History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Wahrmund, Adolf, translator. Stuttgart: Krais and Hoffmann, 1864.

Achtzehntes Kriegsjahr: 414—13. Fortsetzung. Kapitel I—XVIII.

Gylippos kommt an und bringt den Syrakufanern Hilfe Kap. 1. 2; greift die Athenischen Verschanzungen an Kap. 3. — Anfangs zurückgedrängt, ist er später siegreich Kap. 4—6. — Korinthische Schiffe erscheinen. Die Syrakusaner verlangen vom Peloponnes weitere Hilfe und bemannen ihre Flotte Kap. 7. — Nikias verlangt Verstärkung von Athen Kap. 8. — Der Athener Euetion schließt Amphipolis ein Kap. 9. — Schreiben des Nikias an die Athener Kap. 10—15. — Die Athener beschließen den Nikias zu verstärken. Demosthenes und Eurymedon zu Mitfeldherrn ernannt Kap. 16. — Der Peloponnesier weitere Rüstuugen Kap. 17. — Die Lakedämonier besetzen Dekcleia Kap. 18.

Neunzehntes Kriegsjahr: 413—412. Kapitel XIX—I.XXXVII.

Einfall der Lakedämonier in Attika Kap. 19. — Demosthenes geht nach Sieilien ab Kap. 20. — Die Syrakufaner greifen die athenischen Schiffe an und werden geschlagen. Gylippos nimmt Plemmyrion Kap. 21—24« — Neue Abgesandte der Syrakusaner nach dem Peloponnes Kap. 25. — Demosthenes plündert unterwegs Lakonien Kap. 26. — Bedrängniß der Athener zu Haus Kap. 27. 28. — Thrakische Hülfsvölker der Athener überfallen MykalessoS; werden von den Thebanern auf dem Rückzug überfallen Kap. 29. 30. — Demosthenes unterwegs Kap. 31. — Si

IV
kuler erschlagen Syrakusanische Hülfsvölker Kap. 32. — Demosthenes und Eurymedon in den italischen Gewässern Kap. 33. 35. — Seekampf zwischen Athenern und Korinthern vor Naupaktos Kap. 34. — Die Athener von den Syrakusanern zur See geschlagen Kap. 36—41. — Demosthenes kommt an. Sein vergeblicher Angriff auf Epipolä. Die Syrakusaner siegreich Kap. 42—46. — Uneinigkeit der Athenischen Feldherrn. Sie beschließen den Rückzug Kap. 47—50. — Zweite Niederlage der Athener zur See Kap. 51—54. — Die Hülfsvölker beider Theile Kap. 55—59. — Die Atheuer zum dritten Mal zur See geschlagen Kap. 60—71. — Ihr unheilvoller Rückzug zu Land Kap. 72—81. — Sie ergeben sich Kap. 82—85. — Niklas und Demosthenes.hingerichtet. Die gefangenen Athener in der Sklaverei lind-in den Steinbrüchen Kap. 86. 87.

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Gylippos aber und Pythen, nachdem sie ihre Schiffe in [*]( 414 v. Chr. ) guten Stand gesetzt, segelten von Tarent nach Lokri Epizephyrii. Da erfuhren sie denn bereits mit mehr Gewißheit, daß Syrakus noch nicht ganz eingeschlossen und es noch möglich wäre, bei Epipolä mit einem Heere in die Stadt zu kommen. So beriethen sie nun, ob sie die Insel Sieilien zur Rechten nehmen und die Einfahrt zu erzwingen wagen sollten/oder zuerst links gen Himera segeln und die Dortigen selbst und andere Mannschaft an sich ziehen, wen sie immer dazu überreden könnten, und dann zu Lande weiter ziehen. Beschlossen wurde, nach Himera zu segeln, zumal auch die vier attischen Schiffe noch nicht vor Rhegium erschienen waren, obgleich doch Nikias dieselben abgeschickt, sobald er erfahren hatte, daß jene in Lokri seien. Sie kamen auch diesen Wachschiffen zuvor, segelten durch die Meerenge, landeten bei Rhegium und Messana und kamen so nach Himera. Hier überredeten sie die Himeräer, auch den Krieg zu wagen und mit ihnen zu ziehen und den unbewaffneten Seeleuten auf ihren Schiffen Waffen zu geben — sie hatten nämlich ihre Schiffe bei Himera an's Land gezogen. Auch schickten sie zu den Selinuntiern und hießen sie mit ihrer Mannschaft an einem bestimmten Punkte zu ihnen zu stoßen. Etliche Mannschaft versprachen ihnen auch die Getaner zu schicken, und so auch einige von den Sikulern, die jetzt schon viel eifriger waren ihnen beizutreten, da Archonidas kurz zuvor gestorben war, der König gewesen über einige Sikulerstämme in jener Gegend und nicht ohne Macht und den.Athenern befreundet, und weil auch von Lakedämon der Zug des Gylippos mit Eifer unternommen zu sein [*]( ThukydideS. VII. ) [*]( 12 )

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[*]( 414 v. Chr. ) schien. Gylippos nahm nun von seinen Mairosen und Seesoldatcn die wohlbewaffneten, ungefähr isebenhundert, und dazu schwer- und leichtbewaffnete Himeräer, beide zusammen tausend Mann, und hundert Reiter und einige Leichtbewaffnete und Reiter der Selinuntier sammt wenigen Gelanern, und von den Sikulern im Ganzen tausend, und marschirte so gegen Syrakus.

Die Korinther mit den andern Schiffen trachteten von LeukaS aus so schnell es ging nachzukommen, und Gongylos, einer der korinthischen Hauptleute, der mit Einem Schiffe zuletzt abgesegelt war, kam zuerst nach Syrakus, kurz vor Gylippos. Die Bürger der Stadt traf er, wie sie grade eine Versammlung halten wollten, um zu berathen, wie sie der Kriegsbedrängniß ledig würden. DaS hieß er sie unterlassen und sprach ihnen Muth zu und sagte ihnen, daß noch andere Schiffe auf der Herfahrt seien und auch der Befehlshaber Gylippos, des Kleandridas Sohn, von den Lakedämoniern gesendet. Da faßten die Syrakusier wieder Muth und zogen sogleich mit gesammter Macht aus, um dem Gylippos entgegenzugehen, denn sie hatten schon vernommen, daß er in der Nähe sei. Dieser hatte unterwegs eine Festung der Sikuler, mit Namen Geta ), genommen und rückte in Schlachtordnung gegen Epipolä an. Dann erstieg er den Euryelos dort, wo auch die Athener das erste Mal hineingekommen waren, und rückte mit den Syrakusanern gegen die Belagerungsmauer der Athener. Es traf sich aber, daß er zu der Zeit kam, als die Athener ihre doppelte Mauer nach dem großen Hafen schon auf sieben oder acht Stadien Länge fertig hatten, und eS fehlte nur noch ein kleines Stück zum Meere, und daran bauten sie eben. Für den andern Theil der Ringmauer, gegen den Trogilos hin, nach dem Meere aus der andern Seite, lagen die Steine zum meisten Theil schon bereit, und zum Theil wurde die Arbeit halbfertig, zum Theil auch schon ganz fertig im Stich gelassen. So nah war Syrakus an der äußersten Gefahr.

Die Athener, als Gylippos und die Syrakusaner so plötzlich gegen sie heranrückten, geriethen Anfangs in Verwirrung, stellten [*]( 1) Andere lesen Tetai. Stand, Zeigt. Vergl. Held zu Plutarch, Timoleon 30 Kp. )

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sich aber doch in Schlachtordnung auf. Jener aber ließ in der Nähe [*]( 4l4 v. Chr. ) Halt machen und schickte einen Herold zu ihnen und ließ sagen:, wenn sie inner fünf Tagen von Sieilien abziehen wollten und das Ihrige mitnehmen, so wolle er einen Vertrag mit ihnen schließen. Die Athener verachteten dieß aber und gaben gar keine Antwort, und danach stellten sich beide Theile gegen einander auf wie zur Schlacht. Da aber Gylippos sah, daß die Syrakusaner in Verwirrung geriethen und nicht leicht in Ordnung zu bringen waren, so führte er das Heer wieder etwas rückwärts, wo er mehr Raum hatte. Nikias aber führte seine Athener nicht nach, sondern blieb ruhig bei seiner Mauer stehen, und da Gylippos sah, daß sie nicht heranrückten, so führte er sein Heer auf die Temenitische Anhöhe, und dort blieben sie die Nacht über. Den folgenden Tag führte er den größten Theil seines Heeres hinab und stellte ihn nah gegen die Mauer der Athener in Schlachtordung, damit sie nicht anderwärts Hülse schicken könnten, und unterdeß schickt er eine Abtheilung gegen den festen Posten Labdalon und nimmt ihn und läßt Alle niederhauen, die gefangen wurden. Dieser Platz lag aber den Athenern nicht im Gesicht. Und am selben Tage wurde den Athenern auch ein Dreiruderer von den Syrakusanern abgenommen, der im großen Hafen vor Anker lag.

Danach bauten die Syrakusaner und ihre Bundesgenossen eine einfache Mauer, von der Stadt angefangen landeinwärts durch Epipolä durch bis an die Quermauer, damit eS den Athenern, sofern sie das nicht hindern könnten, unmöglich würde, sie ganz mit ihrer Mauer einzuschließen. Auch die Athener rückten mit ihrem Bau schon landeinwärts, denn sie hatten die Mauer am Meer bereits vollendet. Eine Stelle der athenischen Mauer war aber schwach, und so bot Gylippos in einer Nacht sein Heer auf und rückte gegen diesen Punkt heran. Wie das aber die Athener merkten, denn sie hatten sich zufällig die Nacht über außerhalb gelagert, so marschirten sie ihm entgegen, und da jener dieß sah, so führte er die Seinigen rasch wieder ab. An dieser Stelle nun bauten die Athener ihre Mauer noch höher und hielten daselbst Wache, und auch ihren Bundesgenossen wiesen sie an der übrigen Mauer die Stelle an, wo ein Jeder Wache halten sollte. [*]( 12» )

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[*]( 4l4 v Chr. ) Dem Nikias aber schien es gut, das sogenannte Plemmyrion zu befestigen. Es ist dieß ein Vorgebirg, der Stadt grade gegenüber, springt über den großen Hasen vor und verengt dessen Einfahrt. Wenn dasselbe befestigt würde, so schien es ihm, werde die nöthige Zufuhr leichter vor sich gehen, denn so würden seine Schiffe in größerer Nähe beim Hafen der Syrakusaner ankern, und wenn diese etwas mit ihrer Flotte unternehmen sollten, so dürfte er nicht erst aus dem entfernten Winkel des Hafens sein Ansegeln gegen sie in's Werk fetzen. Und überhaupt dachte er sich jetzt mehr an den Seekrieg zu halten, da er sah, daß seit des Gylippos Ankunft der Krieg zu Lande wenig mehr versprach. So brachte er also sein Heer und die Schifft hinüber und erbaute drei Kastelle, in denen dann auch das Meiste von Geräthschaften aufbewahrt lag, und auch die großen Schiffe gingen dort vor Anker und die Schnellsegler, weßhalb denn auch, wohl schon von jetzt an, die Schiffsmannschaft in eine schlimme Lage kam, denn es war nur wenig Wasser da und weither zu holen, und auch wenn die Schiffsleute zum Holzsammeln ausgingen, wurden sie von den Syrakusanischen Reitern, welche die Gegend beherrshcten, niedergemacht. Die Syrakufier hatten nämlich den dritten Theil ihrer Reiterei derer in Plemmyrion wegen bei dem Städtchen am Olympieion aufgestellt. Nun erfuhr Nikias, daß auch die übrigen Schiffe der Korinther im Ansegeln seien, und schickte, ihnen aufzupassen, zwanzig von seinen Schiffen ab, denen befohlen wurde, in der Gegend von Lokri und Rhegium und an den fikelischen Landungspunkten auf der Lauer zu liegen.

Gylippos aber baute nicht nur an der Mauer durch Epipolä, indem er dazu die Steine verbrauchte, welche die Athener vorher für sich selbst herbeigeschafft hatten, sondern führte auch täglich die Syrakufier und die Bundesgenossen vor die Befestigungswerke und stellte sie in Schlachtordnung auf, und die Athener thaten ebenso. Da nun einmal dem Gylippos die Gelegenheit günstig schien, so begann er den Angriff, und als man handgemein geworden, kämpften beide Theile zwischen ihren Mauern, wo den Syrakusanern ihre Reiterei zu Nichts nützte. Als nun die Syrakufier und ihre Bundesgenossen besiegt worden waren und unter dem Schutz eines Vertrages ihre Todten aufgehoben und die Athener ein Siegeszeichen ausgestellt

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hatten, berief Gylippos sein Heer zusammen und sagte, nicht an [*]( 414 v. Chr. ) ihnen läge die Schuld, sondern an ihm selber; denn da er die Schlachtlinie zu weit zwischen die Mauern hinein aufgestellt habe, so sei die Reiterei und die Speerschützen nicht in's Gefecht gekommen; jetzt wolle er sie aber wieder gegen den Feind führen, und sie sollten doch bedenken, daß sie an Kriegsrüstung nicht die Schwächeren seien, und was den Muth anbelange, so wäre es doch unerträglich, wenn sie als Dorier und Peloponnesier sich nicht getrauten, über Jopier, Insulaner und zusammengelaufenes Volk Herr zu werden und sie auS dem Land zu jagen.

Und danach, als die Gelegenheit sich gab, führte er sie wieder gegen den Feind. Nikias aber und die Athener waren der Meinung, auch wenn jene nicht den Kampf zuerst beginnen wollten, so dürften sie doch nicht ruhig zusehen, wie jene ihre Mauer längs ihrer eigenen immer weiter führten — denn die Syrakusische Mauer war schon genau bis zum Ende der Athenischen gekommen, — und wenn sie über ihre eigene hinausgeführt werde, so hätten die Syrakusaner auch ohne die Waffen anzurühren bereits denselben Vortheil, als wenn sie in allen Gefechten siegten. Deßhalb gingen sie den Syrakusiern entgegen. Gylippos aber stellte feine Schwerbewaffneten mehr außerhalb der Mauer auf, als das erste Mal, und nahm das Gefecht mit ihnen an, seine Reiter und Schützen aber stellte er den Athenern in die«Flanke aus offenem Feld, wo der Bau der beiderseitigen Mauern schon aufhörte. Im Gefecht nun warfen sich die Reiter auf den linken athenischen Flügel, der ihnen gegenüberstand, und trieben ihn in die Flucht, und somit wurde denn auch das übrige Heer von den Syrakusanern geschlagen und in die Verschanzungen zurückgeworfen. In derselben Nacht aber kamen jene in Weiterführung ihrer Mauer den Athenern zuvor, so daß sie von jetzt an nicht mehr von denselben gehindert werden konnten, und diese, selbst wenn sie siegten, durchaus nicht mehr die Möglichkeit hatten, jene mit ihrer Mauer zu umfassen.

Nach diesen Vorfällen kamen auch die andern zwölf Schiffe der Korinther, Amprakioten und Leukadier glücklich an, ohne daß die auflauernden Athener sie bemerkt hätten. Es befehligte auf ihnen der Korinther Erasinides, und sie halfen denn auch den Syrakusanern

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[*]( 414. v. Chr. ) weiter bauen bis zur Quermauer. GylippoS aber ging nach andern Gegenden SicilienS, des Zuzugs wegen, sowohl um See- und Landtruppen zu sammeln, als auch um diejenigen Städte zum Mithandeln zu bewegen, welche bis dahin sich wenig eifrig gezeigt oder ganz und gar vom Krieg ferngehalten hatten. Von den Andern aber, Syrakusanern und Korinthern, waren Gesandte nach Lakedämon und Korinth geschickt worden, daß noch weitere Kriegsmacht überschifft würde, wie es immer anginge, aus Lastschiffen oder auf Kriegsschiffen, oder sonst wie, da auch die Athener ihrerseits um Verstärkung geschickt hätten. Die Syrakusaner bemannten nun aber auch ihre Schiffe und schickten sich an, mit denselben thätig aufzutreten, und zeigten sich auch sonst sehr rührig.

Nikias aber, als er dieß bemerkte und sah, wie die Macht der Feinde und seine eigene Verlegenheit von Tag zu Tag wuchs, schickte auch seinerseits Boten nach Athen, wie er denn auch sonst bei allen Gelegenheiten und Vorfällen Meldung that, und jetzt um so mehr, da er sich für sehr gefährdet hielt und an keine Rettung mehr glaubte, wenn nicht jene entweder seine Armee abholten oder zahlreiche Verstärkung schickten. Weil er aber fürchtete, daß seine Abgesandten, sei es nun aus Mangel des Vortrags oder aus Vergeßlichkeit oder auch in der Absicht, dem Volke nach dem Munde zu reden, nicht den wahren Verhalt darstellen möchten, so schrieb er selbst einen Brief, in der Meinung, daß so die Athener ohne Entstellung von Seiten des Boten seine wirkliche Ansicht von der Sachlage erfahren und einen der Wirklichkeit entsprechenden Beschluß fassen würden. Seine Abgesandten nun gingen mit diesem Briefe und den sonstigen Aufträgen ab, Nikias selbst aber nahm seine Pflicht wahr, indem er sich lieber mit aller Vorsicht im Lager hielt, als daß er seinerseits die Gefahr einer Schlacht gesucht hätte.

Als derselbige Sommer zu Ende ging, zog auch Euetion, Feldherr der Athener, mit Perdikkas und vielen Thrakern zu Felde gegen Amphipolis, und diese Stadt zwar nahm er nicht, doch brachte er einige Dreiruderer in den Strymon hinaus und belagerte die [*]( 2) Wie PerdilkaS mit den Athenern wieder ausgesöhnt wurde, hat Thuk. nicht erzählt. Die Thraker sind Söldner Athens, wie VI, 129. (Kr.). )

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Stadt von diesem Flusse aus. Himeraion war sein Wassenplatz. [*]( 414 v. Chr. -) So ging dieser Sommer zu Ende.

Im folgenden Winter kamen die Boten des Nikias nach Athen und richteten aus, was ihnen mündlich aufgetragen war, und wenn sie Einer sonst etwas fragte, so standen sie Rede und übergaben auch den Brief. Da trat der Staatsschreiber auf und las den Athenern den Brief vor, der also lautete:

„Was früher vorgefallen ist, ihr Athener, das wisset ihr aus andern Briefen; jetzt aber ist es nicht minder an der Zeit, daß ihr erfahret, wie die Dinge bei uns stehen, und danach eure Beschlüsse fasset. Nachdem wir in den meisten Gefechten die Syrakusaner, gegen die wir ausgeschickt wurden, besiegt und die Vershcanzungen erbaut hatten, in denen wir jetzt liegen, kam Gylippos, der Lakedämonier, mit einem Heere aus dem Peloponnes und einigen Städten Siciliens. Und zwar>in der ersten Schlacht ist er von uns besiegt worden, in der folgenden aber wurden wir durch seine zahlreichen Reiter und Schützen übermannt und mußten uns in unsere Vershcanzungen zurückziehen. Seitdem nun haben wir die Einschließung durch eine Mauer abbrechen müssen wegen der großen Zahl unserer Gegner und halten uns ruhig; denn wir könnten ja nicht das ganze Heer dazu verwenden, da die Bewachung der Mauern einen Theil der Schwerbewaffneten in Anspruch nimmt; — jene aber haben längs der unsrigen auch eine einfache Mauer gebaut, so daß es nicht mehr möglich ist, sie einzuschließen, wenn man nicht vorher diese ihre Nebenmauer mit großer Macht angriffe und nähme. Es hat sich also so gewendet, daß wir, die wir Andere einzuschließen gedachten, jetzt vielmehr selber eingeschlossen sind, wenigstens zu Lande; denn wir können uns nach der Landseite der Reiterei wegen nicht weit hinauswagen."

»Sie haben aber auch Boten in den Peloponnes geschickt um Zuzug an Kriegsmacht, und Gylippos reist in den Städten Si­ [*]( 3) Außer den sehr zahlreichen übrigen Schreibern gab eS zu Athen drei Staatlschceiber: .Einer wird vom Rathe durch'? LooS sür jede Prytanie (vgl.Anm. II. Buch IV.) ernannt, um Schriften und VolkSbeschlüffe zu bewahren, und ist derjenige, welcher seinen Namen den Beschlüssen vorsetzt: der andere wird vom Rath gewählt, für die Gesetze; ein dritter, vom Volk erwählter, liest dem Rath und Volke vor.' Böckh, Staats» hauSh. d. Ath. l. S. 25Z ff. Der hier genannte ist der dritte. )

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[*]( 414 v. Chr. ) ciliens umher, theils die zur Theilnahme am Krieg zu bereden, die sich jetzt noch ruhig verhalten, theils auch, um wo möglich Landtruppen und Seerüstung beizuschaffen. Denn, wie ich erfahre, find sie Willens, zugleich unsere Mauern mit dem Landheer und zur See mit ihren Schiffen anzugreisen. Und möge sich Keiner von euch verwundern, daß auch ein Seeangriff beabsichtigt ist! Denn auch jene wissen gar wohl, daß Anfangs zwar unsere Flotte im besten Stand war, wegen der Trockenheit der Schiffe und der Gesundheit und Vollzähligkeit der Bemannung; jetzt aber haben unsere Schiffe von der Nässe gelitten, da sie schon so lange in See sind, und die Mannschaft geht zu Grunde. Denn es ist nicht möglich, die Schiffe an's Land zu ziehen und austrocknen zu lassen, weil die an Zahl uns gewahcsene und sogar noch überlegene Flotte der Gegner uns beständig in Erwartung eines Angriffs hält, und eS sind auch alle Anzeichen da, daß ihrerseits ein Angriff vorbereitet wird. Ueberdieß können sie auch leichter ihre Fahrzeuge abtrocknen lassen, denn sie brauchen nicht vor Anker Andere zu überwachen."

„Wir selbst aber würden auch nicht einmal bei großer Ueberlegenheit an Schiffszahl des gleichen Vortheils genießen, selbst wenn wir nicht, wie es jetzt der Fall ist, gezwungen wären, mit sämmtlichen Schiffen Wache zu halten. Denn wenn wir auch nur um ein Geringes in unserer Wachsamkeit nachließen , so könnten wir uns den nöthigen Unterhalt nicht verschaffen-, den wir an der feindlichen Stadt vorüber so nur mit Mühe beitreiben können. Von unserer Mannschaft ist schon ein gutes Theil verloren gegangen, und sie leidet noch weitere Verluste, da die Seeleute beim Holzholen und bei weiteren Streifungen, des Wassers oder des Beutemachens wegen, von den Reitern niedergehauen werden. Die Bedienungsmannschaft aber läuft über, seitdem die Wage zwischen uns gleichsteht, und die Miethstruppen, die zum Seedienst gepreßt worden sind, gehen bei der ersten Gelegenheit davon und zerstreuen sich in die Städte. Diejenigen aber, welche sich Anfangs durch die hohe Löhnung gewinnen ließen und mehr an's' Geldmachen als an's Fechten dachten, die machen sich jetzt, wo sie wider Erwarten auf Seiten des Feindes eine [*]( 4) D. h. wenn wir auch nur wenige Schiffe an's Land Wien. )

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Flotte und sonstige Kriegsmacht sehen, so gut, wie Jeder kann, aus [*]( 414 v. Chr ) dem Staube. Sleilien ist ja groß! Ja es gibt auch Solche, die sich Hykkarische Sklaven 2) erhandelten und diese an ihrer Statt auf die Schiffe setzten, indem sie die Schiffshauptleute bestachen, und so ist die Ordnung und Pünktlichkeit des Seedienstes verschwunden."

„Ich wiederhole es euch, obgleich ihr eS selbst schon wisset, daß der treffliche Zustand der Flottenmannschaft nicht von langer Dauer war, und es find jetzt nur Wenige unter der Bemannung, die es verstehen, ein Fahrzeug in Bewegung zu setzen und das Rudern in Ordnung zu halten. Von dem Allem aber das Schlimmste ist, daß ich, der Feldherr, kein Mittel habe, dem zu wehren, und daß wir keine Quellen haben, um unsere Schiffsbemannung zu ergänzen, wozu unsern Feinden viele Wege offen stehen; sondern nothgedrungen muß das, was wir mitgebracht haben, sowohl die Erfordernisse des Augenblicks bestreiten, als auch zur Ergänzung der Verluste dienen; denn die jetzt mit uns verbündeten Städte, Naxos und Katana, haben keine Mittel. Sollte sich aber auch noch das Eine zu Gunsten unserer Gegner wenden, daß die Gegenden Italiens, welche uns nähren, — wenn sie sehen, wie es um uns steht, und daß ihr keine Hülfe schicket — zu jenen übertreten, so find wir durch Einschließung zur Uebergabe gezwungen, und der Krieg ist ohne weiteren Schwertstreich aus."

„Ich hätte euch zwar angenehmere Dinge, als diese, melden können, nützlichere jedoch nicht, sosern ihr bei genauer Kenntniß der hiesigen Lage eure Entschlüsse fassen wollt. Und da ich eure Art und Weise recht gut kenne, daß ihr nämlich immer das Angenehmste hören wollt, hinterdrein aber mit Anklagen kommt, wenn die Sache nicht nach Erwarten ausgeht, so hielt ich es für gerathener, die Wahrheit darzulegen."

„Was nun den Zweck betrifft, zu dem wir zuerst hieher gekommen find, so seid überzeugt, daß sich Soldaten sowohl wie Führer in dieser Beziehung untadelig benommen haben. Da aber jetzt ganz Sieilien gegen uns zusammensteht und vom Peloponnes ein zweites Heer zu erwarten ist, so bedenket selbst, daß unsere gegen­ [*]( b) Vergl. VI, K2. )

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[*]( 414 v. Chr. ) wärtigen Mittel nicht einmal für den Augenblick genügen, sondern daß ihr entweder die Leute hier abholen oder eine zweite und nicht geringere Macht an Land- und Seetruppen herschicken müsset und dazu viel Geld und.auch für mich einen Nachfolger, da ich einer Nierenkrankheit wegen nicht im Stande bin, auf meinem Posten zu bleiben. Ich hoffe, daß mir von euch Nachficht geschenkt werde, denn so lange ich gesund war, habe ich euch als Führer viele gute Dienste geleistet. Was ihr aber thun wollt, das thut gleich mit FrühlingsAnfang und schiebt Nichts auf, denn die Feinde werden sich die Verstärkung aus Sieilien rasch verschaffen, — die aus dem Peloponnes zwar nicht so bald, aber doch, wenn ihr nicht die Sache scharf in'S Auge fasset, werden sie theils eure Aufmerksamkeit täuschen, wie auch das erste Mal, theils euch zuvorkommen."

So lautete der Brief des Nikias; die Athener aber, nachdem sie denselben angehört, entbanden den Nikias nicht vom Oberbefehl, sondern gaben ihm, bis die andern gewählten Mitbefehlshaber ankämen, einstweilen zwei aus den dort Befindlichen, den MenandroS und den Euthydemos, damit er nicht bei seiner Krankheit die Beschwerden allein zu tragen habe; auch beschlossen sie, ein zweites Heer nachzusenden, See- und Landtruppen, aus der Dienstrolle der Athener sowohl, als aus den Bundesgenossen. Als Mitfeldherrn wählten sie, für ihn den Demotshenes, Sohn des Alkisthenes, und des Thukles Sohn Eurymedon. Und den Eurymedon schickten sie sogleich um die Zeit der Wintersonnenwende mit zehn Schiffen nach Sieilien und hundert und zwanzig 6) Talenten Silbers, und zugleich sollte er dort melden, daß Hülse käme und für Alles gesorgt werden solle.

Demotshenes hingegen blieb noch zurück und rüstete zur Abfahrt, um mit Frühlingsanfang unter Segel zu gehen, und schrieb Truppen aus unter den Bundesgenossen und brachte von der attischen Landschaft Geld ein und Schiffe und Schwerbewaffnete. Die Athener schickten aber auch zwanzig Schiffe in die peloponnefischen Gewässer, die Acht haben sollten, daß Niemand von Korinth und dem übrigen Peloponnes nach Sieilien überfahre. Die Korinther nämlich, da auch zu ihnen Boten kamen, welche die bessere Wendung der. [*]( 6) Die meisten Handschriften haben nur zwanzig. )

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Dinge in Stellten meldeten, hielten dafür, daß die Absendung ihrer [*]( 414 v. . Chr. ) ersten Schiffsabtheilung ganz vortheilhaft gewesen wäre, und machten nun noch größere Anstrengungen und rüsteten sich, auf Lastschiffen aus Eigenem Schwerbewaffnete nach Sieilien zu schicken, und deßgleichen thaten auch die Lakedämonier, um aus dem übrigen Peloponnes Truppen überzusetzen. Kriegsschiffe bemannten die Korinther fünfundzwanzig, um gegen das Athenische Beobachtungsgeschwader bei Naupaktos ein Seegefecht zu wagen, damit die dortigen Athener ihre Lastschiffe um so weniger am Aussegeln hindern könnten, indem sie ihre Aufmerksamkeit den ihnen gegenüberstehenden Kriegsschiffen zuwenden müßten.

Es rüsteten aber die Lakedämonier auch einen Einfall nach Attika, den sie selbst bereits früher beschlossen hatten, und wozu Syrakusaner und Korinther, als sie von dem HülfSzug der Athener gegen Sieilien erfuhren, dringend aufforderten, in der Meinung nämlich, daß dieser durch jenen Einfall verhindert werden könne. Und auch Alkibiades trat dem bei und gab ihnen an die Hand, sie sollten Dekeleia befestigen und nicht ablassen vom Krieg. Am meisten Zuverficht aber erwuchs den Lakedämoniern aus.der Meinung, daß die Athener, von zwiefachem Kriege bedrängt, dem gegen sie selbst und dem gegen die Sieilianer, leichter zu bewältigen sein würden, und dann auch weil sie meinten, daß die Athener dießmal zuerst die Verträge gebrochen hätten; denn in dem früheren Kriege sei die Schuld eher auf ihrer Seite gewesen, weil die Thebaner noch während des Waffenstillstandes in Platäa eingefallen seien, und weil in den früheren Verträgen 8) ausgemacht war, nicht zu den Waffen zu greifen, wenn die eine Partei ein Schiedsgericht anbiete, welches letztere eben die Athener damals gethan hatten, ohne daß sie darauf hören wollten; und deßhalb, glaubten sie, habe sie das Mißgeschick mit Recht betroffen, denn das Unglück bei Pylos und was ihnen sonst dergleichen begegnet war, hatten sie sich sehr zu Gemüth genommen. Da aber dießmal die Athener mit dreißig Schiffen von Argos aus [*]( 7) Wohl die zwanzig Schiffe Vll, II. 31, obschon Thuk. die Sache nicht so klar erzählt hat, wie er sollte. Zwanzig tsanden auch sonst dort. Vergl. II, 69. 60. (Kr.). ) [*]( 8) Im dreißigjährigen Vertrage. Vergl. 1/140. las. (Kr.). - ^ ) [*]( 9) Vergl. VI, 103. )

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[*]( 414 v. Chr. ) einen Theil deS Gebiets von Epidauros und Prasiä, sowie auch andere Gegenden'verwüstet hatten und zugleich von Pylos aus Raubzüge unternahmen, und da auch, so oft wegen irgend eines nach den Verträgen streitigen Punktes ein Zwiespalt entstand und die Lakedämonier Schiedsgerichte vorschlugen, die Athener aus dieselben nicht eingehen wollten, so glaubten die Lakedämonier, wie früher die Schuld auf ihrer Seite gewesen, ebenso sei dieselbe jetzt auf Seiten der Athener, und so waren sie denn zu der Kriegführung um so eifriger. Und im Verlaufe dieses Winters noch schrieben sie unter den Bundesgenossen Lieferungen von Eisen aus und rüsteten auch sonst alles Geräthe zum Festungsbau. Und auch um denen in Sicilien auf Lastschiffen Unterstützung zuzusenden, schafften sie selber das Nöthige herbei und nöthigten zu Gleichem auch die andern Pelovonnesier.

[*]( 413 v. Chr. ) So ging der Winter zu Ende und mit ihm endete das achtzehnte Jahr dieses Krieges, den Thukydides beschrieben hat.

Sogleich als der folgende Frühling begann, fielen die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen, so früh sie nur konnten, in Attika ein. Anführer war Agis, des Archidamos Sohn, König der Lakedämonier. Und zuerst verwüsteten sie das ebene Land und gingen dann an die Befestigung von Dekeleia, indem sie die Arbeit unter die einzelnen Städte vertheilten. Dekeleia ist aber von Athen selbst etwa hundert und zwanzig Stadien (gegen drei Meilen) entfernt, und ungefähr eben so weit oder doch nicht viel weiter von der Böotischen Gränze. Es war aber die Festung aus der Ebene selbst, und zwar in der fruchtbarsten Gegend erbaut worden und bis nach Athen hin sichtbar. Die Peloponnesier in Attika also sammt ihren Bundesgenossen arbeiteten an dieser Festung, die im Peloponnes aber schickten um dieselbe Zeit auf Lastschiffen die Schwerbewaffneten nach Sieilien. Die Lakedämonier hatten hiezu von den Heloten und Neubürgern die Tüchtigsten ausgewählt, von beiden zusammen gegen sechshundert Schwerbewaffnete, unter dem Befehl des Spartaners EkkritoS, die Böoter aber dreihundert Schwerbewaffnete, welche die Thebaner Xenon und Nikon und der Thespier HegesandroS anführten. Diese nun gingen zuerst ab, und zwar stachen sie in See von Tänaron in Lakonien aus. Nicht lange nach diesem schickten die

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Korinther fünfhundert Schwerbewaffnete ab, zum Theil aus Korinth [*]( 4l3 v. Chr. ) selbst genommen, zum Theil aus Arkadischem Volk gemiethet, und, gaben ihnen den Korinther Alexarchos zum Anführer.- Zugleich mit den Korinthern hatten aber auch die Sikyonier ^") zweihundert Schwerbewaffnete abgeschickt, unter den Befehlen des Sikyoniers Sargeus; die fünf und zwanzig Korinthischen Schiffe aber, die schon im Winter bemannt worden waren, ankerten gegenüber den zwanzig attischen bei Naupaktos, bis jene Schwerbewaffneten auf den Lastschiffen vom Peloponnes abgefahren waren, wie es denn ja auch von vornherein die Absicht ihrer Bemannung gewesen war, die Aufmerksamkeit der Athener von den Lastschiffen ab auf diese Kriegsschiffe zu lenken.