History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

Als die Nachricht nach Athen kam, wollte man dort auch den angesehensten Kriegern, die selbst nur mit genauer Not davongekommen waren und zuverlässige Nachrichten vom Kriegsshcauplätze mitbrachten, lange nicht glauben, daß die ganze Unternehmung so völlig gescheitert sei. Nachdem man sich endlich doch davon überzeugt, richtete sich die Erbitterung gegen die Redner, die dazu geraten, als ob man nicht selbst auch dafür gestimmt hätte, aber auch gegen die Zeichendeuter, Wahrsager und alle, welche damals durch Prophezeiungen die Hoffnung erregt hatten, daß man Sizilien erobern würde. All und jedes trug dazu bei, den Athenern das Herz schwer zu machen, und das eingetretene Mißgeschick versetzte sie aufs äußerste in Schrecken und Bestürzung. Denn nicht nur emp­ fanden sie die Verluste der einzelnen und den so unersetzlichen Verlust, den die Stadt an Fußvolk, Reiterei und junger Mann­ schaft erlitten, mit tiefstem Schmerz, sondern sie sahen auch, daß sie aus den Werften nicht Schiffe genug, im Staatsschatze kein Geld und für die Flotte keine Seeleute mehr hatten, und gaben alle Hoffnung auf, sich unter diesen Umständen noch weiter behaupten zu können. Außerdem fürchteten sie, die Feinde in Sizilien würden nach einem solchen Siege mit ihrer Flotte sogleich vor dem Peiraieus erscheinen, ihre hiesigen, nunmehr ja doppelt so starken Feinde aber ihnen die Bundesgenossen abtrünnig machen und mit diesen zu Lande und zur See über sie hersallen. Gleichwohl beschlossen sie, soweit es ihre Mittel gestatteten, nicht nachzugeben, womöglich eine neue Flotte aus­ zurüsten und dazu Holz und Geld zusammenzubringen, auch sich der Bundesgenossen und namentlich Enboias zu versichern. In der Stadt aber sollte auf die größte Sparsamkeit Bedacht genommen und eine Behörde von älteren Männern eingesetzt werden, um die jeweilig zu ergreifenden Maßregeln vorher zu begutachten. Wie immer im ersten Schrecken, so war das ganze Volk auch jetzt willig und bereit, seine Pflicht zu tun.

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Und wie sie beschlossen, so gingen sie dann auch ans Werk. Damit endete der Sommer.

Infolge der großen Niederlage der Athener in Sizilien standen die Griechen im nächsten Winter gleich alle gegen sie ans. Die Neutralen glaubten sich jetzt auch ohne besondere Aufforderung am Kriege beteiligen und von selbst gegen die Athener auftreten zu müssen, da sie sämtlich überzeugt waren, daß diese nach einem Siege in Sizilien unfehlbar über sie hergefallen sein würden. Überdies nahmen sie an, der Krieg würde nicht lange mehr dauern, ihnen aber zur Ehre gereichen, auch daran teilgenommen zu haben. Die Bundesgenossen der Lakedämonier wiederum sehnten sich jetzt alle mehr noch als schon bisher danach, der ewigen Mühen und Plagen je eher je lieber überhoben zu werden. Besonders eilig aber hatten es die Untertanen der Athener damit, deren Herrschaft abzu­ schütteln, auch wenn ihre Kräfte dazu nicht ausreichten, da sie die Verhältnisse mit Leidenschaft beurteilten und nicht berück­ sichtigten, ob sie auch nur imstande sein würden, den Sommer über auszuhalten. Das alles diente dazu, die Politik der Lake­ dämonier um so zuversichtlicher zu machen, zumal sie darauf rechnen konnten, daß ihre Bundesgenossen aus Sizilien mit ansehnlicher Macht, zu der im Dränge der Not nun auch noch die Flotte gekommen war, im Frühjahr zu ihnen stoßen würden. Bei diesen in jeder Beziehung günstigen Aussichten hielten sie es für unbedenklich, den Krieg nachdrücklich aufzunehmen, in der Hoffnung, wenn sie ihn glücklich beendigt, solchen Ge­ fahren, wie sie ihnen von den Athenern nach der Unterwerfung Siziliens gedroht, überhoben zu sein und nach Vernichtung ihrer Macht selbst in den unbestrittenen Besitz der Hegemonie über ganz Griechenland zu gelangen.

Ihr König Agis brach dann auch gleich in diesem Winter mit einer Anzahl Truppen von Dekeleia auf, um bei den Bundesgenossen Geld für die Flotte aufzubringen. Den Oitaiern, jenen alten Feinden dort am Melischen Meerbusen, trieb er die Herden weg und preßte ihnen Geld ab. Die Achäer in der Phtiotis und die übrigen tkessaliscken Untertanen in jener

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Gegend nötigte er, trotz aller Einwendungen und Proteste der Thessaler, ihm Geld und Geiseln zu geben, die er nach Korinth in Gewahrsam brachte, und suchte sie zu bewegen, dem Bunde beizutreten. Die Lakedämonier aber bestimmten, die Bundes­ staaten sollten hundert Schiffe stellen, und zwar sie selbst und die Böotier je fünfundzwanzig, Phokier und Lokrer fünfzehn, Korinth fünfzehn, Arkadier, Pellene und Sikyoner zehn, und Megara, Epidauros, Troizeu und Hermione zehn. Überhaupt richteten sie sich darauf ein, den Krieg gleich bei Beginn des Frühjahres zu eröffnen.

Aber auch die Athener waren, wie sie das beschlossen hatten, in diesem Winter darauf bedacht, Schiffe zu bauen, und ver­ sahen sich dazu mit Holz, auch befestigten sie Sunion, damit ihre Getreideschiffe dort sicher vorbeikommen könnten. Den festen Platz an der lakonischen Küste, den sie auf der Fahrt nach Sizilien angelegt hatten, gaben sie auf und schränkten auch sonst aus Sparsamkeit alle unnötigen Ausgaben möglichst ein. Hauptsächlich hatten sie ein wachsames Auge auf die Bundesgenossen, um deren Abfall zu verhüten.

Während beide Teile so am Werk waren und sich wie zum erstenmal von neuem zum Kriege rüsteten, ershcienen in diesem Winter zuerst Gesandte der Euboier bei Agis, um wegen ihres Abfalles von den Athenern mit ihm zu verhandeln. Er ging auf ihre Anträge ein und ließ Alkamenes, Stenela'idas' Sohn, und Melanthos zur Übernahme des Befehls auf Euboia aus Lakedämon kommen. Die kamen auch mit etwa dreihundert Neodameden bei ihm an, und er machte schon Anstalt, sie nach der Insel überzusetzen. Inzwischen aber fanden sich auch Lesbier bei ihm ein, die ebenfalls abfallen wollten. Da die Böotier sich für sie verwandten, ließ Agis sich bereden, Euboia vorläufig aufzugeben, um zunächst den Aufstand der Lesbier zu unterstützen. Er gab ihnen Alkamenes, der eben nach Euboia abfahren wollte, zum Statthalter, die Böotier aber und Agis selbst versprachen ihnen je zehn Schiffe zu schicken. Bei alle­ dem war die lakedämonische Regierung nicht zugezogen worden. Denn so lange Agis mit seinem Heere bei Dekeleia stand,

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war er selbständig befugt, Truppenteile zu verschieben oder zusammenzuziehen und Gelder einzutreiben. Auch hörten die Bundesgenossen zu der Zeit im Grunde mehr auf ihn als auf die Regierung in Lakedämon; denn er mit seinem Heere war jeden Augenblick in der Lage, ihnen auf die Kappe zu kommen. So nahm er sich auch jetzt der Lesbier an. Die Chier und Ery­ thraier dagegen, welche ebenfalls abfallen wollten, wandten sich nicht an Agis, sondern nach Lakedämon. Zugleich mit ihnen erschien dort ein Gesandter des Tissaphernes, der da­ mals Satrap des Königs Dareios, Artaxerxes' Sohn, im Küstengebiete war; denn auch Tissaphernes wünschte mit den Peloponnesiern anzuknüpfen und versprach, ihnen Lebensmittel zu liefern. Der König hatte nämlich kürzlich die Steuern aus seiner Provinz von ihm gefordert, die er der Athener wegen von den griechischen Städten nicht erheben konnte und noch schuldig war. Nun hoffte er, nach Demütigung der Athener eher zu jener Steuer zu gelangen, zugleich aber die Lakedämonier zu Bundesgenossen des Königs zu machen, auch Amorgos, den natürlichen Sohn des Pissuthnes, der sich in Karien unab­ hängig gemacht hatte, dem ihm erteilten Befehle des Königs gemäß lebendig ausliefern oder hinrichten lassen zu können. Die Chier und Tissaphernes zogen also hierin einen Strang.

Um dieselbe Zeit kamen Kalligeitos, Laophons Sohn, auS Megara, und Timagoras, Athenagoras' Sohn, aus Kyzikos, welche beide aus ihrer Heimat verbannt waren und bei Pharna­ bazos Aufnahme gefunden hatten, als dessen Abgesandte nach Lakedämon, um für die Sendung einer Flotte nach dem Helles­ pont zu wirken. Denn wie Tissaphernes, so wünschte auch Pharnabazos die Städte in seiner Provinz der Steuern wegen zum Abfall von Athen zu bestimmen und von sich selber ein Bündnis der Lakedämonier mit dem König zustande zu bringen. Da beide, die einen für Pharnabazos, die anderen für Tissa­ phernes, unabhängig voneinander verhandelten, kam es unter ihnen in Lakedämon zu heftigem Streit, indem diese darauf drangen, Schiffe und Truppen zuerst nach Chios und Ionien, jene dagegen, sie zuerst nach dem Hellespont zu schicken. Die

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Lakedämonier waren jedoch überwiegend für Chios und Tissa­ phernes, zumal auch Alkibiades dafür eintrat, der mit dem dortigen Ephoren Endios von alters her durch Gastfreundschaft eng verbunden war, wie denn auch seine Familie dieser Gast­ freundschaft wegen den lakonischen Namen übernommen hatte. Denn Endios' Vater hieß Alkibiades. Indessen sandten die Lakedämonier Phrynis, einen Periöken, doch zunächst mal nach Chios, um sich an Ort und Stelle zu überzeugen, ob man dort wirklich so viel Schiffe hätte, wie man versicherte, und die Stadt überhaupt so leistungsfähig wäre, wie die Angaben darüber glauben machen wollten. Als dieser dann bei seiner Rückkehr bestätigte, daß es damit seine Richtigkeit habe, nahmen sie Chios und Erythrai sogleich in ihren Bund auf und be­ schlossen, ihnen vierzig Schiffe zu schicken, da nach den Ver­ sicherungen der Chier mindestens sechzig dort schon vorhanden waren. Anfangs wollten sie selbst ihnen unter Melankridas, dem Befehlshaber ihrer Flotte, gleich zehn davon schicken. Nachdem jedoch ein Erdbeben eingetreten war, beschlossen sie, nicht Melankridas, sondern Chalkideus hinzuschicken und statt der zehn Schiffe in Lakonien nur fünf anszurüsten. Damit endete der Winter und das neunzehnte Jahr des Krieges, welchen Thukydides beschrieben, hat.

Gleich im Beginn des nächsten Frühjahres drangen die Chier aus Furcht, die Athener könnten von den Abmachungen Wind bekommen, auf unverzügliche Absendung der Schiffe. Alle jene Verhandlungen waren nämlich hinter dem Rücken der Athener geführt. Infolgedessen schickten die Lakedämonier drei Spartiaten nach Korinth mit der Weisung, man solle die i Schiffe von drüben schleimigst in die athenische See holen und mit allen, sowohl den von Agis für Lesbos bestimmten wie den übrigen, sofort nach Chios abgehen. Im ganzen zählte die dortige Bundesflotte neununddreißig Segel.

Kalligeitos und Timagoras lehnten im Namen des Pharna­ bazos die Beteiligung an dem Zuge nach Chios ab; auch gaben sie die fünfundzwanzig Talente, die sie zur Ausrüstung der Flotte mitgebracht hatten, nicht heraus, dachten vielmehr,

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mit einer eigenen Flotte aufzutreten. Agis aber hatte schließ­ lich nichts dagegen, wenn die Lakedämonier zuerst nach Chios wollten, und in einem in Korinth zusammengetretenen Kriegs­ rate der Verbündeten wurde dann auch beschlossen, die Flotte unter Chalkidens, der in Lakonien die fünf Schiffe ausgerüstet, zuerst nach Chios zu schicken. Danach sollte sie, und zwar unter Befehl des Alkamenes, den ja schon Agis dazu aus­ ersehen hatte, nach Lesbos gehen und sich zuletzt nach dem Hellespont begeben, hier aber Klearchos, Rhamphias' Sohn, den Oberbefehl übernehmen. Auch sollte vorläufig nur die Hälfte der Schiffe über den Isthmus gebracht werden und gleich in See gehen, damit die Athener ihre Aufmerksamkeit wettiger auf die schon ausgelaufenen als auf die erst nach­ träglich herüber kommenden Schiffe richten möchten. Denn die Fahrt von dort wollten sie ganz offen antreten, weil sie die Athener für ohnmächtig hielten und verachteten, da sich von ihrer Flotte so gut wie nichts mehr blicken ließ. Und wie sie beschlossen hatten, so brachten sie auch gleich ein­ undzwanzig Schiffe hinüber.

Aber so eilig man es auch mit der Abfahrt hatte, erklärten doch die Korinther, sie könnten nicht mit, ehe die isthmischen Spiele, die damals grade stattfanden, vorüber wären. Agis wollte ihnen auch nicht ansinnen, gegen den isthmischen Frieden zu verstoßen, seinerseits aber die Fahrt auch ohne sie unter­ nehmen. Da die Korinther damit jedoch nicht einverstanden waren und die Zeit darüber verstrich, kamen die Athener nachgerade hinter die Schliche der Chier und schickten einen ihrer Feldherren, Aristokrates, nach Chios, um sie darüber zur Rede zu stellen. Als die Chier sich aufs Leugnen legten, ver­ langten die Athener, als Pfand ihrer Treue sollten sie ihnen Schiffe zur Bundesflotte schicken, und sie schickten ihnen auch iseben. Die Absendung der Schiffe aber erklärt sich daraus, daß die große Mehrzahl der Chier von den Verhandlungen überhaupt nichts wußte, die wenigen Eingeweihten aber, so­ lange sie ihrer Sache nicht sicher waren, sich die Feind­ schaft der Menge nicht zuziehen wollten, auf die Ankunft der

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Peloponnesier aber bei deren langem Zögern nicht mehr rechneten.

Unterdessen wurden die ifthmischen Spiele gefeiert, an denen auch die Athener, die man dazu eingeladen hatte, sich durch Festgesandte beteiligten und dabei Gelegenheit fanden, sich von den Umtrieben der Chier vollends zu überzeugen. Nach deren Rückkehr machten sie sich auch gleich fertig, damit die Flotte nicht heimlich von Kenchreiai ausliefe. Die Pelo­ ponnesier aber gingen nach dem Feste mit einundzwanzig Schiffen unter Alkamenes' Befehl nach Chios unter Segel. Die Athener fuhren anfangs mit einer gleichen Anzahl von Schiffen an sie heran und suchten sie in die hohe See zu locken. Da jedoch die Peloponnesier ihnen nicht lange nachkamen, sondern seit­ wärts abbogen, zogen auch sie sich zurück. Sie trauten näm­ lich den sieben Schiffen der Chier nicht, die sich mit unter ihren einundzwanzig befanden, stellten dafür später auch sieben andere ein und verfolgten die an der Küste entlang fahrenden Gegner bis nach Peiraios, einem entlegenen Hafen im Korinthischen, unmittelbar an der Grenze von Epidauros. Die Peloponnesier verloren auf offener See ein Schiff, gelangten aber mit den übrigen glücklich in den Hafen. Hier aber gerieten sie, als die Athener sie von der See mit der Flotte angriffen und auch Truppen ans Land setzten, arg ins Gedränge. Die Athener am Lande machten ihnen die meisten Schiffe leck und töteten Alkamenes, ihren Befehlshaber, verloren aber auch selbst einige Leute.

Darauf brachen sie den Kampf ab und ließen nur eine zur Beobachtung der feindlichen Flotte genügende Anzahl Schiffe zurück; mit den übrigen gingen sie bei der in der Nähe be­ findlichen kleinen Insel vor Anker, wo sie sich lagerten und um Verstärkungen nach Athen schickten; denn am folgenden Tage trafen die Korinther und bald nachher auch andere Ver­ stärkungen aus der Nachbarschaft zur Unterstützung der Pelo­ ponnesier bei den Schiffen ein. Da diese sahen, daß es ihnen schwer werde würde, sie in einer so öden Gegend zu bewachen, waren sie zweifelhaft, was sie tun sollten; erst wollten sie die

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Schiffe in Brand stecken, dann aber entschlossen sie sich, sie ans Land zu ziehen und dort durch ihr Landheer bewachen zu lassen, bis sich vielleicht eine günstige Gelegenheit böte, das Weite zu suchen. Agis aber schickte ihnen, als er die Nach­ richt davon erhielt, den Spartiaten Thermon. Die Lakedämonier hatten zuerst die Meldung erhalten, daß die Flotte vom Isthmus abgefahren sei; denn Alkamenes war von den Ephoren ange­ wiesen, ihnen, sobald das geschehen, einen reitenden Boten zu schicken, und wollten nun ihre fünf Schiffe unter Chalkideus, den Alkibiades begleiten sollte, sogleich abgehen lassen. Dann aber, als sie eben abgehen sollten, kam die Nachricht von der Flucht der Flotte nach dem Peiraios, und nun trugen sie aus Mißmut über das Fehlschlagen ihrer ersten Unternehmung im ionischen Kriege doch Bedenken, noch mehr Schiffe außer Landes zu schicken, ja sie wollten sogar ein paar, die schon ausgelaufen waren, wieder zurückrufen.

Als Alkibiades das erfuhr, redete er Endios und den übrigen Ephoren auch jetzt wieder zu, den Zug nur unbedenk­ lich zu unternehmen, indem er ihnen vorstellte, daß ihre Schiffe in Chios ankommen würden, bevor das Mißgeschick der Flotte dort bekannt geworden sei, und daß es ihm selbst nach der Landung in Ionien ein leichtes sein würde, die Städte zum Abfall zu bewegen, wenn er ihnen die Schwäche der Athener und den Eifer der Lakedämonier schildere, was man ihm eher als jedem anderen glauben würde. Endios selbst aber gab er noch unter vier Augen zu bedenken, wie rühmlich es für ihn sein würde, mit seiner Hilfe den Abfall Ioniens zu bewirken und ein Bündnis des Königs mit den Lakedämoniern zustande zu bringen und diese Ehre nicht Agis zu überlassen. Er selbst war nämlich damals mit Agis persönlich verfeindet. Nachdem er Endios und die übrigen Ephoren zu seiner Ansicht bekehrt hatte, machte er sich mit dem Lakedämonier Chalkideus und den fünf Schiffen auf die Fahrt, die dann auch rasch vonstatten ging.

Um dieselbe Zeit kamen auch die sechzehn peloponnesischen Schiffe aus Sizilien zurück, die dort den Krieg unter Gylippos mitgemacht hatten. Bei Leukadia wurden le von den sieben­

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undzwanzig attischen Schiffen, die dort unter Hippokles, Menip­ pos' Sohn, den Schiffen aus Sizilien aufpaßten, erwischt und übel zugerichtet, entkamen jedoch den Athenern sämtlich bis auf eins und gelangten nach Korinth.

Chalkideus und Alkibiades griffen alle ihnen unterwegs begegnenden Schiffe auf, damit von ihrer Überkunft nichts verlaute, und landeten dann zuerst am Festlande bei Korykos, wo sie sie wieder freigaben. Hier hatten sie ihrerseits zunächst eine Zusammenkunft mit einigen ihrer Anhänger aus Chios, die ihnen rieten, ohne weiteres nach der Stadt hinüber zu fahren, und so erschienen sie plötzlich vor Chios. Die große Menge der Bevölkerung war darüber erstaunt und außer sich. Mit den Oligarchen aber war verabredet, daß der Rat grade um die Zeit versammelt sein sollte, und ihm teilten Chalkideus und Alkibiades nun mit, es wären noch viele andere Schiffe im Ansegeln, sagten aber nichts davon, daß die Flotte im Peiraios eingeschlossen war. Infolgedessen sagte sich Chios und dann auch Erpthrai von den Athenern los. Darauf sandte man drei Schiffe ab und brachte auch Klazomenai zum Abfall. Die Klazomenier begaben sich auch sogleich nach dem Festlande hinüber nnd befestigten Polichna, um sich dahin von der Insel, auf der ihre Stadt lag, im Notfall zurückziehen zu können. Überall in den abgefallenen Orten war man geschäftig, die Festungswerke instand zu setzen und zum Kriege zu rüsten.

Die Nachricht von den Ereignissen in Chios kam alsbald nach Athen, und die Athener glaubten sich bereits aufs Äußerste gefaßt machen zu müssen, da auch die übrigen Bundesgenossen sich nach dem Abfall dieser wichtigsten Stadt schwerlich länger zugeben würden. Sie beschlossen deshalb, die für die Dauer des ganzen Krieges als unangreifbar zurückgelegten tausend Talente anzugreifen, und hoben im ersten Schrecken die früher gegen dahingehende Anträge und Abstimmungen erlassenen Strafbestimmungen sogleich wieder auf. Weiter beschlossen sie, eine große Anzahl Schiffe in Dienst zu stellen, auch die acht Schiffe des Bewachungsgeschwaders vor dem Peiraios, welche sich von dort zur Verfolgung der Schiffe des Chalkideus auf­

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gemacht, diese aber nicht getroffen hatten und dann zurück- gekommen waren, unter Strombichides, Diotimos' Sohn, sofort nach Chios abgehen zu lassen und ihnen alsbald noch zwölf andere, die bis dahin ebenfalls zu seinem Geschwader gehört, unter Thrasikles nachzuschicken. Die sieben Schiffe der Chier, welche mit vor dem Peiraios gelegen hatten, zogen sie von dort zurück, ließen die darauf befindlichen Sklaven frei, die Freien aber ins Gefängnis werfen. Die abgegangenen Schiffe ersetzten sie alle durch eilig bemannte andere, um die Peloponne­ sier weiter einzuschließen. So waren sie in voller Tätigkeit und setzten alles dran, um in Chios mit den nötigen Streit­ kräften aufzutreten.

Inzwischen kam Strombichides mit den acht Schiffen in Samos an. Von hier fuhr er, durch ein samisches Schiff ver­ stärkt, nach Teos, wo er die Einwohner zur Ruhe ermähnte. Aber auch Chalkideus war mit dreiundzwanzig Schiffen von Chios nach Teos unterwegs und zugleich kam das Heer der Ktazomenier und Erythraier zu Lande heran. Nun fuhr Strombichides, der davon rechtzeitig Kunde erhalten hatte, wieder ab, und als er dann, schon auf hoher See, bemerkte, wie stark die von Chios kommende Flotte war, machte er sich auf die Flucht nach Samos. Die feindliche Flotte aber war gleich hinter ihm her. In Teos wollte man das Landheer erst nicht einlassen, nach der Flucht der Athener aber öffnete man ihm die Tore. Eine Zeitlang sahen die Truppen sich die Sache an und warteten ab, daß auch Chalkideus von der Ver­ folgung zurückkäme. Da ihnen das jedoch zu lange dauerte, fingen sie auf eigene Hand an, die von den Athenern auf der Landseite der Stadt erbaute Mauer abzubrechen, wobei eine Anzahl Perser, die unter Stages, einem Unterbefehlshaber des Tissaphernes, zu ihnen gestoßen, ihnen behilflich war.

Nachdem Chalkideus und Alkibiades Strombichides bis nach Samos verfolgt hatten, rüsteten sie die Mannschaft der peloponnesischen Schiffe als Hopliten aus und ließen sie in Chios. Ans Chios aber bemannten sie jene Schiffe anderweit, und dazu noch zwanzig andere, und gingen damit nach Milet

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unter Segel, um es ebenfalls zum Abfall zu bringen. Denn Alkibiades, der mit der Regierung von Milet auf gutem Fuße stand, wünschte Milet noch vor der Ankunft der peloponnesischen Flotte auf ihre Seite zu ziehen, um den Chiern, sich selbst und Chalkideus, aber auch Endios, der sie ausgesandt, wie er ihm in Aussicht gestellt, die Ehre zu verschaffen, schon mit den Streit­ kräften der Chier und des Chalkideus möglichst viele Städte zum Abfall gebracht zu haben. Auch gelang es ihnen, den größten Teil der Fahrt unbemerkt zurückzulegen, auch Strom­ bichides und Thrasykles, der soeben mit zwölf Schiffen aus Athen zu ihm gestoßen war und sie jetzt gemeinschaftlich mit ihm verfolgte, einen kurzen Vorsprung abzugewinnen und Milet . zum Abfall zu bringen. Die Athener aber, die ihnen mit neun­ zehn Schiffen auf dem Fuße gefolgt waren, gingen, als man sie in Milet nicht aufnahm, bei der Insel Lade, der Stadt gegenüber, vor Anker. Gleich nach dem Abfall von Milet wurde dann auch das erste Bündnis der Lakedämonier mit dem Könige durch Tissaphernes und Chalkideus geschlossen, und zwar folgen dergestalt:

„ Unter nahcstehenden Bedingungen haben die Lakedämonier und deren Bundesgenossen mit dem Könige und Tissaphernes ein Bündnis geschlossen. Alle Länder und Städte, welche der König besitzt oder seine Vorfahren besessen haben, sollen dem Könige bleiben. Soweit die Athener aus diesen Städten bis­ her Gelder oder andere Einnahmen bezogen haben, sollen der König und die Lakedämonier und deren Bundesgenossen gemein­ sam zu verhindern suchen, daß die Athener noch Geld oder sonst etwas von dort erhalten. Der Krieg gegen die Athener solt vom Könige und den Lakedämoniern und deren Bundes­ genossen gemeinschaftlich geführt, Friede mit den Athenern nur mit Zustimmung beider Teile, des Königs und der Lakedämonier und ihrer Bundesgenossen, geschlossen werden. Wenn einer vom Könige abfällt, so soll er auch von den Lakedämoniern und deren Bundesgenossen als Feind behandelt, und ebenso jeder, der von den Lakedämoniern und deren Bundesgenossen abfällt, vom Könige als Feind behandelt werden."

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So das Bündnis. Nach dem bemannten die Chier noch zehn andere Schiffe und fuhren damit nach Anaia, einmal um sich über den Stand der Dinge in Milet zu vergewissern, zugleich aber auch um die dortigen Städte zum Abfall zu bringen. Da jedoch Chalkideus ihnen sagen ließ, sie sollten nur wieder abfahren, und daß Amorgos mit einem Heere im Anzüge sei, hielten sie auf den Tempel des Zeus ab und sichteten nun sechzehn Schiffe, mit denen Diomedon erst nach Thrasikles von Athen abgegangen und im Ansegeln war. Als sie ihrer ansichtig wurden, ergriffen sie die Flucht, ein Schiff nach Ephesos, die anderen nach Teos. Vier, deren Mannschaft ans Land entkommen war, fielen den Athenern leer in die Hände. Die Athener fuhren hierauf nach Samos ab, die Chier aber gingen mit den noch übrigen Schiffen wieder in See und brachten im Verein mit dem Landheere Lebedos und dann auch Erai zum Abfall. Darauf kehrten beide, Landheer und Flotte, nach Hause zurück.

Um dieselbe Zeit machten die zwanzig Schiffe der Pelo­ ponnesier, welche damals von den Athenern mit einer gleichen Anzahl von Schiffen nach dem Peiraios verfolgt worden waren und nun dort von ihnen belagert wurden, einen plötzlichen Ausfall und gelangten nach einer glücklichen Schlacht, in der sie den Athenern vier Schiffe abnahmen, nach Kenchreiai, wo sie sich dann gleich wieder zur Abfahrt nach Chios und Ionien fertigmachten und Astyochos aus Lakedämon zum Befehlshaber erhielten, auf den inzwischen der Oberbefehl über die gesamte Flotte übergegangen war. Als das Landheer aus Teos wieder abgezogen war, erschien Tissaphernes selbst dort auch mit Heeresmacht, ließ die Stadtmauer von Teos, soweit sie noch stand, vollends abbrechen und zog dann wieder ab. Nicht lange nahcher kam auch Diomedon mit zehn athenischen Schiffen nach Teos und traf mit den Einwohnern eine Übereinkunft, wonach auch den Athenern dort Aufnahme gewährt werden sollte. Von da fuhr er weiter nach Erai und griff die Stadt an. Da er sie jedoch nicht nehmen konnte, fuhr er wieder ab.

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