History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Wahrmund, Adolf, translator. Stuttgart: Krais and Hoffmann, 1864.

Erstes Kriegsjahr: 431 v. Chr. Kapitel I—XI.VI.

Versuch der Thebaner gegen Platäa: Kap. 2—6. — Kriegs- mittel und Parteistellung der griechischen Staaten: 7—9. — Rüstungen und Veranstaltungen der Lakedämonier und Athener: 10—17. — Erster Einfall der Peloponnesier in Attika: 18—22. — Unternehmungen der Athener gegen den Peloponnes, Aegina u. s. w.: 23—33. — Leichenfeier in Athen und Grabrede des Perikles: 34—46.

Zweites Kriegsjahr: 430 v. Chr. Kap. XI.VII—I^XX.

Die Pest in Athen: Kap. 47—54. — Zweiter Einfall der Peloponnesier in Attika, Seeunternehmungen der Athener: 55—58. Rede des Perikles; sein Tod; seine politische Voraussicht: 59—65. — Verschiedene Kriegsereignisse: Potidäa ergibt sich: 66—70.

Drittes Kriegsjahr: 429 v. Chr. Kap. I.XXI—OIII.

Die Peloponnesier belagern Platäa: Kap. 71—78. — Ereignisse in Makedonien und Akarnanien: 79—82. — Zwei

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Seeschlachten im korinthischen Meerbusen: 83—92. — Die Peloponnesier versuchen eine Ueberrumpelung des Piräeus: 93. 94. — Feldzug des Thrakerkönigs Sitalkes gegen Perdikkas 'von Makedonien; Thrakische und makedonische Verhältnisse: 95—101. — Phormio's Zug nach Akarnanien: 102. — Rückkehr desselben nach Athen: 103.

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Un beginnt der eigentliche Krieg zwischen den Athenern und Peloponnesiern und ihren beiderseitigen Bundesgenossen, denn von jetzt an sand zwischen beiden Theilen kein Verkehr mehr Statt, ohne daß ein Herold das Geleit gab; und vom ersten Tag an wurde der Kampf ohne Unterbrechung fortgeführt. Es wird aber hier der Ordnung nach erzählt, wie Alles auf einander gefolgt ist, nach Sommern und Wintern').

Vierzehn Jahre hatte der nach Euböa's Eroberung abge- «45 schlossene dreißigjährige Friede zu Kraft bestanden, im fünfzehnten^ Jahre aber, — .im achtundvierzigsten der Priesterschaft der Chrysis 43l in Argos, da Aenesias das Ephorat in Sparta führte^), und der Chr. Archont Pythodoros in Athen noch zwei Monate Amtszeit übrig hatte, nach der Schlacht bei Potidäa im sechsten Monat, — zu Frühlings Anfang geschah es, daß drei Hundert und etliche^) Thebanische Männer unter Führung der Böotarchen Pythangelos, des Sohnes des Phylidas, und Tiömporos, des Onetoridas Sohn, zur Zeit [*]( 1) Die Kriegszcit eines jeden Jahres betrug acht Monate. Unter Sommer ist bei Thukydides der Frühling und der Herbstanfang mitgerechnet; etwa die Monate April bis Ende'September. ) [*]( 2) Die bürgerliche Zeitrechnung hing bei den Griechen mit den gottesdienstlichen Einrichtungen zusammen, daher in vielen Staaten auch jedesmal das lausende Jahr mit dem Namen eines Priesters oder eines andern Cultus-Beamten bezeichnet wurde, der dann der Eponymos (Namengeber) hieß. So zu Argos die Priesterinnen der Hera, zu Sikyon der Priester des karneischen Apoll, zu Tegea der der Athene Alea u. s. w. In Sparta war der erste der fünf Ephoren, in Athen der erste der neun Archonten der Eponymos. ) [*]( 3) Nach Anderen „vier Monate". Vgl. Krüger, hist. phil. Studien I, S. 219, 221 sf., n. Tisch, Ueber die Mondcyklen S. 76 ff. ) [*]( 4) Vierhundert bei Herod. 7, 233. ) [*]( Thukydides. II. ) [*]( 10 )

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[*]( 431 v. Chr. ) des ersten Nachtschlafs bewaffnet in die Böotische Stadt Platäa eindrangen, welche den Athenern verbündet war. Platäensische Bürger, Nauklides nämlich und sein Anhang, hatten sie herbeigerufen und ihnen die Thore geöffnet in der Absicht, die feindlich Gesinnten unter ihren Mitbürgern zu verderben und die Stadt den Thebanern zuzuwenden; denn auf diese Weise dachten sie selbst zur Herrschaft zu gelangen. Durch Eurymachos, des Leontiades Sohn, der unter den Thebanern ein sehr mächtiger Mann war, hatten sie die Sache in's Werk gesetzt. Denn die Thebaner sahen wohl den unvermeidlichen Krieg voraus und woll» ten sich der Stadt Platäa, die sich ihnen immer feindlich gezeigt hatte^), lieber noch zur Friedenszeit und noch ehe der Krieg entschieden aus- [*]( 5) In Böotien bestand ein Städtebnnd, an welchem außer Theben die Städte Thespiä, Orchomenos, Tanazra, Haliartos, Koroneia, Lebadeia, vielleicht auch Kopä, Anthedon, Chalia, Onchestos und Chäroneia Theil hatten. Kleinere Orte erscheinen einzelnen dieser Bundesstädte untergeordnet. Das' Wesen des Bundes war Waffengenossenschaft. Die einzelnen Städte stellten Mannschaft, die von den BLotarchen-befehligt wurde. Der Bund hatte auch einen gottesdienstlichen Mittelpunkt in dem bei Koroneia gefeierten Feste der itonischen Athene, welches den Namen Pambootia führte. Mit dessen Abhaltung werden anfangs wohl auch politische Berathungen mit gleichem Stimmrecht siir alle Bundesglieder verbunden gewesen sein, später ober suchte und errang Theben für sich das entschiedene Uebergeivicht und die Führung des Bundes (Hegemonie). Um dieser nicht auch zu unterliegen, schloß sich das in der Mehrzahl seiner Bürger demolratisch gesinnte Platäa an Athen an, während eine oligarchische Partei mit Hülfe der in Theben herrshcenden Gleichgesinnten die Demokraten bei guter Gelegenheit zu unterdrücken dachte. In den Perserkriegen standen die thebanischen Gewalthaber aus Seiten der Perser, die Platäer kämpften tapfer und aufopfernd für die griechische Sache. Durch dieie Theilnahme für die Landesfeinde hatte Theben die Hegemonie verloren, was also ein Gewinn für die Athener war, und eben deshalb den Spartanern sehr unlieb. Diese suchten darum die thebcnnsche Hegemonie über ganz Böotien wieder herzustellen, und das wäre ihnen auch durch den Sieg über die Athener bei Ta nagra (457 v. Chr.) gelungen, hätten diese nicht 62 Tage später ihre Niederlage durch den Sieg bei Oexophyton wieder gut gemacht, der Phokis, Lokris und Böotien in ihre Hände gab. Diese Vortheile verloren sie aber wieder durch die Niederlage, welche ihnen ein Heer verbannter böotischer Oligarcheu bei Koroneia beibrachte (445 v. Chr.). Nun siel auch Megara von ihnen ab, wodurch also den Peloponnesiern der Weg nach Attika geöffnet wurde, und dieser Umstand, sowie der Wunsch, wenigstens Euböa sich zu erhalten, veranlaßten den Perikles, den oben erwähnten Frieden des Jahres 4 45 mit den Peloponnesiern abzuschließen. Damit kam in Böotien die oligarchisch-thebanische Partei wieder an das Ruder, und diese suchte sich nun beim Ausbrnche des Krieges des athensrenndlichen Platäa zu bemächtigen. )
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bräche, im Voraus verischern, und da Wachen nicht ausgestellt waren, [*]( 431v. Chr. ) kamen sie auch um so leichter hinein. Sie faßten aus dem Marktplatz Posto, gaben aber denen nicht nach, welche sie herbeigerufen hatten und nun verlangten, man solle sich gleich an? Werk machen und die Feinde in ihren Häusern überfallen, sondern beschlossen, durch den Herold zweckmäßige Aufforderungen ergehen zu lassen und die Stadt lieber auf freundschaftlichem Weg durch Vergleich zu gewinnen. Es verkündigte nun der Herold, wer nach väterlicher Weise aller Böotier an ihrem Bund Theil haben wolle, der möge bewaffnet zu ihnen treten. Auf diese Weise, glaubten sie, werde die Stadt leichter zu ihnen übergehen.

Als aber die Platcienser merkten, daß die Thebaner in ihren Mauern und die Stadt unvermuthet in jener Hände gefallen sei, fürchteten sie sich, und da sie der Eingedrungenen eine viel größere Zahl vermutheten, — denn wegen der Dunkelheit der Nacht konnte man nicht recht sehen, — so waren sie zum Vergleiche willig, nahmen die Vorschläge an und verhielten sich ruhig, zumal gegen Keinen unter ihnen etwas Besonderes unternommen wurde. Indem sie dies jedoch beschickten, merkten sie, wie gering die Zahl der Thebaner sei, und es schien ihnen, daß man sie durch einen Angriff leicht überwältigen könne: denn es war nicht nach dem Sinn der meisten Platäenser, von den Athenern abzufallen. Sie beschlossen nun daran zu gehen und traten zusammen, indem sie die Zwischenwände ihrer Häuser durch- brachen, um nicht auf den Gassen gehend gesehen zu werden, und stellten unbespannte Lastwagen quer über die Straßen, um sie als Barrikaden zu benutzen; und auch sonst trafen sie alle Anstalten, die für die gegenwärtige Lage Nutzen zu verheißen schienen. Als nun Alles nach bester Möglichkeit in Bereitschaft gesetzt war, nahmen sie noch der Nacht und der Dämmerung wahr und rückten aus ihren Häusern auf jene los, damit sie nicht im Tageslicht Muth fänden und ihnen in gleichem Vortheil gegenüber stünden, sondern wegen der Dunkelheit zaghafter und wegen der Einheimischen besserer Bekanntschaft mit den Gelegenheiten der Stadt im Nachtheil wären. Sie griffen schnell an, und es war bald zum Handgemenge gekommen.

Als sich nun die Thebaner betrogen sanden, rückten sie eng zusammen und wehrten ab, wo angegriffen wurde, und zwei oder drei Mal schlugen sie jene auch zurück; da aber dann die Stadtbürger mit [*]( 10* )

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[*]( 431 v. Chr. ) großem Geschrei wieder anstürmten, und von den Dächern herab Wei. ber und Gesinde mit Geschrei und Geheul Steine und Ziegel schleuderten, und überdies in der Nacht ein starker Regen gefallen war, so geriethen sie in Furcht, wandten um und flohen durch die Stadt. Aber da sie bei der Dunkelheit der Nacht, — denn der Mond stand grade im letzten Viertel, — und bei dem Kothe auch meist noch der Durchgänge unkundig waren, welche sie hätten retten können, die Verfolger hingegen ihnen das Entkommen abzuschneiden wußten, so wurden die Meisten niedergemacht. Auch verschloß einer der Platäer das Thor, durch welches jene hereingekommen waren, und das allein offen stand, indem er das Eisen seiner Lanze die Dienste der Eichel am Querbalken thun ließ, so daß nun jene auch hier nicht mehr hinauskommen konnten. Während sie durch die Stadt verfolgt wurden, erstiegen Einige von ihnen die Mauer und stürzten sich nach Aussen hinab, wobei sie meist umkamen. Einige Andere hieben an einem unbesetzten Thore mit dem Beile, das ein Weib ihnen gab, den Querbalken durch und entkamen; doch gelang dies nicht Vielen, denn es wurde bald bemerkt. Viele von den Uebrigen wurden der Eine hier, der Andere dort in der Stadt erschlagen; die Mehrzahl aber und die sich am meisten zusammengehalten hatten, drangen in ein großes Haus an der Stadtmauer, dessen Thor zufällig offen stand, in der Meinung, es sei ein Stadtthor und gewähre einen Durchgang nach Außen. Da nun die Platäer diese gefangen sahen, so beriethen sie sich unter einander, ob sie Feuer an das Haus legen wollten, um jene zu verbrennen, oder ob sie anders verfahren sollten. Endlich aber ergaben sich diese und die sonst noch von den Thebanern in der Stadt umherirrten sammt ihren Massen den Platäern ans Gnade und Ungnade. Das war das Schicksal dieser Leute in Platäa.

Die übrigen Thebaner, die noch in der Nacht mit der ganzen Streitmacht hätten bei der Hand sein sollen, für den Fall, daß den Eingedrungenen etwas in den Weg käme, erhielten auf dem Marsche die Botschaft von dem Vorgefallenen und rückten nun eilends heran. Nun ist Platäa von Theben 70 Stadien entfernt, und'der bei der Nacht gefallene Regen hatte ihnen den Marsch erschwert; denn der Fluß Asopos war hoch angeschwollen und nicht leicht zu durchschreiten. Da sie also im Regen marschirten und nicht leicht über den Fluß setzen

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konnten, so kamen sie erst an, als ihre Leute zum Theil schon um's [*]( 431 v. Chr. ) Leben gekommen und die Andern bereits gefangen waren. Als die' Thebaner nun sahen, was vorgefallen war, so trachteten sie diejenigen von den Platäern in ihre Hände zu bekommen, die sich noch außerhalb der Stadt befanden; dein es waren noch Leute und Gerätschaften aus den Feldern, weil der schlimme Vorfall sich ganz unerwartet und mitten im Frieden zutrug. Sie dachten nämlich die, welche ihnen allenfalls in die Hände geriethen, als Geiseln für die drinnen zu behalten, wenn vielleicht Einige noch lebend gefangen gehalten würden. Das war ihre Absicht. Während' sie sich aber noch beriethen, schick» ten die Platäer einen Herold zu ihnen heraus, denn sie vermutheten etwas dergleichen und waren um ihre Leute draußen besorgt. Durch den ließen sie den Thebanern sagen: sie hätten schon dadurch großes Unrecht auf sich geladen, daß sie mitten im Frieden ihre Stadt wegzunehmen versuchten, und sie sollten sich nun nicht auch noch an dem Eigenthum außerhalb der Stadt vergreifen, sonst würden auch sie ihnen die Männer tödten, welche sie gefangen hielten; wollten sie aber von ihrem Gebiet wieder abziehen, so würden sie ihnen diese Männer herausgeben. So wenigstens berichten die Thebaner und behaupten, daß jene obendrein sich noch mit einem Eide verpflichtet hätten. Die Platäer aber wollten nicht zugeben, daß sie versprochen hätten, die Gefangenen sogleich freizugeben, sondern erst, wenn Verhandlungen gepflogen worden wären, um eine Vereinbarung zuwege zu bringen, und eidlich gebunden, sagen sie, hätten sie sich nicht. In der That räumten indes; die Thebaner ihr Gebiet, ohne irgendwie Schaden gethan zu haben, die Platäer aber brachten in der Eile Alles vom Lande in die Stadt und tödteten dann sogleich die Gefangenen; es waren deren aber hundert und achtzig in ihre Hände gefallen, und darunter auch Eurymachos, mit welchem die Verräther sich in's Einvernehmen gesetzt hatten.

Nachdem dies geschehen, fertigten sie einen Boten nach Athen ab und gaben unter sicherem Geleite den Thebanern ihre Todten heraus; die Angelegenheiten ihrer Stadt aber ordneten sie für den Augenblick nach eigenem Gutbefinden. Die Athener hatten nun nicht sobald Meldung erhalten, was in Platäa vorgefallen, als sie auch sogleich alle Böotier auf Attischem Gebiete festnahmen, und nach

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[*]( 431 v. Chr. ) Platäa schickten sie einen Herold, der jenen einschärfen sollte, mit den von ihnen gefangenen Thebanern Nichts weiter vorzunehmen, bevor sie nicht selbst darüber Beschluß gefaßt hätten. Denn daß sie bereits hingerichtet seien, war ihnen nicht gemeldet worden, da der erste Bote gleich bei dem Eindringen der Thebaner von dort abging, und der zweite unmittelbar nachdem ihre Niederlage entschieden und sie in Gefangenschaft gerathen waren. Was später vorgefallen war, davon wußten die Athener Nichts, und in dieser Unwissenheit ließen sie ihre Botschaft abgehen. Als aber ihr Herold ankam, fand er die Leute bereits hingerichtet. Daraus hin Nun schickten die Athener einen Heerhansen nach Platäa, führten Proviant in die Stadt und ließen eine Besatzung dort. Was aber an Mannsleuten untauglich war, samt Weibern und Kindern, zogen sie heraus.

Da nun an dem Vorfall in Patäa Nichts mehr zu ändern und der Friede offenkundig gebrochen war, so rüsteten die Athener zum Krieg. Aber auch die Lakedämonier samt ihren Bundesgenossen rüsteten, und beiderseits war man bedacht, an den großen König Gesandtschaften zu schicken, und auch sonst zn den Barbaren, woher man nur immer hoffen konnte Unterstützung zu gewinnen; und mit den Städten, die ihnen nicht unterworfen waren, schlossen sie Bundessreundschast. Die Lakedämonier forderten auch zu den Schiffen, die sie bereits an ihren Küsten hatten, noch andere von den italischen und sikelischen Städten, welche zu ihnen hielten, je nach der Größe der einzelnen Städte, denn sie wollten ihre Flotte ans 500 Segel bringen; und auch bestimmte Geldsummen befahlen sie ihnen in Bereitschaft zu halten, sonst aber sollten sie sich wie im Frieden benehmen und den Athenern, wenn sie mit einzelnen Schiffen kämen, den Zutritt nicht wehren, so lange diese Rüstungen noch unvollendet seien. Aber auch die Athener schätzten die Kräfte der zu ihnen stehenden Bundesgenossen ab und beschickten auch vorzüglich die um den Peloponnes gelegenen Staaten mit Gesandtschaften, Kerkyra nämlich und Kephallenia und die Akarnaner und Zakynthos^); denn sie sahen wohl, [*]( 6) Die Inseln Kephallema und Zakynthos (Zante) hatten ihre eigenen, unabhängigen Verfassungen und betheiligten sich überhaupt nicht sehr an der großen Politik. Wegen ihrer Jnsellage waren sie jedoch gezwungen, sich den seebeherrshcenden Athenern anzuschließen. — Die Akarnaner, in halbbarbarischen Zuständen )

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daß sie den Peloponnes von allen Seiten ringsumher mit großem [*]( 431 v. Chr. ) Nachdruck bekriegen könnten, wenn sie jene zu Freunden hätten.

Und Nichts Geringes hatte man beiderseits im Sinn, sondern mit allem Eifer entbrannte man für den Krieg. Natürlich, denn im Ansange nehmen Alle einen scharfen Anlauf, und damals gab es überdies noch eine zahlreiche Jugend, sowohl im Peloponnes wie in Athen, die aus Mangel an Erfahrung sich gern im Kriege versucht hätte. Das ganze übrige Hellas aber ward in die höchste Spannung und Erregung versetzt, da es zwischen den zwei mächtigsten Staaten zum Tanz kam. Man konnte auch viele Prophezeiungen hören, und die Weissager weissagten unverdrossen, sowohl unter den Teilnehmern am kommenden Kampse, als auch in den andern Staaten. Dazu kam noch, daß kurz vor dem die Insel Delos erbebte, die nie vorher von einem Erdbeben erschüttert worden war, soweit der Hellenen Gedenken reichte. Das, sagten die Leute, sei ein Vorzeichen der Dinge, die da kommen sollten, und es wurde auch geglaubt, wie man denn auch besonders nachsorschte, was Alles dergleichen sich zugetragen habe. Die guten Wünsche der Menge fielen aber bei Weitem mehr den Lakedämoniern zu, zumal diese auch erklärten, sie wollten nun Hellas freimachen. Jeder aber, Privatmann wie Gemeinwesen, war höchlich bemüht, in Wort und That sich als hülsreicher Freund zu zeigen, und Jeder glaubte, der gute Fortgang der Dinge sei gehemmt, wo er nicht selbst dabei sei. So großen Haß nährten die Meisten gegen die Athener, — die Einen, weil sie deren Joch sich vom Halse schütteln wollten, die Andern, weil sie auch unter ihre Obmacht zu gerathen sürchteten. In solcher Rüst- Lust und Thätigkeit brannte man nach des Kriegs Ausbruch.

Es standen aber beide Staaten mit folgender Bundesgenossenschast zum Kampfe bereit. Helfer der Lakedämonier waren einmal die Peloponnesier jenseits der Landenge insgesammt, ausgenommen die Argiver und Achaier^), denn die lebten mit beiden Theilen im [*]( lebend, hielten wohl mehr aus Abneigung gegen Korinth und dessen benachbarte Pflanzstädte zu den Athenern. ) [*]( 7) Die Argiver als das Volk der ältesten Heratliden glaubten von jeher die rechtlichen Ansprüche auf die Hegemonie im Peloponnes zu haben, welche in der That Sparta besaß. Daher immerdauernder Groll gegen diese Stadt, der noch dadurch verstärkt wurde, daß im Jahre SSO Sparta den Argivern die zwischen beiden )

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[*]( 431v. Chr. ) Frieden. Doch nahmen von den Achaiern die Pellenäer gleich Anfangs Theil am Kampf, und späterhin auch alle andern. Außerhalb des Peloponnes die Megarenser, Lokrer^), Böotier, Pholeer, Amprakioten, Leukadier, Anaktorier. Von diesen stellten Schiffe die Korn:ther, Megarenser, Sikyonier, Pellenäer, Eleer, Amprakioten und Leukadier, Reiterei die Böotier, Phokeer und Lokrer, die Uebrigen Fußvolk. Das war die Bundesgenossenschaft der Lakedämonier. Beiden Athenern aber standen die Chier, Lesbier, Platäer, die Messenier von Naupaktos, die Meisten der Akarnaner, die Kerkyräer, die Zakynthier und die andern Städte, die ihnen unter den nachgenannten Völkerschaften zinsbar waren: nämlich von Karien die ganze Seeküste, die Dorier, die an Karien gränzen, Jonien, der Hellespont, die Landschaften, die an Thrakien stoßen, alle Inseln ostwärts inner dem Peloponnes und Kreta, alle andern Kykladischen Inseln außer Melos und Thera. Von diesen stellten Schiffe die Einer, Lesbier und Kerkyräer, die Uebrigen Fnßtruppen und Geld. — Dies war beider Theile Bundesgenofsenschaft und Kriegsrüstung.

Die Lakedämonier nun ließen gleich nach dem Vorfalle von Platäa im Peloponnes und bei der auswärtigen Bundesgenossenschast die Ausforderung an die Städte ergehen, sie sollten ihre Streitmacht in Stand setzen und was zum Ausmarsch von Nöthen sei, bereit halten, um in's Attische Gebiet einzufallen, und als zur bestimmten Zeit Alle fertig waren, zogen sich aus jeder Stadt zwei Drittel der Streitmacht zum Sammelplatze auf dem Jsthmos, und da nun das ganze Heer beisammen war, so berief Archidamos, König der Lakedämonier, der diese Unternehmung befehligte, die Hauptleute aller Städte, die [*]( Gebieten gelegene Gränzlandschaft Kynuvea mit der Stadt Thyrea wegnahm, und 52 4 v. Chr. der spartanische König Kleomenes ihnen bei Tiryns eine so entschiedene Niederlage beibrachte, daß sie fortan zu politischer Ohnmacht verurtheilt blieben. Während der Perserkriege hielten sie lieber zum LandeSfeinde, als daß sie von den Spartanern Befehle angenommen hätten, obgleich sie thatsächlich zu Gunsten der Perser Nichts ausführen konnten. Uebrigens hatten sie versprochen, den Marsch der Peloponnesier über die korinthische Landenge zu hindern; als eS zur That kam, konnten sie aber den Persern nur die Anzeige machen, daß die Lakedämonier gegen die Landenge marschirten. — Einmal aus Haß gegen Sparta, dann auch wegen vorwiegend demokratischer Gesinnung hielten also die Argiver auf der Seite Athen?. Die Achaier waren damals noch von gar keiner politischen Bedeutung. ) [*]( 8) Die opuntischen, vgl. II, II. )

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vornehmsten Beamten und sonst die ansehnlichsten Männer zusammen [*]( 431 v. Chr. ) und redete zu ihnen also: ^

„Peloponnesische Männer nnd Bundesgenossen! Auch unsere Väter haben in und außer dem Peloponnes viele Feldzüge gethan, und von uns selbst sind die Aeltereu des Krieges nicht unerfahren; doch nie sind wir mit größerer Rüstung zu Felde gezogen als dies Mal. Aber wir ziehen auch gegen einen sehr mächtigen Staat und sind darum selbst so zahlreich und trefflich gerüstet. Es ist nun Pflicht, daß wir uns nicht schlechter erzeigen als unsere Väter und auch nicht hinter unserem eigenen Ruhm zurückbleiben; denn ganz Hellas blickt in gespannter Erregung auf diese Unternehmung, und aus Haß gegen Athen uns wohlgesinnt wünscht es, daß wir durchführen mögen, worauf wir ausgehen. Aber nicht dürfen wir, wenn wir uns auch mit gewaltiger Macht anzurücken dünken, und daß es fast gewiß sei, daß jene einen Kampf mit uns nicht wagen werden, nicht dürfen wir deshalb mit geringerer Kampfbereitschaft marschiren; vielmehr muß der Feldhauptmann jedes Staates und jeder Soldat für sein Theil immer gewärtig sein, daß die Gefahr über ihn komme. Denn die Zufälle des Krieges sind ungewiß, und ganz plötzlich und von hitziger Aufwallung eingegeben geschehen die meisten Unternehmungen. Gar ost hat aber schon eine schwächere Zahl sich des stärkeren Feindes mit Vortheil erwehrt, wenn sie aus ihrer Hut war, jener aber aus Uebermuth sich nicht in die gehörige Verfassung gesetzt hatte. In Feindesland muß man allerwege mit muthigem Herzen zum Kampf gehen, bei der That aber muß man sorgfältige Umsicht anwenden; denn auf diese Weise geht man dem Feind beherzt entgegen und ist gegen seine Angriffe geschützt. Wir dahier ziehen aber auch gar nicht gegen eine Stadt, die nicht Macht hätte, sich unser zu erwehren, sondern sie ist in allen Stücken aus's Beste gerüstet, und wir müssen darum durchaus erwarten, daß sie zur Schlacht gegen uns ausziehen werden; und wenn sie auch jetzt sich nicht hinreißen lassen, wo wir ihnen noch nicht so nahe sind, so doch, wenn sie uns aus ihrem Gebiete sehen, ihre Habe sengend und brennend. Denn Alle ergreift Muth, wenn ihre eigenen [*]( 9) Sechzigtausend (»ach Andern 100,000) Schwerbewaffnete; vgl. Plut. Perikles 33, Aristid. 2. )

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[*]( 431 V. Chr. ) Augen eine ungewöhnliche Beleidigung mit ansehen müssen, und die sonst ihren Verstand am wenigsten gebrauchen, werden dann am leichtesten von ihrer Wnth zur That hingerissen. Es ist aber dies natürlich bei den Athenern noch mehr der Fall als bei Andern; denn sie halten sich berufen, über Andere zu herrshcen, und verheeren lieber fremdes Gebiet durch ihre Einfälle, als daß sie ihr eigenes verwüsten sähen. Da ihr nun gegen eine so mächtige Stadt zu Felde zieht, und es euren Vorfahren und euch selbst den größten Ruhm oder die größte Schande bringen wird, je nachdem die Entscheidung ausfällt, so gehorchet euren Führern in allen Stücken, beobachtet überall die gebotene Ordnung und Vorsicht lind befolget pünktlich alle Befehle. Denn das steht am Schönsten an und gewährt die größte Sicherheit, wenn Viele sich Einer Ordnung fügsam zeigen."

Nach dieser Rede hob Archidamos die Versammlung auf und sandte zuerst den Melesippos, des Diakritos Sohn, einen spartanischen Bürger, nach Athen, ob vielleicht jetzt die Athener gelindere Saiten aufzögen, da sie den Feind im Anzüge sahen. Diese aber ließen ihn weder in die Stadt, noch durfte er öffentlich auftreten; den schon war ein Antrag des .Perikles durchgegangen, von Seiten der Lakedämonier, wenn sie einmal im Felde stünden, weder mehr einen Herold noch eine Gesandtschaft anzunehmen. Sie schickten ihn also ungehört zurück und schärften ihm ein, noch am selben Tags ihre Gränze hinter den Rücken zu nehmen, und wollten die Lakedämonier jemals wieder eine Gesandtschaft schicken, so möchten sie zuvor erst auf ihren eigenen Grund und Boden zurückgehen. Damit er mit Niemanden zu reden komme, gaben sie dem Melesippos einige Männer zum Geleite. Da dieser auf der Gränze angekommen war und sich verabschieden wollte, sprach er nur die Worte: „Dieser Tag wird für die Hellenen großen Uebels Anfang sein," und ging damit seiner Wege. Als er aber in's Lager gekommen war, und Archidamos sah, daß die Athener in Nichts nachgeben würden, so brach er auf und ließ das Heer auf Jener Gebiet rücken. Die Böotier hatten ihren Truppen- antheil und ihre Reiter zu den Peloponnesiern stoßen lassen, mit ihrer übrigen Macht zogen sie vor Platäa und verwüsteten das Land.

Früher schon, da sich die Peloponnesier gegen den Jsthmos zusammenzogen und auf dem Marsche dahin begriffen waren, und

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bevor sie noch attischen Boden betreten hatten, war es dein Perikles, des Xanthippos Sohn, der selbzehnt Feldherr der Athener war, als er sah, daß der Einfall bevorstehe, in den Sinn gekommen, ob nicht vielleicht Archidamos, weil er sein Gastsreund sei, entweder ans Bewegung seiner freundlichen Gesinnung seine eigenen Landgüter verschonen und nicht verwüsten möchte, oder auch ans Befehl der Lakedämunter, um gegen ihn Verdacht zu erregen, wie sie ja auch vorher schon seinetwegen die Sühnung des Fluches verlangt hatten. Darum erklärte er den Athenern in der Volksversammlung: daß Archidamos ihm Gastsreund sei, solle der Stadt nicht zum Schaden gereichen; wenn die Feinde seine Aecker und Häuser nicht wie die andern verwüsten würden, so trete er sie dem Gemeinwesen ab, und es dürfe hieraus ihm keine Verdächtigung erwahcsen. Für die jetzigen Umstände aber ermähnte er sie, wie auch früher, sich zum Kriege zu rüsten nnd vom Lande Alles in die Stadt zu schaffen. Eine Schlacht außerhalb der Mauern sollten sie nicht annehmen, sondern sich in die Stadt ziehen nnd diese bewachen, auch die Flotte rüsten, in welcher ihre Stärke gelegen sei. Die Angelegenheiten der Bundesgenossen dürften sie nicht aus der Hand lassen, denn aus den Stenerbeiträgen dieser, sagte er, fließe ihre Kraft, und die Hauptsache im Kriege werde durch Klugheit ind einen gefüllten Beutel entschieden. Im Uebrigen hieß er sie gutes Muthes sein, denn es gingen ja der Stadt in der Regel jährlich 600 Talente sgegen 900,000 Thlr.^j Steuern von den Bundesgenossen ein, ungerechnet die andern Einkünfte; überdies lagen damals aus der Burg noch 6000 Talente ^gegen 9 Millionen^ gemünzten Silbers; — als dieser Schatz den höchsten Betrag erreichte, fehlten an 10,000 Talenten nur dreihundert ^er belief sich also aus 10,550,000 Thlr.^j; davon waren aber die Kosten der Säulenhallen an der Burg und anderer Bauwerke, wie auch die der Unternehmung wegen Potidäa? bestritten worden. Außerdem, sagte er, habe auch der Vorrath an un- gemünztem Gold und Silber, die Weihgeschenke von Privatleuten und von Staats wegen, dann die heiligen Gerätschaften, wie sie bei Festzügen nnd Wettkämpfer, gebraucht werden, und was an medifchen Beute- stücken und sonst dergleichen vorhanden sei, einen Werth von nicht weniger als 500 Talenten. Dazu nahm er noch den nicht unansehnlichen Goldwerth von andern Heiligthümern, deren sie sich bedienen dürsten,
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[*]( 431 v. chr ) wie ja auch, wenn sie ganz und gar zum Aeuhersten gedrängt würden, . des Goldschmuckes an der Bildsäule der Göttin. Er zeigte, daß dies Bild 40 Talente des reinsten Goldes lnahezu 800,000 Thlr., das Goldtalent zu 19,328 Thlrn.) an sich habe, und daß Alles zum Herabnehmen eingerichtet sei. Hätte man sich desselben aber zur eigenen Rettung bedient, sagte er, so müsse man es dann auch wieder in ungeschmälertem Werthe ersetzen. So hob er ihren Muth durch Darlegung der vorhandenen Geldmittel. An Schwerbewaffneten, sagte er, hätten sie 13,000, ungerechnet die Besatzungen in den Festungen und die 16,000 Mann, die längs der Mnuerzinnen vertheilt seien; — denn so viele waren Anfangs als Besatzung der Stadt in Verwendung, als die Feinde einfielen, genommen aus den Aeltesten, Jüngsten uud Beisitzern, soviele deren Schwerbewaffnete waren. Die Länge der phalerischen Mauer nämlich bis zum Gürtel der Stadtmauern betrug 35 Stadien'"), und der Theil der Stadtringmaner, welcher besetzt gehalten wurde, war 43 Stadien lang; dein ein Stück, — das zwischen der langen und der phalerischen Mauer nämlich, — blieb unbesetzt. Von den langen Mauern nach dem Piräeus, welche 40 Stadien maßen, wurde die äußere Seite bewacht. Der ganze Umfang des Piräeus, Munychia mitgerechnet, betrug 60 Stadien, und was davon besetzt war, machte ungefähr die Hälfte aus. Die Reiterei gab er auf 1200 Mann an, eingerechnet die berittenen Bogenschützen, — die Bogenschützen zu Fuße auf 1600, und an seetüchtigen Dreiruderern hätten sie drei Hundert. Das Alles besaßen die Athener, und in keinem Stück weniger, — zur Zeit, als der erste Einfall der Peloponnesier bevorstand und sie gerüstet waren, den Kampf auszunehmen. Aber auch noch Anderes brachte Perikles vor, wie man es eben von ihm zu hören gewohnt war, um zu beweisen, daß sie den Krieg sieghaft überdauern würden.

Die Athener nun befolgten, was sie gehört hatten, und schafften Weib und Kind und das Geräthe, wie es in der Haushaltung gebraucht wird, nach der Stadt und vergaßen auch nicht das Holzwerk ihrer niedergerissenen Häuser. Das Schafvieh und die Zugthiere schifften sie nach Euböa über und den andern umliegenden [*]( 10) Die grade Entfernung bis zum nächsten Küstenpunkt betrug nur zwanzig Stadien, Pausan. s, 10, 3. (Kr.) )

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Inseln. Widerwillig aber gingen sie an diesen Umzug, weil sie meist [*]( 431 v. Chr. ) von jeher gewohnt waren, immer auf dem Lande zu leben.

Dies war nämlich von Uralters her bei den Athenern mehr als bei Andern Sitte. Denn unter Kekrops und den ersten Königen bis aus die Zeiten des Theseus wurde Attika durchweg in einzelnen Stadtgemeinden bewohnt und zählte viele Prytaneen und Archonten; und wenn nichts Besonderes zu fürchten war, so ging man auch nicht zum König, sich gemeinsam zu beratheu, sondern jede Gemeinde regierte und berieth sich selbst, und es kam auch sogar vor, daß Einzelne unter einander Krieg führten, wie die Elensinier mit dem Eumolpos gegen den Erechtheus. Als aber Theseus König geworden war, der zur Klugheit auch Macht besaß, tras er seine übrigen Einrichtungen im Lande, und nachdem er auch die Rathhäuser und Regierungen der andern Gemeinden aufgelöst hatte, machte er die jetzige Stadt zum gemeinsamen Mittelpunkt der Gemeinwesen, indem er nur Ein Rathhans und Ein Prytanenm gelten ließ; und wenn er auch einen Jeden über das Seine frei schalten ließ, wie vorher, so nöthigte er sie doch, in Athen die einzige Stadt zu sehen, welche denn auch, da Aller Leistungen hier zusammenflössen, von Theseus den Nachkommen groß und mächtig überliefert wurde. Daher kommt es auch, daß die Athener noch heutiges Tags zu Ehren der Göttin (Athene) öffentlich das Fest der Synoikia (d. i. Vereinigung der Wohnorte) begehen. Vor jener Zeit nannte man das Stadt, was jetzt Akropolis (Hochstadt) heißt, und was sich südlich an dieselbe anschließt. Zum Beweise dafür dient sowohl, daß auch die Tempel anderer Götter in der Akropolis bei einander liegen, als auch der Umstand, daß die außerhalb gelegenen näher an diesem Stadttheile erbaut sind; so der Tempel des Olympischen Zeus, das Pythische Hciligthum, der Tempel der Ge und der des Dionysos bei den Teichen, dem zu Ehren am zwölften des Monats Anthestenan die älteren Dionysien gefeiert werden, welche Sitte auch die von den Athenern abstammenden Joner noch heutzutage beobachten. Es stehen aber auch noch andere Heiligthümer in der Nähe dieses Stadttheiles, und so bediente man sich auch bei bedeutungsvollen Gelegenheiten, weil sie eben nahe lag, der Quelle, welche jetzt Enneakrnnos (Nennbrunn) heißt, seitdem die Tyrannen sie auf die jetzige Weise Herrichten ließen; srüher aber, als der Qnellgrund

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[*]( 431 v. Chr. Hr. ) selbst noch offen lag, wurde sie Kallirrhoe genannt (d. i. Schönbrunn). Und von diesem alten Gebrauch her hat sich auch jetzt noch der Glaube erhalten, daß man vor Hochzeitsfesten und sonst bei feierlichen Gelegenheiten aus dieser Quelle schöpfen müsse. — Wegen dieser alten Wohnnngsverhältnisse wird die Akropolis bis ans den heutigen Tag von den Athenern die Stadt genannt.

Es halten also die Athener meist selbständig für sich auf dem Lande gewohnt, und da auch nach ihrer Vereinigung, sowohl in der älteren Zeit, als noch bis auf diesen Krieg herab, die Mehrzahl gemäß der alten Sitte aus dein Lande ihre vollständige häusliche Einrichtung hatte und auch selbst dort wohnte, so ging der Umzug nicht ohne Schwierigkeit vor sich, zumal es noch nicht lange her war, daß sie nach Beendigung der Perserkriege sich wieder häuslich eingerichtet hatten; sondern es war ihnen empfindlich und unangenehm, die Häuser und Tempel, die sie aus den Zeiten der alten Staatsverfassung her durchweg als von den Vätern ererbt betrachteten, verlassen und ihre ganze Lebensweise ändern zu sollen, und es dünkte einem Jeden nicht anders, als ob er seine Vaterstadt verlassen müsse.

Als sie nun in die Stadt zusammenströmten, gab es nur für sehr Wenige Wohnungen oder eine Zuflucht bei Freunden und Verwandten, Die Mehrzahl suchte also ein Unterkommen aus den unbebauten Plätzen der Stadt oder in den Tempeln und Kapellen, allein ausgenommen die Akropolis und das Eleusiuion, und was sonst durchaus abschließbar war. Sogar das Pelasgikon '') am Fuße der Burg, das zu bewohnen ein Fluch verbot, — woraus sich auch die letzte Zeile einer pythischen Weissagung bezieht, deren Worte sind:

Besser ist auch, das Pelasgikon bleibt unbewohnt — wurde gleichwohl unter dem Zwange der augenblicklichen Umstände ganz zu Wohnungen verwendet. Mit dieser Weissagung scheint es mir die umgekehrte Bewan'otniß zu haben, als wie man sie auszulegen pflegte. Nicht durch die gesetzwidrige Benützuug zu Wohnungen wurde das Unheil über die Stadt gebracht, sondern durch den Krieg entstand die Nothwendigkeit, das Feld zu Wohnungen zu verwenden. Diesen hat freilich das Orakel nicht genannt: es wußte eben vorher, daß es nie zu einer guten [*]( 11) Ebenes Feld an der Noriwestscite der Burg, Strase, Hellas I, S. 416 II. S. 78. )

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Stunde zu Wohnungen werde benutzt werden können. Viele richteten [*]( 43l v. Chr. ) sich auch in den Thürmen der Stadtmauer ein, und wo sonst grade Einer konnte, denn die Stadt faßte nicht die zusammenströmende Menschenmenge; ja später wurden sogar die langen Mauern und der größere Theil der Mauern des Piräeus zu Wohnungen vertheilt.

Zu gleicher Zeit dachte man auch an die Kriegsbereitschaft, zog die Bundesgenossen zusammen und rüstete ein Geschwader von hundert Schiffen zur Unternehmung gegen den Peloponnes. — So stand es hier mit den Rüstungen.

Das Heer der Peloponnesier rückte auf seinem Marsche in Attika zuerst vor Oenoe, in welcher Gegend sie den Einfall machen wollten. Dort lagerten sie und trafen Vorbereitungen, um mit Sturmmaschinen und in anderer Art gegen die Befestigungen vorzugehen; denn das auf der Gränze zwischen Attika und Böotien gelegene Oenoe hatte Mauern, und die Athener hielten zu Kriegszeiten dort eine Besatzung. Die Vorbereitungen zum Sturm wurden langsam betrieben, und auch sonst ging die Zeit unbenutzt hin, und hieraus entstand gegen den Archidamos kein geringer Verdachtgrund, denn schien er schon in den Zurüstungen zum Kriege unentschlossen und den Athenern förderlich zu sein, indem er nicht entschieden für den Krieg stimmte, so schadete ihm jetzt, als das Heer beisammen war, die auf dem Jsthmos eingetretene Verzögerung und die Langsamkeit im weiteren Vorgehen noch mehr, vorzüglich aber der Aufenthalt vor Oenoe, denn unterdessen brachten die Athener Alles ein, und es schien, als ob die Peloponnesier bei schnellem Vor-dringen noch Alles hätten außerhalb überraschen können, hätte nicht des Archidamos Zögerung dies verhindert. Deshalb zürnte ihm das Heer wegen dieses Aufenthaltes. Er aber hielt zurück, wie man sagt, in der Meinung, daß die Athener doch in etwas nachgeben und sich besinnen würden, ihr Land der Plünderung preiszugeben.

Nachdem sie nun Oenoe berannt und den Ort auf jede Weise zu nehmen vergeblich sich bemüht hatten, die Athener aber sich keineswegs zu Unterhandlungen herbeiließen, so zogen sie von dort ab, ungefähr am achtzigsten Tage nach dem Einfall der Thebaner in Platäa, — zur Sommerszeit, da die Feldfrncht in Blüthe stand, — und fielen in Attika ein. Archidamos, des Zeuxidamos Sohn, König der

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[*]( 431 v. Chr. ) Lakedämonier, befehligte. Und nachdem sie ein Lager geschlagen, verheerten sie zuerst Eleusis und die thriasische Ebene und gewannen auch in der Nähe der sogenannten Rheiloi einen Vortheil über einen Haufen athenischer Reiter. Daraus drangen sie, das ägaleische Gebirg zur rechten Hand lassend, durch Kropeia weiter vor, bis sie nach Acharnä kamen, unter den attischen Gemeinden, den sogenannten Deinen, der größten. Dort schlugen sie ein Lager, und eine geraume Zeit sitzen bleibend, verheerten sie das Land.