History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Braun, Theodor, translator. Leipzig: Insel-Verlag, 1917.

Als das Heer sich bei Delphi versammelt hatte, setzte sich EurylochoS durch einen Herold mit den ozolischen Lokrern in Verbindung; denn der Weg nach Naupaktos ging durch ihr Land; zugleich aber wollte er sie zum Abfall von Athen be­ wegen. Unter den Lokrern war es besonders Amphissa, das ihm dabei entgegenkam, weil man sich dort vor der Feindschaft der Phokier fürchtete. Das erste war, daß man dort selbst Geiseln stellte und dann auch die anderen, die sich vor dem herankommenden Heere fürchteten, dazu überredete, zuerst die benachbarten Myoneer, bei denen in Lokris mit einem Heere am schwersten durchzukommen ist, und weiter die Jpneer, Messapier, Tritaier, Chalaier, Tolophonier, Heffier und Oiantheer, die sich auch sämtlich dem Zuge anschlossen. Die Olpaier stellten zwar Geiseln, schlossen sich aber nicht an; die Hyaier aber verstanden sich auch dazu erst, nachdem Polis, so heißt ihr Städtchen, eingenommen war.

Nachdem er alles fertig gemacht und die Geiseln nach dem dorischen Kytinion in Verwahrung gegeben hatte, zog er mit dem Heere durch Lokris nach Naupaktos und eroberte unter­ wegs die lokrischen Städte Oineon und Eupalian, die sich ihm nicht anschließen wollten. Als er im Gebiete von Naupaktos angekommen war, begann er mit den Htoliern, die sich dort schon eingefunden hatten, das Land zu verheeren und bemächtigte sich der unbefestigten Vorstadt. Auf einem Streifzuge eroberte man auch die von Korinth gegründete, jetzt aber unter athe­ nischer Herrschaft stehende Kolonie Molykreion. Der Athener Demosthenes aber, der sich seit dem Rückzüge aus Ätolieu noch immer dort in der Gegend aufhielt und bei der Nachricht vom Anzüge des feindlichen Heeres für Naupaktos besorgt geworden war, begab sich zu den Akarnaniern und bewog sie, wenn auch wegen seines Abzugs von Leukas nur mit Mühe, Naupaktos zu Hilfe zu kommen. Sie gaben ihm auch zu Schiff tausend Hopliten mit, welche in die Stadt zogen und sie besetzten.

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Denn bei der Länge der Stadtmauer und der geringen Zahl der Verteidiger würde sie sich sonst schwerlich haben halten können. Angesichts dieserVerstärkung der Besatzung hielten Eurylochos und sein Stab einen Sturm auf die Stadt für aussichtslos, und sie zogen ab, aber nicht nach dem Peloponnes, sondern in die jetzt HoliS genannte Gegend von Kalydon und Pleuron und nach Proschion in Htolien. Die Amprakier hatten sich nämlich mit der Bitte an sie gewandt, sich mit ihnen an einem Zuge gegen Amphilochien, insbesondere das amphilochische Argos, und Akarnanien zu beteiligen, und dabei versichert, nach deren Unter­ werfung würde das ganze Festland dem Lakedämonischen Bunde beitreten. Eurylochos ging darauf auch ein, entließ die Ätolier und blieb mit seinem Heere in jener Gegend stehen, bis es an der Zeit wäre, sich den Amprakiern auf ihrem Zuge gegen Argos anzuschließen. Damit endete der Sommer.

Im folgenden Winter unternahmen die Athener in Sizilien mit ihren dortigen griechischen Bundesgenossen und denjenigen Sikelern, die bisher unter Herrschaft der Syrakuser gestanden hatten und von diesen zu ihnen übergegangen waren, einen Zug gegen die sikelische Stadt Jnessa, deren Burg von den Syrakusern besetzt war, konnten sie aber nicht nehmen und mußten wieder abziehen. Auf dem Rückzüge überfielen die Syrakuser aus der Burg die Bundesgenossen im Nachtrabe der Athener, schlugen auch einen Teil des Heeres in die Flucht und töteten viele. Danach landeten die Athener von der Flotte unter Laches wiederholt in Lokris, erfochten am Flusse Kaikinos einen Sieg über etwa dreihundert Lokrer, die sich ihnen unter Proxenos, Kapatons Sohn, entgegenstellten, erbeuteten die Waffen der Gefallenen und zogen dann wieder ab.

In demselben Winter reinigten die Athener infolge eines Orakelspruchs die Insel Delos. Der Tyrann Peisistratos hatte sie früher auch schon gereinigt, aber nicht ganz, sondern nur soweit man sie vom Tempel übersehen konnte. Diesmal wurde die ganze Insel gereinigt, und zwar auf folgende Weise. Die auf Delos befindlichen Totensärge ließen sie sämtlich von der Insel bringen und bestimmten, daß dort künftig weder

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jemand sterben noch ein Weib gebären, sondern in solchem Fall nach Rheneia hinübergeschafft werden solle. Die Insel Rheneia aber liegt so nahe bei Delos, daß der Tyrann Poly­ krates von Samos, als er mit seiner Flotte eine Zeitlang die See beherrschte und wie die übrigen Inseln auch Rheneia er­ obert hatte, sie mit einer Kette an Delos band und dem delischen Apollon weihte. Damals nach dieser Reinigung begingen die Athener auch zum erstenmal das nachmals alle fünf Jahre ge­ feierte Fest der Delien. Schon von Alters her waren Jonier und Bewohner der benachbarten Inseln auf Delos in Menge zusammengekommen. Sie pilgerten nämlich, wie jetzt die Jonier zu den Ephesien, mit ihren Weibern und Kindern zu den dortigen Festen, bei denen Kampf- und Singspiele gehalten und von den Städten Reigentänze aufgeführt wurden. Das beweist ja schon Homer, wenn es im HymnoS auf Apollon heißt:

Aber zumeist, o Phoibos, erfreuet dein Herz sich in Delos, Wo die Jonier sich versammeln in langen Gewändern Mit ihren Kindern zugleich und ihren vortrefflichen Frauen, Um sich in Kämpfen zu messen, in Tanz, Gesängen und Faustkampf,

Dir zur Ehre und Freude allda bei festlichen Spielen. Daß auch Sänger dort um den Preis kämpften und dazu nach Delos zogen, sieht man bei ihm wieder aus einer anderen Stelle in demselben Hymnus. Nachdem er nämlich den delischen Frauenchor befangen, schließt er sein Lied mit folgenden Worten, in denen er auch sich selbst erwähnt:

Auf denn! Erweise sich uns Apollon mit Artemis gnädig. Seid mir alle, ihr Schönen, gegrüßt und denket auch meiner Später noch, wenn etwa künftig einmal ein fahrender Sänger, Den sein Weg nach Delos führt, euch also befragte: Mädchen, wer war denn der lieblichste euch hier unter den Sängern, Wer hat das Herz euch am meisten entzückt von allen, die kamen? Dann erwidert ihm alle zumal aus freudigem Munde: Jener blinde Mann, der da wohnt in der felsigen Chios,

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So beweist uns Homer, daß schon in alter Zeit auf Delos große Festversammlungen stattfanden. Später haben die Be­ wohner der benachbarten Inseln und die Athener dort auch noch Umgänge und Opferfeste gehalten; die Kampfspiele aber waren, wie überhaupt das meiste, wohl der schlechten Zeiten wegen abgekommen, bis dann die Athener sie wieder einführten und damit auch Pferderennen verbanden, die früher nicht vor­ gekommen waren.

In demselben Winter zogen die Amprakier gegen das amphilochische Argos zu Felde, wie sie das Eurylochos ja ver­ sprochen und ihn dadurch zum Bleiben bewogen hatten. Sie rückten ins Argeiische ein und eroberten Olpai, eine starke Festung auf einer Anhöhe an der See, die von den Akarnaniern vorzeiten erbaut war und ihnen als gemeinsame Malstatt diente. Sie ist von der Stadt Argos, die auch nicht weit von der See liegt, ungefähr fünfundzwanzig Stadien entfernt. Die Akarnanier aber, die nun auch im Felde erschienen, zogen zum Teil Argos zu Hilfe, zum Teil in jene Gegend Amphilochiens, welche Kranai heißt, um dort aufzupassen, daß Eurylochos mit seinen Peloponnesiern nicht etwa unversehens zu den Amprakiern durchkäme. Sie wandten sich auch an Demosthenes, den Führer der Athener im ätolischen Feldzuge, und baten ihn, den Ober­ befehl über sie zu übernehmen, und an die zwanzig athenischen Schiffe, die sich damals unter Aristoteles, Timokrates und Hierophon in den peloponnesischen Gewässern befanden. Aber auch die Amprakier bei Olpai schickten einen Boten nach ihrer Stadt mit der dringenden Bitte, ihnen von dort mit aller Macht zu Hilfe zu kommen, weil sie fürchteten, Eurylochos mit seinem Heere würde nicht durchkommen können und sie dann entweder allein schlagen müssen oder auf dem Rückzüge in eine gefährliche Lage geraten.

Auf die Nachricht, daß die Amprakier in Olpai wären, brachen die Peloponnesier unter Eurylochos von Proschion in Eilmärschen dahin auf. Sie setzten über den Acheloos und durchzogen das infolge des Feldzugs nach Argos augenblicklich von tsreitbarer Mannschaft entblößte Akarnanien, indem sie

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Stadt und Festung Stratos zur Rechten, das übrige Akarnanien zur Linken ließen. Dann ging es durch das Gebiet der Stratier und von da über Phytia und an der Grenze von Medeon weiter über Limnaia in das Land der Agraier, die nicht mehr zu Akarnanien gehören und ihnen freundlich gesinnt waren. Hier erreichten sie das wilde Thyamosgebirge, zogen hinüber und von da, schon bei Nacht, hinunter ins Argaiische, kamen zwischen der Stadt Argos und den ihnen bei Kranai auf­ passenden Akarnaniern glücklich durch und vereinigten sich mit den Amprakiern in Olpai.

Nach der Vereinigung beider Heere rückten sie mit Tages­ anbruch in eine Stellung bei der sogenannten Metropolis und bezogen dort ein Lager. Nicht lange nachher trafen die den Argeiern zu Hilfe kommenden Athener auf den zwanzig Schiffen im Amprakischen Meerbusen ein, und auch Demosthenes erschien mit zweihundert messenischen Hopliten und sechzig athenischen Bogenschützen; die Schiffe gingen der Anhöhe von Olpai gegen­ über vor Anker. Die Akarnanier aber und eine, wenn auch geringe Anzahl Amphilochier - denn die meisten waren durch die Amprakier festgenagelt -, die sich bereits bei Argos ver­ einigt hatten, richteten sich auf eine Schlacht mit ihren Gegnern ein und wählten Demosthenes neben ihren eigenen Führern zum Oberfeldherrn des gesamten Bundesheeres, der damit nun in die Nähe von Olpai rückte und hier ein Lager bezog. Beide Heere waren durch die Schlucht eines Gießbachs voneinander getrennt. Fünf Tage tsanden sie unbeweglich einander gegen­ über; am sechsten aber ordneten beide sich zur Schlacht. De­ motshenes, der bei der größeren Zahl und der überragenden Stellung der Peloponnesier eine Umfassung fürchtete, legte Hopliten und Leichtbewaffnete, zusammen gegen vierhundert Mann, in einem durch dichtes Buschwerk verdeckten Hohlweg in den Hinterhalt, um dem feindlichen Truppenteil, der ihn in der Schlacht etwa überflügeln wollte, von dort in den Rücken zu fallen. Als beide fertig waren, begann die Schlacht. Demo­ sthenes mit den Messeniern und den wenigen Athenern hatte deq rechten Flügel; den anderen bildeten die landsmannschaft­

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lich geordneten Akarnanier und die im Heere befindlichen amphi­ lochischen Speerschützen. Die Peloponnesier und Amprakier standen durcheinander bis auf die Mantineer, welche alle zu­ sammen auf dem linken Flügel standen; den äußersten linken Flügel aber bildete Eurylochos selbst mit seinen Leuten, Demo­ sthenes und den Messeniern gegenüber.

Als das Gefecht bereits im Gange war und die Pelo­ ponnesier sich anschickten, mit ihrem überragenden Flügel den rechten der Gegner zu umfassen, fielen die Akarnanier aus dem Hinterhalt ihnen in den Rücken und schlugen sie in die Flucht, dergestalt, daß sie vor Schreck allen Widerstand aufgaben und den größten Teil des Heeres mit sich fortrissen. Denn an­ gesichts der Niederlage des Eurylochos und der besten Truppen verging den übrigen vollends der Mut. Die Messenier aber, die hier unter Demotshenes fochten, hatten das beste getan. Dagegen hatten die Amprakier und der rechte Flügel gesiegt und ihre Gegner in der Richtung auf Argos verfolgt. Die Amprakier sind nämlich dortzulande die besten Soldaten. Als sie jedoch bei der Rückkehr das Hauptl^er geschlagen sahen und die übrigen Akarnanier nun auf sie eindrangen, konnten sie sich nur mit genauer Not und unter großen Verlusten in wilder Flucht und völliger Auflösung nach Olpai retten. Nur die Mantineer hielten noch zusammen, und sie waren die ein­ zigen im ganzen Heere, die ihren Rückzug in guter Ordnung bewirkten. Erst gegen Abend endete die Schlacht.

Meneda'ios, der am Tage darauf, da Eurylochos und MekarioS gefallen waren, den Oberbefehl übernommen hatte und hier zu Lande und durch die athenische Flotte auch von der Seeseite eingeschlossen war, wußte nicht, wie er nach der furchtbaren Niederlage in Olpai eine Belagerung aushalten sollte oder im Fall eines Rückzugs sich würde durchschlagen können. Er setzte sich deshalb wegen eines Waffenstillstandes und freien Abzugs sowie wegen Herausgabe der Toten mit Demotshenes und den Feldherren der Akarnanier in Verbindung. Die gaben auch die Toten heraus, errichteten ein Siegeszeichen und bargen ihre etwa dreihundert eigenen Toten. Freien Abzug

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für das ganze Heer dagegen gestanden sie öffentlich nicht zu; unter der Hand aber bewilligte Demotshenes im Einvernehmen mit den übrigen Feldherren der Akarnanier den Mantineern und Menedai'oS samt den anderen peloponnesischen Führern und den sonst unter ihnen befindlichen besonders angesehenen Per­ sonen sofortigen freien Abzug, weil ihm daran lag, die Am­ prakicr und das fremde Söldnervolk dadurch kaltzustellen, namentlich aber die Peloponnesier als selbstsüchtige, nur auf den eigenen Vorteil bedachte Verräter bei den dortigen Griechen in Verruf zu bringen. Sie nahmen denn auch ihre Toten auf und begruben sie in der Eile, so gut eS ging; die Peloponnesier aber, denen unter der Hand freier Abzug bewilligt war, trafen dazu im stillen ihre Vorbereitungen.

Demosthenes aber und den Akarnaniern wurde gemeldet, daß die Amprakier aus der Stadt infolge der ersten Nachricht aus Olpai mit ihrer ganzen Macht durchs Amphilochische im Anzüge seien, um sich mit ihren Landsleuten in Olpai zu ver­ einigen, und von den späteren Ereignissen nichts wüßten. Er schickte auch gleich einen Teil seines Heeres ab, um ihnen an den Straßen Hinterhalte zu legen und die wichtigen Stellen im voraus zu besetzen, und machte sich gleichzeitig fertig, ihnen mit dem übrigen Heere entgegenzugehen.

Unterdessen hatten sich die Mantineer und die übrigen, denen freier Abzug bewilligt war, vorgeblich, um Kräuter und Reisig zu sammeln, aus der Stadt aufgemacht und bei kleinem immer weiter von ihr entfernt, dabei auch wirklich solche Dinge, die sie angeblich sammeln wollten, aufgelesen, dann aber, als sie schon ein gutes Stück von Olpai entfernt waren, spornstreichs das Weite gesucht. AlS die Amprakier und die anderen, welche alle ganz unbefangen mit hinausgegangen waren, sie weglaufen sahen, fingen sie auch an zu laufen, um sie wieder einzuholen. Die Akarnanier glaubten anfangs, sie wollten sich alle miteinander ohne Erlaubnis aus dem Staube machen, und setzten deshalb auch den Peloponnesiern nach. Ja, als einzelne ihrer eigenen Befehlshaber sie daran hindern wollten und sagten, daß denen in der Tat freier Abzug be­

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willigt sei, warf hier und da wohl gar einer nach ihnen mit dem Speer, weil man sich verraten glaubte. Schließlich aber ließen sie dann doch die Mantineer und die Peloponnesier ziehen und erschlugen nur die Amprakier. Dabei wußte man dann freilich manchmal nicht und stritt darüber, ob einer ein Amprakier oder ein Peloponnesier wäre. Gegen dreihundert von ihnen wurden niedergemacht, die übrigen entkamen in das benachbarte Agraiische, wo Salynthios, der ihnen freundlich gesinnte König der Agraier, sie aufnahm.

Inzwischen waren die Amprakier aus der Stadt bei Jdomene angekommen. Jdomene besteht aus zwei hohen Hügeln; den größten hatten die von Demosthenes vorausgeschickten Ab­ teilungen seines Heeres schon vorher bei Einbruch der Nacht unbemerkt besetzt, auf dem kleineren aber waren die Amprakier zuerst angelangt und blieben dort über Nacht. Am Abend, gleich nach dem Essen, setzte sich Demosthenes auch mit dem Hauptheere in Marsch, er selbst mit der einen Hälfte gegen den Paß, die andere durch das amphilochische Gebirge. Bei Tagesanbruch überfiel er dann die Amprakier, die noch im Schlafe lagen und nichts derart vermuteten, vielmehr die Feinde für ihre eigenen Leute hielten. Demosthenes hatte näm­ lich wohlweislich die Messenier vorangestellt und ihnen ein­ geschärft, die Feinde dorisch anzureden, um die Vorposten in Sicherheit zu wiegen, zumal man sie am Aussehen nicht er­ kennen konnte, weit es noch dunkel war. Nach diesem Überfall ergriffen sie die Flucht und wurden größtenteils an Ort und Stelle niedergemacht. Die übrigen suchten sich in die Berge zu retten. Da jedoch die Wege vorher besetzt und die Amphi­ lochier ihres eigenen Landes kundig und mit ihren leichten Waffen den Hopliten gegenüber im Vorteil waren, sie aber in der ihnen unbekannten Gegend sich nicht zurechtfinden konnten, so gerieten sie in Schluchten und Hinterhalte und kamen elend um. Um nur irgendwie mit dem Leben davonzukommen, flohen einige sogar nach der See, die nicht weit von da war, und da sie hier die attischen Schiffe erblickten, die zur Zeit dieser Kämpfe zufällig grade vorüberfuhren, schwammen sie in der[*]( I )

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Todesangst an sie heran, um, wenn es einmal sein müsse, immer noch lieber dort auf den Schiffen als unter den Händen der verhaßten amphilochischen Barbaren zu sterben. So waren denn die Amprakier gründlich geschlagen, und nur wenigen von dem großen Heere gelang es, sich in die Stadt zu retten. Die^Akarnanier aber nahmen den Toten die Rüstungen ab, errichteten ein Siegeszeichen und gingen dann nach Argos zurück.

Am folgenden Tage erschien bei ihnen ein Herold der aus Olpai ins Agraiische geflüchteten Amprakier, um die Heraus­ gabe der Toten zu erbitten, welche nach der ersten Schlacht unter ihren Streichen gefallen waren, als sie mit den Man­ tineern und Peloponnesiern, ohne wie diese freien Abzug zu haben, aus Olpai entwichen waren. Beim Anblick der Rüstungen der Amprakier aus der Stadt wunderte sich der Herold über die Menge; denn er wußte noch nichts von der verlorenen Schlacht, sondern glaubte, es wären die Rüstungen seiner beim Abzüge aus Olpai gefallenen Kameraden. Nun fragte ihn einer, der ihn seinerseits für den Herold der bei Jdomene ge­ schlagenen Amprakier hielt, worüber er sich wundere, wie viele von ihnen denn gefallen seien? Worauf jener sagte: „Un­ gefähr zweihundert." Der andere aber fiel ihm ins Wort: „Nach der Zahl der Rüstungen hier stimmt das nicht, es müssen über tausend gewesen sein." Darauf jener: „Dann sind sie nicht von uns." „Freilich," erwiderte der erste, „wenn anders ihr gestern bei Jdomene gefochten habt." „Gestern haben wir ja gar nicht gefochten, sondern vorgestern beim Ab­ züge." „Aber wir gestern mit diesen hier, als sie aus der Stadt Amprakia gegen uns ausgerückt waren." Als der Herold das hörte und daraus entnahm, daß auch das Heer aus der Stadt vernichtet worden war, machte er sich, entsetzt über die Größe des Unglücks, mit einem tiefen Seufzer ohne weiteres wieder auf den Weg, ohne auch nur um die Herausgabe der Toten zu bitten. Und wirklich hat im Laufe des ganzen Krieges keine andere griechische Stadt in so wenig Tagen solch ein Unglück erlebt. Die Zahl der Toten führe ich nicht an, weil

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die Angaben darüber im Verhältnis zur Größe der Stadt viel zu hoch sind, um glaublich zu erscheinen. So viel aber ist ge­ wiß, wenn sie gewollt und den Rat des Demotshenes und der Athener befolgt, hätten die Akarnanier und Amphilochier Amprakia im ersten Anlauf nehmen können. Sie fürchteten aber, die Athener, einmal im Besitz der Stadt, würden ihnen noch unbequemere Nachbarn werden.

Darnach überließen sie den dritten Teil der erbeuteten Rüstungen den Athenern und verteilten die übrigen unter ihre Städte. Den Athenern wurden sie jedoch auf der See wieder abgenommen. Was davon jetzt noch in den attischen Tempeln ausgestellt ist, sind die dreihundert schweren Rüstungen, welche für Demosthenes ausgeschieden worden waren, und die er dann selbst zu Schiff mit nach Hause gebracht hat. Denn nach diesen Erfolgen konnte er sich auch nach dem unglücklichen ätolischen Feldzuge unbedenklich wieder sehen lassen. Die Athener auf den zwanzig Schiffen aber fuhren nach Naupaktos ab. Als die Athener und Demotshenes abgezogen waren, be­ willigten die Akarnanier und Amphilochier den zu Salynthios ins Agraiische geflüchteten Amprakiern und Peloponnesiern freien Abzug aus Oiniadai, wohin sie sich von Salynthios be­ geben halten. Für künftig aber schlossen sie mit den Amprakiern Frieden und ein Bündnis auf hundert Jahre. Danach sollten weder die Amprakier gehalten sein, mit den Akarnaniern gegen die Peloponnesier, noch die Akarnanier mit den Amprakiern gegen die Athener ins Feld zu ziehen, beide aber einander gegen feindliche Angriffe Beistand leisten, auch die Amprakier alle noch in ihren Händen befindlichen Besitzungen und Geiseln herausgeben und das mit den Akarnaniern verfeindete Anak­ torien nicht unterstützen. Nach dieser Übereinkunft stellten sie den Krieg ein. Nachher schickten die Korinther gegen drei­ hundert ihrer Hopliten unter Xenokleidas, Eutykles' Sohn, als Besatzung nach Amprakia, die nach einem beschwerlichen Marsche zu Lande dort ankamen. So viel über die Ereignisse bei Amprakia.

In Sizilien unternahmen die Athener in diesem Winter

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eine Landung bei Himera, während die Sikeler gleichzeitig von der Landseite in das dortige Gebiet einfielen, und außer­ dem eine Fahrt nach den Aolischen Inseln. Bei der Rückkehr nach Rhegion fanden sie dort Pythodoros, Jsolochos' Sohn, als athenischen Feldherrn vor, der an Laches' Stelle den Ober­ befehl über die Flotte erhalten hatte. Die Bundesgenossen der Athener in Sizilien hatten sich nämlich nach Athen ge­ wandt und darum gebeten, ihnen noch mehr Schiffe zu schicken. Denn da ihr Land in den Händen der Syrakuser war und diese sie mit ihren paar Schiffen auch von der See verdrängt hatten, wollten sie das nicht länger ertragen und eine Flotte zusammenbringen. Die Athener beschlossen auch, vierzig Schiffe zu bemannen und sie ihnen zu schicken, teils weil sie den dortigen Krieg dann schneller zu beenden hofften, teils um ihre Flotte zu üben. Den einen der Feldherren, Pythodoros, ließen sie mit ein paar Schiffen gleich abgehen, während sie Sophokles, Sostratides' Sohn, und Eurymedon, Thukles' Sohn, mit der Mehrzahl der Schiffe erst später nachschicken wollten. Pytho­ doros, der an Laches' Statt den Oberbefehl über die Flotte inzwischen übernommen hatte, fuhr damit gegen Ende des Winters nach der früher von Laches eroberten lokrischen Schanze, zog aber nach einem unglücklichen Gefecht mit den Lokrern wieder ab.

In diesem Frühling erfolgte ein Ausbruch des Ätna, wie das auch früher schon vorgekommen war, und die Lava ver­ wüstete den am Fuße des Berges wohnenden Kataniern einen Teil ihrer Felder. Der Ätna ist der höchste Berg in Sizilien. Wie es heißt, erfolgte dieser Ausbruch fünfzig Jahr nach dem vorigen; im ganzen aber soll seit der Niederlassung der Griechen in Sizilien dreimal ein Ausbruch stattgefunden haben. Das waren die Ereignisse dieses Winters, und damit endete das sechste Jahr des Krieges, den Thukydides beschrieben hat.