History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Wahrmund, Adolf, translator. Stuttgart: Krais and Hoffmann, 1864.

Erstes Kriegsjahr: 431 v. Chr. Kapitel I—XI.VI.

Versuch der Thebaner gegen Platäa: Kap. 2—6. — Kriegs- mittel und Parteistellung der griechischen Staaten: 7—9. — Rüstungen und Veranstaltungen der Lakedämonier und Athener: 10—17. — Erster Einfall der Peloponnesier in Attika: 18—22. — Unternehmungen der Athener gegen den Peloponnes, Aegina u. s. w.: 23—33. — Leichenfeier in Athen und Grabrede des Perikles: 34—46.

Zweites Kriegsjahr: 430 v. Chr. Kap. XI.VII—I^XX.

Die Pest in Athen: Kap. 47—54. — Zweiter Einfall der Peloponnesier in Attika, Seeunternehmungen der Athener: 55—58. Rede des Perikles; sein Tod; seine politische Voraussicht: 59—65. — Verschiedene Kriegsereignisse: Potidäa ergibt sich: 66—70.

Drittes Kriegsjahr: 429 v. Chr. Kap. I.XXI—OIII.

Die Peloponnesier belagern Platäa: Kap. 71—78. — Ereignisse in Makedonien und Akarnanien: 79—82. — Zwei

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Seeschlachten im korinthischen Meerbusen: 83—92. — Die Peloponnesier versuchen eine Ueberrumpelung des Piräeus: 93. 94. — Feldzug des Thrakerkönigs Sitalkes gegen Perdikkas 'von Makedonien; Thrakische und makedonische Verhältnisse: 95—101. — Phormio's Zug nach Akarnanien: 102. — Rückkehr desselben nach Athen: 103.

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Un beginnt der eigentliche Krieg zwischen den Athenern und Peloponnesiern und ihren beiderseitigen Bundesgenossen, denn von jetzt an sand zwischen beiden Theilen kein Verkehr mehr Statt, ohne daß ein Herold das Geleit gab; und vom ersten Tag an wurde der Kampf ohne Unterbrechung fortgeführt. Es wird aber hier der Ordnung nach erzählt, wie Alles auf einander gefolgt ist, nach Sommern und Wintern').

Vierzehn Jahre hatte der nach Euböa's Eroberung abge- «45 schlossene dreißigjährige Friede zu Kraft bestanden, im fünfzehnten^ Jahre aber, — .im achtundvierzigsten der Priesterschaft der Chrysis 43l in Argos, da Aenesias das Ephorat in Sparta führte^), und der Chr. Archont Pythodoros in Athen noch zwei Monate Amtszeit übrig hatte, nach der Schlacht bei Potidäa im sechsten Monat, — zu Frühlings Anfang geschah es, daß drei Hundert und etliche^) Thebanische Männer unter Führung der Böotarchen Pythangelos, des Sohnes des Phylidas, und Tiömporos, des Onetoridas Sohn, zur Zeit [*]( 1) Die Kriegszcit eines jeden Jahres betrug acht Monate. Unter Sommer ist bei Thukydides der Frühling und der Herbstanfang mitgerechnet; etwa die Monate April bis Ende'September. ) [*]( 2) Die bürgerliche Zeitrechnung hing bei den Griechen mit den gottesdienstlichen Einrichtungen zusammen, daher in vielen Staaten auch jedesmal das lausende Jahr mit dem Namen eines Priesters oder eines andern Cultus-Beamten bezeichnet wurde, der dann der Eponymos (Namengeber) hieß. So zu Argos die Priesterinnen der Hera, zu Sikyon der Priester des karneischen Apoll, zu Tegea der der Athene Alea u. s. w. In Sparta war der erste der fünf Ephoren, in Athen der erste der neun Archonten der Eponymos. ) [*]( 3) Nach Anderen „vier Monate". Vgl. Krüger, hist. phil. Studien I, S. 219, 221 sf., n. Tisch, Ueber die Mondcyklen S. 76 ff. ) [*]( 4) Vierhundert bei Herod. 7, 233. ) [*]( Thukydides. II. ) [*]( 10 )

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[*]( 431 v. Chr. ) des ersten Nachtschlafs bewaffnet in die Böotische Stadt Platäa eindrangen, welche den Athenern verbündet war. Platäensische Bürger, Nauklides nämlich und sein Anhang, hatten sie herbeigerufen und ihnen die Thore geöffnet in der Absicht, die feindlich Gesinnten unter ihren Mitbürgern zu verderben und die Stadt den Thebanern zuzuwenden; denn auf diese Weise dachten sie selbst zur Herrschaft zu gelangen. Durch Eurymachos, des Leontiades Sohn, der unter den Thebanern ein sehr mächtiger Mann war, hatten sie die Sache in's Werk gesetzt. Denn die Thebaner sahen wohl den unvermeidlichen Krieg voraus und woll» ten sich der Stadt Platäa, die sich ihnen immer feindlich gezeigt hatte^), lieber noch zur Friedenszeit und noch ehe der Krieg entschieden aus- [*]( 5) In Böotien bestand ein Städtebnnd, an welchem außer Theben die Städte Thespiä, Orchomenos, Tanazra, Haliartos, Koroneia, Lebadeia, vielleicht auch Kopä, Anthedon, Chalia, Onchestos und Chäroneia Theil hatten. Kleinere Orte erscheinen einzelnen dieser Bundesstädte untergeordnet. Das' Wesen des Bundes war Waffengenossenschaft. Die einzelnen Städte stellten Mannschaft, die von den BLotarchen-befehligt wurde. Der Bund hatte auch einen gottesdienstlichen Mittelpunkt in dem bei Koroneia gefeierten Feste der itonischen Athene, welches den Namen Pambootia führte. Mit dessen Abhaltung werden anfangs wohl auch politische Berathungen mit gleichem Stimmrecht siir alle Bundesglieder verbunden gewesen sein, später ober suchte und errang Theben für sich das entschiedene Uebergeivicht und die Führung des Bundes (Hegemonie). Um dieser nicht auch zu unterliegen, schloß sich das in der Mehrzahl seiner Bürger demolratisch gesinnte Platäa an Athen an, während eine oligarchische Partei mit Hülfe der in Theben herrshcenden Gleichgesinnten die Demokraten bei guter Gelegenheit zu unterdrücken dachte. In den Perserkriegen standen die thebanischen Gewalthaber aus Seiten der Perser, die Platäer kämpften tapfer und aufopfernd für die griechische Sache. Durch dieie Theilnahme für die Landesfeinde hatte Theben die Hegemonie verloren, was also ein Gewinn für die Athener war, und eben deshalb den Spartanern sehr unlieb. Diese suchten darum die thebcnnsche Hegemonie über ganz Böotien wieder herzustellen, und das wäre ihnen auch durch den Sieg über die Athener bei Ta nagra (457 v. Chr.) gelungen, hätten diese nicht 62 Tage später ihre Niederlage durch den Sieg bei Oexophyton wieder gut gemacht, der Phokis, Lokris und Böotien in ihre Hände gab. Diese Vortheile verloren sie aber wieder durch die Niederlage, welche ihnen ein Heer verbannter böotischer Oligarcheu bei Koroneia beibrachte (445 v. Chr.). Nun siel auch Megara von ihnen ab, wodurch also den Peloponnesiern der Weg nach Attika geöffnet wurde, und dieser Umstand, sowie der Wunsch, wenigstens Euböa sich zu erhalten, veranlaßten den Perikles, den oben erwähnten Frieden des Jahres 4 45 mit den Peloponnesiern abzuschließen. Damit kam in Böotien die oligarchisch-thebanische Partei wieder an das Ruder, und diese suchte sich nun beim Ausbrnche des Krieges des athensrenndlichen Platäa zu bemächtigen. )
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bräche, im Voraus verischern, und da Wachen nicht ausgestellt waren, [*]( 431v. Chr. ) kamen sie auch um so leichter hinein. Sie faßten aus dem Marktplatz Posto, gaben aber denen nicht nach, welche sie herbeigerufen hatten und nun verlangten, man solle sich gleich an? Werk machen und die Feinde in ihren Häusern überfallen, sondern beschlossen, durch den Herold zweckmäßige Aufforderungen ergehen zu lassen und die Stadt lieber auf freundschaftlichem Weg durch Vergleich zu gewinnen. Es verkündigte nun der Herold, wer nach väterlicher Weise aller Böotier an ihrem Bund Theil haben wolle, der möge bewaffnet zu ihnen treten. Auf diese Weise, glaubten sie, werde die Stadt leichter zu ihnen übergehen.

Als aber die Platcienser merkten, daß die Thebaner in ihren Mauern und die Stadt unvermuthet in jener Hände gefallen sei, fürchteten sie sich, und da sie der Eingedrungenen eine viel größere Zahl vermutheten, — denn wegen der Dunkelheit der Nacht konnte man nicht recht sehen, — so waren sie zum Vergleiche willig, nahmen die Vorschläge an und verhielten sich ruhig, zumal gegen Keinen unter ihnen etwas Besonderes unternommen wurde. Indem sie dies jedoch beschickten, merkten sie, wie gering die Zahl der Thebaner sei, und es schien ihnen, daß man sie durch einen Angriff leicht überwältigen könne: denn es war nicht nach dem Sinn der meisten Platäenser, von den Athenern abzufallen. Sie beschlossen nun daran zu gehen und traten zusammen, indem sie die Zwischenwände ihrer Häuser durch- brachen, um nicht auf den Gassen gehend gesehen zu werden, und stellten unbespannte Lastwagen quer über die Straßen, um sie als Barrikaden zu benutzen; und auch sonst trafen sie alle Anstalten, die für die gegenwärtige Lage Nutzen zu verheißen schienen. Als nun Alles nach bester Möglichkeit in Bereitschaft gesetzt war, nahmen sie noch der Nacht und der Dämmerung wahr und rückten aus ihren Häusern auf jene los, damit sie nicht im Tageslicht Muth fänden und ihnen in gleichem Vortheil gegenüber stünden, sondern wegen der Dunkelheit zaghafter und wegen der Einheimischen besserer Bekanntschaft mit den Gelegenheiten der Stadt im Nachtheil wären. Sie griffen schnell an, und es war bald zum Handgemenge gekommen.

Als sich nun die Thebaner betrogen sanden, rückten sie eng zusammen und wehrten ab, wo angegriffen wurde, und zwei oder drei Mal schlugen sie jene auch zurück; da aber dann die Stadtbürger mit [*]( 10* )

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[*]( 431 v. Chr. ) großem Geschrei wieder anstürmten, und von den Dächern herab Wei. ber und Gesinde mit Geschrei und Geheul Steine und Ziegel schleuderten, und überdies in der Nacht ein starker Regen gefallen war, so geriethen sie in Furcht, wandten um und flohen durch die Stadt. Aber da sie bei der Dunkelheit der Nacht, — denn der Mond stand grade im letzten Viertel, — und bei dem Kothe auch meist noch der Durchgänge unkundig waren, welche sie hätten retten können, die Verfolger hingegen ihnen das Entkommen abzuschneiden wußten, so wurden die Meisten niedergemacht. Auch verschloß einer der Platäer das Thor, durch welches jene hereingekommen waren, und das allein offen stand, indem er das Eisen seiner Lanze die Dienste der Eichel am Querbalken thun ließ, so daß nun jene auch hier nicht mehr hinauskommen konnten. Während sie durch die Stadt verfolgt wurden, erstiegen Einige von ihnen die Mauer und stürzten sich nach Aussen hinab, wobei sie meist umkamen. Einige Andere hieben an einem unbesetzten Thore mit dem Beile, das ein Weib ihnen gab, den Querbalken durch und entkamen; doch gelang dies nicht Vielen, denn es wurde bald bemerkt. Viele von den Uebrigen wurden der Eine hier, der Andere dort in der Stadt erschlagen; die Mehrzahl aber und die sich am meisten zusammengehalten hatten, drangen in ein großes Haus an der Stadtmauer, dessen Thor zufällig offen stand, in der Meinung, es sei ein Stadtthor und gewähre einen Durchgang nach Außen. Da nun die Platäer diese gefangen sahen, so beriethen sie sich unter einander, ob sie Feuer an das Haus legen wollten, um jene zu verbrennen, oder ob sie anders verfahren sollten. Endlich aber ergaben sich diese und die sonst noch von den Thebanern in der Stadt umherirrten sammt ihren Massen den Platäern ans Gnade und Ungnade. Das war das Schicksal dieser Leute in Platäa.

Die übrigen Thebaner, die noch in der Nacht mit der ganzen Streitmacht hätten bei der Hand sein sollen, für den Fall, daß den Eingedrungenen etwas in den Weg käme, erhielten auf dem Marsche die Botschaft von dem Vorgefallenen und rückten nun eilends heran. Nun ist Platäa von Theben 70 Stadien entfernt, und'der bei der Nacht gefallene Regen hatte ihnen den Marsch erschwert; denn der Fluß Asopos war hoch angeschwollen und nicht leicht zu durchschreiten. Da sie also im Regen marschirten und nicht leicht über den Fluß setzen

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konnten, so kamen sie erst an, als ihre Leute zum Theil schon um's [*]( 431 v. Chr. ) Leben gekommen und die Andern bereits gefangen waren. Als die' Thebaner nun sahen, was vorgefallen war, so trachteten sie diejenigen von den Platäern in ihre Hände zu bekommen, die sich noch außerhalb der Stadt befanden; dein es waren noch Leute und Gerätschaften aus den Feldern, weil der schlimme Vorfall sich ganz unerwartet und mitten im Frieden zutrug. Sie dachten nämlich die, welche ihnen allenfalls in die Hände geriethen, als Geiseln für die drinnen zu behalten, wenn vielleicht Einige noch lebend gefangen gehalten würden. Das war ihre Absicht. Während' sie sich aber noch beriethen, schick» ten die Platäer einen Herold zu ihnen heraus, denn sie vermutheten etwas dergleichen und waren um ihre Leute draußen besorgt. Durch den ließen sie den Thebanern sagen: sie hätten schon dadurch großes Unrecht auf sich geladen, daß sie mitten im Frieden ihre Stadt wegzunehmen versuchten, und sie sollten sich nun nicht auch noch an dem Eigenthum außerhalb der Stadt vergreifen, sonst würden auch sie ihnen die Männer tödten, welche sie gefangen hielten; wollten sie aber von ihrem Gebiet wieder abziehen, so würden sie ihnen diese Männer herausgeben. So wenigstens berichten die Thebaner und behaupten, daß jene obendrein sich noch mit einem Eide verpflichtet hätten. Die Platäer aber wollten nicht zugeben, daß sie versprochen hätten, die Gefangenen sogleich freizugeben, sondern erst, wenn Verhandlungen gepflogen worden wären, um eine Vereinbarung zuwege zu bringen, und eidlich gebunden, sagen sie, hätten sie sich nicht. In der That räumten indes; die Thebaner ihr Gebiet, ohne irgendwie Schaden gethan zu haben, die Platäer aber brachten in der Eile Alles vom Lande in die Stadt und tödteten dann sogleich die Gefangenen; es waren deren aber hundert und achtzig in ihre Hände gefallen, und darunter auch Eurymachos, mit welchem die Verräther sich in's Einvernehmen gesetzt hatten.

Nachdem dies geschehen, fertigten sie einen Boten nach Athen ab und gaben unter sicherem Geleite den Thebanern ihre Todten heraus; die Angelegenheiten ihrer Stadt aber ordneten sie für den Augenblick nach eigenem Gutbefinden. Die Athener hatten nun nicht sobald Meldung erhalten, was in Platäa vorgefallen, als sie auch sogleich alle Böotier auf Attischem Gebiete festnahmen, und nach

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[*]( 431 v. Chr. ) Platäa schickten sie einen Herold, der jenen einschärfen sollte, mit den von ihnen gefangenen Thebanern Nichts weiter vorzunehmen, bevor sie nicht selbst darüber Beschluß gefaßt hätten. Denn daß sie bereits hingerichtet seien, war ihnen nicht gemeldet worden, da der erste Bote gleich bei dem Eindringen der Thebaner von dort abging, und der zweite unmittelbar nachdem ihre Niederlage entschieden und sie in Gefangenschaft gerathen waren. Was später vorgefallen war, davon wußten die Athener Nichts, und in dieser Unwissenheit ließen sie ihre Botschaft abgehen. Als aber ihr Herold ankam, fand er die Leute bereits hingerichtet. Daraus hin Nun schickten die Athener einen Heerhansen nach Platäa, führten Proviant in die Stadt und ließen eine Besatzung dort. Was aber an Mannsleuten untauglich war, samt Weibern und Kindern, zogen sie heraus.