiter hinzusenden, um sich davon zu überzeugen. Als dieser nun zurückkam und meldete, daß Jene sich ergeben hätten, so ließ er dem Gylippos und den Syrakusanern sagen, er sei bereit im Namen der Athener einen Vergleich zu schließen: was die Syrakusaner an Geld aus den Krieg verwendet hätten, das solle ihnen zurückgezahlt werden unter der Bedingung, daß man ihn und sein Heer frei ziehen lasse; bis das Geld bezahlt sei, wolle er aus den Athenern Geißeln stellen, je einen Mann für ein Talent. Die Syrakusaner aber und Gylippos gingen aus diese Bedingungen nicht ein, sondern griffen ihn an und umstellten ihn von allen Seiten und beschossen auch ihn bis zum Abend. Auch hier litten die Athener durch Mangel an Brod und andern Bedürfnissen; gleichwohl aber dachten sie die Stille der Nacht abzuwarten, um dann weiter zu ziehen. Als sie da aber die Waffen ergriffen, merkten es die Syrakusaner und stimmten den Schlachtgesang an. Nun sahen die Athener, daß sie entdeckt seien und legten die Waffen wieder nieder, außer ungefähr dreihundert Mann; diese öffneten sich mit Gewalt den Weg durch die Posten der Feinde und marschirten in der Nacht weiter, wo sie kein Hinderniß fanden.

Als es Tag geworden war, führte Nikias sein Heer weiter; die Syrakusaner und ihre Bundesgenossen aber setzten ihnen auf dieselbe Weise zu, indem sie von allen Seiten schossen und Wurfspeere schleuderten. Die Athener eilten nach dem Flusse Assinaros, theils durch die von allen Seiten angreifende zahlreiche Reiterei und den übrigen Hausen nach diesem Flusse gedrängt, nach dessen Überschreitung sie überdieß Erleichterung hofften, zum Theil aber auch aus Erschöpfung und Begierde zu trinken. Als sie am Fluß angekommen waren, stürzten sie sich ohne alle Ordnung hinein; Jeder wollte nur zuerst hinnberkommen, und die nachdrängenden Feinde erschwerten bereits den Uebergang. Denn da die Athener in einem Haufen dicht bei einander zu marshciren genöthigt waren, so stürzte Einer über den

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[*]( 4l3 v. Chr. ) Andern, und man trat sich gegenseitig nieder. Viele stürzten in die Lanzen und blieben sogleich todt, Andere verwickelten sich in das Gepäck und wurden vom Strom mit fortgerissen. Die herangekommenen Syrakusaner aber schossen vom andern Ufer des Flusses aus die Athener herab, — denn das Ufer war steil, — während die Meisten derselben mit Gier tranken und in der tieseingeshcnittenen Bettung des Flusses wie in einen Knäuel verwickelt waren; die Peloponnesier aber stiegen ihnen nach in den Fluß hinab und tödteten vorzüglich die noch in demselben Befindlichen, so daß das Wasser schnell verunreinigt war. Trotzdem aber wurde es, mit Schlamm und Blut vermischt, wie es war, getrunken, und die Masse raufte sich noch darum.

Endlich nun, als die Leichname schon in großer Zahl^) und über einander gehäuft im Flusse lagen, und das Heer theils am Flusse selbst, theils auch, was weiterhin entkam, von den Reitern zusammengehauen war, ergab sich Nikias dem Gylippos, weil er diesem eher traute, als den Syrakusanern. Ueber ihn selbst, sagte er, solle Jener und die Lakedämonier verfügen, wie sie wollten, nur sollten sie aufhören, die andern Soldaten niederzumetzeln. Da befahl dennGylippoS, sie lebendig gefangen zu nehmen, und so brachte man die Uebrigen, außer die, welche sie selbst versteckten, deren Zahl sehr groß war, lebendig ein, und auch gegen die dreihundert, welche zur Nachtzeit die Wachen durchbrochen hatten, schickten fie Leute zur Verfolgung und wurden ihrer habhaft. Was auf diese Weise vom Heere als Gefangene für das Gemeinwesen zusammenkam, war nicht viel ^'), dagegen war die Zahl der heimlich auf die Seite Gebrachten groß, und ganz Sicilien war später voll davon, da sie nicht, wie die unter Demotshenes, in Folge eines Vergleichs gefangen worden waren. Eine bedeutende Zahl war aber auch gefallen ^); denn es war da ein großes Schlachten gewesen, und nicht geringer, als bei irgend einer Gelegenheit während dieses Krieges^). Und auch bei den andern Angriffen, die während dieses Zuges zahlreich vorkamen, waren [*]( 40) 18.000 nach Dir-der, Xlll. 19. Wohl viel weniger (Kr.). ) [*]( 41) Denn von den mehr.als 7000 (vrgl. Vll. 87) waren K000 mit Demosthenes gefangen, vu. 82 (Kr.). ) [*]( 42) Nach Vlutarch, Nikias, Kap. 27, wären viel mehr geblieben, alt gefangen (Kr.). ) [*]( 43) Damit kann nur der peloponnesische Krieg überhaupt gemeint sein. )

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Viele geblieben; Viele hingegen entkamen auch, theils bei dieser Ge- [*]( 412 v. Chr. ) legenbeit selbst, theils später, indem sie nach längerer Sklaverei entliefen. Diesen war Katana Zufluchtsort.

Nachdem die Syrakusaner und ihre Bundesgenossen sich gesammelt und von den Kriegsgefangenen so viele als möglich sammt der Waffenbeute mitgenommen hatten, zogen sie nach der Stadt zurück. Die Uebrigen von den Athenern und deren Bundesgenossen, so viele sie in Händen hatten, sperrten sie in die Steinbrüche, welche sie für den sichersten Gewahrsam hielten, den Nikias aber und Demotshenes tödteten sie gegen den Willen des Gylippos. Dieser nämlich glaubte, es werde für ihn selbst die ruhmvollste Leistung sein, wenn er zu den Andern auch seine Gegenseldherrn den Lakedämoniern nach Hause bringen könne. Zufällig traf es sich auch, daß der eine der beiden, Demotshenes nämlich, für ihren ärgsten Feind galt, wegen der Ereignisse auf der Inselund bei Pylos, während der andere bei eben dieser Gelegenheit sich ihnen sehr hilfreich erzeigt hatte. Nikias nämlich hatte mit allem Eifer für die Freilassung der auf der Insel gefangenen Lakedämonier gewirkt, indem er die Athener zu dem Friedensvertrag beredete, wofür ihm hinwiederum die Lakedämonier geneigt waren, was denn auch der Hauptgrund war, weßhalb er sich dem Gylippos voll Vertrauen ergeben hatte. Aber, wie jchon erzählt wurde, gab es unter den Syrakufanern Einige, die sich wegen der mit ihm gepflogenen Verhandlungen zu fürchten hatten, er möchte durch ein Geständniß auf der Folter ihnen das jetzige Glück verderben; Andere aber, und darunter besonders die Korinther, fürchteten, daß er bei seinem Reichthum Einige durch Geld bestechen und ibnen so entwischen könnte, um dann von Neuem gegen sie aufzutreten. Diese also überredeten die Bundesgenossen, und so wurde er getödtet. AuS diesen oder doch ganz ähnlichen Ursachen mußte er das Leben verlieren, obgleich er von allen Hellenen meiner Zeit am wenigsten ein so unglückliches Schicksal verdiente, denn in seiner ganzen LebenSund Handlungsweise hatte er sich dessen beflissen, was für tugendhaft und recht galt.

Die Leute in den Steinbrüchen behandelten die Syraku­ [*]( 44) Sphakteria. Drgl. IV. 24. 55. That-passen VII. ) [*]( 16 )

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[*]( 413 v. Chr. ) saner in den ersten Zeiten sehr hart. In dem tief eingeschnittenen und engen Raum waren sie in Menge zusammengepfercht, und Anfangs quälte sie die Sonne und die erstickende'Hitze, da der Ort nicht überdacht war,'und die darauffolgenden kalten Herbstnächte hinwiederum verursachten durch den starken Unterschied Krankheiten. Da sie des beschränkten Raumes wegen alle Verrichtungen an demselben Orte vornehmen mußten und dazu noch die Leichname derer auf einander gehäuft dalagen, welche an ihren Wunden, oder wegen des Temveraturwechsels, oder aus ähnlichen Krankheitsursachen starben, so waren die Gerüche unerträglich, und zugleich wurden sie durch Hunger und Durst gepeinigt. Jeder-Mann nämlich erhielt acht Monate^) hindurch eine Kotyle Wasser auf den Tag und zwei Kotvlen Mehl^). Auch von allem Andern, was an einem solchen Orte Eingesperrte zu leiden haben, blieb ihnen nichts erspart. Einige siebzig Tage mußten sie auf diese Weise zusammengesperrt aushalten; dann wurden, außer den Athenern und den Sikelioten und Jtalioten, die etwa den Krieg mitgemacht hatten, die Uebrigen als Sklaven verkauft. Die Gesammtzahl der Gefangenen, die indeß nur schwer mit Genauigkeit anzugeben wäre, betrug gleichwohl nicht unter siebentausend.

Auf diese Weise hat sich das allerwichtigste Ereigniß in diesem Kriege, nach meinem Dafürhalten aber auch das Wichtigste von Allem, was wir ans den Geschichten der Hellenen wissen, zugetragen, — für die Sieger das glorreichste, für die Besiegten das unheilvollste. Denn in jeder Beziehung waren sie ganz und gar geschlagen, und in keinem Stück hatten sie etwa nur geringe Verluste erlitten, sondern mit Stumps und Stiel, wie man zu sagen pflegt, war Alles zu Grunde gegangen, und Nichts war übrig von Heer nnd Flotte. Nur Wenige von den Vielen kamen wieder nach Hause zurück.

Das ist es, was sich irr-Sieilien zugetragen hat. [*]( 45) Nach dieser Zelt verkaufte man wahrscheinlich auch die nicht schon nach etwa liebtiijig'Tagni Veikansten (Arnold).' T ^ ' ) [*]( 46) Die Kotyle, ein Map für flüssige und trockene Dinge, isi der vierte Theil des Choinir nnd beträgt "N/z Unzen an Gewicht. Die gewöhnliche tägliche Nahrung, besonders für Sklaven, ist ein Choinir, also das Doppelte des hier Gcreichien. starke?sier verzehrten zwei, drei und niehr Choinilen. Vrgl. B?ckh, Staat?!', d. N. )