History of the Peloponnesian War

Thucydides

Thucydides. Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Wahrmund, Adolf, translator. Stuttgart: Krais and Hoffmann, 1864.

Melier:: „Nun wohl dennwenn ihr selbst um eure Herrschaft nicht zu verlieren so Großes wagt, und die von euch schon. Unterworfenen, um sich-von derselben zn befreien, so wäre, es ja doch von uns, die wir noch frei sind,.g^oße Niederträchtigkeit und Feigheit,- wenn'wir^nicht lieber Alles wagen wollten, nur um nicht Knechte zu werden."

Athener: „Keineswegs, wenn.ihr eure Lage nur vernünftig anseht; denn, es handelt sich hier, nicht um einen, Kampf, durch. welchen ihr euch dem gleich tsarken Gegner gegenüber als tapfere Männer zeigen müßtet, um nicht Schande einzuärnten, sondern.ihr' habt.euch zu berathen, ob ihr euch dadurch retten wollt, daß ihr dem weit Ueberlegenen keinen Widerstand leistet."

Melier: „Wir.wissender auch, daß das Kriegsglück die Loose manchmal gleichmäßiger vertheilt, als nach der vershciedenen Stärke beider Theile zu erwarten wäre. Und uns, wenn wir euch jetzt sogleich nachgeben^ ist jede Hoffnung abgeschnitten;, handeln wir aber, so bleibt uns immer-noch die Hoffnung, uns aufrecht zu halten."

Athener: Freilich ist die Hoffnung Trost in der Gefahr.und diejenigen,'welche bei eigenen reichen Mitteln sich ihr hingeben, vernichtet sie nicht ganz, wenn sie ihneniauch Schaden bringt; aber doch ist sie:ihrer.Natur.nah cVerlust,-und.wer.sein.'Allts auf ihre Karte seht, der lernt sie erst kennen)-wenn.er,-enttäushctets,und. sie ihm.Nichts mehrlübrig gelassen-hat, in,dessen Besitzen künftig vor ihr/ der Erkannten, auf der Hut sein könnte. - Zhr nun seid- schwach und Alles steht für euch auf Einem Wurf;, wollet euch also njcht'jenes Schicksal zuziehen, und macht es.nicht wie-die große Menge, denen es anfangs möglich wäre, sich durch menschlihce Mittel noch zu retten; wenn!aber in der Bedrängniß die sichtbaren Hoffnungen .sie.vetlassen,. so. wenden sie. sich den unsichtbaren.zu;.der Wahr- sagerei und'den Orakeln, und. was dergleichen mehr unter fortdauernder Hoffnung den Menschen zu Grunde-richtet. "

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Melier: „Auch wir, wisset das wohl, halten es für [*]( 416 v. Chr. ) schwierig gegen eure Macht und das Glück anzukämpfen,' wenn cS< seine Gunst nicht gleich vertheilen wird; gleichwohl vertrauen wir, das Glück, das von den Göttern kommt/werde nnS nicht unterliegen lassen, weil wir Nichtgerecbten gegenüber für das Heilige einstchen; was uns aber an Macht abgeht, glauben wir, werde uns durch die Bundeshülfe der Lakedämonier ersetzt werden, die, wenn auS keinem andern Grund, doch:schon der Verwandtschaft wegen und um Schande zu vermeiden,'uns zu Hülfe kommen müssen..- .Unser Vertrauen ist nicht so ganz und gar blind."

Athener: „Was das Wohlwollen der Götter betrifft, so glauben auch wir, daß wir nicht-im Nachtheil-sein werden; denn wir verlangen und thun Nichts, was. außer der menschlichen Art liegt, weder in Bezug auf den Glauben an die Götter, noch auch in dem, was die Menschen für sich selbst wünschen. Wir glauben, daß die Gottheit nach menschlichem Dafürhalten regiere, wir wissen aber, daß die Menschen sichtlich aus. einem Zwange der Natur das beherrschen, worüber sie Macht gewinnen-können; dieß Gesetz haben wir weder.'selber gegeben, noch' auch-sind wir die Ersten,.die sich nach seinem Bestehen richten;-wir haben es bestehend vorgefunden und werden eS auch für .alle'Zeiten bestehend zurücklassen, und so handeln wir danach .und. wissen recht gut, daß auch ihr und jeder Andere, der gleiche Macht mit uns-erringt, ebenso.handeln würde. Was also die Götter betrifft, so sind wir ganz im Recht, wenn wir ihre Ungunst nicht besorgen; was aber nun.eure.Erwartung von den Lakedämoniern angeht, wonach, ihr vertraut, daß sie euch um ihre Ehre.zu wahren zu Hülfe kommen werden, so.wünschen wir euch zwar.Glück zu.einem solchen Vertrauen-auf.die Menschen, können aber doch euren Unverstand nicht beneiden. Die Lakedämonier handeln zwar unter sich und in Bezug aus ihre eigenen Einrichtungen meist nach den Gesetzen der Rechtlichkeit; was aber ihr Benehmen gegen Andere betrifft, da hätte. Einer viel zu reden, und will er sich kurz fassen, so kann er sie am besten schildern, wenn er sagt, daß sie nach unserem Wissen unter Allen diejenigen sind, welche am offensten das für ehrenvoll erklären, was ihnen angenehm ist, und das für gerecht, was ihnen Nutzen bringt. Und von einer solchen Gesinnung

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[*]( 416 v. Chr. ) laßt sich jetzt wohl für eure.so unwahrshceinliche Rettung Nichts erwarten."

Melier: „Wir aber finden grade hierin den stärksten Grund des Vertrauens, daß sie nämlich eben ihres Vortheils willen ihr eigenes Pflanzvolk, die Melier, nicht werden verrathen wollen, um ihren Freunden unter den Hellenen Mißtrauen gegen sich einzuflößen, ihren Feinden aber zu nützen."

Athener: „Ihr glaubt also nicht, daß der Vortheil nur bei der Sicherheit ist, daß aber den Forderungen der Gerechtigkeit und der Ehre nur unter Gefahren Genüge geleistet werden kann? Dergleichen pflegen die Lakedämonier am wenigsten zu wagen."

Melier: „Wir aber.glauben, daß sie sich auch diesen Gefahren .um unsertwillen lieber unterziehen, und daß sie von uns um so mehr erwarten als von Andern, als wir zu thätigem Beistand nahe beim Peloponnes liegen und der Blutsverwandtschaft wegen für sie auch der Gesinnung nach zuverlässiger als Andere sind."

Athener: „Was aber denen, die im Kampfe den Andern beistehen sollen, Vertrauen einflößt, ist nicht die wohlwollende Gesinnung der Hülfesuchenden, sondern thatsächliche große Ueberlegenheit an Macht; und darauf sehen die Lakedämonier noch mehr als Andere. Im Mißtrauen auf ihre eigene Macht bedienen sie sich sogar auch der Hülfe zahlreicher Bundesgenossen, wenn sie Andere angreifen, und es ist also nicht wahrscheinlich, daß sie auf eure Insel übersetzen werden, während wir die See beherrschen."

Melier: "„Sie könnten ja aber auch Andere herüber-schicken.' Und übrigens ist das kretische Meer groß, und es ist auf demselben selbst dem, der die Gewässer beherrscht, weniger leicht, einen Andern abzufangen, als für diesen sich zu retten, wenn er sich jenen entziehen will. Und wenn dieß fehlschlagen sollte, so könnten sie ja auch euer eigenes Land und eure andern Bundesgenossen angreisen, die Brasidas nicht heimgesucht hat; und dann hättet ihr nicht um ein Land zu kämpfen, auf das ihr kein Recht habt, sondern um eines, das euch sehr nahe angeht."

Athener: „Nun von diesen Dingen könnte auch euch etwas treffen, und ihr babt darüber auch schon Erfahrung und wißt, wohl, daß die Athener auch nicht eine einzige Belagerung aus Furcht

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vor Andern aufgegeben haben. Wir bemerken übrigens, daß ihr trotz [*]( 416 v. Chr. ) eurer Erklärung, ihr wolltet über die Art eurer Rettung berathen,, in dieser so langen Unterredung auch nicht das Mindeste vorgebracht habt, worauf die Menschen sonst Vertrauen setzen und die Hoffnung auf Rettung gründen; > sondern, worauf ihr am Meisten baut, das liegt noch im Reiche der Ungewißheit, und was euch wirklich zu Gebote steht, ist unzureichend um euch vor dem zu retten, was euch bereits kampfbereit gegenüber steht. Ihr werdet großen Unverstand beweisen, wenn ihr nicht-noch in euch geht und-einen klügeren Entschluß faßt. Denn ihr werdet euch doch nicht durch das Wort ..Ehre" bestimmen lassen, welches so oft die Menschen in der schimpflichsten Lage und den augenscheinlichsten Gefahren hat umkommen lassen! Wie Viele haben-shcon vorausgesehen, welchem Verderben sie in die Arme rennen, und doch, hingerissen durch die Macht des verführerischen Begriffs, der „Schande" heißt, überwältigt also von einem bloßen Worte, sich freiwillig in das wirklichste und unerträglichste Elend gestürzt, und mehr durch Unverstand als durch Unglück sich die schimpflichste Schmach zugezogen. Davor also, wenn ihr wohl berathen seid, hütet euch und haltet es nicht für schimpflich, euch vor einer so mächtigen Stadt zu beugen, welche die mäßige Forderung an euch stellt, ihre zinsbaren Bundesgenossen zu werden, ohne von eurem Gebiete etwas zu verlieren. Wenn euch die freie Wahl anheimgegeben ist zwischen Krieg und ruhiger Sicherheit, so besteht nicht hartnäckig auf der schlechteren Wahl. Denn die kommen am Weitesten, die dem Gleichtsarken nicht nachgeben, dem Mächtigeren sich geziemend nähern und dem Schwächeren gegenüber Mäßigung üben. Nun bedenkt euch also wohl, wenn wir uns jetzt zurückziehen, und haltet eS euch immer im Gedächtniß, daß es sich darum handelt, ob ihr ein Vaterland haben werdet! Ihr habt nur dieß Eine, und von Einem Entschlüsse hängt sein Untergang oder seine Rettung ab!"

Hiemit brachen die Athener die Unterredung ab und zogen sich zurück. Die Melier aber, nachdem sie unter sich einen Beschluß gefaßt hatten, wie er mit ihren Entgegnungen übereintsimmte,'gaben die folgende Antwort: „Weder sind wir jetzt anderer Meinung geworden, ihr Athener, als Anfangs, noch werden wir in so kurzer Frist unsern Staat, der schon sieben Jahrhunderte.besteht,

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[*]( 416 v. Ehr. ) seiner Freiheit berauben lassen, vielmehr werden wir den Versuch zu unserer Rettung machen, vertrauend, wie auf das Glück, das von den Göttern kommt und uns so lange erhalten hat, so auch aus die Hülse der Menschen und besonders der Lakedämonier. Wir erbieten uns, euch Freund werden zu wollen, .keinem Theil aber Feind, und ihr sollt dann anS unserem Gebiet-abziehen, nachdem ihr einen Vertrag mit uns geschlossen, der für beide Theile ersprießlich ist."

Das war die Antwort der Melier; die Athener aber hoben hiemit die Unterhandlungen auf und sagten: „Nun so seid ihr denn, wie uns nach eurem Entschlüsse scheint, die Einzigen, welche daS Zukünftige für sicherer halten, als was vor Augen liegt; was noch von Ungewißheit bedeckt ist, betrachtet ihr bereits als wirklich, weil ihr eS eben wünscht; aus Lakedämonier, Glück und Hoffnungen wälzt ihr eure Last ab, aber so groß euer Vertrauen auf sie ist, so groß wird eure Enttäuschung sein."

Die Gesandten der Athener begaben sich nun in.daS Lager zurück, und da die Melier in Nichts nachgaben, so gingen.die Feldherren ^ allsogleich zu Feindseligkeiten über und begannen die Melier ringsum durch Verschanzungen einzuschließen, indem siedle Arbeit nach den Städten unter sich vertheilten. Danach zogen die Athener mit dem größeren Theil des Heeres wieder ab/ nachdem sie aus ihren eigenen Soldaten und aus denen der Bundesgenossen eine Beobachtungstruppe zu Land und zu Wasser zurückgelassen hatten.

Um dieselbe Zeil fielen auch die Argiver in das Gebiet von Phlins ein; es wurde ihnen aber von den Mliasiern und ihren eigenen Flüchtlingen-ein Hinterhalt gelegt, und sie, verloren dabei gegen achtzig Mann. —Die Athener nahmen vonOylos aus den Lakxdämoniern viele Beute ab; die Lakedämonier aber brachen selbst deßhalb den Vertrag nicht und führten, keinen Krieg gegen sie, doch ließen sie bekannt machen: Wer bei ihnen-wolle, könne Naubzüge gegen die Athener unternehmen. — Auch die Korinther führten einiger eigenen,.Angelegenheiten wegen Krieg gegen die Athener; die übrigen Peloponnesier verhielten sich ruhig.

Die Melier indessen hatten durch einen nächtlichen Ausfall den Theil der-zAthenifchen Verschanzung genommen, der gegen den Lager- markt zu lag, und dabei einige Mann getödtet, und als sie dann

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LebenSmittel und sonst brauchbare Dinge in möglichster Menge ein- [*]( 4l8 v. Chr. ) gebracht hatten, zogen sie sich wieder zurück und verhielten sich ruhig;- die Athener trafen nun zu ihrer Ueberwachung bessere Vorkehrungen. Damit ging der Sommer zu Ende.

In dem folgenden Winter waren die Lakedämonier schonauf dem Wege, einen Feldzug in das Argivische zu machen, da ihnen aber an der Gränze das Opfer nicht günstig ausfiel, so kehrten sie wieder um. Dieses Vorhabens wegen faßten die Argiver Verdacht gegen Einige in der Stadt und nahmen auch Etliche davon gefangen, die Andern entkamen ihnen.

Die Melier nun hatten um dieselbe Zeit zum zweiten Mal einen Theil der Athenischen Umschanzung genommen, wo die Wachen nur in geringer Stärke waren. Da aber dann nach diesem Ereigniß ein anderes Heer aus Athen kam, welches Philokrates, des Demeas Sohn befehligte, und die Belagerung nun mit voller Kraft betrieben wurde, wozu auch noch Verrath aus der Mitte der Melier selbst kam, so übergaben sie sich den Athenern auf Gnade und Ungnade. Diese nun tödteten von den Meliern alle Erwahcsenen männliches Geschlechtes, die in ihre Hände fielen, Weiber und Kinder aber verkauften sie als Sklaven. Danach schickten sie fünf Hundert Ansiedler dorthin und machten den Platz zu ihrer eigenen Niederlassung. [*]( Thukydides. V. )