History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Wahrmund, Adolf, translator. Stuttgart: Krais and Hoffmann, 1864.

Im Laufe desselben Sommers, nicht lange nach diesen Vorfällen, wollten die Amprakioten und Chaoner ganz Akarnanien sich unterwerfen und den Athenern abwendig machen und überredeten die Lakedämonier, aus Bundesmitteln eine Flotte zu rüsten und Tausend Schwerbewaffnete nach Akarnanien zu werfen. Wenn die Spartaner, sagten sie, mit Landtrnppen und mit Schiffen kämen, so daß dadurch die Akarnanier des Binnenlandes verhindert wären, zu Hülfe zu kommen, so könnten sie leicht Akarnanien besetzen und von hier aus auch die Inseln Zakynthos (Zante) und Kephallenia in ihre Gewalt bekommen, und dann könnten auch die Athener nicht mehr wie früher den Peloponnes umschiffen; vielleicht könne man sogar Naupaktos wegnehmen. Die Lakedämonier ließen sich bereden und schickten den Knemos, der noch Befehlshaber der Flotte war, und die Schwerbe

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waffneten auf wenigen Schiffen sogleich ab; der Flotte befahlen sie [*]( 429 v. Chr. ) allsogleich nach vollendeter Ausrüstung gen Leukas zu segeln. Den meisten Eifer für die Amprakioten zeigten die Korinther, deren Pslanzvolk jene waren. Die Schiffe von Korinth nun und Sikyon und den andern dortigen Plätzen waren noch m der Ausrustung begriffen, die von Leukas aber und Anaktorion und Amprakia waren schon am Platze und warteten bei Leukas. Knemos und seine Tausend Schwerbewaffneten waren übergefahren, ohne daß Phormio, Befehlshaber der zwanzig attischen Schiffe, die bei Naupaktos aus Wache standen, es bemerkt hätte, und trafen nun sogleich ihre Anstalten zum Landfeldzuge. Bei ihm waren von Hellenen Amprakioten, Leukadier und Anaktorier und die Tausend Peloponnesier, die er selbst führte; von Barbaren Tausend Chaoner, welche keinen König haben; ihre Anführer, welche immer auf ein Jahr aus dem herrschenden Geschlecht gewählt werden, waren Photyos und Nikanor. Mit den Chaonern zogen auch Thesproter zu Felde, die ebenfalls nicht unter königlicher Herrschast stehen. Die Molofser und Atintaner führte Sabylinthos, Vormund des Königs Tharyps, der noch ein Kind war; die Paraväer ihr König Oroidos; Tausend Orestier, deren König Antiochos ist, standen mit des Antiochos Erlaubniß mit den Paraväern unter den Befehlen des Oroidos. Auch Perdikkas hatte, ohne daß die Athener es merkten, Tausend Makedonier abgeschickt, die aber zu spät kamen.

Mit diesem Heere setzte sich Knemos in Marsch, ohne die Flotte von Korinth abzuwarten. Durch ^das amphilochische^ Argos ziehend, verwüsteten sie den offenen Flecken Limnäa. Dann zogen sie gegen Stratos, die größte Stadt Akarnaniens, in der Meinung, daß Alles übrige ihnen leicht zufallen würde, wenn sie erst diese genommen hätten.

Als die Akarnanier erfuhren, daß ein starkes Landheer eingefallen und auch eine feindliche Flotte zu erwarten sei, eilten sie sich einander nicht zu Hülfe, sondern vertheidigten eine jede Gemeinde sich selbst und sandten indessen zu Phormio mit der Bitte, er möge zu Hülse kommen. Dieser aber ließ sagen, er könne jetzt unmöglich Naupaktos unbeschützt lassen, da eine Flotte von Korinth abzusegeln im [*]( 22) Vgl. II. 69.. )

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[*]( 429 Chr, ) Begriffe sei. Die Peloponnesier nun und ihre Bundesgenossen marschirten in drei getrennten Abtheilungen gegen die Stadt der Stratier, um in der Nähe ein Lager zu schlagen und, wenn dieselben nicht gütlich mit sich reden ließen, die Festigkeit ihres Ortes ernstlich zu erproben. In der Mitte marshcirten die Chaoner und die übrigen Barbaren, rechts von ihnen die Leukadier, Anaktorier und wer mit ihnen war, und links Knemos mit den Peloponnesiern und Amprakioten. Diese Abtheilungen trennten große Zwishcenränme, und manchmal konnten sie sich einander gar nicht sehen. Die Hellenen nun marshcirten in Reih und Glied und mit aller Vorsicht, <>is sie an einem geeigneten Orte ihr Lager geschlagen haben würden. Die Chaoner aber, voller Selbstzuversicht, wie sie denn auch unter den dortigen Festländern für die streitbarsten gehalten werden, brachten es nicht über sich, erst ein Lager zu schlagen, sondern stürzten mit den andern Barbaren eiligst vorwärts, in dem Glauben, sie würden die Stadt im ersten Anschrei nehmen und sie allein den Ruhm davon haben. Die Stratier aber erhielten davon Wind und dachten, wenn sie über diesen vereinzelten Haufen gesiegt hätten, so würden die Hellenen nicht mehr gleich muthig gegen sie vorgehen. Deshalb legten sie in der Umgebung der Stadt Hinterhalte, und als jene nahe genug waren, rückten sie zu gleicher Zeit aus der Stadt heran und brachen aus den Hinterhalten hervor. Da hiedurch die Chaoner in Verwirrung geriethen, so verloren sie viele von ihren Leuten, und als die andern Barbaren sie weichen sahen, so hielten sie nicht mehr Stand, und Alles wandte sich zur Flucht. Von diesem Gefechte hatte keine der beiden hellenischen Abtheilungen etwas gemerkt, weil die Barbaren zu sehr vorausgeeilt waren nnd die Hellenen glaubten, jene beeilten sich, um ein Lager zu schlagen. Da aber jetzt die Barbaren fliehend herbeistürzten, so nahmen sie dieselben aus, vereinigten ihr Lager und blieben den Tag über ruhig an jenem Orte stehen, da die Stratier nicht mit ihnen handgemein wurden, weil die übrigen akarnanischen Hülsstruppen noch nicht zu ihnen gestoßen waren. Doch beunruhigten jene sehr durch Schleuderwürfe aus der Ferne und brachten sie dadurch in große Verlegenheit, da sie ohne volle Waffenrüstung sich nicht vom Fleck entfernen dursten. Denn die Akarnanier werden für die geschicktesten Schleuderer gehalten.

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Als es Nacht geworden war, zog sich Knemos in aller Eile [*]( 429 v. Chr. ) mit dem Heere auf den Fluß Anapos zurück, der von Stratos achtzig > Stadien entfernt ist. Die Todten ließ er des folgenden Tags unter dem Schutze eines Waffenstillstands abholen, und da die Oiniaden als Freunde zu ihm gestoßen waren, so zog er sich aus ihr Gebiet zurück, bevor noch die Verstärkung der Akarnaner eingetroffen war; und von da aus gingen sie auseinander, Jeder in seine Heimat. Die Stratier aber errichteten ein Siegeszeichen wegen des Gefechtes mit den Barbaren.

Die Flotte von Korinth und den übrigen Bundesgenossen im krisäischen Busen, welche hätte zu Knemos stoßen sollen, damit die vom Meere landeinwärts wohnenden Akarnanier nicht zu Hülfe kommen konnten, war nicht eingetroffen, sondern in denselben Tagen mit dem Gefecht bei Stratos wurde sie zu einem Seekampfe mit Phormio und den zwanzig athenischen Schiffen gezwungen, welche bei Naupaktos aus Wache standen. Denn Phormio lauerte den an der Küste Einshciffenden außerhalb des Meerbusens auf, um sie auf offener See anzugreisen. Die Korinther aber und ihre Bundesgenossen waren bei dieser Fahrt aus einen Seekampf gar nicht gefaßt, sondern in ihrer Ausrüstung mehr auf das Land-Unternehmen gegen Akarnanien bedacht gewesen, und es war ihnen auch nicht eingefallen, daß die Athener mit ihren zwanzig Schiffen eine Seeschlacht gegen ihre sieben und vierzig wagen würden. Sie bemerkten aber jener Ansegeln erst, als sie selbst noch an der peloponnesischen Küste hinschifften, und da sie die Athener von Chalkis und dem Euenos-Flusse her in dem Augenblicke auf sie lossteuern sahen, als sie gerade im Begriffe waren, von Paträ in Achaja nach Akarnanien überzufahren, auch nicht durch die Wahl ihres Ankerplatzes während der Nacht der Aufmerksamkeit jener entgehen konnten, so wurden sie gezwungen, mitten auf der Ueberfahrt eine Seeschlacht anzunehmen^). Sie hatten je nach den Städten, die zu dem Geschwader mitgerüstet, besondere Anführer; die Korinther selbst befehligten Machaon, Jsokrates und Agatharchidas. [*]( 25) Weil die Peloponnesier sich außerhalb des krisäischen Busens in dem von Paträ befanden, was eben Phormio wünschte, II, 86, (Kr). Andere übersetzen: mitten im Meerbusen. )

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[*](429 v. Chr. )Die Peloponnesier stellten ihre Schiffe in einem Kreise auf, den sie ausdehnten, so weit es möglich war, ohne dem Feinde das Durchsegeln zu gestatten, die Schnäbel auswärts, die Hintertheile einwärts gekehrt; ihre leichten Schiffe, die mitfuhren, stellten sie in die Mitte und dazu die fünf besten Segler, die zum Ausfall aus geringer Entfernung bei der Hand sein sollten, wenn der Feind an irgend einem Punkt angriffe.

Die Athener aber stellten ihre Schiffe in Einer Linie hintereinander und segelten im Kreise um jene herum und drängten sie so auf einen engen Raum zusammen, indem sie jene im Vorbeifahren fast streiften und immerfort Miene zum Angriff machten. Phormio hatte aber besohlen nicht anzugreisen, bevor er nicht das Zeichen gegeben habe, denn er hoffte, daß jene ihre Stellung nicht würden einhalten können wie ein Landheer, sondern daß die Kriegsschiffe eines an das andere anstoßen und auch die Lastschiffe sie belästigen würden, und wenn erst der Wind aus dem inneren Meerbusen herausblase, in dessen Erwartung er eben die Feinde umsegelte, und der sich gegen Sonnenaufgang zu erheben pflegte, so würden sie keinen Augenblick mehr Ruhe und Ordnung bewahren können; auch stehe es, glaubte er, bei ihm, anzugreifen, wann er wolle, da seine Schiffe bessere Segler seien, und jener Augenblick würde dazu der glücklichste sein. Wie mm der Wind sich erhob, und die Schiffe, die ohnedies schon beengt waren, von beiden, dem Winde und den Lastschiffen, zu gleicher Zeit bedrängt wurden, ein Fahrzeug an das andere anlief, und sie durch Stangen auseinander gestoßen werden mußten, so entstand ein großes Geschrei und vor lauter Habt-Acht!-rufen und Schelten hörten sie weder die Befehle, noch die eigenen Bootsleute. Auch waren ihre ungeübten Leute nicht im Stande, im Wellenschlage die Ruder zu handhaben, so daß die Schiffe dem Steuerruder noch weniger gehorchen konnten. Da nun gab Phormio das Zeichen, die Athener griffen an und versenkten zuerst eines der Admiralschiffe und machten danach alle andern seeuutüchtig, aus die sie nur stießen. Jene kamen in ihrer Verwirrung zu keinem Widerstande mehr, sondern flohen nach Paträ und Dyme in Achaia. Die Athener aber verfolgten sie, nahmen ihnen noch zwölf Schiffe und tödteten die Mehrzahl der Mannschaft. Dann segelten sie gen Molykrion, errichteten auf dem Vorgebirge Rhion ein Siegeszeichen, und nachdem sie dem Neptun noch ein Schiff zum Weih«

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gescheut gebracht, kehrten sie nach Naupaktos zurück. Auch Adie Pelo- [*]( 429 v. Chr. ) ponnesier segelten mit dem Reste ihrer Schiffe längs der Küste aus Dyme und Paträ nach der Eleischen Schiffswerft Kyllene, und auch Knemos mit den dortigen Schiffen, welche sich mit dieser Flotte Hütten vereinigen sollen, kamen nach dem Gefecht bei Stratos nach Kyllene.

Nun schickten die Lakedämonier dem Knemos als Beistände auf die Schiffe den Timokrates, Brasidas und Lykophron mit dem Befehl, ein zweites, glücklicheres Seetreffen zu veranstalten und nicht vor so wenigen Schiffen die See zu räumen. Denn sowohl aus andern Gründen, als auch weil sie sich jetzt zum erstenmale in einem Seekampfe versucht hatten, schien ihnen das Ganze höchst ausfallend, und sie glaubten nicht sowohl, daß ihre Flotte eben deswegen den kürzeren gezogen, sondern weil Feigheit im Spiele gewesen sein müsse; die vieljährige Erfahrung der Athener gegenüber ihrer eigenen Unersahrenheit bei ihrer geringen Uebung brachten sie nicht in Anschlag. In ihrem Unwillen also schickten sie jene ab. Nach ihrer Ankunft bei Knemos legten sie den einzelnen Städten eine Schiffslieserung auf und ließen die bereits vorhandenen zum Seekampf tüchtig machen. Es sandte aber auch Phormio nach Athen sowohl die Meldung von den Rüstungen jener, als auch den Bericht über seinen Seesieg und bat, ihm in Bälde eine möglichst große Zahl von Schiffen zu senden, da er jeden Tag einer Seeschlacht gewärtig sein müsse. Diese schickten ihm auch zwanzig Schiffe, gaben aber ihrem Anführer den Befehl, erst aus Kreta zu landen. Ihr Gastfreund, der Gortynier Nikias auf Kreta, nämlich hatte sie überredet, eine Landung gegen Kydonia zu unternehmen, mit dem Versprechen, diese ihnen feindlich gesinnte Stadt ihnen in die Hände zu liefern. In der That aber veranlaßte er sie hiezu den Polichnitern zu gefallen, den Gränznachbarn der Kydonier. Jener Anführer nun kam mit den zwanzig Schiffen nach Kreta und verheerte im Vereine mit den Polichnitern das Gebiet der Kydonier, mußte aber dann wegen der Stürme und Unsee geraume Zeit da« selbst verweilen.

Die Peloponnesier in Kyllene nun hatten, während die Athener auf Kreta zurückgehalten wurden, ihre Rüstungen zu einer Seeschlacht vollendet und segelten jetzt nach Panormos in Achaia, wohin bereits das peloponnesische Landheer zu ihrem Beistande marschirt war.

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[*](429. v. Chr.) Auch Phormio segelte nach dem molykrifchen Rhion und ging außerhalb desselben mit den zwanzig Schiffen vor Anker, mit denen er auch die erste Seeschlacht geliefert hatte. Dies Rhion war nämlich das den Athenern freundlich gesinnte; das andere liegt grade gegenüber im Peloponnes. Die Entfernung zwischen beiden zur See betrügt ungefähr sieben Stadien, und hier eben ist die Mündung des krisäischen Meerbusens. Bei dem achäifchen Rhion also, das von Panormos, wo ihr Landheer stand, nicht weit entfernt ist, gingen die Peloponnesier mit sieben und siebzig Schiffen vor Anker, da sie die Athener dasselbe thun sahen. So blieben sie sechs oder sieben Tage einander gegenüber liegen, sich unterdessen zur Seeschlacht übend und vorbereitend. Die Einen gedachten ihrer früheren Niederlage und wollten sich nicht aus den beiden Rhien hinaus aus die offene See wagen, und die Andern wollten nicht in den engen Busen einfahren, in der Ueberzeugung, daß ein Kampf auf beengtem Raume jenen günstig sei. Knemos und Brafidas aber und die übrigen Feldherrn der Peloponnesier wollten die Seeschlacht so bald als möglich liefern, bevor noch Hülfe von den Athenern kommen könne: deshalb riefen sie zuerst die Soldaten zusammen, und da sie sahen, daß die Mehrzahl derselben sich vom Schrecken der ersten Niederlage noch nicht erholthatten und sich keineswegs kampfes« muthig zeigten, so suchten sie sie aufzumuntern und redeten sie also an:

„Wenn sich wegen der früheren Seeschlacht, ihr Peloponnesier, Einer von euch vor der bevorstehenden fürchtet, so hat er darin gar keinen gerechten Grund zur Furcht. Denn damals war unsere Rüstung mangelhaft, wie ihr wißt, und wir segelten nicht in Erwartung einer Seeschlacht, sondern vielmehr eines Kampfes auf dem Lande. Zufällig waren uns auch einige Glücksumstände nugünstig, und auch unsere Erfahrung reichte wohl für den Seekampf nicht aus. Von unserer Seite ist also keineswegs Feigheit an der Niederlage Schuld gewesen, und es wäre Ungerechtigkeit gegen uns selbst, wenn unser Muth, der doch keineswegs vor der Tapferkeit der Feinde gewichen ist, sondern noch viele Rechtsertigungsgründe für sich hat, sich durch das eingetretene Unglück würde Herabdrücken lasten. Vielmehr muß man glauben, daß derMensch durch die Verhängnisse des Schicksals wohl einmal unglücklich sein kann, aber deshalb, was seinen Muth angeht, doch nach wie vor mit Recht für einen tapfern Mann gehalten werde, und

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daß Einer bei tapferer Gesinnung aus seiner Unerfahrenheit keinen [*]( 429 v. Chr.) Entschuldigungsgrund der Verzagtheit machen dürfe. Ihr aber steht nicht einmal wegen mangelnder Erfahrung so weit hinter jenen zurück, als ihr sie an Kühnheit übertrefft. Die Erfahrung jener, die ihr so sehr fürchtet, wird nur, wenn sie mit Tapferkeit verbunden ist, Beisnnung genug haben, um in der Gefahr das anzuwenden, was sie gelernt hat. Ohne Muth aber ist keine Kunst m der Gefahr etwas nütze; denn Furcht benimmt die Besinnung, und Geschicklichkeit ohne Tapferkeit vermag Nichts. Setzet also der größeren Erfahrung jener euerseits kühneren Muth entgegen, und eurer Furcht wegen der früheren Niederlage den Gedanken, daß wir damals ungerüstet waren. Auch kommt euch die größere Schiffszahl zu Statten, und daß ihr an der eigenen Küste in der Nähe eurer Schwerbewaffneten die Seeschlacht liefert. Meist gehört ja der Sieg der Mehrzahl und den besser Gerüsteten. So könnten wir also auch nicht einen einzigen Grund finden, weshalb wir wahrscheinlicher Weise den Kürzeren ziehen sollten. Was wir früher schlecht gemacht haben, das kommt uns jetzt als erworbene Belehrung zu Statten. So seid also gutes Muthes, ihr Steuermänner und Schiffleute! Thue Jeder das Seine und weiche nicht von dem Platze, wohin er gestellt worden ist. Wir aber werden nicht schlechter als die vor uns Anführer gewesen sind, den Angriff leiten und werden Keinem einen Vorwand lassen, sich feig zu zeigen. Wenn es aber dennoch Einer thun wollte, so wird ihn die geziemende Strafe treffen; die Braven aber werden mit dem verdienten Lohn der Tapferkeit geehrt werden."

Solches redeten zu den Peloponnesiern ihre Anführer, ihnen Muth einzusprechen. Aber auch Phormio seinerseits, da er bemerkte, daß seinen Soldaten der Muth sank, und daß sie unter einander zusammentraten und wegen der Zahl der Schiffe Besorgniß äußerten, berief eine Versammlung, um ise.aufzurichten und sie anzueifern, den gegenwartigen Umständen die Stirne zu bieten. Denn auch schon früher pflegte er immer so zu reden und sie so zu stimmen, als ob keine Zahl von feindlich heransegelnden Schiffen so groß fein könne, daß sie ihr nicht gewachsen wären; und auch die Soldaten hatten seit langem ein solches Vertrauen zu sich selbst gefaßt, daß sie als Athener vor keiner noch so großen Zahl peloponnesischer Schiffs weichen zu müssen glaub-

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[*]( 429 v. Chr ) ten. Da er sie nun aber wegen dessen, was sie sahen,"doch entmukyi^gt fand, so wollte er ihnen die Zuversicht wieder wach rufen, rief sie also zusammen und sprach so:

„Weil ich sehe, ihr Soldaten, daß ihr euch vor der Menge der Gegner fürchtet, so habe ich euch zusammengerufen; denn ich bin der Meinung, daß, was nicht furchtbar sei, auch nicht gefürchtet werden darf. Jene haben, weil sie zuerst von uns besiegt worden sind, und weil sie sich selbst nicht zutrauen, uns gewahcsen zu sein, diese große Zahl von Schiffen ausgerüstet, denn sie wollen nicht als Gleicher, dem Gleichen gegenüberstehen; und wenn sie scheinbar im Vertrauen daraus gegen uns heranrücken, als ob der Muth überhaupt ihnen angeboren und natürlich sei, so hat ihr Muth keine andere Quelle, als weil sie wegen ihrer Erfahrung im Landkriege in demselben meist glücklich sind, und darum glauben sie, daß sie auch zur See dasselbe leisten werden. Wenn sie aber auch in jenem voran sind, so dürfen wir doch jetzt mit Fug den Vortheil aus unserer Seite suchen; denn an Muth übertreffen sie uns nicht, sondern weil wir beide, die einen in diesem, die andern in jenem erfahrener sind, sind wir beide auch zuversichtsvoller. Auch haben die Lakedümonier, welche bei der Führung ihrer Bundesgenossen nur ihren eigenen Ruhm berücksichtigen, . die meisten von ihnen nur wider ihren Willen in diese Gefahr geführt, denn einmal so tüchtig geschlagen, würden diese nie wieder eine zweite Seeschlacht gewagt haben. Fürchtet also ihre Kühnheit nicht. Eine viel größere Fnrcht flößet ihr jenen ein, und auch mit mehr Grund, denn ihr habt zuerst gesiegt, und sie können sich nicht vorstellen, daß ihr ihnen die Stirne bieten werdet ohne die feste Zuversicht, etwas Hervorragendes zu leisten. Denn die Meisten, wenn sie dem Gegner gewachsen sind, wie diese hier, gehen mehr im Vertrauen auf ihre Macht als auf ihren Muth dem Feinde entgegen; wer dies aber mit viel geringerer Macht thut und ohne gezwungen zu sein, der wagt die Gefahr mit großer Mutheszuversicht. Das überlegen diese wohl und fürchten uns mehr wegen des unerwarteten Auftretens als wegen der verhältnis;müßigen Rüstung. Schon manches Heer ist aus Unersahrenheit einem weniger zahlreichen unterlegen, manches auch aus Feigheit. Uns dahier fällt keines von beiden zur Last. Ich bin aber gar nicht gewillt, die Schlacht innerhalb des Meerbusens zuliefern, und werde auch nicht

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hineinsegeln, denn ich'sehe ein, daß es einer Ueberzahl ungeübter [*]( 429 v. Chr. ) Schiffe gegenüber kein Vortheil für wenige, aber geübte und besser' segelnde Schiffe ist, auf engem Raum zu kämpfen. Denn man könnte weder, wie es nöthig ist, zum Anlauf mit dem Schiffsschnabel kommen, da man wegen der weiten Entfernung nicht das gehörige Absehen auf den Feind hätte, noch auch sich zurückziehen, wenn man in die Enge käme. Die feindliche Linie zu durchbrechen wäre auch nicht möglich, und ebensowenig die Wendungen, worin ja der Vortheil guter Segler besteht, sondern man müßte nothgedrungcn aus der Seeschlacht ein Fußtruppengefecht machen lassen, und dann wäre die Mehrzahl der Schiffe im Vortheil. Dem angemessen werde ich also nach Möglichkeit die nöthigen Vorkehrungen treffen. Ihr aber haltet euch auf den Schiffen in bester Ordnung und thut genau, was euch befohlen wird, zumal der Angriff aus der Nähe geschieht, und während des Kampfes selbst haltet auf's Aeußerste ans Ordnung und Stille. Beides ist auch sonst im Kriege von Nutzen, bei einem Seekampf aber ganz besonders. Nun also wehrt euch gegen diese, wie es eurer früheren Thaten würdig ist. Um große Dinge dreht sich der Kampf: es handelt sich darum, ob ihr die Hoffnung der Peloponnesier auf eine Seemacht zu Schanden machen, oder den Athenern die Furcht um ihre Meeresherrschaft näher rücken werdet. Nochmals erinnere ich euch, daß ihr die Mehrzahl dieser eurer Gegner schon besiegt habt; der Muth geschlagener Männer aber will sich gegenüber denselben Gefahren nicht mehr zu gleicher Höhe heben."

Solche Worte sprach auch Phormio zur Ermuthigung. Die Peloponnesier aber, da die Athener nicht nach ihrem Wunsche in den Meerbusen und die Enge einsegelten, wollten sie auch gegen ihren Willen hineinbringen lind fuhren deshalb mit der Morgenröthe, je vier Schiffe in Einer Linie, an ihrer Küste hin, einwärts gegen den Meerbusen , den rechten Flügel voran, wie sie auch vor Anker gelegen waren. Aus diesen Flügel hatten sie ihre zwanzig besten Segler gestellt, damit, — wenn vielleicht Phormio in der Vermuthung, daß sie gegen Naupaktos segelten, um dieser Stadt zu Hülfe zu kommen, selbst nahe an ihnen vorübersahren sollte, — die Athener nickt über diesen Flügel hinauskommen und so ihren Angriff vermeiden könnten, sondern sich von eben diesen Schiffen müßten einschließen lassen. Wie nun jene erwartet

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[*]( 429 v. Chr. ) halten, so fing Phormio, da er sie einwärts segeln sah, an, für den unbeschützten Ort zu fürchten, ließ widerwillig und in aller Eile seine Leute sich einschiffen und fuhr an der Küste hin, während das mefsenische Heer am Lande neben Herzog. Als nun die Peloponnesier sie Schiff hinter Schiff in Einer Linie auf ihren Flügel zusteuern sahen, und schon innerhalb des Meerbusens und nahe an der Küste, grade wie sie es gewünscht hatten, so machten auf ein gegebenes Zeichen alle Schiffe linksum und fuhren so schnell als möglich grade auf die Athener los, in der Hoffnung, so sämmtliche Schiffe abzufangen. Von diesen waren aber die eilf voransegelnden Schiffe bereits über den Flügel der Peloponnesier hinaus und vor dessen Wendung in die offenere See gekommen, die andern aber schnitten sie ab, trieben sie fliehend vor sich her nach dem Strand, richteten sie zu Grunde und tödteten die Athener auf ihnen, die sich nicht durch Schwimmen retten konnten. Einige von diesen Schiffen nahmen sie leer in's Schlepptau, und eines eroberten sie sammt der Bemannung. Nun eilten aber die Messenier herbei, sprangen in voller Rüstung in's Meer, erstiegen die Schiffe und vom Verdecke fechtend entrissen sie ihnen einige, die bereits im Schlepptau gingen.

Hier also siegten die Peloponnesier und gewannen die attischen Schiffe; jene zwanzig Schiffe aber, die auf ihrem rechten Flügel standen, verfolgten die eilf attischen Schiffe, welche noch vor der Wendung in die offenere See entkommen waren. Außer Einem Fahrzeuge behielten diese auch den Vorsprung nnd flüchteten in den Hafen von Naupaktos. Beim Apollotempel aber machten sie Halt, kehrten ihre Schnäbel gegen den Feind und schickten sich zur Abwehr an, wenn jene landwärts gegen sie einsegeln sollten. Etwas später kamen auch die peloponnesischen Schiffe, im Rudern den Siegesgesang anstimmend, als ob sie bereits gesiegt Hütten, und ein den andern weit vorausgeeiltes leukadisches Schiff war hinter dem Einen zurückgebliebenen der Athener her. Nun lag zufällig ein Frachtschiff auf der Höhe des Hafens vor Anker; um dieses fuhr das attische Schiff, welches den Vorsprung hatte, herum, faßte das verfolgende leukadifche Schiff in der Mitte und bohrte es in den Grund. Dieser unvorhergesehene und ganz unerwartete Vorfall machte die Peloponnesier stutzig, und da sie zugleich wegen des Sieges in aufgelöster Ordnung verfolgten, so

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senkten einige der Schiffe die Ruder und hielten ihren Lauf ein, was [*](429 v. Chr. ) doch sehr am unrechten Orte war, da der Feind aus geringer Entfernung den Anlauf gegen sie nehmen konnte. Sie wollten nämlich die andern Schiffe erwarten; aber auch von diesen geriethen einige aus Unkunde der Oertlichkeit auf Sandbänke.

Die Athener aber, als sie dies sahen, erfüllte neuer Muth, und auf ein Zeichen stürmten sie mit einstimmigem Geschrei auf jene los. Diese aber hielten wegen der begangenen Fehler und wegen der augenblicklichen Unordnung nur kurze Zeit Stand, dann wandten sie sich zur Flucht nach Panormos, woher sie abgesegelt waren. Die Athener verfolgten und nahmen sechs der nächsten Schiffe und gewannen auch die ihrigen wieder zurück, welche jene anfangs am Strande kampfunfähig gemacht und ins Schlepptau genommen hatten. Von der Bemannung tödteten sie einen Theil und nahmen auch einige gefangen. Auf dem leukadifchen Schiffe, welches bei dem Frachtschiff versenkt worden war, befand sich auch der Lakedämonier Timokrates. Dieser erstach sich selbst, als er das Schiff untergehen sah, und sein Leichnam wurde in den Hasen von Naupaktos getrieben. Die Athener aber kehrten nun zurück und errichteten dort ein Siegeszeichen, von wo sie zum Siege ausgefahren waren, dann sammelten sie ihre Todten und die Schiffstrümmer an ihrer Küste und gaben unter einem Vertrage auch den Gegnern die ihrigen heraus. Es stellten aber auch die Peloponnesier ein Siegeszeichen auf, als ob sie gesiegt hätten, wegen der Flucht der Schiffe, die sie an der Küste kampfunfähig gemacht hatten, und auch das Eine Schiff, welches sie genommen hatten, stellten sie auf dem achäifchen Rhion neben dem Siegeszeichen auf. Darauf segelten aus Furcht vor der Hülfsflotte der Athener Alle außer den Leukadiern bei Nacht in den Krisäischen Busen und nach Korinth, und nicht lange nach dem Rückzüge dieser Schiffe kamen auch die zwanzig attischen Schiffe aus Kreta nach Naupaktos, welche dem Phormio noch vor der Seeschlacht hätten zu Hülfe kommen sollen. — Damit war dieser Sommer zu Ende.

Ehe aber die Bemannung der Flotte, welche sich nach Korinth und dem Krisäischen Meerbusen zurückgezogen hatte, aus einander ging, wollten Knemos und Brasidas und die übrigen Feldherrn der Peloponnesier zu Winters Anfang, von den Megarensern berathen. [*]( ThukydideS. II. ) [*]( 14 )

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[*]( 429 v. Chr. ) einen Versuch aus den athenischen Hafen Piräeus wagen. Derselbe war nämlich unbewacht und unvershclossen, wie leicht zu erklären, da die Athener zur See entschieden in der Uebermacht waren. Und zwar wurde beschlossen, jeder Schiffssoldat solle sein Ruder, das Bankpolster und den Ruderring nehmen und zu Fuß nach dem jenseitigen Meere gehen; dann wollten sie in aller Eile nach Megara und von dem Werst zu Nisäa vierzig Megarensische Schiffe, die eben daselbst lagen, in's Meer ziehen und sogleich nach dem Piräeus fahren; denn es stand dort weder eine Flottenabtheilung auf Wache, noch fiel es irgend Jemanden ein, die Feinde könnten so ganz unerwartet heransegeln, denn weder könnten sie, dachte man, einen offenen Angriff unbehelligt unternehmen, noch auch könnte es unbemerkt bleiben, wenn sie wirklich darauf sännen. Wie nun beschlossen worden war, so machten sie sich auch allsogleich auf den Marsch, kamen noch bei Nacht an und zogen zu Nisäa die Schiffe in's Meer, fuhren aber nicht gleich, wie sie beabsichtigt hatten, auf den Piräeus los, denn sie fürchteten Gefahr, und auch der Wind soll sie daran verhindert haben, sondern nach der Spitze von Salamis, welche gegen Megara hinschaut. Auf derselben war eine Befestigung und dabei ein Posten von drei Wachschiffen, damit die Megarenser weder aus- noch einfahren könnten. Die Befestigung nahmen sie und schleppten die leeren Dreiruderer mit sich; das übrige Salamis aber, wo sie ganz unerwartet einfielen, verheerten sie.

Nach Athen aber meldeten Feuerzeichen die Ankunft von Feinden, und es entstand darüber eine Bestürzung, nicht geringer als irgend eine während des Krieges. Denn die in der Stadt glaubten, der Feind sei schon in den Piräeus eingesegelt, und die im Piräeus dachten, Salamis sei schon genommen, und die Feinde würden nun ohne Weiteres heransegeln, was diese auch sehr leicht hätten thun können, wenn sie nicht gezaudert hätten; der Wind würde sie wohl nicht gehindert haben. Mit Tagesanbruch aber eilten die Athener insgesammt nach dem Piräeus, zogen die Schiffe in's Waffer, bestiegen sie in aller Hast und unter großem Lärm und segelten nach Salamis, nachdem sie die Fußtruppen zur Bedeckung des Piräeus aufgestellt hatten. Die Peloponnesier aber, die auf Salamis fast Alles durch- sucht und Menschen und Leute mitgeschleppt hatten, als sie die zum Entsatz Herankommenden wahrnahmen, gingen mit den drei Fahr

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zeugen von der Verschanzung Budoron unter Segel und fuhren eiligst [*]( 429 v. Chr. ) gen Nisäa; denn auch ihre Schiffe, me erst seit langer Zeit wieder einmal in See gelassen worden waren und Wasser zogen, flößten ihnen Besorgniß ein. In Megara angekommen, marschirten sie wieder zu Fuß nach Korinth. Die Athener aber, da sie jene bei Salamis nicht mehr antrafen, kehrten auch zurück und sorgten von nun an besser für die Sicherheit des Piräeus, indem sie die Häfen sperrten und die sonstigen Vorsichtsmaßregeln anwendeten.

Um dieselbe Zeit, zu Winters Anfang, zog der Thrakerkömg Sitalkes, des Teres Sohn, der Odrysier, zu Felde gegen den Makedonierkönig Perdikkas, den Sohn Alexanders, und zugleich gegen die Chalkidier an der thrakischen Gränze; und dies that er sowohl um die Erfüllung einer ihm gemachten Zusage zu erzwingen, als auch um ein Versprechen zu erfüllen, das er selbst gegeben hatte. Denn Perdikkas hatte ihm eine Verheißung gemacht für den Fall, daß er ihn, der zu Anfang des Kriegs in Bedrängniß war, mit den Athenern aussöhne und seinen ihm feindlich gesinnten Bruder Philipp nicht als König in's Land zurückführe. Was er aber damals versprochen, hatte er nicht gehalten. Gegen die Athener anderseits hatte er bei Schließung des Bündnisses mit ihnen sich anheischig gemacht, den Chalkidischen Krieg an der thrakischen Gränze zu Ende zu bringen. Aus beiden Ursachen also unternahm er diesen Zug und führte Philipp's Sohn Amyntas mit sich, um ihm die Herrschaft über die Makedonier zu vershcaffen. Auch die athenischen Gesandten, die eben dieser Angelegenheit wegen bei ihm waren, und der Feldherr Hagnon begleiteten ihn. Denn auch die Athener sollten mit Schissen und möglichst viel Landtruppen gegen die Chalkidier mitwirken.

Zu diesem Zuge aus dem Odryserlande hatte er zuerst von den Thrakern diejenigen in die Waffen gerufen, welche zwischen dem Hämos ^Balkan^s und dem Rhodope-Gebirge ^Despoto-Dag^ wohnen, soweit sie eben unter seiner Herrschaft standen, hinüber bis zum Meere, dem Euxinos ^schwarzen Meeres nämlich und dem Hellespont ^Straße der Dardanellen). Darauf auch die Geten jenseits des Hämos und die übrigen Völker, so viele ihrer diesseits des Jster ^Donau^ weiter gegen den Euxinos hin wohnen. Die Geten und die Anderen in jenen Gegenden sind aber Gränznachbarn der Skythen und haben dieselbe [*]( 14* )

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[*](429 v. Chr. ) Bewaffnung, denn Alle sind Bogenschützen zu Pferde. Auch von den freien Thrakern im Gebirge, welche Schwerter tragen und unter dem Namen der Dier meist den Rhodope bewohnen, rief er Viele zu sich. Die Einen hatte er um Sold gedungen, Andere aber gingen als Freiwillige mit. Auch die Agrianer und Lääer und die übrigen Päonischen Völker, die unter ihm standen und die Gränze seiner Herrschaft bildeten, bis zu den Graäischen Päoniern und dem Strymon-Flusse [Jskar] , der vom Skomischen Gebirge ^Witoscha^ herab durch das Gebiet der Graäer und Lääer fließt, wo schon die Gränze seiner Herrschaft gegen das Land der freien Päonier hin war. Gegen die Triballer hin, welche ebenfalls unabhängig sind, bildeten die Trerer und Tilatäer die Gränze. Diese wohnen nämlich vom Skomischen Gebirge nordwärts und erstrecken sich gegen Sonnenaufgang bis zum Oskios-Fluffe ^Jskru^. Dieser kommt aber von demselben Gebirge, auf welchem auch der Nestos ^Karasu^ und der Hebros Wariza^ entspringen. Dies Gebirg ist unbewohnt und dehnt sich weit hin, denn es schließt sich an den Rhodope an.

Es erstreckte sich aber die Herrschaft der Odryser ihrer Ausdehnung nach auf der Seeseite hin von der Stadt Abdera an bis in den Pontos Euxinos hinein und an diesem bis zur Mündung des Jster-Flusses. Diese ganze Strecke läßt sich auf dem kürzesten Wege und bei immer günstigem Winde von einem Lastschiff in vier Tagen und ebensoviel Nächten zurücklegen; zu Lande aber könnte ein Mann, der gut zu Fuße ist, aus dem kürzesten Wege von Abdera in eilf Tagen zum Jster gelangen. Das war die Erstreckung an der Seeküste; landeinwärts aber ist von Byzanz bis zu den Lääern und dem Strymonflusse, denn das ist vom Meere an gerechnet die größte Entsernung, für einen guten Fußgänger ein Weg von dreizehn Tagen. Die Steuern, welche von dem gesammten barbarischen Lande wie auch von den hellenischen Städten unter der Regierung des Seuthes bezahlt wurden, der dem Sitalkes in der königlichen Würde gefolgt war und die Abgaben auf'» Höchste gesteigert hatte, betrugen ungefähr vierhundert Silbertalente und gingen in Gold und Silber ein. Und nicht weniger als dies wurde in Geschenken an Gold und Silber gebracht, ungerechnet die Gewebe und die schlichte Leinwand und sonstiges Geräthe, und dergleichen wurde nicht nur dem Könige, sondern

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auch den großen Vasallen und den Adeligen der Odryser geboten. [*](429 v. Chr. ) Denn diese, wie auch die übrigen Thraker, haben in ihrem Lande die persische Sitte umgekehrt, das heißt sie nehmen lieber als sie geben, und es zog dem mehr Haß zu, welcher eine Forderung zurückwies. als es dem schimpflich war, der seine Bitte verfehlte. Doch zog Einer aus dieser Sitte um so mehr Nutzen, je mehr er in Ansehen stand, denn es war gar nichts auszurichten, ohne daß man Geschenke brachte. So gelangte dies Königthum zu großem Wohlstande, denn von allen europäischen Staaten, welche zwischen dem ionischen Busen ^adriat. Meer^ und dem Euxinos liegen, war dieser an Geldeinkünften und sonstigem Reichthum der bedeutendste, obwohl er an Kriegskraft und Heereszahl den Skythen bei weitem nachstand. Denn diesen sind nicht nur die europäischen Völker nicht zu vergleichen, sondern auch in Asien gibt es kein Volk, welches einzeln für sich sämmtlichen Skythen widerstehen könnte, wenn sie unter einander einig wären. Doch halten sie in Bezug auf Einsicht und verständige Einrichtungen in den Dingen des Lebens mit Andern keinen Vergleich aus.

Als Herrscher über ein so großes Land nun rüstete Sitalkes seine Heeresmacht, und als sie nun bereit stand, brach er auf gegen Makedonien, indem er zuerst durch eigenes Gebiet und dann über das wilde Kerkine-Gebirge ^Argentaro^ zog, welches auf der Gränze der Sinter und der Päonier liegt. Durch dasselbe zog er auf der Straße, die er selbst früher durch Aushaunng des Waldes angelegt hatte, als er gegen die Päonier Krieg führte. Indem sie vom Odryser-Lande aus über dies Gebirg zogen, hatten sie zur rechten Seite die Päoniei-, zu ihrer Linken aber die Sinter und Müder. Nachdem sie es überschritten, kamen sie in die Päonische Stadt Doberos. Auf diesem Marsche hatte er keinen Abgang an Mannschaft, außer was twae Krankheit wegraffte; im Gegentheil erhielt er Zuwachs, denn von den freien Thrakern schlossen sich Viele ungerusen aus Beutelust seinem Heere an, so daß dessen Gesammtzahl aus nicht weniger als 150,000 Mann angewachsen sein soll. Davon war die Mehrzahl Fußvolk und vielleicht ein Drittheil Reiter, deren größte Zahl die Odryser selbst und nächst ihnen die Geten stellten. Vom Fußvolke waren die Schwertträger die streitbarsten, die aus dem freien Rhodope-Gebirge herabgestiegen waren; der übrige gemischte Haufe war mehr durch seine Zahl furchtbar.

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[*]( 529 v. Chr. ) In Doberos also sammelten sie sich und schickten sich an, vom Gebirge herab in das tiefer liegende Makedonien einzufallen, über welches Perdikkas herrshcte. Denn zu den Makedoniern gehören auch die Lynkester und die Elimioten und die andern Völker im Binnenlande, welche diesen verbündet und tributpflichtig sind, dabei aber ihre eigenen Fürsten haben. Das jetzige Makedonien an der Seeküste aber hatten des Perdikkas Vater Alexandros und dessen Vorsahren, ursprünglich Temeniden aus Argos, erworben und ihrer Herrschaft unterworfen, indem sie durch Waffengewalt aus Pieria die Pierer vertrieben, welche sich später am Fuße des Pangäos hin jenseits des Strymonflufses in Phagres und anderen Platzen ansiedelten, — und noch jetzt wird das Land, welches vom Fuß des Pangäos sich gegen das Meer hin erstreckt, der Pierische Grund genannt. Aus der sogenannten Landschaft Bottia aber verjagten sie die Bottiäer, welche jetzt neben den Chalkidiern wohnen. Von Päonien erwarben sie den schmalen Strich, welcher sich am Axiosflusse ^Vistritza^ auswärts bis Pella und zum Meere erstreckt, und jenseits des Axios bis zum Strymon hin besitzen sie die sogenannte Landschaft Mygdonia, aus welcher sie die Edoner ausgetrieben haben. Sie haben aber auch aus dem Gau, der jetzt Eordia heißt, die Eorder verjagt, deren Mehrzahl dabei umkam, und nur ein kleiner Theil von ihnen hat sich in der Gegend um Physka wieder angesiedelt. So auch aus Almopia die Almoper. Aber auch noch andere Landschaften haben sich diese Makedonier unterworfen, die sie jetzt noch besitzen, wie Anthemus, Grestonia und Bisaltia und viele Gaue der eigentlichen Makedonier. Das Alles nun wird Makedonia genannt, und darüber war Perdikkas, des Alexander Sohn, König, als damals Sitalkes seinen Feldzug unternahm.