History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Wahrmund, Adolf, translator. Stuttgart: Krais and Hoffmann, 1864.

Siebentes Kriegsjahr: 425—24. Kap. 1—51.

Kap. Syraknsauer und Lokrer nehmen Messana weg und die Lokrer fallen in das Gebiet von Nhegtum.— Einfall der Peloponnesier in Attika. Attische Flotte nach Kerkyra und Sieilien. — 3—5. DemostheneS befestigt Pylos. — 6. Die Peloponnesier ziehen aus Attika ab. — 7. Eion von den Athenern gewonnen und verloren. — 8 — 13. Ereignisse vor Pylos. — 14. Seesieg der Athener daselbst. Spartaner ans Spkakteria abgeschnitten. — 15. Eindruck in Sparta. — 16. Waffentsillstand. — 17—20. Rede der Spartanischen Gesandten in Athen. — 2l—23 ohne Erfolgs Der Kampf beginnt wieder. — 2^. 25. Sieilianische Ereignisse. — 26. Die Athener vor Pylos leiden Noth. — 27—29. Kleon geht dorthin. Die Spartaner auf Sphakteria getödtet oder gefangen. — 40. Eindruck des Ereignisses unter den Hellenen. — 41. Messenier nach Pylos versetzt. — 42—45. Seezug der Athener gegen Korinth. — 46—48. Blutige Ereignisse auf Kerkyra. — 49. Die Athener nehmen Anaktorion. — 5l). Artaphernes, der persische Gesandte, von den Athenern gefangen. — 51. Die Chier verlieren ihre Mauern.

Achtes Kriegsjahr: 424—23. Kap, 52—11V.

Kap. 52. Sonnenfinsterniß und Erdbeben. Antandros von den Mylilenischcn Flüchtlingen genommen. — 53 —55. Die Athener erobern Kythera und 56. 57. Thyrea. — 58—65. Die

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Sikelioten schließen unter sich Frieden (59—64 Rede des Hermokrates). — 66—74. Die Athener nehmen Nisäa nnd die langen Mauern von Megara. Diese entsetzt durch Brasidas. — 75. Die Athener nehmen Antandros. Ereignisse im Schwarzen Meere. — 76. 77. Vergebliche Unternehmung der Athener gegen Siphä und Chäronea. — ^8—82. Brasidas zieht durch Thessalien nach Chalkidike; — 83. zieht mit Perdikkas gegen die Lynkester; — 84—88. gewinnt Manthos. Rede, daselbst. 89 —101. Die,Athener befestigen Delion, werben aber von den Böotiern geschlagen (92. Rede des Pagondas an die Böotier, 95.-des Hippokrates an die Athener). — 1.01. Demosthenes landet in Sikyonia und wird zurückgeschlagen. Sitalkes stirbt. — 102—108. Brasidas gewinnt Amphipolis (107/Thnkydid'es rettet Eion für die Athener). — 109. Die Städte der Athos-Halbinsel gehen Zu Brasidas über. — 110—116. Er nimmt Torone mit Lekythos.

Neuntes Kriegsjahr: -1L3—L2 S. Chr. Kap. 117—135.

Kap. 117 — 119. Einjähriger Waffenstillstand g zwischen Athen und Lakedamoil. — 120—123. Skione und Mende gehen zu Brasidas über. Rüstungen'der Athener deßhalb. .— 124. Zweiter Zug des 'Perdikkas und Brasidas gegen Arrhibaos; 125—128. Rückzug beider. "—-129. 130.'.Die Athener nehmen Meute wieder — 131. und schließen'Skione ein. — 132. Perdikkas tritt zu den Athenern über. — 133. Die Thebaner schleifen die Manern von Thespiä. Der Heratempel zu Argos brennt ab. — 134. Schlacht zwischen den Teqeaten und den Mantineern. — 135. Vergeblicher Versuch des Brasidas gegen Potidaa.

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Im folgenden Sommer, zur Zeit, da das Getreide in die [*]( 425 Chr. ) Aehren schoß, fuhren zehn Schiffe der Syrakusaner und ebenso viele, iokrische aus und nahmen Messana auf Sicilien in Besitz, von -den Einwohnern der Stadt selbst herbeigerufen, und so fiel Messana von den Athenern ab. Die Syrakusaner hatten das besonders deßhalb unternommen, weil sie sahen, daß der Platz zur Landung auf Sicilien günstig gelegen sei, und aus Furcht vor den Athenern, diese möchten einmal von dort aus mit größerer Macht einen Angriff aus sie unternehmen, — die Lokrer aber aus Haß gegen die Rheginer und in der Absicht, von beiden Seiten den Krieg mit Nachdruck gegen sie zu führen. Auch waren die Lokrer zu gleicher Zeit mit gesammter Macht in das Gebiet der Rheginer eingefallen, damit diese nicht Messana zu Hülse kommen könnten, zum Theil aber auch aus Einladung der Rheginischen Flüchtlinge, die bei ihnen waren. Denn Rhegium war seit langer Zeit durch inneren Zwist gespalten und konnte sich im Augenblick der Lokrer nicht erwehren, weßhalb diese denn der Stadt um so mehr zusetzten. Nachdem sie das Gebiet verheert, zogen die Lokrer mit dem Landheere wieder ab; jene Schiffe aber blieben vor Messana und bewachten eS, und auch noch andere Schiffe, die eben bemannt wurden, sollten dort sich vor Anker legen, um von da aus Kriegszüge zu unternehmen ').

Um dieselbe Frühlingszeit, bevor noch daS Getreide in Blüthe stand, fielen die Peloponnesier und ihre Bundesgenossen in [*]( 1) In Rhegium, wie in Messana, war die Bevölkerung theils ionisch, theils dorisch. ) [*]( Thukydides IV. ) [*]( 19 )

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[*]( 425 v Chr ) Attika ein, unter Führung des Lakedämonier-KönigS Agis, desArchidamos Sohn, und schlugen ein Lager und verwüsteten daS Land. Die Athener aber schickten die vierzig Schiffe nach Sieilien ab, wie sie sich denn auf eine solche Zahl gerüstet hatten ^), und dazu auch die Anführer, die noch zurückgeblieben waren, Eurymedon und Sophokles; denn Pythodoros, der dritte, war schon früher aus Sicilien angekommen. Diesen trugen sie auf, im Vorüberfahren auch den Kerkyräern in der Stadt Abhülfe zu gewähren, welche von den auf dem Gebirge vershcanzten Flüchtlingen^zeplündert und bedrängt wurden 2). ES waren aber auch von den Peloponnesiern sechzig Schiffe dorthin gegangen, um denen aus dem Gebirge Verstärkung zuzuführen, und auch weil sie hofften, bei der großen HungerSnoth in der Stadt dort der Dinge leicht Meister zu werden. Dem DemostheneS aber, der seit seiner Rückkehr aus Akarnanien^) als Privatmann lebte, erlaubten sie aus seine Bitte, mit jenen vierzig Schiffen in den Peloponnesischen Gewässern irgend etwas auszuführen, wenn er wolle.

Als sie nun an der lakonischen Küste hinsegclten und erfuhren, daß die Schiffe der Peloponnesier schon bei Kerkyra stünden, so drängten Eurymedon und Sophokles darauf, die Fahrt gegen Kerkyra zu beschleunigen Demotshenes aber rieth, man solle zuerst bei PyloS vor Ankergehen, und nachdem man ausgeführt, was er dort gethan haben wolle, dann die Fahrt weiter fortsetzen. Als nun die Andern dem widersprachen, erhob sich zufällig ein Sturm und trieb die Schiffe auf PyloS hin. DemotsheneS verlangte nun, man solle den Platz allsogleich befestigen; denn deßhalb grade sei er mitgefahren; und nun zeigte er, wie Ueberfluß an Holz und Steinen vorhanden und der Platz von 'Natur stark und überdieß noch aus eine weite Strecke Landes hin unbewohnt sei. Denn von Sparta liegt Pylos [*]( 2) Vgl. III. 115. ) [*]( 3) Vgl. III, 85. ) [*]( 4) Vgl. III. 114. ) [*]( 5) Dieß PyloS (jetzt Navarin) im alten Messenien war wohl auch Sii, der Nachkommen des NclenS (d. i. deS homerischen Nestor u. s. w.) deren Reich Triphylien und daS südliche Elis »msaßte. Als die Nachsolger deS Königs MenelaoS in Sparta schwächer an Macht wurden, bemächtigten sich die Neliden auch Messenien?, so daß Pylos nun Vorort Messenien? wurde. — Seit der Austreibung der späteren Messen!» durch die Laledämonier lag die ganze Gegend wüste und verlassen. )

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ungefähr vierhundert Stadien (10 deutsche Meilen) entfernt, auf dem [*]( 422 v Chr. ) Gebiete, welches früher Messenien war; die Lakedämonier aber nennen, den Ort Koryphasion. Jene indeß sagten, der Peloponnes habe ja viele unbewohnte Vorgebirge, wenn er durchaus die Stadt durch Landbesetzung in Kosten bringen wolle. Ihm aber schien der Ort vor andern ausgezeichnet, da er auch einen Hafen besitze, und die Messenier, denen ja das Land von Alters her erbzukömmlich sei und die auch mit den Lakedämoniern dieselbe Sprache redeten, würden jenen von da aus sehr vielen Schaden thun können und für den Platz eine zuverläßige Besatzung sein 6 ).

Als er aber weder die Feldherrn bereden konnte, noch auch die Soldaten — er hatte nämlich seine Gedanken später auch den Hauptlcuten mitgetheilt — so blieb er bei der herrschenden Unsee ruhig liegen, bis den Soldaten in ihrer Langeweile ganz von selbst die Lust kam, den Platz abzustecken und die Mauern aufzuführen. Sie legten also Hand an, indem sie wegen Mangels eiserner Werkzeuge zum Behauen ausgesuchte Steine herbeitrugen und sie zusammenfügten, wie es grade paßte; und den Lehm, wo er nothwendig war, trugen sie aus Mangel an Körben aus dem Rücken herzu, indem sie sich bückten, damit er liegen bleibe, und die Hände über dem Rücken zusammenfalteten, damit er nicht herabrutsche. Auch beeilten sie sich auf jede Weise, die angreifbarsten Stellen auszubauen, bevor die Lakedämonier noch anrücken könnten; denn der größere Umfang des Platzes war an sich fest und bedurfte keiner Mauer.

Die Lakedämonier aber feierten grade ein Fest, und da sie die Sache erfuhren, so legten sie ihr überdieß kein Gewicht bei und dachten, die Athener würden ihnen entweder gar nicht Stand halten, wann sie gegen sie anzögen, oder sie würden sie durch Berennung leicht in ihre Macht bekommen. Auch daß ihr eigenes Heer noch in Attika stand, war für sie Anlaß zur Zögerung. Die Athener aber, nachdem sie die Seite des Platzes gegen das Festland hin, und wo es sonst am meisten Noth that, innerhalb sechs Tagen ummauert hatten, ließen den Demosthenes mit fünf Schiffen als Besatzung daselbst zurück; mit [*]( 5) D. beabsichtigt, Messenier auS NaupaltoS (vgl. l, 103) nach Pylos zurückzuversetzen. Die Messenier redeten den dorischen Dialekt, vgl. IN, 112. ) [*]( 19* )

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[*]( 425 v. Chr. ) den übrigen Fahrzeugen beschleunigten sie die Fahrt gen Kerkyra und Sieilien.

Als nun aber die Peloponnesier in Attika die Wegnahme von Pylos erfuhren, zogen sie in aller Eile nach der Heimath ab; denn die Lakedämonier und Agis waren der Ansicht, daß der Umstand mit Pylos sie sehr nahe betreffe. Zugleich aber, weil sie sehr zeitig eingefallen waren und als die Frucht noch grün war, fehlte für die Mehrzahl des Heeres die Nahrung und überdieß litt dasselbe auch durch die Witterung, welche für die schon fortgeschrittene Jahreszeit noch sehr rauh und stürmisch war. So trugen viele Umstände dazu bei, daß sie rascher abzogen und dieser Einfall an Dauer der kürzeste wurde; denn sie waren in Allem nur fünfzehn Tage in Attika gestanden. »

Um dieselbe Zeit nahm Simonides, Feldherr der Athener, die Stadt Eion weg, eine Pflanzung der Mendäer an der thrakischen Gränze?). Dieß führte er aus, nachdem er die wenigen Athener auS den Besatzungen und eine große Zahl der dortigen Bundesgenossen an sich gezogen hatte; doch war auch Verrath im Spiel. Da aber allsogleich die Chalkidier und Bottiäer zur Hülfe heranrückten, so wurde er wieder hinausgeworfen und verlor viele seiner Leute.

Als nun die Peloponnesier, die in Attika gestanden hatten, abgezogen waren, rückten die Spartiaten selbst und von ihren Beisitzern 8) die zunächst wohnenden rasch gegen Pylos heran; der Zuzug der übrigen Lakedämonier geschah langsamer, da sie grade erst von einem andern Feldzug zurückgekommen waren. Sie ließen aber im ganzen Peloponnes herum ansagen, man solle so schnell als möglich zum Angriff von Pylos zu ihnen stoßen, und sandten auch Botschaft zu ihren sechzig Schiffen bei Kerkyra, welche über die Landenge der Leukadier gebracht wurden und so nach Pylos kamen, unbemerkt von den Attischen Schiffen, die bei Zakvnthos lagen. Das Fußvolk war da schon in voller Zahl beisammen. Demosthenes nun, während die Schiffe der Peloponnesier noch im Ansegeln begriffen waren, schickte [*]( 7) Dieß Eion ist nicht der Hasen gleiches Namens bei Amphipolis (IV, IM), sondern in der Landschaft Vierte, an der Gränze der Bottiäer und ChaUidier gelegen. Mende am Busen von Salonichü ) [*]( 8) Vgl. B. l. 101, Ann. 35. )

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unbemerkt noch zwei Schiffe mit Botschaft an den Eurymedon und [*]( 425 v. Chr. ) die Athener auf der Flotte bei Zakynthos: sie sollten herbeikommen, l da der Platz in Gefahr wäre; und diese beiden Schiffe beschleunigten auch ihre Fahrt, wie Demotshenes ihnen aufgetragen. Die Lakedämonier schickten sich nun an, die Verschanzung von der Land- und der Seeseite anzugreisen, in der Hoffnung, sie leicht zu nehmen, da das Mauerwerk in Eile ausgeführt und nur geringe Mannschaft darin sei. Weil sie aber auch gewärtig waren, daß die Attischen Schiffe von Zakynthos her zu Hülfe kämen, so nahmen sie auch Bedacht, für den Fall, daß sie den Platz nicht schon früher gewonnen haben sollten, die Eingänge des Hasens zu sperren, damit den Athenern daS Einlausen unmöglich wäre. Es macht nämlich die Insel, welche Sphak« teria heißt und nahe beim Land sich vor der Küste hinstreckt, den Hafen haltbar und die Einfahrten so eng, daß auf der Seite von Pylos und der Athenischen Verschanzung nur zwei Schiffe zugleich einsegeln können, auf der Seite gegen das andere Festland hin aber acht oder neun. Sie war ganz verlassen und daher mit Wald bedeckt und unwegsam und hatte in der Länge ungefähr fünfzehn Stadien ^5400 Schrittes. Die Einfahrten nun wollten sie verschließen, indem sie Schiffe, eines dicht neben dem andern, mit den Vordertheilen gegen einander gekehrt, austsellten. Die Insel selbst besetzten sie mit Schwerbewaffneten, aus Vorsorge, die Athener möchten von ihr auS sie angreisen, und ebenso stellten sie schweres Volk längs der Festlandsküstc hin. So dachten sie, werde die Insel die Athener abwehren können, und ebenso das Festland, welches eine Landung nicht erlaubte. Denn was von Pylos außerhalb der Einfahrt gegen daS offene Meer zu liegt, hat keinen Hafen und würde jenen keinen Punkt darbieten, von dem auS sie den Ihrigen Unterstützung gewähren könnten; sie selbst hingegen würden ohne Seekamps und ohne sonst etwas zu wagen den Platz ganz gewiß nehmen, da er keine LebenSmittel und nur geringe Kriegsrüstung besitze. Wie beschlossen, setzten sie denn auch Schwerbewaffnete nach der Insel über, die sie aus allen Abtheilungen durch das Loos hatten wählen lassen. Anfangs gingen aber auch Andere ablösungsweise hinüber; deren aber, welche dieß zuletzt traf und die dort eingeschlossen wurden, waren vierhundert und zwanzig und dazu die Heloten bei ihnen. Ihr Anführer war Epitadas,deS Molobros Sohn.

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[*]( 425 v. Chr. ) Da nun Demosthenes sah, daß die Lakedämonier mit Schiffen und Landtruppen zugleich angreisen wollten, nahm auch er seine Maßregeln, zog die Dreiruderer, die er von den zurückgelassenen Schiffen noch hatte, an's Land unter den Schutz der Verschanzung und umgab sie mit einem Pfahlwerk. Die Mannschaft derselben bewaffnete er mit Schilden, die übrigens nicht viel taugten und meist nur von Weidengeflecht waren; denn in dem ganz verödeten Lande gab es keine Möglichkeit, sich Waffen zu verschaffen, und auch jene hatte er nur durch ein messenisches Ranbschiff, einen Schnellsegler von dreißig Rudern, erhalten, der grade angekommen war. Diese Messenier hatten gegen dreißig Schwerbewaffnete unter sich, die er mit den seinigen verwendete. Die Mehrzahl nun sowohl der Bewaffneten, als der Unbewaffneten, stellte er gegen die Festlandsfeite an die am stärksten verschanzten und haltbarsten Punkte des Platzes, mit dem Befehl, dort das Fußvolk abzuwehren, wenn es angreisen sollte- er selbst aber wählte sich auS Allen insgesammt sechzig Schwerbewaffnete und einige Bogenschützen aus und stellte sich mit ihnen außerhalb der Verschanzung am Meere auf, da, wo er erwartete, daß jene am ersten eine Landung versuchen würden. Die Stelle fiel zwar steil und felsig gegen das Meer ab, aber weil ihre Verschanzung dort am schwächsten war, so dachte er, jene würden sich leicht zum Angriff an dieser Stelle bewegen lassen. Die Athener hatten nämlich hier die Vermauerung nicht stark hergestellt, weil sie gar nicht glaubten, jemals von einer überlegenen Flotte angegriffen zu werden; nun aber sahen sie, daß der Platz genommen werden könne, wenn erst die Landung erzwungen sei. Um diese nun wo möglich zu verhindern, rückte er bis dicht an das Meer vor, stellte seine Schwerbewaffneten aus und ermuthigte sie mit solchen Worten:

„Ihr Männer, die ihr mit mir diese Gefahr bestehen wollt! Denke keiner von euch, in dieser Bedrängniß damit etwas KlugeS zu thun, daß er sich alle Gefährlichkeiten aufzählt, die unS umringen; sondern rücksichtslos gehe er dem Feind entgegen und voll Zuversicht, daß er auch hier als Sieger hervorgehen wird. Denn ist eS einmal bis zn dieser Höhe der Gefahr gekommen, so ist Ueberlegung nicht mehr am Platze, sondern es bedarf eines raschen Wagnisses. UebrigenS sehe ich, daß die Mehrzahl der Umstände uns günstig ist, wenn

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wir nur Stand halten und nicht aus Furcht vor ihrer Ueberzahl unsere [*]( 425 v Chr. ) Vortheile feig aus der Hand geben wollen. Denn die Schwierigkeit der Landung an dieser Stelle ist doch ein Vortheil für unS, der unS den Kampf erleichtert, wenn wir nur ausharren. Weichen wir zurück, so bietet er freilich trotz seiner Schwierigkeit einen leichten Zugang, da Niemand im Weg steht; und selbst wenn wir dann den Feind wieder zurückwerfen sollten, so wird er doch viel erbitterter kämpfen, da der Weg zurück für ihn nicht leicht ist. So lange er noch auf den Schiffen ist, können wir ihn leicht abwehren, hat er aber einmal am Land festen Fuß gefaßt, so ist zwischen uns der Vortheil schon gleich. Seine Ueberzahl ist aber nicht sehr zu fürchten, denn trotz seiner Menge kann er nur mit kleinen Abtheilungen in den Kampf kommen, weil das Anlanden zu schwierig ist, und wir haben eS nicht mit einem Heere auf dem festen Lande zu thun, das unter sonst gleichen Umständen an Zahl überlegen ist, sondern sie stehen ja noch auf den Schis-sen, die sich den zahlreichen Zufällen des Meeres gar nicht entziehen können, und so glaube ich, wird der Nachtheil unserer geringen Zahl durch die Verlegenheiten jener wieder ausgewogen. Uebrigens seid ihr ja Athener und wißt ans Erfahrung, daß eine Landung mit Schiffen nicht wohl erzwungen werden kann, wenn nnr Einer Stand hält und nicht aus Furcht vor der Brandung und dem schreckhaften Andringen der Schiffe davonläuft; und darum erwarte ich von euch, daß ihr jetzt aushaltet und mitten in der Brandung tapfer fechtet, euch selbst und den Platz zu retten."

Durch diese ermunternden Worte deS DemostheneS wuchs den Athenern noch der Muth, und sie stiegen hinab und stellten sich dicht am Meer auf. Die Lak«dämonier erhoben sich nun auch und griffen zu Lande mit dem Heere und zugleich auch nnt den Schiffen die Verschanzung an. Der Schiffe waren aber dreiundvierzig, und es führte sie zum Angriff als Befehlshaber ThrasymelidaS, deS Kratesikles Sohn, ein Spartiate; und er griff da an, wo DemostheneS erwaitete. Die Athener nun wehrten ans beiden Seiten ab, nach dem Lande hin, wie nach dem Meere. Jene aber theilten ihre Schiffe in kleine Geschwader, weil es nicht möglich war, mit einer größeren Zahl zu landen; und abtheilnngSweise ausruhend, versuchten sie die Anfahrt, indem sie allen Eifer aufboten und auch einander ermuthigten, ob

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[*]( 425 v Chr. ) sie den Feind nicht zurückwerfen und die Festung nehmen könnten. Aus Allen aber leuchtete hervor Brasidas. Denn da er einen Dreiruderer befehligte und sah, wie schwer zugänglich der Platz sei, und daß die Schiffsführer und die Steuerleute, auch wo es möglich schien, anzulanden, doch zauderten und verhüten wollten, daß ihre Schiffe scheiterten, so rief er ihnen zu, es wäre unvernünftig, die Stücke Holz zu schonen und darüber den Feind gewähren zu lassen, der in ihrem eigenen Lande sich eine Festung gebaut habe, — und er hieß sie, die Landung zu erzwingen und lieber die eigenen Schiffe zerbrechen zu lassen, und auch die Bundesgenossen forderte er auf, sie sollten sich nicht bedenken, in der jetzigen Gefahr den Lakedämoniern für so große Wohlthaten ihre Schiffe zu opfern, sondern sie nur auflaufen lassen und aus alle Weise die Landung erzwingen, den Feind und seine Vershcanzung zu bewältigen.

Mit solchen Worten trieb er die Andern an, und seinen eigenen Steuermann zwang er, sein Schiff auflaufen zu lassen, und trat selbst auf die Landungsbrücke, das Aussteigen versuchend.. Da fielen aber aus ihn die Hiebe der Athener, und die Wunden nahmen ibm die Besinnung, und da er rückwärts in den Schiffsraum stürzte, fiel fein Schild ihm vom Arm in's Meer. Den trugen dann die Wellen an's Land, und die Athener hoben ihn auf und brachten ihn später bei dem Siegeszeichen an, welches sie dieses Zusammenstoßes wegen errichteten. Die Andern boten nun auch Alles auf, aber sie waren nicht im Stande zu landen, wegen der Unzugänglichkeit des Platzes und weil die Athener Stand hielten und nicht eines Fußes breit wichen. So hatte das Glücksrad sich gedreht, daß die Athener vom festen Land aus und zwar von Lakonischem jene, die von der See aus kamen, zurückwiesen, — die Lakedämonier aber mit einer Flotte gegen die Athener eine Landung auf ihrem eigenen Boden versuchten, den der Feind genommen: denn die Größe des Ruhmes bestand ja damals für die Einen darin, daß sie als Landmacht und im Fußkampf die Stärksten seien, für die Andern, daß sie zur See und im Schiffsgefecht am meisten hervorragten.

Diesen Tag nun und einen Theil des folgenden brachten sie mit Landungsversucben zu; dann ruhten sie aus. Am dritten Tag schickten sie einige von den Schiffen ab, die, sich an der Küste haltend,

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[*](425 v. Chr. ) nach Asine fahren sollten, dort Holz zum Sturmzeug zu holen. Sie gedachten nämlich von der Seite des Hafens her, wo die Mauer zwar hoch sei, aber doch noch am ehesten gelandet werden könne, den Platz durch Sturmzeug zu nehmen. Da nun kamen die fünfzig athenischen Schiffe von Zakynthos her in Sicht; es waren nämlich einige von den Wachschiffen bei Nanpaktos und vier Schiffe der Chier zu ihnen gestoßen. Als diese nun Festland und Insel voll von Schwerbewaffneten und die Schiffe ohne auszulaufen im Hafen liegen sahen, auch selbst nicht wußten, wo sie am besten landen sollten, so gingen sie für jetzt nach Brote, einer unbewohnten Insel, die nicht weit ab liegt, und brachten die Nacht dort zu; des folgenden Tags aber stachen sie in See, zum Gefecht bereit, wenn jene ihnen auf's offene Meer entgegensegeln wollten; im andern Fall wollten sie selbst zum Angriff in den Hafen einlaufen. Jene nun fuhren ihnen weder entgegen, noch auch hatten sie zufällig die Einfahrten versperrt, wie sie doch beabsichtigt, sondern bemannten ihre Schiffe ganz ruhig am Lande und machten sie fertig zum Gefecht, um dem Feind, wenn er einfahre, die Schlacht im Hafen zu liefern, der nicht klein ist^).

Als die Athener dieß merkten, so ruderten sie durch beide Einfahrten herein auf sie los, und da die Mehrzahl der Schiffe schon auf der Höhe des Hafens und zum Gefecht bereit war, so fielen sie dieselben an und jagten sie in die Flucht und beschädigten auf der Verfolgung viele, wie es bei den geringen Entfernungen nicht anders möglich war; fünf aber nahmen sie und darunter eines mit der ganzen Mannschaft. Die übrigen, die sich auf das Land geflüchtet hatten, griffen sie dort an. Einigen Schiffen, die eben erst bemannt wurden, stießen sie mit dem Schnabel die Wand ein, noch ehe sie auslaufen konnten; andere nahmen sie leer in's Schlepptau, da die Mannschaft davongelaufen war. Als die Lakedämonier (des Landheeres) dieß sahen, ergriff sie der bitterste Schmerz über das Unglück, da ja ihre Leute auf der Insel abgeschnitten waren. Sie liefen herbei und stiegen schwer bewaffnet, wie sie waren, in's Meer und packten die Schiffe an, sie an's Land zu ziehen. Und so groß war da ihr Eifer, daß Jeder fürchtete, die Sache könne dort nur schlecht gehen, wo er selbst nicht die [*]( 9) Der Hafen gehört zu den größten Europa's (Krüger). )

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[*]( 425 v. Chr. ) Hand dabei hätte. Groß war das Geschrei um die Schiffe und beide Theile hatten dabei ihre Kampsart wieder ausgetauscht, denn die Lakedämonier, in ihrer Kampfwuth und Verzweiflung, lieferten so zu sagen vom Land aus einen Schiffskampf, und die Athener, die schon den Sieg in Händen hatten und ihr Glück aus's Aeußerste verfolgen wollten, kämpften von den Schiffen aus wie Landtruppen. Nachdem sie so einander viel Mühsal angethan und auf einander eingehanen hatten, daß der Wunden viele waren, schied sich der Kampf, und die Lakedämonier brachten die leeren Schiffe mit Ausnahme der Anfangs genommenen in Sicherheit. Beide Theile gingen in ihr Lager, und die Einen stellten ein Siegeszeichen auf, lieferten die Todten auS und sammelten die Schiffstrümmer; und die Insel umkreuzten sie allsogleich und hielten Wache, da die Leute darauf abgeschnitten waren. Die Peloponnesier auf dem Festland aber, sammt denen, die ihnen bereits von allen Seiten zu Hülfe gekommen waren, blieben in ihrer Landstellung vor Pylos.

In Sparta aber, als das bei Pylos Vorgefallene dorthin gemeldet worden war, beschlossen sie, wie bei einem großen Unglücke, daß die Oberbeamten sich zum Heere begeben sollten, um allsogleich nach eigener Anschauung Beschluß zu fassen, wie ihnen gutdünke. Wie nun diese sahen, daß es unmöglich sei, ihren Leuten auf der Insel Hülfe zu bringen, nnd sie dieselben auch nicht in der Gefahr lassen wollten, entweder durch Hunger umzukommen, oder von der Mehrzahl bewältigt gefangen zu werden, so beschlossen sie, mit den Feldherrn der Athener, sosern diese einwilligten, für das Heer bei Pylos einen Waffenstillstand abzuschließen und dann Gesandte nach Athen zu schicken, um einen Vergleich zu Stande zu bringen und Alles aufzubieten, ihre Leute sobald als möglich wieder frei zu machen.

Da nun die Feldherrn den Vorschlag annahmen, so wurde ein Waffenstillstand auf folgende Bedingungen geschlossen: die Lakedämonier sollten die Schiffe, mit welchen sie die Seeschlacht geliefert, und auch sämmtliche andere Kriegsschiffe, die in Lakonika vorhanden seien, den Athenern ausliefern und sie selbst nach Pylos bringen; die Verschanznng dürften sie weder von der Land-, noch von der Seefeite angreifen. Die Athener ihrerseits sollten gestatten, daß die Lakedämonier vom Festland ihren Leuten auf der Insel ein bestimmtes und

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schon zu Brod verbackenes Getreidemaß hinübershcickten, für den Mann [*]( 425 v. Chr. ) zwei attische Ehömken Mehl, zwei Kotylen Wein und die Fleisch-, ration, und für einen Diener die Hälfte. Das aber sollten sie unter den Augen der Athener einführen, und kein Schiff sollte heimlich einlaufen dürfen. Unterdessen sollten gleichwohl die Athener die Insel überwachen, jedoch nicht auf ihr landen und das Heer der Peloponnesier weder zu Land, noch zu Wasser angreifen. Wenn Einer von beiden Theilen eine dieser Satzungen auch nur im Geringsten übertrete, so solle der Waffenstillstand als gebrochen angesehen werden; sonst aber solle er gelten, bis die lakedämonischen Gesandten von Athen wieder zurück gekommen seien. Hin und zurückbringen sollten dieselben aber die Athener auf einem ihrer Dreiruderer. Wären sie wieder zurück, so sollte der Waffenstillstand abgelaufen sein, und die Athener die Schiffe wieder zurückgeben, in gleichem Stande, wie sie dieselben übernommen. Auf diese Bedingungen hin kam die Waffenruhe zu Stand, die Schiffe, ungefähr sechzig an der Zahl, wurden übergeben, und die Gesandten reisten ab. Angekommen zu Athen, sprachen sie, wie folgt:

„Hergesendet haben uns die Lakedämonier, um mit euch, ihr Athener, wegen der Männer auf der Insel zu unterhandeln und mit euch zu vereinbaren, waS nützlich für euch ist und zugleich ehrenvoll für uns, soweit dieß bei unserem Unfälle nach den gegenwärtigen Umständen möglich ist. Unsere Rede wird etwas lang ausfallen, was jedoch nicht gegen unsere Gewohnheit ist; vielmehr lieben wir eS, dort zwar wenige Worte zu machen, wo kurze Rede genügt, ziehen aber die längere vor, wo die Umstände die Erreichung des Zweckes in Aussicht stellen, wenn man in längerer Rede zeigen kann, was förderlich ist. Nehmt aber unsere Worte nicht feindselig auf und nicht so, als ob wir in euch Unwissende belehren wollten, sondern nehmt sie als eine Mahnung an Kundige, einen edlen Entschluß zu fassen. Denn eS steht jetzt bei euch, das Glück, daS euch eben zu Theil geworden ist, zu eurem Ruhme zu wenden, indem ihr behaltet, waS ihr jetzt besitzt, und noch Ehre und Lob dazu gewinnet; und ihr dürft nicht über euch herein­ [*]( i«) Ein Chönir — 54.39 Pariser SudikjvN 0.0V06 Scheffel; eine Aoüzl, s- lZ.SS Pariser CubikjvN »» eh Maß. )

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[*]( 425 v. Chr. ) ziehen, was denen begegnet, die ein ungewohnter Glücksfall trifft und die nun voll guter Hoffnung immer nach Größerem trachten, weil auch das gegenwärtige Glück ihnen wider Verhoffen zugeflogen ist. Ueber wen aber schon mancher Wechsel gekommen ist, beides in Glück und Unglück, der thut wohl daran, erst recht mißtrauisch zu sein gegen Glücksgunst. In eurer Stadt sollte diese Ansicht in Folge eurer Erfahrung herrschen, und bei uns versteht es sich wohl von selbst."

„Davon mögt ihr euch überzeugen, indem ihr unser jetziges Unglück bedenkt. Denn wir, die unter den Hellenen am höchsten angesehen sind, kommen nun zu euch und glaubten doch früher, daß es vielmehr in unserem Willen stehe, euch das zu gewähren, weßwegen wir nun hier sind, um es von euch zu erbitten. Und doch hat uns das nicht betroffen aus Ungenügen unserer Kraft, oder weil wir der überlegenen Macht gegenüber die unsere hochmüthig überschätzt hätten, sondern im gleichen Besitz unserer alten Stärke haben wir eben die Rechnung ohne den Wirth gemacht, und das kann Alle gleicherweise betreffen. Es wäre also nicht Recht, wenn ihr wegen der jetzigen Macht eurer Stadt und eurer Bundesgenossen glauben wolltet, das Glück müsse euch immer günstig sein. Besonnene Männer sind die, welche ihre Sache ans alle Fälle sicher stellen — und solche möchten wohl auch einem Unglücksfall mit größerer Einsicht begegnen können — und die vom Kriege nicht die Meinung haben, als ob er Einem zu Willen sei, so wie man ihn grade machen wolle, kurz oder lang, sondern so wie das Glück die Zufälle lenkt. Und solche Männer, die am wenigsten Unglück trifft, weil sie nicht im Vertrauen auf einen Erfolg sich überheben, solche besonnene Männer sind wohl auch im Glücke am ehesten bereit, Frieden zu machen. Und so nun gegen uns zu handeln, wäre ruhmvoll für euch, ihr Athener, und ihr würdet dann nicht Gefahr laufen, später einmal, wenn ihr uns jetzt nicht folgt und dann ein Unglück erleidet, was doch oft vorkommt, in die Meinung zu kommen, daß auch eure jetzigen Vortheile nur dem Glück zu verdanken waren, während es jetzt, ohne weiter etwas zu wagen, bei euch steht, den Ruhm der Macht und der Einsicht auch für die Zukunft zu behalten."

„Die Lakedämonier fordern ench auf, Frieden zu schließen und dem Krieg ein Ende zu machen, und bieten euch ihrerseits Frie

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den und Bundesgenossenschaft und alle Freundschaft und Bereitwil- [*]( 425 v. Chr. ) ligkeit im gegenseitigen Verkehr. Dafür Melangen sie ihre Mannschaft ^ von der Insel, und sie glauben, daß es für beide Theile besser sei, nicht weiter das Waffenglück aus die Probe zu stellen, ob nun jene mit Gewalt sich befreien möchten, wenn günstige Gelegenheit zur Rettung sich darböte, oder ob sie vielleicht noch früher durch Einnahme der Insel in eure Hände sielen. Auch glauben wir, daß große Feindschaften nicht dadurch sichere Beseitigung finden, wenn Einer sich seines Gegners erwehrt hat und ihm im Kampfe weit überlegen geblieben ist und ihn nun mit Gewalt zwingt, einen Frieden unter unbilligen Bedingungen zu beschwören, sondern wenn er, trotzdem es in seiner Macht stand, so zu handeln, in milder Denkart sich edeisinnig darüber erhebt und mit seinem Gegner selbst gegen dessen Erwarten ein billiges Abkommen trifft. Denn so fühlt der Gegner nicht mehr die Verpflichtung, wie Einer, dessen Recht niedergetreten wurde, sich zu rächen, sondern die, sich ebenso edelsinnig zu zeigen, und er ist aus Ehrgefühl viel bereitwilliger, die Bedingungen des Friedens zu halten; und die Menschen pflegen dieß bei größeren Feindschaften lieber zu thun, als bei unbedeutenderen Zwistigkeiten. Und sie sind so von Natur geartet, daß sie denen gegenüber, welche aus eigener Bewegung Milde walten lassen, auch ihrerseits mit Freude nachgeben, den Hochmüthigen gegenüber aber lassen sie es selbst gegen bessere Einsicht lieber auf Kampf ankommen."