History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

Nach dem Austritt der Argeier aus dem Bunde mußten sich auch die Mantineer, die sich anfangs gesträubt, dazu aber ohne die Argeier auf die Dauer nicht imstande waren, zum Frieden mit den Lakedämoniern bequemen und die Herrschaft über die Städte aufgeben. Nun zogen die Lakedämonier und die Argeier, je tausend Mann stark, gemeinschaftlich ins Feld. Nachdem die Lakedämonier sich zunächst nach Sikyon gewandt und dort eine oligarchische Verfassung eingeführt hatten, machten beide zusammen dann auch in Argos selbst der Demokratie ein Ende, an deren Stelle auch hier ein den Lakedämoniern ge­

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nehmes oligarchisches Regiment trat. Das geschah schon gegen Frühlingsanfang zu Ende deS Winters, und damit endete das vierzehnte Jahr des Krieges.

Im nächsten Sommer ging Dion am Athos von den Athenern zu den Chalkidiern über, und die Lakedämonier machten in Achaia den ihnen unbequemen dortigen Zuständen ein Ende. In Argos lehnte sich die Volkspartei, die sich bei kleinem wieder gesammelt und neuen Mut gefaßt hatte, gegen die Obligarchen auf, wozu sie die Gymnopaidien der Lakedämonier abgewartet hatte. Dabei kam es zu Straßenkämpfen, in denen das Volk Sieger blieb und die Gegner teils umbrachte, teils aus der Stadt vertrieb. Die von ihren Freunden zu Hilfe gerufenen Lakedämonier hatten zu lange auf sich warten lassen, dann aber endlich dock ihre Gymnopaidien verschoben und sich auf den Weg gemacht. Als sie jedoch bei Tegea hörten, die Oligarchen seien besiegt, weigerten sie sich trotz der Bitten ihrer zu ihnen geflüchteten Freunde, weiterzuziehen, sondern kehrten wieder um, um zu Hause ihre Gymnopaidien zu feiern. Später fanden sich Abgesandte der Argeier, sowohl aus der Stadt wie von außen, bei ihnen ein, und nach längerem Wort­ wechsel beider Teile in Gegenwart der Bundesgenossen ent­ schieden die Lakedämonier, daß die Städter im Unrecht wären, und beschlossen, Truppen nach Argos zu schicken. Damit aber hatte es vorläufig gute Wege. Unterdessen hatte das Volk in Argos, das aus Furcht vor den Lakedämoniern das Bündnis mit Athen hergestellt zu sehen wünschte und sich davon große Vorteile versprach, mit dem Bau langer Mauern bis an die See begonnen, um sich für den Fall einer Einschließung von der Landseite mit Hilfe der Athener die Einfuhr von Lebens­ mitteln zur See zu sichern. Auch verschiedene Städte im Peloponnes wußten um die Ausführung des BaueS, in Argos aber legte alle Welt, Männer, Weiber und Kinder, dabei Hand mit an. Auch von Athen waren Maurer und Stein­ metzen dazu herübergekommen. Damit endete der Sommer.

Im nächsten Winter rückten die Lakedämonier, als sie von dem Bau der Mauern hörten, mit ihren Bundesgenossen,

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jedoch ohne die Korinther, vor Argos, wo sie immer noch ge­ wisse Verbindungen hatten. Den Oberbefehl über das Heer führte der lakedämonische König Agis, Archidamos' Sohn. Ihre Hoffnung, daß man ihnen auch aus der Stadt selbst die Hand bieten werde, ging allerdings nicht in Erfüllung; sie bemächtigten sich jedoch der im Bau begriffenen Mauer und brachen sie ab. Auch eroberten sie Hysiai, einen Ort im Argeiischen, und töteten alle Freien, die ihnen in die Hände sielen. Darauf zogen sie wieder ab und gingen auseinander, jeder in seine Heimat. Bald nachher unternahmen auch die Argeier einen Zug ins Phliasische, weil ihre Flüchtlinge in Phlius Aufnahme gefunden und sich großenteils dort nieder­ gelassen hatten. Nachdem sie das Land verheert, zogen sie wieder ab. Die Athener aber schlossen in diesem Winter die makedonishcen Küsten mit ihren Schiffen ein, weil sie Perdikkas das inzwischen mit den Lakedämoniern und den Argeiern ein­ gegangene Bündnis verdachten. Auch hatte er sie damals, als sie unter Nikias, Nikeratos' Sohn, den Zug gegen die thrakischen Chalkidier und Amphipolis vorhatten, als Bundes­ genosse im Stich gelassen und die Unternehmung hauptsäch­ lich durch seinen Abfall vereitelt. Sie betrachteten ihn also jetzt als ihren Feind. Damit endete der Winter und das fünfzehnte Jahr des Krieges..

Im folgenden Sommer fuhr AlkibiadeS mit zwanzig Schiffen nach Argos und ließ dort dreihundert Argeier ver­ haften, die noch im Verdacht lakedämonischer Gesinnung standen, und die Athener brachten sie in der Nähe auf den von ihnen beherrschten Inseln unter. Auch gegen die Insel Melos unter­ nahmen die Athener einen Zug mit dreißig eigenen, sechs chiischen und zwei lesbischen Schiffen, zwölfhundert Hopliten, dreihundert Bogenschützen und zwanzig reitenden Schützen aus Athen selbst uud etwa fünfzehnhundert Hopliten ihrer Bundes­ genossen auf den Inseln. Melos ist eine lakedämonische Kolonie, und die Bewohner wollten sich nicht wie die übrigen Inseln den Athenern unterwerfen. Anfangs versuchten sie, neutral zu bleiben; als dann aber die Athener sie zwingen wollten und ihr Land verheerten, kam es zum offenen Kriege. Mit

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jener Streitmacht legten sich nun die Feldherren Kleomedes, Lykomedes' Sohn, und Tisias, Tisimachos' Sohn, auf ihre Insel, schickten aber vor Beginn der Feindseligkeiten Gesandte an sie, um zunächst mit ihnen zu unterhandeln. Die Melier aber führten diese nicht vor das Volk, sondern forderten sie auf, sich im engeren Kreise der Regierung und einiger vor­ nehmer Herren darüber zu äußern, in welcher Absicht sie kämen. Da kam es dann zu folgender Aussprache zwischen den athe­ nischen Gesandten und den melischen Unterhändlern.

Athener: „Vor dem Volke laßt ihr uns ja nicht zu Worte kommen, aus Furcht, eure Leute könnten von uns verführt werden, wenn wir Gelegenheit hätten, ihnen unsere einleuchten­ den, unwiderleglichen Gründe in einer zusammenhängenden Rede zu entwickeln; merken wir doch recht gut, daß ihr uns nur deshalb in diesen engeren Kreis geführt habt. Davor seid ihr hier in der Sitzung allerdings sicher. Denn hier läuft eS nicht auf eine einmalige Rede hinaus, sondern ihr könnt uns gleich bei jedem einzelnen Punkte, bei dem ihr anderer Meinung seid, ins Wort fallen und uns widerlegen. Zunächst also, seid ihr damit einverstanden?"

Melier: „Gegen den zweckmäßigen Vorschlag, die Sache ruhig miteinander zu besprechen, haben wir nichts zu erinnern. Daß ihr uns aber so ohne weiteres gleich mit Krieg über­ zieht, scheint sich damit denn doch nicht zu vertragen; denn offenbar tretet ihr hier mit dem Anspruch auf, bei diesen Be­ sprechungen das letzte Wort zu haben, und wenn wir dabei, wie wahrscheinlich, recht behalten und deshalb nicht nachgeben, so wird es für uns auf Krieg, wenn wir uns aber fügen, auf Knechtschaft hinauskommen."

Athener: „Wenn ihr euch hier in Vermutungen über die Zukunft ergehen oder, statt die in diesem Augenblick zur Siche­ rung eures Landes gebotenen Schritte zu erörtern, von anderen Dingen reden wollt, so können wir nur aufhören. Wollt ihr aber bei der Sache bleiben, so wollen wir fortfahren."

Melier: „Es ist begreiflich, und ihr dürft es unS nicht verargen, wenn wir in unserer Lage auf mancherlei Reden

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und Meinungen verfallen. Jedenfalls sind in dieser Zusammen­ kunft auch die zur Sicherung unseres Landes gebotenen Schritte zu erörtern. Darum laßt unS, wenn es euch recht ist, in der von euch vorgeshclagenen Weise weiterverhandeln."

Athener: „Nun denn; wir werden euch keine lange wohl­ gesetzte, ja doch nur Mißtrauen erweckende Rede darüber halten, daß wir durch unseren Sieg über den Perserkönig das Recht zur Herrschaft erworben haben, oder daß wir euch ins Land gekommen sind, weil ihr uns was zuleide getan. Wir verlangen jedoch, daß ihr nicht glaubt, mit der Ausrede durch­ zukommen, als lakedämonische Kolonisten hättet ihr uns die Heerfolge versagt und uns nichts zuleide getan, aber auch, daß ihr nichts nach unserer beiderseitigen wahren Meinung Unmögliches begehrt. Bildet euch also nicht ein, wir wüßten nicht, daß es unter den Menschen nur bei gleichen Macht- mitteln nach Recht geht, der Mächtige aber tut, was ihm an­ steht, und der Schwache sich fügen muß."

Melier: „Nach unserer Ansicht - und wir müssen das aussprechen, da ihr von Recht nichts hören wollt und uns auf die Nützlichkeit verweist - hat eS aber doch auch seinen Nutzen, nicht gegen den für alle wertvollen Grundsatz zu ver, stoßen, daß man jedem in Gefahr Befindlichen Billigkeit für Recht ergehen lassen und eS mit seinen Gründen nicht allzu genau nehmen soll. Und das gilt für euch so gut wie für andere; denn solltet ihr auch einmal besiegt werden, so würde man sich eure Härte zum Beispiel nehmen und gegen euch ebenso verfahren."

Athener: „Sollte es mit unserer Herrschaft auch zu Ende gehen, so machen wir uns darüber, was weiter aus uns werden wird, keine Sorge. Denn von einer Macht, die selbst über andere herrscht, wie die Lakedämonier, — mit denen wir es übrigens hier nicht zu tun haben, - hat der Besiegte nicht allzuviel zu fürchten; weit gefährlicher ist es, wenn die eigenen Untertanen sich gegen ihre Herren auflehnen und sie besiegen. In dieser Hinsicht laßt uns unsere Haut nur selbst zu Markte tragen. Vernehntt also, daß wir hier sind, um euch unserer

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Herrschaft zu unterwerfen, und mit euch darüber zu reden gedenken, wie sich das mit dem Wohl eures Landes am besten vereinigen läßt; denn wir wollen euch damit nicht bedrücken, wünschen vielmehr, daß ihr dabei zu unser beider Vorteil gut fahren werdet."

Melier: „Wie könnte wohl die Knechtschaft für uns so vorteilhaft sein wie für euch die Herrschaft?"

Athener: „Weil es für euch immer noch vorteilhafter sein würde, unsere Untertanen zu werden, als über die Klinge springen zu müssen, für uns aber ein Gewinn, wenn wir euch ' nicht zu vernichten brauchten."

Melier: „Darauf also, daß wir neutral blieben, uns nicht feindlich, vielmehr freundlich zu euch stellten, aber keinem der beiden Bündnisse beiträten, würdet ihr nicht eingehen?"

Athener: „Nein; denn eure Feindschaft schadet uns weniger als eure Freundschaft, da diese in den Augen unserer Unter­ tanen ein Zeichen unserer Schwäche sein würde, eure Feind­ schaft aber ein Beweis unserer Macht."

Melier: „Meinen eure Untertanen denn, rechtlich zwischen Leuten, die euch nichts angehen, und solchen, die größtenteils als Kolonisten, teilweise auch nach ihrem Abfall von euch unterworfen sind, keinen Unterschied machen zu müssen?"

Athener: „An Rechtsgründen würde es ihrer Meinung nach den einen so wenig wie den anderen fehlen; aber sie glauben, daß jene es nur ihrer Macht verdanken, wenn sie frei bleiben, und daß wir uns fürchten, sie anzugreifen. Eure Unterwerfung würde also nicht nur zur Erweiterung unserer Macht, sondern auch zur Sicherung unserer Herrschaft beitragen, zumal es ein schlechtes Zeichen wäre, wenn wir, die Beherrscher der See, ein verhältnismäßig schwaches Jnselvolk wie euch nicht zwingen könnten."

Melier: „Das also, meint ihr, würde euch solche Siche­ rung nicht gewähren? Wie ihr unS aber zu verstehen gebt, daß es sich unS gegenüber nicht um Recht, sondern nur um euren Vorteil handelt, so wollen auch wir euch nun über unseren Vorteil belehren und versuchen, euch von eurer Meinung zu

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bekehren. Am Ende könnte unser beider Vorteil denn doch zusammengehen. Treibt ihr denn nicht alle jetzt Neutralen ins feindliche Lager, wenn sie nach solchen Erfahrungen sich sagen müssen, daß es über kurz oder lang auch ihnen an den Kragen gehen wird? Was hättet ihr dann weiter davon, als daß ihr eure jetzigen Feinde nur noch mächtiger macht und solche, die es gar nicht werden wollen, wider Willen dazu drängt?"

Athener: ,Ach, von den paar Festlandsstaaten, die sich mit den Vorkehrungen zum Schutz ihrer Freiheit uns gegen­ über so viel Zeit lassen, haben wir nichts zu fürchten, wohl aber von den unabhängigen Jnselvölkern, wie ihr, und solchen, -die schon durch den Druck der Fremdherrschaft erbittert sind; denn die würden sich nicht lange besinnen, sich und uns kopf­ über in Gefahr zu tsürzen."

Melier: „Nun denn, wenn ihr vor nichts zurückschreckt, um eure Herrschaft zu behaupten, und die unabhängigen Völker sich unbedenklich in Gefahr stürzen, um sie abzuschütteln, wäre es da für uns, die wir noch frei sind, nicht die größte Schande, wollten wir nicht lieber alleS wagen, als uns unters Joch be­ geben?"